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Die groß gewachsene, etwas unbeholfen wirkende und ziemlich unglückliche Marie, die den Nonnen eines verarmten und nach einer Seuchenwelle auch dünn besetzten Klosters in England als neue Priorin vorgestellt wird, ist keine gewöhnliche Siebzehnjährige und auch nicht freiwillig ins Kloster gegangen. Eleonore von Aquitanien höchstpersönlich hat dafür gesorgt, dass das Mädchen, uneheliche Halbschwester ihres Gatten Henry II, aufs Abstellgleis geschoben wird. Marie ist nicht besonders religiös und hat sich nie als Nonne gesehen, und sie ist enttäuscht von Eleanor, die sie geradezu anbetet, dass diese sie nun einfach fortschickt.
Nach einer etwas schwierigen Eingewöhnungsphase entdeckt Marie jedoch in sich ungeahnte Talente, und mit der Zeit gelingt es ihr, aus dem heruntergekommenen Konvent wieder einen florierenden Betrieb zu machen. Sie erschließt neue Einnahmequellen, verschafft sich Respekt bei den weltlichen Schuldnern des Klosters und sorgt auch dafür, dass der Nachwuchs nicht abreißt. Zudem schreibt sie Gedichte und irgendwann beginnen mysteriöse Visionen, aus denen sie weitere Maßnahmen für die Klostergemeinschaft ableitet - was nicht immer auf Gegenliebe stößt.
Auch wenn das Buch im 12. Jahrhundert spielt und Marie de France eine zwar recht geheimnisumwitterte, aber grundsätzlich historisch belegte Figur ist, sortiere ich "Matrix" bewusst nicht bei den historischen Romanen ein. Stilistisch ist das Buch sehr modern mit kurzen, knappen Beschreibungen und der Eigenart, Dialoge ausschließlich indirekt darzustellen (was ich anfangs sehr gewöhnungsbedürftig fand und irgendwann gar nicht mehr groß bemerkt habe), und die Aspekte des Klosterlebens, die hervorgehoben werden, sind vermutlich nicht immer die, auf denen in jener Zeit tatsächlich der Fokus lag. Das Spirituelle spielt zwar in Form von Maries Visionen eine Rolle, doch Glaube und Religion stehen ansonsten eher selten im Vordergrund, Marie hat zu manchen Dogmen eine sehr moderne Einstellung und interessanterweise wird "god" im englischen Original nicht groß geschrieben.
Vielmehr rückt die klösterliche Gemeinschaft in den Mittelpunkt. Marie steht zwar als Priorin und später Äbtissin immer etwas über den Dingen und bleibt immer ein wenig unnahbar, aber es wird deutlich, dass das Zusammenleben im Kloster für Frauen einiges an Freiheit bedeutet hat und sie dort Rollen übernehmen konnten, die in der säkularen Welt kaum denkbar waren. Selbst Schmiede- und Zimmereiarbeiten werden von den Nonnen übernommen, und auch für die leiblichen Bedürfnisse gibt es (inoffiziell, aber gemeinhin geduldet) Lösungen. Mehr und mehr wird das Kloster unter Maries einfallsreicher Führung zu einer ganz eigenen Welt, wenn auch natürlich nicht ohne Konflikte und Probleme und bitter bereuten Fehlern.
Das Buch umfasst im Original nur gut 250 Seiten, ist aber berstend voll mit oft überraschenden Ereignissen und mit wenigen Worten scharf gezeichneten Figuren und hat mich nach leichten Anlaufschwierigkeiten ob des etwas spröden Stils ziemlich gefesselt. Ein ungewöhnlicher Blick auf das Klosterleben im Mittelalter.