Mario Vargas Llosa - Tod in den Anden

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    Meine aktuelle Lektüre erscheint mir gut geeignet, um mal wieder Leseeindrücke zu verfassen.


    Von Vargas Llosa kenne ich noch nichts und mit der Peruanischen Geschichte kenne ich mich nicht aus. Ich lasse mich daher überraschen, was mich erwartet und ob ich ausreichend viel verstehe. Direkt zu Anfang habe ich aus Neugier ein wenig zur Bewegung Sendero Luminoso ("Leuchtender Pfad") gelesen, die immer wieder erwähnt wird.


    Viel gelesen habe ich noch nicht, circa 50 Seiten. Der Stil gefällt mir sehr gut, er hat etwas eigenes, ist sehr bildhaft und lässt sich dennoch gut lesen. Meine Ausgabe von 1997 wurde übersetzt von Elke Wehr.


    Ich habe bisher Korporal Lituma und seinen Helfer Tomás kennengelernt. Die beiden sitzen auf einem abgelegenen Posten in den Bergen und müssen sich mit dem Verschwinden dreier Männer befassen. Die abweisende Haltung der Einheimischen und die Bedrohung der Sendero Miliz erschwert ihre Situation.


    Die Anhänger von Sendero sind auch schon direkt in Erscheinung getreten: aus der Sicht eines Touristenpaares wird eindringlich der Überfall auf einen Bus geschildert.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Vargas Llosa folgt in den einzelnen Kapiteln einem klaren Schema:


    Erst behandelt er die Nachforschungen des Korporals in Bezug auf die verschwundenen Männer. Hierbei erhält man einen Einblick in den Alltag des Bautrupps und der beiden Gendarme. Der Schankwirt, der bezeichnend Dionisio heißt, spielt ebenso eine Rolle wie seine Frau Adriana, die Wahrsagerin. Aberglaube, Christentum und Atheismus prallen aufeinander, wobei ich vor allem den lokalen Glauben an Naturgeister interessant finde.


    In einem zweiten Part werden Greuel der Sendero geschildert. Die Überzeugung der Anhänger wirkt in sich erschreckend logisch, hält der Konfrontation mit der Realität allerdings nicht stand. Und die Methoden sind grausam und effizient, sowohl was die Ermordung von (vermeintlichen) Gegnern, die Zerstörung (vermeintlicher) Besitztümer der Regierung als auch das Einbeziehen der Bevölkerung betrifft. Letzteres scheint durch die Miliz perfektioniert worden zu sein und die Schilderung eines Tribunals ist eine erschreckend akurate sozialpsychologische Studie einer Dorfgemeinschaft. Die Anhänger des Sendero werden weitestgehend gefühllos beschrieben.


    In einem dritten Part stehen die Erinnerungen von Tomás im Mittelpunkt. Erst scheinen diese sich nur um seine große Liebe zu drehen und um eine Dummheit, die er in diesem Zusammenhang begangen hat. Im Verlauf seiner Erzählungen wird jedoch immer deutlicher, dass er mit Drogenkartellen zu tun hatte und so erfahren wir quasi nebenher auch darüber einiges.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

    Einmal editiert, zuletzt von Breña ()

  • Inzwischen habe ich etwa Dreiviertel der knapp 400 Seiten gelesen und wünsche mir etwas mehr Tempo.


    Im zweiten Teil des Buches sind die Kapitel nach wie vor in drei Parts aufgeteilt, allerdings ist Sendero Luminoso an den Rand des Interesses getreten. Statt dessen erfährt man nun mehr über die Vergangenheit der Doña Adriana und den lokalen Aberglauben.


    Die Erinnerungen von Tomás an seine Flucht mit seiner Angebeteten finden ich am uninteressantesten, leider sind diese auch sehr langatmig. Herausfordernd find ich außerdem, dass seine Erzählung mit den Kommentaren des Korporals verschmilzt. Anfangs hat Lituma das Gehörte kommentiert, inzwischen stellt er weitere Überlegungen an. Und diese Vermischung der Zeitebenen breitet sich außerdem auf die Passagen aus, in denen es um die Ermittlungen geht. Im Alkoholrausch verschwimmen Ereignisse, Realität und Vermutung gehen ineinander über.


    Das Lesen wird durch diesen Erzählstil anstrengender, die Inhalte sind allerdings weniger aufwühlend als die Berichte über den "Volkskampf". Die Auflösung zeichnet sich schon ab und ich bin gespannt, ob meine Vermutungen zutreffen werden.

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges

  • Ich lese es quasi nochmals, durch deine Eindrücke )

    Ich neige ja dazu, sehr politisch zu lesen und es ist schon aufreibend und auch frustrierend, weil ich immer so zwischen ich verstehe die indigene Bevölkerung, aber auch die Kompromisslosigkeit ist, fast schon fatalistisch.

  • Manche Werke kann man gar nicht unpolitisch lesen, glaube ich, und Vargas Llosa bestimmt auch nicht, soweit ich es bisher beurteilen kann. Umso besser finde ich, dass er neben all der Politik einen so scharfen Blick auf seine Protagonisten wirft und vielfältige Themen anschneidet.


    Der Abschnitt um Hortensia d'Harcourt zum Beispiel ist mit seinem Fokus auf Nachhaltigkeit und ökologische Landwirtschaft so unglaublich modern, dass man kaum glauben mag, dass er vor über 30 Jahren entstanden ist.


    Ich halte Vargas Llosa (vielleicht etwas vorschnell nach nur einem Buch) für einen enorm guten Beobachter sozialpsychologischer und kulturhistorischer Zusammenhänge. "Aufreibend" trifft meine Leseerfahrung sehr gut.


    Und auch wenn sich für mich gerade ein paar Längen ergeben, ist das Buch sehr gut komponiert. Ich habe noch ein wenig recherchiert und außerdem die Querverweise zu anderen seiner Werke entdeckt. Sowas beeindruckt mich ja auch...


    Und ich könnte noch enorm viel zu diesem Buch schreiben, weil meine Eindrücke so vielfältig sind. Ich sollte aber lieber das letzte Kapitel lesen. ^^

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  • Letzte Nacht habe ich das Buch beendet und bin insgesamt sehr zufrieden mit dem Leseerlebnis. Meine Begeisterung kann man anhand meiner Beiträge hoffentlich nachvollziehen.


    Zwei Aspekte haben mich dennoch gestört: Zum einen fand ich den Erzählstrang um Tomás und Mercedes nur wenig interessant. Zwischenzeitlich dachte ich, dass durch die Verbindungen zu einem Narcos ein weiterer gesellschaftskritischer Punkt hinzu kommt, allerdings ging es bloß um die etwas absurde Liebesgeschichte. Vermutlich sollte dadurch ein Gegengewicht zu den beiden anderen Erzählsträngen geschaffen werden, ich fand es allerdings in der Ausführlichkeit überflüssig und es entstanden für mich unnötige Längen.


    Zum anderen - und das fällt weniger ins Gewicht, hat mich aber trotzdem gestört - dieser immer wiederkehrende und klischeebeladene Fokus auf Sex. Lituma geilt sich wortwörtlich an der Erzählung von Tomás auf, die Erzählungen von Dionisio und Adriana kreisen darum, es gibt ständige Unterstellungen, dass die Arbeiter mangels Frauen schwule Orgien feierten, Lituma schwelgt in Erinnerungen und sein einziger Wunsch trotz zahlreicher Unannehmlichkeiten ist eine Frau im Bett.


    Abgesehen davon freue ich mich schon auf den nächsten Vargas.


    4ratten

    "Natürlich kann man sein ohne zu lesen, ohne Bücher, aber ich nicht, ich nicht." J. L. Borges