Beiträge von hilde

    Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Klappentext:
    Wofür benötigt sie eigentlich Zahnpasta, wenn sie doch in den Westen zieht, um mit ihrem zukünftigen Mann zusammenzuleben? Und was ist mit dem Vater der Kinder? Nelly Senf ist schweißgebadet, als sie Ende der 70er Jahre endlich die Tortur der Ausreise hinter sich hat. Nichts hat man ihr erspart, man hat die Kinder von ihr getrennt, eine Leibesvisitation an ihr durchgeführt – aber nun ist sie drüben. Drüben, das heißt zunächst im Notaufnahmelager Berlin-Marienfelde, ein Zwischenort. Drüben, das heißt erst einmal ein winziges Zimmer mit Stockbetten für Nelly und die Kinder und die erzwungene Nähe zu den anderen Bewohnern, Drüben, das heißt aber auch Demütigungen, stundenlange Verhöre durch verschiedene Geheimdienste, insbesondere durch CIA-Agent John Bird. Er interessiert sich nicht für die ungewisse Zukunft der Flüchtlinge, sondern für die verborgenen Geschichten ihrer Vergangenheit. Bis er an Nelly gerät, die selbstbewusst sein Spiel durchschaut.


    Meine Meinung:
    Die Situation von DDR-Flüchtlinge in einem Notaufnahmelager, insbesondere der Umgang mit ihnen durch westliche Geheimdienste, hat die literarische Aufarbeitung verdient. Julia Franck hat selbst als Kind Marienfelde erlebt. Vielleicht musste ihr Roman deswegen so düster ausfallen. Die Protagonistin Nelly ist nicht nur mit ihren Kindern aus der DDR geflüchtet, sie verarbeitet „daneben“ auch den (angeblichen?) Selbstmord ihres Lebensgefährten. Ihre Kinder werden in der Schule nicht nur gemobbt, sondern sind das Opfer brutaler Gewalt. CIA-Agent John Bird erfüllt nicht nur seine heiklen beruflichen Verpflichtungen, er entfremdet sich auch von seiner Frau. Die polnische Familie, Nachbarn im Notaufnahmelager, erlebt neben dem Verlust von Heimat auch die schwere Krankheit eines Familienmitglieds.
    Literarisch ist das gut gemacht, die Zusammenhänge sind deutlich: So ist die polnische Familie wegen der medizinischen Versorgung nach Westdeutschland geflüchtet; Nelly hat die DDR verlassen, weil sie die Leere nicht mehr aushielt. Dennoch ist mir so viel Tragik auf 330 Seiten einfach too much. Hier wird eine düstere, harte Stimmung erzeugt, die ich beim Lesen kaum aushalten konnte, eben weil sie übertrieben und aufgesetzt erscheint. Die eigentliche Thematik – Heimatverlust, Ost-West-Konflikt, Einleben in einem fremden Deutschland - wird dadurch überlagert. Schade, denn aus diesen Gründen hat mich das Buch interessiert.


    2ratten

    Hallo!


    Ich erinnere mich, dass Buch vor ein, zwei Jahren gelesen zu haben, und fand es gründlich überschätzt. Gewollt intellktuell kam es mir vor, kein Biss, kein Herz. Es hat doch irgendeinen wichtigen Preis bekommen, war es nicht sogar der Deutsche Buchpreis?


    hilde


    Mir hätte es um einiges besser gefallen, wenn sie ganz normale Menschen aus dem ganz normalen Alltag gewesen wären. Eine magersüchtige Putzfrau, die ein großes Maltalent besitzt und sich den Schädel kahlrasiert hat. Ein verklemmtes, historisches Genie, das Postkarten verkauft und verarmte adelige Verwandte hat. Ein frustrierter Koch, der in einem Feinschmeckerlokal schuftet und seine Großmutter Paulette aus dem Altersheim entführt. Seien wir ehrlich, klingt nicht gerade überzeugend .


    Emily, wenn ich das Buch nicht schon gelesen hätte, deine Beschreibung hätte mich sofort in die nächste Buchhandlung gelockt! Alltagsnah klingt das zwar auch für mich nicht - aber dafür umso interessanter.
    Die Schilderung der Figuren fand ich authentisch, ihre Entwicklungslinien nachvollziehbar. Camille, Franck, Paulette und Philou standen lebendig vor mir. Gut gefallen hat mir auch, dass Camilles Magersucht nicht über-dramatisiert wird, sondern Teil ihrer Persönlichkeit ist, der sich weiterentwickeln kann. Sprachlich fand ich gerade das Schroffe, teilweise Wortkarge toll. Es lässt Raum für die eigene Phantasie.
    Gestört hat mich, wie viele hier, eigentlich nur der Schluss,


    Das passt meiner Meinung auch nicht zu den Figuren, die doch recht eigenwillig und unkonventionell sind, da hätte ich mir einen phantasievolleren Schluss gewünscht.


    LG
    hilde

    Finde ich jetzt wiederrum nicht so! Sie ist keine seltsame Single-Frau, die gerade von ihrem Freund verlassen wurde, jetzt in Selbstmitleid badet und denkt, sie kann nie wieder glücklich werden. Solche Geschichten ertrag ich nämlich leider nicht mehr.


    Genau! Und wenn sie "IHN" dann endlich gefunden hat, dann ist Friede auf Erden.
    "Gut gegen Nordwind" empfand ich dagegen mal als frischen Wind in diesem Genre. Den zweiten Band möchte ich gar nicht lesen, ich finde es gut,

    Denn die E-Mails befeuern die Illusionen und Wünsche von Leo und Emmi, deswegen kommen sie auch nicht davon los. Das fand ich das Interessanteste.


    LG
    hilde

    Sorry aber in dem Alter in dem sich die "Autorin" befindet sollte man schon wissen wie das mit Quellen egal woher aussieht. Vor allem auch dann wenn man einen Vater hat der in diesem Geschäft auch sehr viel Ahnung hat. Da gibt es für mich keine Entschuldigung.


    Da bin ich völlig deiner Meinung. Neben der "Schuld"-Frage an die Adresse Hegemanns fände ich dennoch immer noch die Frage diskussionswürdig, wie mediale Erfahrungen die Gegenwartsliteratur beeinflussen und verändern.

    Quellen zu nutzen, ist eine Sache. Sie zu verschweigen, eine andere. Vielleicht war es Teil der Marketing-Strategie, die Quellen ungenannt zu lassen, um das Medien-Interesse durch den Literatur-Skandal anzuheizen.


    Vielleicht hat Hegemann aber tatsächlich ein völlig anderes Verständnis vom Umgang mit Quellen. Man könnte es doch auch so sehen: Für Hegemanns Generation stellt das Internet keine zweite, virtuelle Realität dar. Internet ist Realität, oder ein Teil davon. In dieser Sichtweise stellt das Abschreiben aus dem Internet nichts anderes dar als das, was ein Autor tut, wenn er sich von wirklichen Personen inspirieren lässt und deren Aussagen unter Umständen auch wörtlich für seine Werke verwendet.


    Es liegt mir fern, Hegemann zu verteidigen. Aber ich denke, man kann in diesem Zusammenhang durchaus den Einfluss medialer Erfahrungen auf literarische Werke diskutieren und die Frage stellen, wie diese Erfahrungen die Weltsicht von Autoren und damit ihre Bücher verändern werden.



    LG


    hilde

    So viele ausführliche Antworten zu einem Buch - irgendwas muss ja dran sein....


    Auch ich habe atemlos gelesen und war gefesselt, wie die meisten hier. Als Thriller scheint es tatsächlich gelungen zu sein.


    Von der literarischen Qualität her muss man wohl einige Abstriche machen. Die Figuren sind mir teilweise zu oberflächlich bis klischeehaft gezeichnet, psychologische Tiefe fehlt. So finde ich kaum nachvollziehbar, dass Lisbeth nach einer Vergewaltigung ohne Schwierigkeiten oder zumindest Ambivalenzen mit Mikael ins Bett geht und sogar Vertrauen zu ihm fasst. Überhaupt scheint die Damenwelt Herrn Blomkvist reihenweise zu Füßen zu liegen - da sind wohl die eigenen Fantasien mit dem Autor durchgegangen.
    Sämtliche Beziehungen, die Mikael zu anderen Personen hat, laufen meiner Meinung zu glatt: Da ist die Tochter, der er nach eigener Aussage ein schlechter Vater ist. Aber naja, das Buch geht darüber hinweg. Da ist die Dreiecksbeziehung mit der verheirateten Erika, in der es keine echten Zweifel, keine Verletzungen, keine nennenswerten Zerwürfnisse gibt.
    Ähnlich geht es mir auch mit Lisbeth: Bei ihren Vorerfahrungen wären eigentlich tiefgehende Traumatisierungen zu erwarten, mindestens jedoch starke Selbstzweifel oder Selbstwertprobleme.
    Oder die Reisen nach London und Australien: Da reist man eben mir nichts, dir nichts hin, Anpassungsschwierigkeiten oder Jetlag können einen Mikael Blomkvist nicht erschüttern...


    Dennoch: Mikael und Lisbeth sind mir sympathisch. Es sind interessante Persönlichkeiten, und vielleicht gefallen sie uns Lesern ja gerade deswegen, weil der zermürbende Alltagskram an ihnen abzuprallen scheint. Das Buch fesselt, der Plot ist spannend und, soweit ich das beurteilen kann, solide recherchiert. Da bin ich gerne bereit, an der Figurenzeichnung ein paar Abstriche zu machen.


    Zumal ich die Darstellung von Gewalt gegen Frauen in der Form dieses Buches angemessen fand. Ich finde es gut, wenn sich dieses Themas in der Literatur angenommen wird und ich halte es für sehr gekonnt, die Übergriffe sachlich darzustellen, ohne in die Gefahr zu geraten, gewaltverherrlichend zu sein.


    LG
    hilde

    Hallo!


    Dieses Buch habe ich in meinem Regal wiederentdeckt- obwohl, das ist eigentlich das falsche Wort, denn ich es stand ungelesen rum, seit mindestens 10 Jahren. Jetzt habe ich es endlich gelesen, und es löst einige Fragezeichen bei mir aus, deswegen bin ich sehr froh, dass ich hier etwas dazu gefunden haben.
    Marilu, zunächst ging es mir genau wie dir: Ich war sehr berührt von der klaren, dichten Sprache der Christa Wolf. Den DDR-Alltag in den frühen 60ern hat sie mir nahegebracht. Aus heutiger Sicht finde ich ihre Darstellung sehr bewegend: Wie damals schon Funktionäre in ihre Macht verliebt waren, und wie parallel dazu Idealisten ihre Kraft für einen menschlichen Sozialismus eingebracht und sich dabei verschlissen haben, einen Sozialismus, an den sie tatsächlich geglaubt haben.
    "Immer noch versuchen manche zu diktieren, anstatt zu überzeugen. Aber wir brauchen keine Nachplapperer, sondern Sozialisten." (S. 295 in meiner alten Ausgabe, Gebr. Weiß Verlag)
    Dazwischen Rita, die ihren eigenen, persönlichen Sinn sucht und die ihrem Freund nicht in den Westen folgt, die bleibt, weil er ihr entfremdet ist. Entfremdet nicht wegen unterschiedlicher Ansichten, sondern wegen seiner Gleichgültigkeit.
    Sie aber trägt immer noch Hoffnung in sich. Wenn sie auch viele Vorgänge in dem Werk, indem sie jobbt, kritisch sieht und wenn sie auch beobachtet, wie andere Kritiker sich aufreiben: In ihren Augen trägt der Alltag der „kleinen Menschen“ ein freundliches Gesicht. Damit schließt das Buch, mit dem Verweis auf das kleine, alltägliche Glück.
    Und damit hat es für mich einen seltsamen Beigeschmack: Etwas Kritik, etwas Wehmut, schön und gut, aber schließlich ist der Verbleib im sozialistischen Deutschland lohnenswert, lebenswert.
    Ist die Schriftstellerin Christa Wolf hier der damals herrschenden Doktrin gefolgt? Oder scheint mir das nur so aus heutiger Sicht? Ich fand es beim Lesen fast nicht zum Aushalten, dass Rita ihrem Freund nicht in den Westen folgte, fand es schwer nachvollziehbar. Ich frage mich: War das für die damalige Zeit ein authentisches, plausibles Verhalten – oder hat Christa Wolf hier der Zensur ihren Tribut gezollt, indem sie ihre Protagonistin ihr Lebensglück im Sozialismus suchen ließ?
    Das Buch muss wohl, wie ich meiner Ausgabe entnehme, in der DDR erschienen sein.


    Hilde

    Hallo!


    Mir hat dieses Buch sehr gut gefallen, ich kann es nur empfehlen. Helenes Gefühlskälte gegenüber ihrem Sohn erschließt sich auch Helenes Entwicklung. Sie kann nicht anders, sie kann sich ihren Empfindungen nicht stellen. Julia Franck hat die Grauen des 3. Reiches aus einer sehr persönlichen Sicht dargestellt und gezeigt, wie Lebensfreude und Menschlichkeit verdorren. Deswegen hat mich dieses Buch sehr berührt.

    Ich sage ja nicht, dass der Autor die Infos hätte weglassen sollen. Die Infos sind wichtige, keine Frage, aber man kann Infos über die Vergangenheit durchaus durch Rückblenden einfügen. Das finde ich viel natürlicher als ein Block, in dem über die Kindheit eines Charakters berichtet wird.
    Gerade die Geschichte Stones im Konzern hätte bei der Konferenz (auf der er rausgeschmissen werden soll), super reingepasst. Dann hätte man auch gleich verstanden, warum er immer so böse schaut. :zwinker:


    LG, Mobi


    Hallo!
    Ich sehe das ähnlich: Das Buch ist schon sehr spannend und informativ, aber die Figurenbeschreibung hätte besser, differenzierter sein können.


    LG
    hilde

    Hallo!


    Gerade habe ich das Buch beendet und bin sicher, dass ich es irgendwann nochmals lesen werde. Da steckt so viel drin...


    Kirsten

    Ian McEwan beschreibt auch Alltägliches so als ob es etwas Besonderes ist.


    Das finde ich auch! Jede Handlung, jedes Ereignis ist mit der Vergangenheit und der Zukunft verknüpft.


    Valentine


    Die Szene mit Baxter und

    fand ich auch ziemlich unrealistisch, das war das einzige, was mich an dem Buch gestört hat.


    Das sehe ich auch so. Die ganze Geschichte mit Baxter wirkt irgendwie aufgesetzt und klischeehaft. Dagegen finde ich die Bedrohung der westlichen Welt, die unterschwellig immer präsent ist, viel interessanter dargestellt.


    lg
    hilde

    Das Sqash-Spiel fand ich auch sehr interessant. Henry kann auch bei einem "Spiel" keine leichte, spielerische Haltung einnehmen. Insofern wird eine weitere Facette seines Charakterzugs gezeigt, die Dinge unter Kontrolle halten zu wollen. Und das ist ja auch der Grund für seine Verbissenheit: Ian McEwan beschreibt an einer Stelle, dass Henry dieses Spiel unbedingt gewinnen will, damit er das Gefühl haben kann, dass ihm dieser Tag nicht entgleitet.
    Und wieder musste ich an Virginia Woolfs "dünne Schleier der Zivilsation" denken: Unter Henrys beherrschtem, zivilisierten Äußeren lauert ein Tier, das kämpfen und gewinnen will. Ebenso wie in der Welt, in der Henry lebt: Eine scheinbar geordnete, friedliche Welt, in die aber jederzeit der Terror einbrechen kann und die damit sehr fragil ist. Diese Fragilität ist Henry bewusst, er zieht einen Vergleich mit der Römerzeit, die auch irgendwann Geschichte war.
    Die ideale Welt dagegen ist eine Utopie und begegnet Henry in der Musik.
    Wie Ian McEwan am Beispiel von einem einzigen Tag im Leben eines Menschen solche Ideen veranschaulichen kann, finde ich grandios!

    Ich bin jetzt auf S. 136; Henry „fightet“ mit Baxter.


    Meine Eindrücke bisher: Henry verkörpert einen Menschen mit einer rationalen, sachlichen Weltsicht. Er analysiert sein eigenes Handeln und Denken. Mit Literatur, vor allem fantastischer Literatur, kann er wenig anfangen; symbolhaftes oder mythisches Denken passt nicht in sein Weltbild. Auch der Ton des Romans ist nüchtern, beschreibend, detailreich.
    Doch Henry hat auch eine andere Seite. Als er morgens um vier aufwacht, kommt ihm der Gedanke, es habe einen tieferen Sinn, dass gerade er nachts aufwacht und Zeuge einer Flugzeugkatastrophe wird. Doch kaum wird ihm dieser Gedanke bewusst, gewinnt der kühl denkende Mediziner in ihm die Oberhand und schickt ein solches Denken in die Welt der Psychosen.
    Als Gegenbild zu Henry verkörpert sein Sohn Theo den leidenschaftlichen, sensiblen Musiker, der seinen eigenen Weg geht. Henry erkennt in Theo eigene, ungelebte Seiten und respektiert Theos Lebensweise.
    Nach der nächtlich erlebten Flugzeugkatastrophe, die unwirklich und beängstigend auf Henry wirkt und durch die Assoziationen zum 11. September noch bedrohlicher erscheint, wird Henry am Tag wieder zum kühl-rationalen Denker, der seine Gefühle einordnen und relativieren kann. Doch bei einem Autounfall zeigt sich, wie zerbrechlich seine geordnete Welt ist - „die dünnen Schleier der Zivilisation“ (Virginia Woolf).


    Die Szene, als Henry in Kontakt mit Baxter kommt, ist die erste in diesem Buch, die mir weniger gut geraten scheint. Auf mich wirken Baxter, Nigel und Nark klischeehaft. Wie seht ihr das?


    lg
    hilde

    Hallo!


    Ich bin zwar erst auf Seite 14 (Diogenes Taschenbuch), aber ich dachte, ich poste mal, um die Leserunde in Gang zu bringen...


    Mein Eindruck bisher: Ian McEwan schafft es, auf wenigen Seiten Henry so zu lebendig darzustellen, dass der Leser sofort etwas mit der Figur anfangen kann. Henrys Leben ist ausgefüllt und kann wohl in gewisser Hinsicht als "typisch" für unsere Zeit gelten.
    Er wacht nachts auf und bemerkt ein brennendes Flugzeug am Himmel. Welche Bedeutung hat das für Henrys weiteres Leben? Werden sich Wertigkeiten verschieben?


    Ich bin sehr gespannt, wie es weitergeht!


    lg
    hilde