Nicole Seifert - "Einige Herren sagten etwas dazu". Die Autorinnen der Gruppe 47

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    Mir fiel es noch nie so schwer, ein Buch zu beenden. Nicht, weil es schlecht geschrieben wäre oder nicht interessant genug. Ganz im Gegenteil. Aber so geballt zu lesen, wie Frauen herabgewürdigt werden, sie nur nach Äußerlichkeiten beurteilt werden und nicht nach ihren Werken. Was müssen viele der Männer dieser Gruppe für Angsthasen gewesen sein.

    Dies ist nicht das erste Buch dieser Art, das ich gelesen habe. Ich erinnere an "Zensiert, verschwiegen, vergessen" von Ines Geipel und "Ich finde es unanständig, vorsichtig zu leben" von Iris Schürmann-Mock. Nach diesen Leseerfahrungen möchte ich mich fast den Ärzten anschließen: "Männer sind Schweine". Und ich habe immer weniger Lust, das Buch eines Autoren in die Hand zu nehmen.


    Inhalt

    Nicole Seifert erzählt die Geschichte der Gruppe 47 aus einer neuen Perspektive: der der Frauen. Ihr Ergebnis kommt einer Sensation gleich. »Einige Herren sagten etwas dazu« macht es zwingend, die deutsche Gegenwartsliteratur neu zu denken, die literarische Landschaft neu zu ordnen.

    Es waren viel mehr Autorinnen bei den berühmt-berüchtigten Treffen der Gruppe 47 als Ingeborg Bachmann und Ilse Aichinger, aber sie sind in Vergessenheit geraten, sie fielen aus der Geschichte heraus – wie sich nun herausstellt, hatte man ihnen oftmals gar nicht erst Zutritt gewährt. Und wurden sie miterzählt, dann nicht als Autorinnen ihrer Texte, sondern als begehrenswerte Körper oder als tragische Wesen. Nicole Seifert erzählt von den Erfahrungen der Autorinnen bei der Gruppe 47, von ihrem Leben in den Fünfziger- und Sechzigerjahren in der BRD und von ihren Werken.

    Ein kluges, augenöffnendes Buch, das sofort große Lektürelust entfacht. Schriftstellerinnen wie Gisela Elsner und Gabriele Wohmann müssen neu gelesen, Schriftstellerinnen wie Ruth Rehmann, Helga M. Novak und Barbara König neu entdeckt werden. Ein ganz neuer Blick auf die Gruppe 47 und die Nachkriegsliteratur, der uns bis in die Gegenwart führt.


    "Die Geschichte einer Frau umzuschreiben, erfordert zwangsläufig die Auseinandersetzung mit den männlichen Vorgaben, die sie zuvor definiert haben. Um gegen eine Ideologie zu argumentieren, muss man sie anerkennen und artikulieren. Im Zuge dieses Prozesses mag man seiner Opposition unabsichtlich Gehör verschaffen."


    Jia Tolentino, "Trick Mirror"


    Die Frauen der Gruppe 47 in diesem Buch


    Ruth Rehmann

    Ingrid Bachér

    Ilse Schneider-Lengyel

    Ilse Aichinger

    Ingeborg Bachmann

    Ingeborg Drewitz

    Barbara König

    Gabriele Wohmann

    Gisela Elsner

    Christine Koschel, Christa Reinig

    Griseldis L. Fleming

    Helga M. Novak

    Elisabeth Borchers

    Elisabeth Plessen

    Barbara Frischmuth

    Renate Rasp


    Zitate


    Es gab so viele Stellen in diesem Buch, die es wert wären, herausgeschrieben zu werden. Aber ihr sollt, falls ich euch neugierig gemacht habe, das Buch ja noch lesen und so belasse ich es bei diesen beiden:



    "Ilse Schneider-Lengyel ist die erste einer Reihe von Autorinnen, bei denen die Diskrepanz zwischen ihrem Leben und Wirken und dem Bild, das später von ihnen gezeichnet wurde, gigantisch ist. Ihr Beispiel macht deutlich: Um die Autorinnen der Gruppe 47 überhaupt sehen und beurteilen zu können, müssen sie zunächst einmal von den Geschichten befreit werden, die um sie herum gesponnen wurden, seien sie abfällig oder Stoff für Legenden. Denn wenn die Frauen ,nicht' aus der Geschichte der Gruppe 47 herausfielen, sondern miterzählt wurden, dann nicht als Autorinnen ihrer Texte. Die männliche Rede über das Weibliche hat sich nicht nur im Fall von Ilse Schneider-Lengyel vor ihr Werk gestellt, Ähnliches geschah auch bei Ilse Aichinger."



    "Mir fehlt in der Debatte um weibliche Kunst und Weiblichkeit im Öffentlichen immer ein einziges Wort: Verachtung. Seltsamerweise spricht es nie jemand aus, nicht einmal Feministinnen, vielleicht weil sie es sich nicht eingestehen wollen, doch es ist bezeichnend für das, was die Frau für ihre Arbeit bekommt, auch wenn das eben nie ausgesprochen wird. Die Verachtung des weiblichen Werks."


    Elfriede Jelinek


    5ratten

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf

    #frauenlesen

  • Ich habe mir das Buch nach deiner Vorstellung in einem anderen Thread bereits zugelegt und bin schon sehr gespannt auf eine Lektüre, später im Jahr.

  • Danke für Deine Vorstellung dieses Buchs, Anne :thumbup:


    Ich schaue ganz interessiert auf das Buch, weil ich mich als junger Leser in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern mal mehr, mal weniger intensiv mit der Gruppe 47 und ihren Autoren befasst habe, und ich muss mir selbst ganz ehrlich eingestehen, dass auch mir in erster Linie ihre männlichen Mitglieder im Gedächtnis geblieben sind, auch weil sie medial damals einfach omnipräsent waren, seien es Reich-Ranicki, Handke, Grass oder Walter Jens. Und ich hatte schon damals das Gefühl, bei den Frauen der Gruppe interessierte man sich eher für ihre persönlichen Verbindungen zu den männlichen Kollegen (wie Ingeborg Bachmanns Beziehung zu Max Frisch und Hans Magnus Enzensberger) als für ihre literarischen Leistungen. Insofern unternimmt dieses Buch den lobenswerten Versuch einer späten Wiedergutmachung.


    Ich bin über den den Beitrag von Meike Feßmann im Büchermarkt-Podcast des Deutschlandfunks auf dieses Buch gestoßen:

    Die Frauen der Gruppe 47 - „Einige Herren sagten etwas dazu“
    Etliche Autorinnen waren bei den Schriftstellertreffen der Gruppe 47 dabei. Nicole Seifert erzählt in „Einige Herren sagten etwas dazu“ von ihnen.
    www.deutschlandfunkkultur.de

  • Danke für den Link, ich habe mir den Beitrag gleich mal angehört und ärgere mich schon wieder über die Kommentare der Männer.

    Denn ich, ohne Bücher, bin nicht ich. - Christa Wolf

    #frauenlesen

  • Es ist wie erwartet... ich rege mich auf, obwohl ich eben erst begonnen habe zu lesen. Schonmal danke Anne für die Auflistung der Autorinnen. Ich muss nämlich eine Leseliste machen. ^^

    Gleichzeitig ärgert es mich, das sich hier auch wieder zeigt, weshalb Romane von Frauen in Deutschland nach wie vor nur in bestimmten Genres echte Repräsentierung finden.

    Mal abgesehen davon, das Frauen mit internationaler Biografie und ihren Romanen noch weniger Beachtung geschenkt wird. Es ändert sich zwar momentan auch vieles... aber es zeichnet sich jetzt schon ab, dass sich das auch sehr schnell wieder ändern könnte ...

  • Der Umgang mit Ilse Aichinger und ihren Erlebnissen in der NS Zeit, ihrer Verfolgung und die Ermordung ihrer Familie. Ich würde Richter gerne immer mal einfach eine Ohrfeige geben. Seine Selbstverleugnung, aber auch generell der Umgang damit in der Gruppe 47 widern mich gerade zu an. Auch wenn das Verhalten der Herren nicht verwundert. Exemplarisch für Deutschland und die Verleugnungen, Umdrehung der Opferrolle etc.

  • Meine Meinung:


    Wärend der Lektüre kam mir immer öfter der Gedanke, weshalb es eigentlich so viele Männer gibt, die man als Kanon der deutschen Nachkriegsliteratur ansieht, die ihre Gedanken zu Shoah und Weimarer Republik, Kaiserzeit und Diktaturen im allgemeinen in die Welt hinausließen, aber so wenige bis gar keine Frauen, denen die gleiche Bedeutung zugewiesen wird, wie ihren Kollegen. Eigentlich keine richtige Frage, denn Nicole Seifert liefert ein Beispiel für die deutsche Literaturlandschaft warum das so ist.

    Frauen und ihre Romane, generell weibliche Perspektiven, sind immer schön hübsch verpackt mit gemeint. Aber kommen sie aus ihrem ihnen zugewiesenen Dasein als Muse und Hausfrau heraus, sind sie Sexualisierung auf der einen Seite und der Zuschreibung als Unbequem, unweiblich etc. auf der andren Seite ausgesetzt.

    Mir fiel schnell auf, das ich genau zwei Namen kannte, als ich in das Inhaltverzeichnis schaute. Laut Seifert kein Zufall. Ingeborg Bachmann ist im Grunde sogar die einzige, die ich aus dem Kopf heraus mit der "Gruppe 47" überhaupt in Verbindung gebracht hätte. Und sie ist auch die einzige deren Literatur ich aus eigener Leseerfahrung kenne. Das finde ich tatsächlich auch beschämend. Denn ich würde schon von mir sagen, das ich eine gewisse literarische Bildung besitze...

    Trotzdem erinnere ich mich auch selbst an Diskussionen weshalb es keine so "großen" Frauen gibt und weshalb praktisch keine Frau im Deutsch Unterricht gelesen wird. Mein eigener Lesegeschmack wird schnell belächelt und als typisch weiblich abgetan. Männer die gerne lesen, betonten ebenso gerne das sie Literatur lesen... Und werten indirekt gleich mal ab, das alles was ich so lese ja keine Literatur sein könne. (Und meinen sowieso nur das, was sie selbst als "hohe" Literatur einordnen...).


    Nicole Seifert beschreibt in ihrem Buch ein Beispiel dafür, weshalb weibliche Perspektiven im deutschen Literaturbetriebt so lange ignoriert wurden. In der Gruppe 47 entschieden Männer über das Stehen und Fallen einer Autorin. Walter Richter beschreibt sowieso viel lieber das Aussehen der Autorinnen, statt ihres literarischen Könnens. Nachrufe auf einige der Autorinnen die nun verstorben sind, geraten selbst im 21. Jahrhundert zur sexistischen Betrachtung auf ein Leben von ernst zu nehmenden Schriftstellerinnen.


    Manches hat sich verbessert, keine Frage. Anderes ist aber nach wie vor wie unter den Talaren mit Mief von Tausend Jahren ...


    :tipp: