Ewald Frie - Ein Hof und elf Geschwister

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    Ewald Fries "Ein Hof und elf Geschwister - Der stille Abschied vom bäuerlichen Leben" hat meiner Meinung nach völiig zurecht den Deutschen Sachbuchpreis 2023 erhalten. Anhand der Geschichte seiner Familie zeigt er den oft nicht direkt spürbaren, aber rasanten Wandel der Landwirtschaft in den frühen Jahren der BRD.


    Der Autor wuchs als neuntes von elf Kindern einer katholischen Bauernfamilie im Münsterland auf und ist heute Historiker und Professor für Neuere Geschichte an der Universität Tübingen. Dass hier ein methodisch versierter Historiker am Werk war und dadurch eben nicht einfach "nur" eine Familiengeschichte erzählt wird merkt man dem gesamten Werk an. Frie hat mit allen Geschwistern Interviews anhand eines festgelegten Leitfadens geführt, um die Vergleichbarkeit der Quellen zu gewährleisten und dies durch zusätzliche, gezielt recherchierte Materialien unterstützt. Er benennt aber auch den Zwiespalt, in dem er sich als Autor und gleichzeitig Beteiligter der Geschichte sieht und entschärft diesen unter anderem dadurch, dass er die Namen der Geschwister in diesem Buch geändert hat.


    Als Einstieg dienen drei Fotos, die das Wachsen der Familie, die auch für damalige, ländliche Verhältnisse sehr groß war, dokumentieren. Daraus ergibt sich dann auch die Einteilung der Kapitel des Buches, weil die Geschwister aufgrund des teilweise großen Altersunterschieds in drei "Gruppen" eingeteilt werden, die in ihrer Kindheit und Jugend auch jeweils andere Erfahrungen mit der Familie und der (Arbeit in der) Landwirtschaft gemacht haben. Dadurch ergibt sich ein faszinierendes Panorama der 50er, 60er und 70er Jahre, in der sich in der Familie, aber auch im bäuerlichen Leben, vieles verändert.

    Zitat

    Hinter den ineinandergeschobenen [...] Welten liegt als Langzeittrend die Auflösung der bäuerlichen Gesellschaft. Sie verlief still und zugleich rasend schnell. Die Interviews zeigen nicht nur, dass das Geschlecht einen großen Unterschied macht. Es kommt auch auf die Jahrgänge an: Das Leben eines Bauernkindes mit Geburtsjahr 1946 (Kaspar) war völlig anders als das eines Kindes von 1956 (Gregor) oder gar 1966 (Matthias). Zehn Jahre bedeuteten eine Welt. (S. 166)

    Das große Kunststück, das Ewald Frie in diesem Buch gelingt, ist es, diese Dynamik nachvollziehbar und gut lesbar darzustellen, nebenher erfahren die LeserInnen auch einiges über die Familiengeschichte der Fries, und hinter allem spürt man die Verbundenheit der Familie miteinander und die Dankbarkeit den Eltern gegenüber, die allen ihren Kindern (unabhängig vom Geschlecht) Bildungschancen ermöglicht haben, die diese auch genutzt haben, und als deren ganz konkretes Ergebnis am Ende dieses Buch steht.


    5ratten

  • Danke für Deine Rezi zum Buch, Juva : Es ist bereits auf meinem Leseradarschirm aufgetaucht, da meine Mutter (*allerdings bereits 1930) mit ihrer Zwillingsschwester Ruth bereits das 10. und 11. Kind meines Großvaters war (Landwirt) und es insgesamt, glaube ich, 13 Geschwister waren - die meisten älter. Meine Tanten habe ich noch kennengelernt, aber mein Onkel ist im 2. WK umgekommen (U-Boot, was ich als Kind erfuhr und seither diese Schiffe hasse....).

    Die Geschichte dieser Familie beginnt in der Nachkriegszeit, aber interessant wäre sie dennoch für mich (die ich leider die Eltern meiner Mutter und einige ihrer Geschwister nicht kennenlernte; andere Schwestern von ihr aber zeitlebens in allerbester Erinnerung habe.


    Besonders in der Hinsicht auf Bildungschancen kann ich mir sehr gut vorstellen, dass es einen riesigen Unterschied machte, ob man 1946 (oder 1949, meine älteste Schwester wurde geboren) oder eben 1956 geboren wurde: Mir wurde es ein wenig verübelt, dass ich (als Letztgeborene) studiert habe - und die älteste Schwester mit 14 Jahren eine Ausbildung machte - und auch gerne studiert hätte...

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Sagota :Die Bildung ist ein Thema, das sich durch das ganze Buch zieht: schon die Mutter von Ewald Frie wäre gerne Lehrerin geworden, was aber nicht möglich war, und sie hat sich dann lebenslang für die Bildung ihrer Kinder eingesetzt. Dabei war es in der Tat so, dass die Hürden für die jüngeren Geschwister deutlich niedriger waren - hier waren die Erwartungen, sowohl was die Mitarbeit auf dem Hof als auch die etablierten Rollenbilder angeht, schon deutlich andere.