Siegfried Lenz - Deutschstunde

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  • Siegfried Lenz


    Deutschstunde


    Siggi J. sitzt in einem Heim für schwer erziehbare Jugendliche und bekommt in einer Deutschstunde eine Strafarbeit aufgebrummt, weil er keinen Aufsatz zum Thema Pflichterfüllung geschrieben, sondern verweigert hat. So sehen es zumindest Lehrer und Direktor. Siggi fühlt sich allerdings ungerecht behandelt, weil das Thema einfach zu gewaltig war, um innerhalb kurzer Zeit in einem kleinen Aufsatz abgehandelt zu werden. Und so lässt er sich auf seine Strafarbeit in Einzelhaft ein. Er taucht in seine Vergangenheit ein, gräbt Erinnerungen aus, legt mehr und mehr frei und bringt es zu Papier:


    Es ist Krieg, die Nazis haben alles in der Hand. Siggis Vater ist im äußersten Norden Deutschlands der Polizist und vertritt somit die Obrigkeit. In dieser Funktion muss er einem Freund aus Kindertagen ein Berufsverbot überbringen und das Verbot dann auch überwachen. Der Betroffene ist Max Ludwig Nansen, ein Maler. Die Freundschaft der Männer zerbricht, sie werden zu Gegnern. Und jeder im Ort sieht sich irgendwie gezwungen, Stellung zu beziehen in diesem Zwist.


    Bei den erste 30, 40 Seiten des Buches habe ich mich schwer getan, sogar kurz ans Abbrechen gedacht. Dann bin ich in die Geschichte reingekommen und fand sie wirklich klasse! Die Sprache ist sehr bildhaft. Die Schilderung der Menschen ist sehr treffend, aber durchaus liebevoll. Humorvoll und klug beobachtet. Es gibt in diesem Buch ganz viel zu entdecken. Meine Lieblingsszene: Siggis grenzenlose Langeweile in der ersten Theatervorstellung seines Lebens, grins.


    4ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Im Jahr 1954 sitzt Siggi Jepsen in einer Jugendstrafanstalt und soll für den Deutschunterricht einen Aufsatz zu dem Thema „Die Freuden der Pflicht“ schreiben. Dazu fällt ihm sofort sein Vater ein, der als Polizist in dem kleinen Dorf an der norddeutschen Küste arbeitete, in dem die Familie damals lebte. Siggi schreibt über Monate hinweg, denn die Ansichten seines Vaters über Pflicht sind nicht auf zwei Seiten erklärbar. Mit der Zeit entsteht ein Bild über Siggis Kindheit während des 2. Weltkriegs und insbesondere über die Auslegung von Pflichterfüllung.


    Während ein Teil der männlichen deutschen Bevölkerung an der Front kämpft, kontrolliert ein anderer Teil die Bürger im eigenen Land und sorgt für die Einhaltung von Recht und Ordnung – anders ausgedrückt: die Einhaltung aller Vorschriften. Siggis Vater in seiner Eigenschaft als Vertreter des örtlichen Polizeipostens ist einer von ihnen. Ihm gehen die vaterländischen Pflichten über alles, und das wirkt sich auch auf seinen fahnenflüchtigen älteren Sohn und einen guten Freund aus Jugendzeiten aus. Pflichterfüllung ohne Zögern und Zweifeln steht an erster Stelle, dafür werden notfalls auch familiäre und freundschaftliche Bindungen geopfert. Siggi, an der Schwelle vom Kind zum Jugendlichen, beobachtet seinen Vater genau, ohne dessen Verhalten zu begreifen. Dem Jungen ist klar, dass auch der Vater Schuld auf sich lädt, aber lässt sich das unter dem Aspekt der Pflichterfüllung entschuldigen? Siggi dagegen hat seine eigene Auffassung von Pflichterfüllung und gerät dadurch in den Sog der Ereignisse, was sich auf seinen Reifeprozess spürbar auswirkt. Ohne es bewusst zu erkennen, hat er sich nicht instrumentalisieren lassen. Letztlich landet er wegen seiner Loyalität sogar in der Jugendstrafanstalt, aber er steht dazu.


    Eine schön erzählte Geschichte - auch sprachlich - nicht nur über die nachhaltigen Auswirkungen von Kindheitserlebnissen, die erst viel zu spät verarbeitet werden, sondern auch über den Druck von Pflichten.


    4ratten