[Kasachstan] Abdishamil Nurpeissow - Der sterbende See

Es gibt 1 Antwort in diesem Thema, welches 2.189 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Aldawen.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Durch Zufall bin ich auf ein sehr exzellentes Werk gestoßen. In seinem Werk "Der sterbende See" geht es um das Leben rund um den versiegenden Aralsee in Kasachstan, um das Leben der Fischer und die Konflikte in der Nomenklatur. Eine erste Fassung des Romans durfte einst in Russland nicht erscheinen. Die Zensur verbot ihn. Deshalb erschien der Band in einem mehrbändigen Werk des Autors zuerst als Anhang ohne Titel. Jetzt liegen zwei Bände vor. Die deutsche Ausgabe ist in einem Band zusammengefaßt. Es ist also ernste Literatur wie man es von einem kasachischen Pen-Präsident erwartet. Ich habe für die gut 500 Seiten eine Woche gebraucht. Damit das so schnell geht, muß mich ein Buch wirklich fesseln. Ergo: Es ist absolut Spitze.


    http://www.literaturpodium.de



    [size=1]Land im Betreff ergänzt. LG, Aldawen[/size]

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()

  • Kaufen* bei

    Amazon
    * Werbe/Affiliate-Link


    Die im Eingangsposting verlinkte Ausgabe ist eine überarbeitete, erweiterte und neu übersetzte Fassung davon.



    Inhalt: Shadiger kehrt nach dem Studium in Alma-Ata in sein Heimatdorf am Aralsee zurück, verheiratet mit der schönen Bakisat, die ihn statt des eloquenten Asim, Shadigers Freund aus Kindertagen, genommen hat. Nach anfänglichen Problemen, eine Stellung zu bekommen, wird Shadiger schließlich Kolchos-Vorsitzender und seine Fischer mögen ihn, weil er mit anpackt. Aber immer weiter müssen sie hinausfahren, um Fisch zu finden, immer öfter bleiben die Netze leer. Der Aralsee, der Generationen von Fischern ernährt hat, zieht sich immer weiter zurück, der Wasserspiegel sinkt und das Wasser wird salziger. Auch Shadiger weiß keinen rechten Rat, auf dem Weg zum Fisch stürtzt er sich auch in waghalsige Aktionen, wenn er z. B. mit einem LKW das noch viel zu dünne Eis eines Flusses überquert. Zwar bemüht er sich bei übergeordneten Stellen um Hilfe, aber das kann nicht verhindern, daß immer wieder und immer mehr Familien das Dorf verlassen. Besonders bedrückend bleibt Shadiger ein Tag im Gedächnis, an dem 25 Familien auf einmal abfahren. Eines Tages hat Shadiger die Gelegenheit zu sehen, wo das Wasser des Aralsees geblieben ist: Bei einer Fahrt den Syrdarja hinauf erstrecken sich Reis- und Baumwollfelder und schließlich ein riesiger Stausee.


    Asim hat in der Zwischenzeit Karriere als Wissenschaftler macht und leitet ein Institut, in dem keine Pläne zur Rettung des Aralsees ersonnen, sondern im Gegenteil dessen völlige Austrocknung propagiert wird, weil dann angeblich eine fruchtbare Ebene für die Landwirtschaft zurückbliebe. Gegenstimmen werden mundtot gemacht, weil sie nicht in die Vorhaben des Instituts und der Planungsbehörden passen. Im Gegensatz zu Shadiger, der nicht nur die ökonomischen und ökologischen Probleme sieht, auch wenn er sich mit ihrer Formulierung etwas schwer tut, sondern auch den mit diesen Problemen einhergehenden Niedergang der traditionellen Kultur der Kasachen am See bedauert, bedeuten Asim diese Werte und Traditionen nichts. Er ist davon überzeugt, fortschrittlich und im Sinne der Menschen zu handeln. Als Basikat und Asim ihre Beziehung aus Studententagen wieder aufnehmen und Basikat Shadiger verlassen will, wird dieser von seinen Verwandten aufgefordert, die Ehre zu verteidigen. Aber Shadiger flüchtet an diesem Wintertag auf den bereits eisbedeckten Aralsee und läßt dort sein Leben Revue passieren, um zu ergründen, wie er in diese Lage gekommen ist ...



    Meine Meinung: Hintergrund dieses Romans von Nurpeissow ist der dramatische Schrumpfungsprozeß des Aralsees (eine Animation dazu für die Jahre von 1960 bis 2008 gibt es auf der Wikipedia-Seite zum Aralsee). Der Roman muß nach 1979 entstanden sein, da der Sturz des iranischen Schah als Zeitungsmeldung auftaucht. Er gefiel aber den Zensurbehörden in Moskau nicht, so daß die erste Veröffentlichung 1984 vom Verleger ohne Titel als Anhang zu einem anderen Werk des Autors eingeschmuggelt wurde. Seitdem hat Nurpeissow den Roman wohl überarbeitet und erweitert, nicht nur über den zeitlichen Rahmen der Erstveröffentlichung hinaus, sondern – so schließe ich aus Besprechungen zu dieser Neuausgabe, die ich im Internet gelesen habe – auch die Geschichte in sich, was mich durchaus zu einer erneuten Lektüre dieser neuen Fassung verleiten könnte.


    Der Kampf der Fischer um ihre Lebensgrundlage ist von Beginn an verloren, wie man rückblickend sehr wohl weiß, und die ökologische Katastrophe, die dieser Rückgang für die Großregion bedeutet, kann schon lange nicht mehr bestritten werden. Die Zwangsläufigkeit der Ereignisse und die Trostlosigkeit der Lage durchzieht den gesamten Roman und wirkte ausgesprochen deprimierend. Da zudem auch das Familienleben Shadigers alles andere als harmonisch ist, ist von dieser Seite auch keine Aufhellung zu erwarten. Trotz (oder vielleicht gerade wegen der Art der Darstellung) dieser niederdrückenden Stimmung ist es ein wirklich gut geschriebener Roman. Daß ich trotzdem nicht intensiv(er) mit Shadiger mitgelitten habe, „verdankt“ sich ausschließlich der Erzählform. Der Roman setzt mit Shadigers Flucht auf den vereisten Aralsee ein, der Rest entfaltet sich als seine Erinnerung vor dem Leser. Erzählt wird das alles aber von einem Du-Erzähler, als würde also jemand Shadiger dessen eigenen Gedanken erzählen und diese Erzählperspektive finde ich einfach schrecklich. Dafür gibt es locker eine halbe Ratte Abzug.


    4ratten

    Schönen Gruß,
    Aldawen

    Einmal editiert, zuletzt von Aldawen ()