Dennis Lehane - Sekunden der Gnade

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    Ein Lichtblick ist ihre Tochter Jules für Mary Pat Fennessy. Nach einer Trennung und dem frühen Tod ihres Sohnes Noel ist die 17-jährige Jules alles, was Mary Pat geblieben ist. Die beiden leben in ärmlichen Verhältnissen in Commonwealth in Boston und eine Bürgerinitiative bringt nun Unruhe und Angst in die Siedlung. Mit der Initiative soll verhindert werden, was reiche und privilegierte Bürger angezettelt haben. Schwarze Kinder sollen mit Bussen in den Unterricht in die Southie High gefahren werden und weisse Kinder in den Unterricht in die Roybury High zwecks Rassenvereinigung. Eines Nachts kommt Jules nicht mehr nach Hause und Mary Pat muss einsehen, dass die freie Wahl der Schule ihre geringste Sorge ist.


    Dennis Lehane verarbeitet in der Geschichte rund um Mary Pat ein topaktuelles Thema. Rassismus von seiner dunkelsten und hässlichsten Seite. Doch auch die Schere zwischen Armut und einem mehr als privilegierten Leben ist in der Geschichte enorm gross.

    Als Leser erfährt man vor allem ersteres, die Sicht und das Leben von Mary Pat. Eine Mutter, die mit ihrer fast erwachsenen Tochter in einem Ghetto von Drogen, Armut und zwielichtigen Gestalten lebt. Mary Pat, die als weisse Frau immer wieder mal klar Stellung bezieht zu dem Thema Rassismus. Sätze wie "Scheiss drauf. Ich sehe keine Farben. Ich sehe Ungerechtigkeit" (Seite 38) zeigen ihre Gesinnung und sind grandios. Mary Pat ist mir sehr sympathisch und ich habe mit ihr gelitten, als Jules verschwindet. Die Angst der Mutter konnte ich mehr als nachvollziehen.

    Dennis Lehan schreibt schonungslos, brutal direkt und so manches Mal bin ich regelrecht zusammengezuckt bei seiner Wortwahl. Sehr provokativ setzt er zum Beispiel das N. Wort für Menschen mit dunklem Hautbild ein. Die Geschichte handelt 1974, also zu einem Zeitpunkt, an dem diese Betitelung leider noch gang und gäbe war. Lehanne legt oft den Finger darauf, die Leser zu schockieren, damit dieser danach (hoffentlich) vorurteilsfrei in die richtige Richtung denkt.


    Es ist schwierig, zu erklären, was dieses Buch bei mir ausgelöst hat. Jede Menge meiner Ansichten über Menschen auf dieser Welt, egal welcher Hautfarbe oder welcher Schicht sie angehören, wurden zementiert. Egal, was für eine Hautfarbe ein Mensch hat, auf seine Gesinnung, seine Werte und seine Art mit anderen umzugehen, kommt es an. Das ist es, was zählt! Indem Lehane mich schockiert und provoziert hat, hat er diese, meine bisherige persönliche Meinung, vertieft. Ein Richter versucht nun, die Rassentrennung in Schulen aufzuheben. Etwas, was gründlich schiefgeht. Auf beiden Seiten und ganz besonders bei Mary Pat, denn daraus entwickelt sich das Drama ihres Lebens.


    Ganz besonders eindrücklich ist, dass dieser Roman reale Grundzüge hat. Denn genau wie im Vorwort erklärt und in der Geschichte thematisiert, wurde am 21. Juni 1971 von Bezirksrichter W.Arthur Garrity entschieden, dass Schüler aus überwiegend weissen Stadtvierteln mit Bussen in überwiegend schwarze Vierteln gebracht werden, um dort die Schule zu besuchen. Und umgekehrt. Damit wollte man durch ein System der Busbeförderung die Rassentrennung aufheben. Worauf auf beiden Seiten ein grosser Widerstand ausbrach.


    5ratten


    :tipp:

  • Nach "Mystic River" bestand für mich kein Zweifel, dass ich alles von Lehane lesen werde, was ich in die Finger bekommen kann.

    Ich kann dir auch " Der Abgrund in dir" empfehlen.

  • Southie ist ein Viertel von Boston, in dem Hoffnungslosigkeit und Kriminalität herrschen, aber auch Zusammenhalt und Unterstützung. Allerdings muss man sich an die Regeln des Viertels halten. Als ein Bezirksrichter feststellt, dass schwarze Schüler systematisch benachteiligt werden, soll das Dilemma aus der Welt geschafft werden, indem weiße Schüler per Bus in ein schwarzes Viertel gebracht werden und umgekehrt. Aber Mary Pat hat andere Sorgen. Ihre siebzehnjährige Tochter Jules ist nicht nach Hause gekommen und Mary Pat macht sich auf die Suche. Doch ihre Fragen stoßen entweder auf Schweigen und Beschwichtigungen oder aber es gibt Widersprüche in den Aussagen. Doch Mary Pat lässt sich nicht einlullen. Sie macht sich auf, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen – ganz gleich, was es sie selbst kostet.


    Es ist eine spannende, aber auch sehr bedrückende Geschichte. Das Leben im Viertel ist hart. Auch wenn man arbeitet, ist es oft nicht möglich, seine Rechnungen zu bezahlen. So geht es auch Mary Pat. Sie ist ausgelaugt und hat nicht genügend Zeit für ihre Tochter. Aber sie liebt sie.


    Es gibt aber auch massiven Rassismus. Wenn etwas schiefläuft im Viertel, können nur die Schwarzen daran schuld sein. Auch die Drogen haben sie nach Southie gebracht und daher sind sie schuld, dass Mary Pats Sohn Noel an einer Überdosis Heroin starb, weil er das in Vietnam Erlebte nicht verkraftet hat.


    Auch wenn ich Mary Pats Vorgehen nicht gut finden kann, so kann ich sie dennoch verstehen. Sie hat alles verloren, was ihr wichtig war, daher ist es ihr auch egal, was aus ihr selbst wird. In ihr sind Hass und Gewalt und so manch einer bekommt zu spüren, wie stark sie sein kann.


    Doch am meisten hat mir der Detective Bobby gefallen. Er weiß um die Schwächen des Systems und doch setzt er alles daran, Schuldige zu überführen. Er führt einen aussichtslosen Kampf, denn überall gibt es Menschen, welche die Hand aufhalten.


    Das Finale ist drastisch, aber leider auch glaubhaft.


    Ein erschreckend aktuelles Thema und eine spannende Geschichte, die absolut lesenswert ist.


    5ratten