Anne Berest - Die Postkarte

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    Übersetzt von Amelie Thoma , Michaela Meßner; gesprochen von Simone Karbst

    Als Annes Mutter eine Postkarte erhält auf der lediglich die Namen ihrer vier in Auschwitz ermordeten Vorfahren stehen, ist Annes Neugier zwar geweckt, aber es dauert viele Jahre bevor sie anfängt, zu forschen.

    Dieses Buch lässt mich nicht los!

    Der erste Teil des Buches geht um die Geschichte Von Annes Urgroßeltern mütterlicherseits, und um die Geschwister ihrer Großmutter (alle vier wurden in Auschwitz umgebracht), sowie um ihre Großmutter.

    Nachdem ich gerade erst ein anderes Buch beendet habe in dem es um die –hauptsächlich aus Deutschland und Österreich — geflüchteten Juden nach Shanghai während der japanischen Besatzung ging, und um die menschenunwürdigen Zustände denen sie dort ausgesetzt sind, ist dieses Buch ein weiterer Beleg dafür, dass die Vernichtungsmaschinerie zwar in Deutschland ihren Ursprung hatte, die dahintersteckende Ideologie aber weltweit anzutreffen war.

    Die französische Regierung kollaborierte, desgleichen die französischen Behörden und ein Großteil der französischen Bevölkerung!

    Nach den ersten großen Flüchtlingswellen machten die europäischen Länder sowie die USA ihre Grenzen für jüdische Flüchtlinge zu!

    Es ist schon erschreckend, wie alle diese Länder jetzt ihre Hände in Unschuld waschen und so tun, als wären die Juden nur in Deutschland verfolgt und umgebracht worden, und sie hätten nichts tun können!

    Auf der Suche nach dem Absender der anonymen Postkarte begibt sich Anne auf eine Reise in die Vergangenheit. Ihre Mutter unterstützt sie mit gemischten Gefühlen — so viele Erinnerungen kommen hoch…

    Der zweite Teil des Buches fängt an in der Gegenwart, und auch hier wird deutlich, dass Antisemitismus auch in der französischen Bevölkerung noch vorhanden ist, und sogar wieder stärker wird.

    Dieser Rechtsruck in so vielen Ländern der Welt ist zutiefst erschreckend und verstörend.

    Zurück in die Vergangenheit: der Krieg ist mittlerweile zu Ende, und die ganzen Deportierten (na ja die, die es überlebt haben) kommen zurück. Und wieder gibt es diese typischen Reaktionen von Leuten, denen es nie an etwas gefehlt hat, außer an Empathie. Inzwischen ist die Mutter der Autorin zur Welt gekommen, und deren Mutter sucht nach ihrer Familie.

    Zurück in die Gegenwart: Die Suche führt Anne und ihre Mutter in das Dorf, in dem die Großmutter lebte als zunächst ihre Geschwister (und später auch ihre Eltern) deportiert wurden.

    Sie versuchen, herauszufinden was mit dem Besitz der Familie geschehen ist, stoßen aber auf eine Mauer des Schweigens: die, die damals gelebt haben, haben zum Teil Dreck am Stecken.

    Nicht alle Dokumente sind jedoch verloren gegangen oder vernichtet worden, sodass die beiden Frauen Fortschritte machen.

    Es ist sehr aufwühlend, die Autorin auf ihrer Recherche zu begleiten. Das Buch ist zutiefst erschütternd, insbesondere wenn man bedenkt, dass es nicht nur einer Familie, sondern Millionen von Menschen so ergangen ist.

    Es sollte Pflichtlektüre in der Oberstufe sein!

    Simone Karbst hat eine angenehme Stimme, und ihre Aussprache ist sehr deutlich. Ich hätte es jedoch begrüßt, wenn sie sich die Mühe gemacht hätte herauszufinden, wie die vielen französischen Namen und Begriffe korrekt ausgesprochen werden.

    Mein Dank geht an Hörbuch Hamburg via Netgalley für dieses Rezensionsexemplar!


    Buch: 5ratten

    Erzählerin: 4ratten

    Was ist wertvoller, Wissen oder Fantasie? Es ist die Fantasie, denn das Wissen hat Grenzen.  - Albert Einstein

    Einmal editiert, zuletzt von Vorleser ()

  • Vorleser : Vielen Dank für die Rezension, das klingt so spannend, dass ich mir das Ebook bestellen werde, weil ich dieses Buch auch unbedingt lesen möchte.

  • Danke, Juva. Ich hoffe, es wird dir gefallen. :)

    Was ist wertvoller, Wissen oder Fantasie? Es ist die Fantasie, denn das Wissen hat Grenzen.  - Albert Einstein

  • Das war eine ganz tolle Empfehlung! Ich bin zwar mit dem Roman noch nicht durch, habe aber heute morgen an einem Stück das erste Drittel gelesen, weil die Geschichte nicht nur spannend, sondern auch toll erzählt ist.

  • Jetzt bin ich mit dem Buch durch und völlig begeistert! Man kann es eigentlich gar nicht in eine bestimmte Kategorie einordnen, weil sich so vieles darin vereint - wie in einem guten Sachbuch erhält man viele Informationen zur Geschichte jüdischer Emigranten aus Russland Anfang des 20. Jhdts., diese aber eingeordnet in die Familiengeschichte der Rabinovitchs. Hinzu kommt die Rahmenerzählung rund um die titelgebende Postkarte, deren Geheimnis zum Schluss auch noch auf völlig unerwartete Art und Weise gelöst wird.


    Am stärksten beeindruckt hat mich aber das Zusammenwirken der Lebensläufe von Myriam (Großmutter), Lélia (Mutter) und Anne (der Autorin), deren Verhältnisse zueinander sich gerade wegen der alles überschattenden Familiengeheimnisse nicht immer einfach gestalten. Gerade weil Myriam die einzige Überlebende ihrer Familie ist hat sie Schwierigkeiten, das Schicksal ihrer Eltern und Geschwister zu verarbeiten und kann bzw. will zeitweise nicht darüber sprechen. Dass sich die Unsicherheiten und Ängste, die sie plagen, letztendlich auf ihre Tochter und Enkeltochter übertragen, wird sowohl in den Emails, die Lélia und Anne wechseln, als auch in Annes Selbstreflektion über ihre jüdische Identität sehr deutlich. Und gerade in diesem Kontext wird auch klar, dass Geschichte eben nicht völlig vergeht, und dass Antisemitismus, der heutzutage immer wieder und oft auch unbedacht ausgeübt wird, Menschen tief verletzt - insbesondere, wenn sich eine so traumatische Familiengeschichte in ihrer Vergangenheit verbirgt.


    Damit beinhaltet das Buch auch Biographisches und Autobiographisches, im Nachvollziehen der Lebensphasen der ProtagonistInnen aber auch Romanhaftes, weil manches eben nur vermutet, aber nicht völlig belegt werden kann. Diese interessante Mischung wird noch dadurch unterstützt, dass der Text toll formuliert ist, die Autorin schreibt hervorragend und nimmt die LeserInnen mit in ihre Geschichte. Ein außergewöhnliches, spannendes und absolut empfehlenswertes Buch!


    5ratten :tipp: