Beiträge von ink-heart

    Eine Frage am Anfang: Sind diese vielen Spoiler wirklich nötig? Es schreiben doch alle auf, bis wo sie gekommen sind, so dass die Späteren die jeweiligen Posts (noch) vermeiden können. Ich find's ein bisschen 'unflüssig' zu lesen.


    Ich bin jetzt ebenfalls bei Ende IX. Meine Eindrücke diesmal nur in kurzen Stichworten:


    [li]Sendet Ofglen wirklich ein 'Mayday'? Irgendwie glaube ich: ja. Übrigens das erste Mal, dass ich etwas über den Ursprung des Wortes gehört habe.[/li]
    [li]Ein Satz, der mich eine Weile beschäftigt hat: "Woher hätten wir wissen sollen, dass wir glücklich waren?"[/li]
    [li]Die einschneidende Veränderung scheint erst drei Jahre zuvor stattgefunden zu haben - zu dieser Zeit ist Offred von ihrer fünfjährigen Tochter getrennt worden. Für mich waren der Rettungsversuch und die Trennung von ihr übrigens die schlimmste Stelle bisher - wenn das vielzitierte Kapitel 21 auch (auf andere Art) reichlich pervers ist.[/li]
    [li]Sehr überzeugend fand ich die Darstellung der Beschäftigungslosigkeit als schlimmstem Teil der Gefangenschaft.[/li]
    [li]Moira ist eine interessante Figur. Vielleicht ein wenig klischeehaft rebellisch, da wo die Erzählerin eher 'realistisch' abwartend reagiert.

    hat ja schon etwas Heldenhaftes und hat mir durchaus ein schadenfrohes Grinsen entlockt.[/li]
    [li]Offreds Vorstellungen von Luke enthüllen einiges über ihren Charakter. Sie schmiedet keine eigenen Pläne, sondern wartet ab, dass sie von jemandem, der aktiver und stärker ist als sie, gerettet wird.[/li]
    [li]Ebenso wie Moira scheint Offreds Mutter eine Kämpferin zu sein, kämpferisch, unabhängig, aber nicht ganz glücklich. Gefallen hat mir hier, wie der Generationenkonflikt unter einem ganz bestimmten Aspekt dargestellt wird: wie selbstverständlich Dinge werden, für die die ein wenig Älteren noch kämpfen mussten, und wie lächerlich diese Kämpfe manchmal aus der unbeteiligten Rückschau aussehen.[/li]

    Hallo :winken:


    Hier ist ja schon richtig was los. :smile:


    Ich bin inzwischen auch bis Teil III gekommen und finde den Roman ziemlich gut lesbar und interessant, wenn es mich auch noch nicht so völlig gepackt hat.


    Der Anfang schien zunächst recht verrätselt, wenn auch die Schwermut und Bitterkeit, manchmal sogar Zynismus der Erzählerin recht deutlich wurden. Nach und nach wurde dann das Kastensystem klar, die Rolle, die das Gebären anscheinend spielt, überhaupt das allgegenwärtige Fruchtbarkeitsmotiv, das z. B. auch anklingt, wenn die Erzählerin sich an ihren Garten erinnert.


    In der englischen Version heißt sie übrigens Offred, die anderen Ofglen etc.



    Im zweiten Teil wird ersichtlich, dass die Namen besitzanzeigend sind: Desfred = (Die Magd) des Fred. Deshalb haben die Mägde alle ähnliche Namen, die aber nicht ihre Geburtsnamen sind.


    Habe ich was überlesen? Wer ist Fred? :confused: Grundsätzlich passt das natürlich auch zu der englischen Bezeichnung; ich hatte es mir spontan aber eher als Herkunftsnamen (Tochter von) erklärt.


    Wie in den meisten totalitären Systemen scheint es Spione und Denunzianten zu geben - eine dauernde Gefahr, die die Kontaktmöglichkeiten unglaublich einschränkt. Die Mägde selbst scheinen eine sehr zwiespältige Rolle einzunehmen: Die Wachen sollen ihnen Respekt erweisen, aber die 'Marthas' sehen auf sie herab und die 'Frau' kann sie so ziemlich nach Belieben behandeln.


    Wie lange 'Gilead' schon existiert, frage ich mich. Offred kann sich an den Garten erinnern, ebenso an einen Mann und vermutlich ein Kind - alles offenbar aus einem Leben vor dieser Gesellschaftsform, die demnach noch nicht so alt ist und sich ziemlich schnell aus dem entwickelt hat, was wir kennen. Die Vor-Gilead-Gesellschaft, die Offred beschreibt, ist deutlich unsere, aus weiblicher (feministischer?) Sicht.


    Interessant fand ich die Überlegungen hinsichtlich "Freiheit zu/für" und "Freiheit von" - und dass selbst ein Begriff wie Freiheit recht leicht ideologisch missbraucht werden kann.


    Ebenso zwiespältig sind die Bücherverbrennungen. So sehr ich auch alleine bei dem Begriff zusammenzucke und zurückschrecke - bei der Schilderung, wie Pornomagazine der übelsten Sorte verbrannt werden, habe ich so etwas wie spontane Zustimmung empfunden; als dann aber klar wurde, dass das geschriebene Wort in Gilead den meisten grundsätzlich verboten ist, erschien auch dies wieder in einem anderen Licht ...

    Klasse, dass du es tatsächlich zuende gebracht hast. :klatschen:



    Insgesamt gefiel mir die negative Grundstimmung des Buches überhaupt nicht. Und auch die Mehrschichtigkeit des Textes, über die ich mir in anderen Büchern mit Vergnügen den Kopf zerbreche, hat mich eher kalt gelassen, weil ich zuviel Kraft darauf verwendet habe mich zu ärgern (oder zu langweilen). Dass die Figuren auf verschiedenen Eben miteinander agieren, neue Konstellationen entstehen, sich neue Blickwinkel auftun hat Kundera kunstvoll verwoben - aber ich kann es einfach nicht honorieren. Ich habe mich lediglich über jedes neue Puzzelteilchen gefreut, dass sich in die Figur von Agnes einfügte. Kannst du nachvollziehen, was ich meine? Ich glaube, ich war einfach übersättigt.


    So ähnlich ging es mir auch (bis auf Agnes, die mich nicht wirklich interessiert hat). Die pessimistische Grundhaltung hat mich zwischendurch ziemlich aufgeregt, weil sie vorgibt, ganz objektiv zu sein, obwohl sie doch genauso subjektiv ist wie alle Gefühle, die hier nur als Illusionen/Konstruktionen beschrieben werden. Was besonders anstrengend war, war der "Etikettenschwindel", finde ich. Kundera nennt das Buch zwar Roman, hat aber eher einen Romanentwurf in philosophische Essays (mit durchaus interessanten Ideen) verpackt. Vom Leser fordert das eine ganz andere Haltung, die ich mir aber wirklich hart erkämpfen musste. - Trotz aller Härten hat's aber Spaß gemacht, mit dir zu lesen. Das nächste wird leichtere Lektüre, okay? :zwinker:

    Im sechsten Kapitel, Das Zifferblatt, wird eine neue Figur eingeführt: Rubens, der allerdings bereits vom Erzähler angekündigt war: Ich freue mich schon riesig auf den sechsten Teil. Dort wird nämlich eine völlig neue Figur auftauchen. Und am Ende wieder so verschwinden, wie sie gekommen ist, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie ist die Ursache von nichts und hat keine Folgen. Und gerade das gefällt mir. Ruben (genannt Rubens) ist also das vergönnt, wonach Agnes und ihr Vater sich so sehr sehnen: folgenlose, spurlose Existenz.


    Ziemlich witzig fand ich die Stelle, als Ruben im Ehebett der Name seiner ehemaligen Geliebten entfährt und er versucht, die Situation zu entschärfen: Katrin! Elisabeth! Ja, du bist für mich alle Frauen! Die Frauen der ganzen Welt! Eva! Sandra! Julia! Du bist alle Frauen! Du bist die Frau in der Mehrzahl! Heidi, Hildegard, ... :lachen:


    Die Berührung der Brust, die zwischen Goethe und Bettine als erotischer Moment geschildert wird, taucht hier zwischen Ruben und einem jungen Mädchen in einem Nachtclub wieder auf. Er trifft diese Frau später wieder, und an deren Haltung (dem Himmel zugewandter Körper und der Erde zugewandter Kopf) kann man recht früh Agnes erkennen, wie auch an der Sonnenbrille. Das, was Agnes vermeiden wollte, ein Bild von sich zu hinterlassen (mit Willenskraft gelingt es ihr zu sterben, bevor Paul sie noch einmal sehen und ihr den ersehnten letzten Kuss geben kann), erweist sich hier als misslungen. Ruben bewahrt ein mentales erotisches Foto von ihr auf, in dem sie für alle Zeit gebannt ist. Auch schon bei ihren letzten Begegnungen sieht er in ihr eigentlich nur noch sein Bild von ihr und freut sich, dass sie ihm immer noch ähnlich ist.


    Der letzte Teil, Die Feier, bringt den Erzähler mit Avenarius und Paul im Schwimmbad zusammen, dem Ort der ersten, romanauslösenden Geste. Paul und Laura, die mitsamt der Geste ebenfalls erscheint, haben eine Tochter, Brigitte ist ebenfalls mit einer Tochter/Enkelin zu Paul zurückgekehrt, womit sich dieser trotz allem zur Schau getragenen Glücks deutlich überfordert fühlt.


    Im Rückblick - ich bin inzwischen schon eine Weile fertig mit dem Roman - bleibt mir am stärksten etwas in Erinnerung, was ich hier zwischendurch wohl gar nicht erwähnt habe: Gleich anfangs hört der Erzähler eine Radiomeldung: Eine junge Frau hat sich nachts auf die Landstraße gesetzt, mit dem Rücken zum Verkehr. Durch mehrere Ausweichmanöver gibt es Tote; die Frau verlässt den Platz unverletzt und unerkannt.


    Gegen Ende des Romans wird klar, dass Agnes eine der Toten ist, und auch die unbekannte Frau verfolgen wir ein Stück auf ihrem Weg, sehen ihre Verzweiflung und innere Leere, die in meinen Augen allerdings schwer 'nachvollziehbar' ist. Die Schicksalhaftigkeit und Unausweichlichkeit, die in diesem Ereignis liegt, hat mich trotzdem fasziniert und irgendwie getroffen.


    Im Schlussgespräch zwischen dem Erzähler und Avenarius (immer noch eine rätselhafte Figur für mich) wird deutlich: Weil nichts in der Welt wirklich wichtig ist, kann man nur mit ihr spielen - eine ziemlich postmoderne Auffassung. Wobei Kundera in meinen Augen kein "Spieler" ist: Spielerisch und im Austausch auf Augenhöhe mit dem Leser findet hier eigentlich nichts statt, wir werden eher belehrt, durchaus aber auch angeregt, noch einmal ganz andere Perspektiven von der Welt zu überdenken.

    Hallo Breña,


    ich hoffe, du hast Kundera nicht inzwischen frustriert in die Ecke gepfeffert und lässt mich mit dem Schluss alleine. :zwinker:
    Ich mache einfach mal ein Stück weiter, damit ich den Faden nicht verliere.


    Das fünfte Kapitel heißt Der Zufall, und zwischendurch gibt es immer wieder ein paar Gedanken, die ich ganz erhellend und schön formuliert finde, z. B. die Straße als Entwertung des Raumes im Gegensatz zum Weg als Lob des Raumes.


    Kundera stellt in diesem Abschnitt einige poetologische Überlegungen an: Ein Roman darf sich nicht (nach)erzählen oder auf andere Art adaptieren lassen (na, das hat er geschafft), da bei einer solchen Umwandlung unweigerlich das Wesentliche auf der Strecke bliebe. Ironischerweise baut er gerade hier Spannung auf wie nirgends sonst im Roman (also relativ viel, verglichen mit Dan Brown & Co. aber ein Fliegenschiss), da er die Erzählung von Agnes' bereits angekündigtem Tod immer weiter hinauszögert.


    Gegruselt hat es mich bei der Erzählung vom Tod des Vaters, der in seinen letzten Augenblicken das Angesehenwerden verweigert und schon in den Jahren davor bemüht war, jede Spur, die er hinterlassen könnte, zu tilgen. In der Philosophie des Erzählers wirkt der Vater - der übrigens als relativ sympathische Figur gezeichnet ist - als jemand, der den Kampf um die Individualität durchschaut hat und verweigert; mir persönlich wird kalt, wenn ich mir so etwas vorstelle - so wie ja das ganze hier gezeichnete Universum letztlich kalt ist und Liebe immer nur als Illusion existiert.


    Liebe Grüße
    ink-heart


    Allerdings ärgere ich mich gerade ganz arg über die werten Damen, besonders über Laura. Diese Art erst nicht über Dinge reden zu wollen und dann wilde Vermutungen anzustellen und damit todunglücklich zu sein ist absolut schrecklich! Und dann dieses Kokettieren mit Selbstmordgedanken, argh! :grmpf: Über ihre verkorkste Beziehung zu Bernard und die erotischen "Rettungsversuche" möchte ich auch nicht unbedingt mehr lesen... Dann doch lieber über Agnes und ihr eigenwilliges Weltbild. Kundera hat sowohl die beiden Schwestern als auch Bettina so unsympathisch dargestellt, dass ich nun neugierig bin, ob Frauen in seinen anderen Büchern auch so schlecht wegkommen.


    Ich finde bis auf wenige kurze Momente so ziemlich alle Charaktere ärgerlich und würde keinen von ihnen gerne im "real life" treffen - auch Paul und Bernard sind nicht gerade Sympathieträger. Aber das passt ja auch zu dem ziemlich negativen Menschenbild, das hier aufgebaut wird. Ausnahmen sind eigentlich nur Hemingway und vor allem Goethe - aber die sind ja auch jenseits von Gut und Böse. :zwinker:



    Immerhin wurde inzwischen klar, dass wir den Erzähler tatsächlich mit Kundera selbst gleichsetzten können, was die ganze Angelegenheit aber nicht unbedingt verbessert. Er scheint mit dem Niederschreiben dieser philosophischen Gedanken etwas für seine eigene Unsterblichkeit tun zu wollen, damit die Welt auch ja das richtige Bild von ihm in Erinnerung behält.


    Da würde ich dir insoweit folgen, als die Philosophie, die hier vermittelt wird, vermutlich tatsächlich Kunderas Überzeugungen entspricht - andernfalls würde der ganze Roman wenig Sinn machen. Erwähnt werden auch hin und wieder andere Werke Kunderas/des Erzählers oder (vage) Stationen seiner Biographie, die, soweit ich sehen kann, authentisch sind.


    Andererseits werden hier Fakten und Fiktionen auf allen Ebenen bunt und bis zur Unkenntlichkeit miteinander vermischt. Die Figuren und Vorfälle der "Geschichte" existieren ja auch "real" auf der Erzählerebene. Bernard Bertrand und sein Vater z. B. gehören beiden an. Und selbst wenn man das noch irgendwie erklären könnte: Was ist mit dem seltsamen Avenarius, einer Figur übrigens, über deren Funktion ich mir nicht so richtig im Klaren bin. Er ist ein Freund des Erzählers (wohl kaum Kunderas), hat aber auch eine Begegnung mit Laura, einer Figur der "Geschichte".


    Das vierte Kapitel heißt Der Homo sentimentalis. Goethe wird vor dem Ewigen Gericht mit den Aussagen dreier Zeugen - Rilkes, Rollands und Eluards - konfrontiert. Vor allem Rilkes Zitat aus dem Malte Laurids Brigge wird dafür verwendet nachzuweisen, dass die Liebe Bettines (ebenso wie die des 'homo sentimentalis', des zivilisierten Europäers im Allgemeinen) nicht auf ein bestimmtes Gegenüber gerichtet ist, sondern Liebe um der Liebe willen, ein Gefühl an sich und als solches von höchstem Wert ist. Etwas so Wertvolles muss im Prozess der Selbstkonstruktion natürlich auch nach außen demonstriert werden und verliert damit seine Unmittelbarkeit und Echtheit. Der 'homo sentimentalis' - so Kundera - ist ein Synonym für den 'homo hystericus'. Zwischen Laura und Bettine werden in diesem Zusammenhang immer mehr Parallelen erkennbar.


    Im hundertfünfundsechzigsten Jahr seines Todes scheint Goethe eine gewisse Altersweisheit erreicht zu haben. Er leugnet jetzt die Möglichkeit der Unsterblichkeit für Menschen und beschließt, den Zirkus nicht länger mitzumachen und sich ins Nichts zu begeben.


    :winken:


    Oha, du linguistische Pfennigfuchserin! :zunge:


    :redface:
    Aber ich denke, es sind tatsächlich in der Hauptsache Definitionen, die uns da trennen. Ich mag Begriffe wie Individualität, Identität und manchmal sogar Selbstständigkeit sehr ungern auf Nicht-Menschliches anwenden. Einen Gestenkanon gibt es natürlich, aber der ist eben auch durch Menschen geschaffen und wie du sagst auch sehr kulturkreisabhängig. Und in der Art, wie jemand eine Geste, eine Redewendung oder ein Wort verwendet, lässt sich doch eine Menge über den individuellen Menschen erkennen - nicht über die 'individuelle' Geste, die es nämlich nur als gedachtes Ideal (oder als Prototypen :zwinker:) gibt.


    Ich bin inzwischen auch mit dem nächsten Kapitel fertig, warte aber lieber noch ein bisschen auf dich - da ich hier dick vergrippt und mit jeder Menge Watte im Kopf sitze, ist das bestimmt auch besser so ...


    Liebe Grüße


    ink-heart

    Huhu Breña!



    Ich hoffe, der große Mittelteil, der sich ja wieder verstärkt mit Agnes zu befassen scheint, wird mehr in Romanform geschrieben sein... Obwohl ich das Buch bisher nicht schlecht finde, fehlt mir etwas. Die Aneinanderreihung von Gedanken in den ersten beiden Teilen ist zwar interessant, aber nicht vollkommen rund.


    Das kann ich gut nachvollziehen, da ich aber schon ein wenig weiter gelesen habe, muss ich deine Romanhoffnungen leider zerstören. Zwar beschäftigen sich einige etwas längere Teile mit Agnes, aber nie ohne die allfälligen philosophischen Reflexionen und Durchbrechungen der Fiktion. Kundera verlangt eine Menge rationales Engagement von seinen Lesern und versagt ihnen sehr weitgehend das emotionale - da muss man sich erstmal dran gewöhnen. Ich bin wirklich froh darüber, mit dir gemeinsam zu lesen; das macht es mir bedeutend interessanter. :smile:



    Sehr gut gefiel mir, dass auch hier Bezug auf das Kameraobjektiv als allgegenwärtige Öffentlichkeit genommen wird, dass es als "sein eigenes, nichtmaterialisiertes Wesen" (S. 70) schon immer existierte.


    Jo; das ist eine von diesen Beobachtungen, die zwar nicht ganz neu sind, aber schön formuliert und wichtig genug, um immer nochmal drüber nachzudenken.



    Kundera gebe ich insofern Recht, dass sich die Geste danach verselbstständigte und nun in ihrer Ausführung durch die Menschen transportiert wird.


    Tsts. :zwinker: Wie kann sich denn etwas verselbstständigen, was gar nicht lebt? Das geht doch höchstens als witzige Metapher, wenn ich zum Beispiel behaupte, die Toastscheibe, die mir zum dritten Mal vom Teller fällt, habe sich verselbstständigt. Romanunabhängig betrachtet benutzen zwar viele Menschen die gleichen Gesten (nicht dieselben, wie ich finde), aber je nach Situation, Gegenüber, Benutzer etc. gibt es doch immer Bedeutungs- und Wirkungsunterschiede. Das, was Kundera erfindet (!) - eine Geste, die bei allen Frauen, die sie benutzen, genau dieselbe Wirkung hat - ist doch ziemlich unrealistisch.


    Der dritte Teil ist der längste dieses Buches und anders als in den anderen Teilen haben die Kapitel hier auch Titel statt der Nummern.


    Nett ist es, wie die einzelnen Elemente der Handlung miteinander verknüpft werden und wie durch kleine Anspielungen Fäden gesponnen werden. Alles, was der Erzähler morgens halbbewusst im Radio hört, scheint in der Agnes-Handlung Bedeutung zu gewinnen. So ist der Abgeordnete Bertrand Bertrand, dem die Radiosender fast einen kompletten Morgen widmen, der Vater des neuen Freundes von Laura, Agnes' Schwester. Der Freund selbst, Bernard Bertrand, ist Radiosprecher und dem Erzähler ebenfalls schon häufiger in den Morgenstunden 'begegnet'.


    Auch zur Goethe-Handlung gibt es (neben den ständigen Philosophien über Individualität und Unsterblichkeit natürlich) kleine Verbindungen: "Voilá un homme", sagt Napoleon, als er Goethe kennenlernt, und denkt Laura, als sie Paul, ihrem zukünftigen Schwager, vorgestellt wird, den sie von nun an heimlich liebt. Über den Journalismus gibt es einen Bezug zu Hemingway, der sich im Jenseits mit Goethe angefreundet hat.


    Wieder verbindet eine Geste die Figuren über die Jahrhunderte: Bettinas "Geste der Unsterblichkeit" fliegt wie aus dem Nichts Laura an und verrät ihren stärksten Antrieb. Schön übrigens die Formulierung über Laura: Sie litt unter geistiger Weitsichtigkeit: Die barmherzigen Werke, die ihr die Unsterblichkeit sichern sollen, haben eine weit entfernte afrikanische Bevölkerung zum Ziel, während sie das Elend vor ihrer Nase übersieht. Und auch Agnes' Bemerkung über die Selbstmordpläne ihrer Schwester ist erhellend: Wenn sie es täte, dann nicht, um zu verschwinden, sondern, um zu bleiben - im Gedächtnis der anderen.


    Die Ausführungen über die Abhängigkeit der Politiker von den Journalisten, der Journalisten von Werbefachleuten und Imagologen haben mich ein wenig gelangweilt - what's new? Ganz nett und treffend formuliert (wenn auch ebenfalls nicht neu) ist allenfalls das Bonmot des Grizzly: Nichts verlangt nämlich eine größere Anstrengung des Denkens als die Argumentation, die die Herrschaft des Nicht-Denkens rechtfertigt.


    Die Figuren sind nach wie vor allesamt schwer zu ertragen und dienen natürlich der Philosophie des Romans: Jede Beziehung, jedes Gefühl einem anderen gegenüber hat eine bestimmte (wenn auch nicht unbedingt bewusste) Zielrichtung: Es dient der Konstruktion des eigenen Ich. Nun ist das natürlich eine nicht völlig abwegige Deutung des Menschen und seiner Beziehungen, eine, die die Mehrzahl der gegenwärtigen Hirnforscher wahrscheinlich unterschreiben würde. Aber selbst vorausgesetzt, es wäre so (was ich nicht glaube): Wie hilfreich wäre diese Erkenntnis denn dann? Bei den Figuren des Romans, die zur Erkenntnis gelangen, führt das zur Scheu vor den Menschen, zur Flucht, zum Wunsch nach Alleinsein und Sich-Auflösen. Okay: Vielleicht stimmt es - aber ich will's nicht wissen; mir gefällt es anders besser. :zwinker:


    Liebe Grüße


    ink-heart

    Hallo Breña! :smile:



    Ich hatte vermutet, dass Du inzwischen deutlich weiter bist, also vielen Dank falls Du Dich zurückhälst! :zwinker:


    Nur ein bisschen und aus reinem Selbstzweck - Monologe sind so langweilig. :zwinker:



    Teilweise hatte ich das Gefühl, Kundera verarbeitet Ideen für Essays zu dem Oberthema Individualität.


    Das sehe ich genauso. Wie berechtigt es ist, dieses Buch als Roman zu bezeichnen (was auf dem Umschlag geschieht), darüber könnte man sicherlich streiten. Eine echte Fiktion wird gar nicht aufgebaut, allenfalls eine Fiktion der Fiktion, und auf allen Erzählebenen geht es in erster Linie um die philosophischen Themen, vor allem eben die Individualität. Einerseits finde ich diesen Stil ganz faszinierend, wenn auch so anspruchsvoll, dass ich froh bin, im Moment noch ein wenig Muße zum Lesen zu haben, sonst hätte ich das Buch womöglich irgendwann frustriert weggelegt. Andererseits muss wohl auch die polemische Frage erlaubt sein, ob Kundera nicht in der Lage ist, seine Anliegen etwas weniger sachbuchmäßig und in eine 'echte' Erzählung integriert zu transportieren.



    Da geht es mir anders, ich kann dieser Theorie nämlich sehr viel abgewinnen. Natürlich gibt es Gesten, die untrennbar mit einer bestimmten Person verbunden sind und mit viel Individualität ausgeführt werden. Im Ganzen lassen sich diese Gesten aber immer wieder auf eine Geste zurückverfolgen. So gesehen nutzt eine Person also eine allgemeingültige Geste und individalisiert sie. Das Zurückgreifen auf eine Ursprungsgeste fällt nicht so stark auf, wenn diese Geste wie die im Buch benutzte Handbewegung sehr viel seltener zu beobachten ist als z.B. ein Kopfschütteln, konsequent zurückverfolgt bleibt aber auch dort "nur" die Geste des Winkens. Der Mensch ist also nie Schöpfer der Geste sondern nur Vermittler (nach Kundera "Träger" oder "Verkörperung").


    Na ja, so ganz logisch betrachtet muss ja wohl irgendein Mensch oder die Menschheit insgesamt diese Gesten 'geschaffen' oder erfunden haben. Klar gibt es ein begrenztes Repertoire (obwohl es genau wie das sprachliche immer größer wird, je differenzierter man es betrachtet), aber das macht diese Gesten ja nicht zu 'Individuen'. Wirklich individuell kann in meinen Augen nur etwas sein, das lebt und ein Bewusstsein hat. Wie du sagst: der Mensch individualisiert die Geste, d. h. er macht sie durch seine eigene Individualität zu etwas Besonderem, nicht umgekehrt (was der Erzähler allerdings behauptet).



    Hierbei hat mich vor allem erstaunt, wie naiv Agnes das Gedicht jahrelang verstanden hat...


    Das ging mir auch so. Vermutlich liegt es daran, dass sie dieses Gedicht in der Grundschule kennengelernt hat. Unglaublich! Dort kann man es wohl tatsächlich nicht anders vermitteln. Und wahrscheinlich hat derjenige, der die gloriose Idee hatte, dieses Gedicht dort auf den Lehrplan zu setzen, es auch nicht anders verstanden. :breitgrins:


    Der zweite Teil, Die Unsterblichkeit, setzt ein mit Bettina und Achim von Arnim, die bei den Goethes in Weimar zu Besuch sind. Der Streit zwischen den Frauen und die berühmte Ohrfeige, die Christiane der vermeintlichen Rivalin verpasst, werden geschildert. Für die fiese Bezeichnung, die Bettina hinterher für sie findet ("tollwütige dicke Blutwurst") und das folgende gesellschaftliche Gelächter wird erstmals der Begriff 'Unsterblichkeit' verwendet. Definiert wird Unsterblichkeit als Überdauern im Gedächtnis der Menschen - derer, die der Verstorbene gekannt hat ("kleine Unsterblichkeit"), oder derer, die ihn aufgrund seiner Berühmtheit aus zweiter Hand kennen ("große Unsterblichkeit"). Auch dabei geht es wieder um Selbstinszenierung und Konstruktion des Individuellen, die durch die Kamera oder andere Augenzeugen allerdings auch zerstört und ad absurdum geführt werden kann. Kundera findet dafür viele Beispiele, u. a. Goethes Begegnung mit Napoleon, mehrere Begegnungen zwischen ihm und Bettine und vor allem den berühmten Briefwechsel, in dem es nach Kunderas These nicht in erster Linie um Liebe, sondern eben um Unsterblichkeit ging.


    Das wenige, was ich bisher von und über Bettine gelesen habe, fand ich ganz erfrischend und bisher war sie mir immer eine eher sympathische Gestalt (wie viel auch immer solche Eindrücke mit der 'echten' Person zu tun haben mögen :zwinker:). Hier wirkt sie als berechnende oder zumindest von nicht völlig sympathischen Motiven getriebene Frau, die Goethes Unsterblichkeit gegen seinen Willen zu konstruieren versucht - und damit natürlich auch ihre eigene. Erst im Jenseits erringt Goethe seinen Sieg über sie, indem er sich durch seine absichtlich lächerliche Erscheinung selbst dekonstruiert und ihre Bemühungen so zunichte macht. - Ziemlich witzige Idee, finde ich.


    :winken:

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    Der Klappentext sagt:
    In einem Fitness-Club über den Dächern von Paris sitzt Milan Kundera, Autor und Figur der 'Unsterblichkeit', und beobachtet, wie eine etwa sechzigjährige Frau Schwimmstunden nimmt. Zum Abschied winkt sie dem Schwimmlehrer noch einmal zu und macht dabei eine so graziöse Handbewegung, dass der Betrachter beschließt, diese Geste, die die ganze unerträgliche Leichtigkeit des Seins zu enthalten scheint, der Heldin seines Romans, Agnes, zum Geschenk zu machen.
    Als würden auch wir auf diese Weise in den Roman gewunken: zu Agnes, der scheinbar Ätherischen, die ein erotisches Doppelleben führt; zu Laura, ihrer ein bisschen sentimentalen Schwester, die mit dem Journalisten Bernard nicht glücklich werden darf, weil dessen Geschwätz im Radio den Autor jeden Morgen zum Wahnsinn treibt; und zu Paul, der - auf seine Weise - bei den Schwestern seine Spuren hinterlässt. Darüber unterhalten sich auf höherer Ebene, im Jenseits: Goethe (in Pantoffeln, mit einer Sonnenblende am Stirnband) und Hemingway.


    Da sich außer Breña und mir leider niemand für die Leserunde angemeldet hat, eröffne ich hier mal ein Thema und poste lesebegleitend einige Eindrücke. Breña, ich hoffe, du findest hierher und hast auch noch Lust und Zeit mitzulesen. :winken:


    Den ersten Teil (etwa 60 von 400 Seiten) habe ich gerade beendet und fand ihn interessant, aber nicht ganz unanstrengend. Die Idee, eine Geste zum Ausgangspunkt eines Romans zu machen, gefällt mir, der Philosophie des Erzählers, Gesten seien individueller als Menschen, mag ich allerdings nicht folgen. Überhaupt scheint Individualität bisher das Hauptthema zu sein - das des Erzählers und das seiner Figur Agnes. Agnes' Vater vertritt eine seltsame Form des Deismus: Der Schöpfer hat ein Programm eingelegt, das jetzt unaufhaltsam abläuft; er hat den 'Prototyp' des Menschen entworfen, spezielle Eigenheiten sind dabei nicht vorgesehen. Die Menschen müssen ihre Identität konstruieren - oft mit recht plumpen Mitteln, wie die Beispiele der Menschen, denen Agnes begegnet, zeigen. Zwei Motive sind mit diesem Thema eng verknüpft: das Gesicht, das die Menschen fälschlich für den Ausdruck ihres Ich, ihrer Individualität halten, und das Beobachtetwerden, z. B. durch ein Kameraobjektiv.


    Wie nicht anders zu erwarten, ist es schwierig, mit einer Figur warmzuwerden, die dieses Selbst- und Menschenbild verficht. Vermutlich ist das auch nicht beabsichtigt. Agnes wird ja deutlich als Konstrukt des Erzählers vorgestellt (ihn so restlos mit Kundera identifizieren, wie das der Klappentext tut, möchte ich dann doch nicht) und wirkt vielleicht als eine Art alter ego oder ein 'Möglichkeitsentwurf' von ihm. Selbst die Radiomeldung, die der Erzähler eingangs zwischen Schlafen und Wachen hört - eine sehr schöne Beschreibung übrigens - wird in Agnes' Person weiterverarbeitet und in ihr Weltbild eingearbeitet.


    Goethe, der für mich der Anlass war, dieses Buch lesen zu wollen, taucht im ersten Teil durch sein Gedicht "Ein Gleiches" auf, das Agnes und ihr Vater immer wieder gemeinsam zitieren und das die beiden miteinander verbindet. (Ein wunderschönes Gedicht, wie ich finde, aber inzwischen muss ich dabei immer an dieses irrwitzig komische Zitat in Kehlmanns "Vermessung der Welt" denken. :rollen:)

    Hallo! :winken:


    Ich melde mal vorsichtig Interesse an. Das Buch liegt schon ziemlich lange auf meinem SUB, rutscht aber wegen Leserunden und Pflichtlektüren immer wieder nach unten. Dieses Jahr klappt es auf keinen Fall mehr; insgesamt gilt: Je später, desto besser kann ich es einplanen. Toll wär's ja schon, wenn es endlich mal klappt mit der Magd. :breitgrins:

    Huhu Alfa und die anderen Übriggebliebenen! :winken:


    Ich schaffe es sicher nicht. Hier tobt der Vorweihnachtswahnsinn, ich stecke noch in der ersten Hälfte des zweiten Bandes und so richtig motiviert bin ich auch nicht. :rollen: Irgendwann hole ich es aber sicher nach - einiges hat mir doch ziemlich gut gefallen. Viel Spaß noch für euch!

    Ich habe es jetzt bestellt und bin wirklich schon ganz gespannt. :klatschen: Kundera habe ich das letzte Mal vor fast fünfzehn Jahren gelesen ("Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins") und fand es damals ziemlich klasse. Von Bettine weiß ich sowieso viel zu wenig, obwohl sie ja eine der sehr wenigen interessanten und bis heute bekannten Frauen ihrer Zeit ist - vielleicht bekommen wir da ja noch die eine oder andere interessante Info.


    Wann wollen wir denn anfangen? Gleich Neujahr? Mit einem Kater, der Goethes würdig wäre? :breitgrins:

    Huhu Kathchen! :winken:


    Wenn die Lektüre nicht mit ernsten persönlichen Drohungen verbunden ist, wird sie Kindern vermutlich auch nicht schaden - die verkraften ja bekanntermaßen eine ganze Menge. Märchen z. B. sind ja meist auch nichts für zarte Gemüter. Ich selbst allerdings habe den Struwwelpeter schon als Kind gehasst (nicht gefürchtet), vielleicht weil ich diesen riesigen pädagogischen Zeigefinger gespürt habe, gegen den ich noch heute allergisch bin. Meinen eigenen Kindern habe ich ihn entsprechend auch nicht gekauft - die "Botschaft" gefällt mir nicht, und ich möchte sie weder ernsthaft noch spielerisch vermitteln.


    Etwas vom Thema ab: Meine Abneigung gegen den Struwwelpeter hatte natürlich auch spontane Vorurteile gegen den Autor zur Folge. Neulich habe ich dieses Buch gelesen:

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    Clare Dudman: 98 Reasons for Being
    Es zeigt Hoffmann vor allem in seiner Eigenschaft als Arzt und Psychiater, aber auch als Familienvater, und macht ihn zu einer durchaus interessanten, wenn auch in wissenschaftlichen Irrtümern der Zeit und in persönlichen Verstrickungen befangenen, Persönlichkeit.


    Wie ich im vorigen Thread schon andeutete, nervt mich Elizas Erzählstrang zur Zeit. Mir ist der eindeutig zu lang, und die Sexintermezzi gehen mir auf den Geist. Die Szene in Schlitten z. B. :rollen: . Meine Güte!


    :winken: Das geht mir genauso. Die gute Eliza entpuppt sich immer mehr als grandiose Männerphantasie (immerhin aber intelligent und damit teil-emanzipiert - die Phantasie bzw. der Mann dahinter, meine ich).



    Hier beging das Buch den größten Fehler, den ein Buch überhaupt begehen kann: es langweilte mich!


    :geil: Das Lieblingsargument meines Lieblingskritikers (aber trotzdem ein gutes :zwinker:).


    Ich stecke noch mitten in diesem Eliza-Teil und entschuldige mich schon mal vorsorglich für die nächste Zeit. Ich bin zwar wild entschlossen, weiterzulesen, habe aber im Moment zwei hässliche Stapel auf dem Schreibtisch und ab Montag eine weitere Leserunde, die ich einschieben werde. Ich hinke euch dann irgendwann nach :breitgrins:.


    Jack Shaftoe ist ein ehrlicher und guter Mensch mit der einen oder anderen Macke, die ihm aber nicht anzulasten ist (man muss auch das Umfeld in Betracht ziehen, in dem er aufgewachsen ist). In Jack steckt mehr, als man auf den ersten Blick sieht. Ich muss es ja wissen, ich "kenne" den Herrn schliesslich schon eine Weile :zwinker:
    Das heisst jetzt aber nicht, dass ich euch davon überzeugen will, dass ihr Jack heiss und innig lieben sollt. Wer ihn nicht mag, mag ihn nicht - damit habe ich kein Problem. Aber ihn nur als hölzerne, langweilige Figur zu sehen, tut ihm meiner Meinung ziemlich unrecht :smile:


    Jack ist schon in Ordnung, Stephenson kriegt es nur nicht richtig rüber. :breitgrins:


    Nein, ganz im Ernst, grundsätzlich sind das Figuren (damit meine ich vor allem Jack und Eliza), die interessant entworfen, dann aber nicht vernünftig ausgeführt sind. Gerade weil scheinbar immer aus der Sicht der Charaktere geschrieben ist, klappt das Ganze in meinen Augen nicht. Stephensons ausschweifender, aber wenig authentisch emotionaler und ständig ironisch-distanzierter Stil passt für einige Figuren (z. B. Daniel), bei anderen aber funktioniert er einfach nicht, weil sie von ihrer 'Persönlichkeit' her einfach anders angelegt sind. Das kreide ich persönlich Stephenson bisher am meisten an, dass er seine Erzählweise in dieser Hinsicht überhaupt nicht zu variieren vermag (in anderer Hinsicht klappt es nicht schlecht: Theaterszenen, Briefausschnitte etc.) und es dem Leser überlässt, das Nötige zu ergänzen - was ich einfach nicht will; wozu ist schließlich ein Erzähler da? :pueh:


    Übrigens war dieser Abschnitt schneller vorbei, als ich gedacht hätte. Ich hoffe nur, es geht nicht den ganzen Band über abwechselnd mit Eliza und Jack weiter, dann kann ich mich nämlich gar nicht entscheiden, welche Teile ich am liebsten mag.

    Dass dieser Teil mit meiner Gar-nicht-Lieblingsfigur Jack beginnt, hat mir den Einstieg zwar nicht gerade erleichtert, aber der gute Dappa, der hoffentlich weiterhin eine Rolle spielen wird, hat mich wieder entschädigt. Auch Hoek taucht hier "wieder" auf - auch eine ganz interessante Nebenfigur, wie ich finde.


    Na ja, zu Rossignol und seiner Vaterschaft habe ich ja im letzten Teil schon meine Enttäuschung geäußert, und die Erwartungen die er mit seinen Briefen und Entschlüsselungen vielleicht geweckt haben mag, hat er zumindest bisher nicht erfüllt. Ganz witzig und treffend beschrieben fand ich den Körpersprach-Tanz, den Rossignol und Bart bei ihrer ersten Begegnung aufführen; die anschließenden langen Schilderungen von fürstlichen Vermählungen und Zeugungen sind dann allerdings zum größten Teil an mir vorbeigerauscht. Ich wünschte, die wesentlichen Infos würden in solchen Fällen etwas knapper verpackt.


    Nö nö, yanni hat das schon richtig verstanden: Rossignol ist der Vater von Elizas Sohn. Nur weiss das niemand, ausser Rossignol, Eliza und Leibniz. Der Rest der Welt glaubt, Étienne d'Arcachon wäre der Vater.


    Ui, das finde ich ja etwas enttäuschend (wegen der fiesen Verwicklungen, die es so nicht geben wird) und nicht so ganz zu meinem bisherigen Eliza-Bild passend. Gespannt bin ich jetzt, ob Rossignol auch noch leibhaftig auftaucht und welche Rolle er so spielen wird.


    Ihre Vergewaltigung fand ich übrigens ganz und gar nicht distanziert beschrieben. Ich fand die Stelle furchtbar, also von ihrer Perspektive aus gesehen.


    Hmpf, ich hab mir die Stelle nochmal angesehen und zitiere mal eben: It was neither the longest nor the shortest such blade she had ever seen. She was pleased to note that it was clean - a Dutch virtue - and well-maintained. [...] What was about to happen wasn't so very bad, in and of itself; but she couldn't stand that other man watching.
    Schön also, dass er sich gewaschen hat, und bis auf den blöden Zuschauer ist auch alles gar nicht so schlimm??? :rollen: Ehrlich gesagt, das finde ich mehr als distanziert ... Darüber hinaus fehlen mir wirklich die Worte für so eine Darstellungsweise. :sauer: