Beiträge von Svanvithe

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    Wir sind in Bern, es ist das 18. Jahrhundert. Josiane ist 16. Ihr Vater hat als Henker (oder Scharfrichter) viel zu tun. Das "Handwerk" ist jedoch nicht angesehen und gilt als unrein. Die Familie und die Knechte des Henkers werden von der übrigen Bevölkerung ausgegrenzt, sogar geächtet. Nur eine Berührung allein bringt schon Unglück. Auch wenn das Mädchen damit unangenehmen Belästigungen nicht ausgesetzt ist, empfindet sie die Benachteiligung des Öfteren doch als ungerecht.


    Der Beruf vererbt sich innerhalb der Familie von Vater auf den Sohn. Doch Josianes Bruder David lehnt dies konsequent ab und verlässt das Elternhaus. Statt in "Ihresgleichen" verliebt sich Josiane in Martin. Alles könnte so schön sein. Denn dem jungen Mann ist es einerlei, aus welcher Familie sie stammt. Er ist Wiedertäufer, und darin liegt die Gefahr. Die Wiedertäufer sehen sich der Verfolgung ausgesetzt, und auch Martin bleibt nicht davon verschont: er wird zur Arbeit auf den Galeeren in Italien verurteilt. Nun muss Josiane "umständehalber" Jost, einen jungen Henker, heiraten und zieht mit ihm in seine Heimat nach Freiburg im Breisgau. In ihrer neuen Familie wird sie herzlich aufgenommen, doch Glück findet sie an der Seite ihres derben Ehemannes nicht. Irgendwann wagt sie fernab ihres Standes gemeinsam mit ihrer Tochter Barbara ein neues, freies, unabhängiges Leben und versucht, sich ergebende Gefahren und Probleme - auch mit Hilfe des buckligen Mathieu - zu meistern...


    Hat man sich auf die Geschichte der jungen Frau eingelassen, findet man sich auch mit den schweizerischen sprachlichen Besonderheiten zurecht. Der Schreibstil der Autorin ist ehrlich, schnörkellos und offen. Sie schildert das Leben und Arbeiten eines Henkers und seiner Familie mit all den Höhe und Tiefen. Denn trotz der Verachtung, die diesem Berufsstand von Außen entgegengebracht wird, können sich die Mitglieder im Inneren auch ein beachtliches Maß an Zuneigung und Mitgefühl bewahren.


    Der Geschichte wird aus verschiedenen Ich-Positionen gefolgt. So kommen Josiane, ihr Ehemann Jost, Mathieu und Barbara zu Wort und lassen uns direkt an ihren Gedanken und Gefühlen teilhaben. Der Erzählton ist oft ruhig und vermag nicht immer zu überzeugen. Insbesondere Barbara und ihre Entscheidung bleibt in meinen Augen ein wenig blass. Die bemerkenswerteste Person ist die Hauptfigur Josiane, die trotz aller Schicksalsschläge eine starke Frau wird und ist, die die Hoffnung nicht aufgibt. Ihr Entwicklungsweg und ihre Handlungen werden gut und nachvollziehbar geschildert.


    Ergänzt wird der Roman unter anderem mit Bilder eines Scharfrichtermantels und Richtschwertern. Ein Glossar ist ebenfalls vorhanden. Was mir persönlich gefehlt hat, ist Hintergrundwissen zu den Wiedertäufern, die mir hier zum ersten Mal begegnet sind. So habe ich selbst nachgelesen:


    Die Bewegung der Täufer (die früher Wiedertäufer genannt wurden) entstand im 16. Jahrhundert zunächst in der Schweiz und dann in verschiedenen Teilen Europas und besteht bis heute in den Gemeinschaften der Mennoniten, Hutterer und Amischen fort. Die Anhänger waren radikal-reformatorisch, die ihre Kirche als Bruderschaft ansahen und sich in ihrem Handeln von der Lebensweise und dem Vorbild Jesus Christus geleitet fühlten und für Gewaltlosigkeit eintraten. Zu den wesentlichen Merkmalen gehörte die Forderung nach Glaubensfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche und die Gütergemeinschaft. Aus der wortgetreuen Auslegung des Neuen Testamentes leiteten die Täufer ihr Denken und Verhalten her. Eine Kindertaufe wurde abgelehnt, stattdessen wurde die Gläubigertaufe an Menschen vollzogen, die auf Grund ihres Alters in der Lage waren, sich für die Taufe bewusst zu entscheiden und damit aktiv und persönlich ihren Glauben zu manifestieren. Mit dieser Entscheidung jedoch setzten sich die Täufer der Verfolgung aus, die von Verweisung des Landes bis hin zum Tod führen konnte.


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    Die Kaufmannstochter Philippine Welser ist 30 Jahre alt, als sie heiratet. Das ist für das 16. Jahrhundert ziemlich spät. Dazu kommt, dass ihr Ehemann nicht irgendwer ist, sondern Ferdinand, der (Lieblings)Sohn des Kaisers des Heiligen Römischen Reiches Ferdinand I. und damit aus dem Hochadel stammt. Zwischen beiden ist es jedoch die große Liebe, und sie wird bis zum Tode von Philippine halten. Wegen der bürgerlichen Herkunft der jungen Frau muss die Ehe bis zu ihrer öffentlichen Aberkennung allerdings viele Jahre geheim gehalten werden. Die geborenen Kinder werden als sogenannte Schwellenkinder zunächst "ausgesetzt" und dann an Kindes Statt angenommen...


    Wieder ein Buch von Brigitte Riebe über eine starke Frau. Eine, die tatsächlich gelebt hat und die würdig ist, "Heldin" eines Romans zu sein.


    Denn die Autorin erzählt keine Biografie, obschon ja die meisten Personen der geschilderten Ereignisse historisch belegt sind. Dabei zieht sich wie ein roter Faden der Versuch, Philippine mittels Gift zu ermorden, durch den Roman, weswegen er wohl als historischer Kriminalroman erschienen ist. Das Buch ist in meinen Augen jetzt nicht unbedingt der klassische Krimi, jedoch kann die Autorin Spannung aufbauen und diese bis zum Ende gut halten.


    Insgesamt überwiegen die traurigen Ereignisse im Leben der schönen Philippine. Die wenigen Momente des Glücks mit dem geliebten Mann und den Kindern, sind rar und werden im Folgenden oft von bestürzenden Geschehen aufgehoben. Philippine ist sehr mitfühlend und leidet deshalb besonders unter ihren Ängsten. Neben der eigentlichen Handlung lässt Brigitte Riebe Philippine in einem fiktiven Tagebuch zu Wort kommen und schafft damit eine Nähe zur Gefühlswelt der Protagonistin, die einem sehr nahe geht. Die Eintragungen in ihr Tagebuch sind starke emotionale Einblicke in ihre Seele, die ich gut mitempfinden konnte. Beispielsweise, wenn Philippine ihren neugeborenen Sohn gleich nach der Geburt für ein paar Stunden hergeben und im Anschluss "finden" muss. Sie zieht ihn dann zwar auf, darf aber - um den Schein, es handele sich um ein Findelkind zu wahren - nicht selbst stillen. In dieser Situation tat mir die junge Frau besonders leid. Denn was nützt die große Liebe, wenn man sie nicht auch freudigen Herzens als Paar und Familie leben kann.


    Als besonders gelungen empfinde ich die Gestaltung des Buches. Jedes Kapitel ist mit einer Heilpflanze bezeichnet, die sich im folgenden Text wiederfindet, und beginnt mit einem Bild und der Beschreibung der positiven und negativen Wirkungen. Der Geschichte nach soll Philippine Welser Heilkräuter gesammelt und ein Arzneibuch verfasst bzw. ergänzt (sofern man davon ausgeht, dass Philippines Mutter - Anna Welser - die Grundlagen für die Kenntnisse ihrer Tochter gelegt hat) haben. Auf jeden Fall ist überliefert, dass sie sich mit ihrer Heilkunst stark für die arme Bevölkerung eingesetzt hat.


    4ratten

    Ein Buch, in dem es ordentlich zur Sache geht. Es wird fleißig gestorben. Nicht ganz freiwillig, es hilft jemand deutlich nach. Heute würde man sagen: ein Serienmörder treibt sein Unwesen.


    Doch ein wenig genauer: Im Jahre 1440 erschüttern grausame Dinge die Dorfgemeinschaft von Saint Mourelles in der Bretagne. Viele Bewohner verschwinden und werden tot aufgefunden. Zuerst sind es zwei Kinder, dann folgen der zunächst für deren Verschwinden verdächtigte Avel, ein geistig zurückgebliebener "großer Junge", und in kurzen Zeitabständen noch ein paar Menschen. Langsam verbreiten sich Angst und Misstrauen unter den sonst harmonisch zusammenlebenden Dorfbewohnern.


    Spuren führen auch zum nahe gelegenen Schloss, dessen Besitzer, Baron Amédé de Troyenne unter Geldnot leidet und daher unter den Augen seiner Frau Bérénice immer mehr seiner Ländereien verkauft. Trotzdem scheint der Baron ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte seiner Untergebenen zu haben. Denn als der Bauer Mathis, der ihm unter Einsatz seines Lebens vor dem Tode errettet hat und dabei schwer verletzt und zum Krüppel wurde, darum bittet, sagt er Hilfe zu, den Mörder zu finden. Neben Mathis ist auch Catheline, die junge Haushälterin des Pfarrers, bemüht, die Morde aufzuklären und gerät selbst in große Gefahr...


    Mathis und Catheline sind das Liebespaar des Romans, allerdings tragen sie die Geschichte nicht allein. Neben ihnen sind auch die anderen Figuren genau gezeichnet und ihr Handeln, Denken und Fühlen nachvollziehbar dargestellt. So mutet es vielleicht kalt und herzlos an, wenn Mathis wegen seines lahmen Beines seine Verbindung zu Catheline löst, weil er ihr das Leben an der Seite eines Krüppels nicht zumuten möchte. Jedoch ist dies angesichts der Tatsache, dass er als Bauer nicht mehr die Tätigkeit ausführen kann - beispielsweise einen Acker bestellen - durchaus nachvollziehbar, dass er unter diesen Umständen keine Familie gründen möchte. Dass Catheline ihn trotzdem nicht aufgibt, um den Mann zu kämpfen, den sie liebt, zeigt ihre Stärke, die sie auch in einer anderen - gefahrvollen Situation - bitter nötig hat.


    Das Geschehen wird von der Autorin nachvollziehbar und mit viel Verständnis für die Zeit geschildert. So schafft sie es, mit viel Atmoshpäre zu erzählen, Spuren zu legen und gut die Spannung zu halten. Die bildhafte Sprache trägt zu einigen Gänsehautmomenten bei.


    Gefallen hat mir auch die Gestaltung des Buches, und zwar sowohl außen als auch innen. Die Texte der Kapitel beginnen mit einem kalligrafierten Buchstaben und passen wunderbar in die mittelalterliche Zeit. Abgerundet wird der Roman mit historischen Hintergrundinformationen. Wobei ich dazu rate, das Nachwort auch als solches zu lesen, da ansonsten einiges, wenn nicht gar die gesamte Spannung verloren geht.


    4ratten

    Es gibt Romane, die kann man aus der Hand legen, ein paar Tage ruhen lassen und findet sofort den Einstieg wieder. Das mag an der Überschaubarkeit der Handlung und der Personen liegen. Oder aber auch am Erzählstil. Auf "Das Wesen der Dinge und der Liebe" trifft jedenfalls beides zu. Allerdings sei hier gleich zu Beginn angemerkt, dass ich es für ausreichend erachtet hätte, den originalen Buchtitel "The Signature of All Things" ohne das Hinzufügen "der Liebe" in der Übersetzung zu verwenden, weil es die Vermutung hervorrufen könnte, es handelte sich um eine Liebesgeschichte. Das ist der Roman von Elizabeth Gilbert - jedenfalls in der sonst üblichen Form - definitiv nicht. Diesbezüglich halte ich auch den Umschlagtext für irreführend. Das Cover spricht mich sehr an. Gelungen finde ich auch die Gestaltung mit Pflanzentafeln, die sich zu Beginn einen jeweiligen Teils des Romans wiederfinden.


    Der Roman erzählt vom Schicksal der brillanten Alma Whittaker, Tochter eines verschrobenen englischen Botanikers und einer ehrbaren Holländerin. Alma wird am 5. Januar des Jahres 1800 geboren. Ihr Vater notiert hierzu mit der ihm eigenen willkürlichen Rechtschreibung in seinem Wirtschaftsbuch "Eine ehrbare noia mittreisende ist Zu uns geschtossen". Und da die ersten fünf Jahre ihrer "Mitreise" uninteressant zu sein scheinen, lernt der Leser auf den ersten gut 60 Seiten zunächst Henry Whittaker genauer kennen. Er hat es mit Spürsinn, Geschick und Durchhaltevermögen zu Wohlstand gebracht und kann damit seiner Familie ein sorgenfreies Leben bieten.


    Alma ist die Tochter ihres Vaters. Sie sieht nicht nur so aus wie er, nein sie ist genauso klug und robust, störrisch, forsch, rastlos. Von Anbeginn will sie die Welt verstehen und das dafür notwendige Wissen finden. Unermüdlich fragt sie, und sie hat diesbezüglich Glück mit ihren Eltern, die keine geistige Trägheit dulden und den Wissensdurst ihrer Tochter fördern.


    Alma wird eine Spezialistin im Bereich der Bryologie, der Erforschung der Moose. Darüber vergehen die Jahre. Sie ist über fünfzig, als Ambrose kennenlernt. Beide verbindet die gemeinsame Leidenschaft für das Wissen, das Bedürfnis, die Funktionsweise der Welt zu verstehen und den Mechanismus des Lebens zu erkennen. Doch Alma ist eine klar denkende Wissenschaftlerin, Ambrose dagegen Künstler, der Orchideen voller empfindsamer Schönheit malt, weil er in ihnen und anderen Pflanzen göttliche Hinweise über ihr Wesen sieht und sich wünscht, ein Engel Gottes zu sein. Dem kann Alma nicht folgen. Trotzdem bleibt sie stets weiter auf der Suche nach dem Wesen der Dinge und gelangt wie Charles Darwin und Alfred Russel Wallace zu ihrer eigenen Theorie über die Umbildung der Arten. Am Ende ihres Lebens ist sie, die nie etwas anderes kennenlernen wollte als die Welt, glücklich...


    Ich mochte Alma, deren Namen im Spanischen/Portugiesischem die Bedeutung von Seele, Geist oder auch Verstand hat, von Anfang an. Diese ungewöhnliche Person, die eben mit einem ausgezeichneten, intelligenten, präzisen Verstand ausgestattet ist, deren Kopf zwar nicht schön, aber vollgestopft mit Wissen ist, das sie aufsaugt wie ein Moospolster. Dazu hat wesentlich beigetragen, dass sich der Roman nicht nur eine bildhafte Sprache auszeichnet, sondern sich auch philosophische Momente entdecken lassen und vor allem eine warmherzige, humorvolle Ausdrucksweise findet. Hier ein Beispiel, ein Gespräch zwischen Alma und der Hanneke de Groot, der holländischen Hauswirtschafterin:


    "Jeder Mensch erlebt Enttäuschungen, Kind...
    Mir ist durchaus bewusst, dass jeder Mensch Enttäuschungen erlebt, Hanneke...
    Da bin ich mir nicht so sicher. Du bist noch jung, deshalb denkst du nur an deine eigene Person Du merkst nichts von den Kümmernissen anderer... Die Jugend ist nun einmal selbstsüchtig... Schade, dass wir einen alten Kopf nicht auf junge Schultern setzen können, dann wärest du jetzt schon klug. Irgendwann wirst du freilich verstehen, dass niemand imstande ist, ohne Leid durchs Leben zu gehen - wie auch immer du das vermeintliche Glück der anderen einschätzen magst...
    Aber was tun wir mit unserem Leid?...
    Nun Kind, mit deinem Leid kannst du tun und lassen, was du willst...Es gehört dir. Doch ich will dir sagen, was ich mit meinem tue. Ich packe es an den Haaren, werfe es zu Boden und zermalme es unter den Absätzen meiner Stiefel. Ich schlage vor, dass du lernst, es genauso zu halten."


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    "Pass ma uff Keule. Berliner sin nett untananda und ooch zu ihre Jäste", hätte es vielleicht im 14. Jahrhundert gut heißen können, wenn es denn die Berliner Kodderschnauze schon gegeben hätte, die manch empfindliche Ohren und Wesen heute als etwas derb und plautzig wahrnehmen und sich daher eingeschüchtert fühlen. Doch im Gegensatz zum Ruf des Berliners, unfreundlich, rücksichtslos, ruppig und rechthaberisch zu sein, meint der Berliner es meist aber nicht so, wie es vorne rauskommt. Denn im Grunde haben die Berliner immer ein großes Herz, das sie auf der Zunge tragen. Und das trotz ihrer schnoddrigen Art und entwaffnenden Direktheit. Denn die "große Klappe" ist eigentlich nur der Ausdruck ihrer (angeborenen) Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe. Statt langatmig und arglistig um den Brei herumzureden, wird einfach gesagt, wie es ist, quasi Tacheles geredet.


    Mit diesem Bild eines Berliners vor Augen, der kein Blatt vor den Mund nimmt und diesen noch unverhältnismäßig weit aufreißen kann, begeben wir uns 1325 mit der Bernauer Familie Harzer mitten hinein in die lebendige Doppelstadt Cölln-Berlin, die aus zwei jungen aufstrebenden Metropolen besteht, die sich zu beiden Seiten der Spree, im heutigen Stadtbezirk Mitte, aus zwei Kaufmannssiedlungen entwickelten. Da die Lage am Spreeübergang und Schnittpunkt bedeutender mittelalterlicher Handelsstraßen günstig war, nahmen beide Städte innerhalb kurzer Zeit einen schnellen Aufschwung und bildeten 1307 eine Union.


    Über 400 Jahre existierten beide Städte in enger Abstimmung und Zusammenarbeit parallel nebeneinander, bevor sie sich 1709/1710 auf Befehl des preußischen Königs Friedrich I. unter Einschluss der weiteren Städte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt zur Residenzstadt Berlin vereinigten.


    In der Doppelstadt brodelt es. Ludwig der Bayer und Papst Johannes XXII. streiten darum, wem die Kaiserkrone zusteht. Davon bekommen Magda, "Das Mädchen aus Bernau", und ihre drei Brüder Lenz, Utz und Diether sowie der Großvater zunächst nicht viel mit. Sie haben eigene Sorgen. Als Bierbrauer waren sie in Bernau angesehen, nun versuchen sie nach einigen Schicksalschlägen einen Neustart als Händler am Alten Markt. Doch Utz, den es mit aller Macht zu den Kaufleuten zieht, hat sich übers Ohr hauen lassen, und sie bekommen kein Standrecht. Bis auf Magda versinken die sonst so arbeitsamen Männer sämtlichst in Resignation. Erst als sie sich auf ihr Können, das Brauen von Bier besinnen, geht es aufwärts. Und mit Thomas scheint es auch die Liebe Magdas Leben wieder zu geben. Währenddessen wird die Stimmung immer gereizter und zusätzlich durch Nikolaus, den Probst von Bernau, mittels seiner bedrohlichen menschenfeindlichen Predigten angeheizt. So kommt es zum Eklat, die Wut der Bevölkerung entlädt sich, und Nikolaus findet vor den Toren der Marienkirche den Tod.


    Gekonnt verwebt Charlotte Lyne historische Ereignisse mit den handelnden Personen und lässt die Zeit des Geschehens so bildhaft vor dem Auge erstehen, dass man meint, dabei zu sein. Dazu ist zum einen auch die Karte aus dem 14. Jahrhundert, die den Umschlag innen ziert, hilfreich. Viele Straßen, Plätze und Bauwerke gibt es immer noch, so dass man sich mit ein wenig Kenntnis des heutigen Berlins in der Doppelstadt des 14. Jahrhunderts gut zurechtfindet. Zum anderen verschafft einem die Autorin mit ihrer feinfühligen und ausdrucksvollen, fernab von Klischees gewählten Sprache eine vorstellungsintensive Teilnahme nicht nur am Leben der Menschen unter zum Teil widrigen Umständen, sondern ebenso an ihrem Handeln, Denken und Fühlen, so dass man sich zugehörig fühlt und bereits beim Lesen bedauert, sich irgendwann von den lieb gewonnenen Personen verabschieden zu müssen.


    Mir werden sie deshalb alle fehlen: Opa Harzer, dessen Versuch, seine Enkel zu lebenstüchtigen Menschen zu erziehen, nicht in Gänze gelungen, der jedoch immer noch zu Einsichten fähig ist. Diether, den ich trotz seiner Eskapaden schnell ins Herz geschlossen habe. Denn einer, der an sich zweifelt und der Meinung ist, zu nichts zu taugen, weil es es mit Schlägen und Schelte fast täglich belegt bekommt, kann schon dumm und unüberlegt handeln. Doch wenn in so einem Menschen ein guter Kern steckt, der nur freigepellt werden muss, ist er nicht verloren. Nicht vergessen werde ich den "Drachentöter" Hans, der für Freunde auch in die Bresche springt, wenn sie ihm ein X für ein U vormachen wollen, der vorlaute Petter, der wie ein echter Berliner gern mit dem Mund vorneweg ist, aber trotzdem zu seinem Wort steht, und all die anderen, die wie Pech und Schwefel zusammenhalten, füreinander einstehen und Berlin zu etwas Besonderen machen (werden). Sie haben das Zeug dazu, den Mut und die Hingabe, etwas Neues schaffen zu wollen...


    Natürlich werde ich auch Thomas vermissen, dieses kraftstrotzende Mannsbild, das ein Erdrutsch in Mönchskutte ist, das sich schon mal in die Hand beißen lässt und dann trotzdem die Schönheit des Mädchens rühmt und sie küsst. Dessen Augen manchmal wie eine Laute schlagen, und in dessen Wimpern sich ein Funkeln verkriecht.


    Vor allem aber werde ich Sehnsucht nach Magda haben, diesem würzschönsten, krautstämmigen, auf guter Brandenburger Erde gewachsenen Mädchen mit ihrem eindrucksvollem Mut und ihrer beachtlichen unversiegbaren Hoffnung, deren bescheidener Wunsch es ist, dass ihre Familie zusammen ist, dass sie es alle warm beieinander haben und dass über dem Feuer stets ein Topf hängt, in dem dicke Erbsen für den Abend köcheln, und die zupackt und nicht viel Gedöns darum macht, die von Innen strahlt und einfach das Herz auf dem rechten Fleck hat. Eine Berlinerin eben...


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    Marita Spang hat sich für ihren Debütroman kein neues Thema gewählt: die Hexenverfolgung. Allerdings schuf sie mit "Hexenliebe" ein Werk, dem es gelingt, den Leser in seinen Bann zu ziehen und im Gedächtnis zu bleiben.


    Auf dem Cover ist eine junge Frau zu sehen. Sie hat ein hübsches, offenes Gesicht, doch liegt auch der leichte Schimmer eines Lächelns in ihren Augen. Sie trägt ein prächtiges Kleid im herrschenden Barockstil des ersten Drittel des 17. Jahrhunderts und edlen Schmuck. Also ist sie aus gutem Hause, eine Adlige:


    Claudia von Leuchtenberg. Eine außergewöhnliche junge Frau. Intelligent, aufrichtig, mitfühlend, aber durchaus auch scharfzüngig und manchmal etwas unbeherrscht. Sie pflegt eine Freundschaft zur bürgerlichen Barbara Dietz, obwohl beide sowohl unterschiedlichen Standes als auch Charakters sind. Denn während sich Claudia in der Zeit ihres gemeinsamen Klosteraufhaltes auf Grund ihrer Klugheit die Wissenschaften erschließt, sieht Barbara ihre Bestimmung in einem gemütlichen Heim mit Mann und Kindern, weswegen sie hausfrauliche Tugenden beherrscht, für die Claudia keinerlei Geschick aufzubringen vermag. Diese Freundschaft wird auf eine harte Probe gestellt, als 1612 in der Heimat der beiden Frauen, in der Eifelherrschaft Neuerburg, der Hexenwahn beginnt, der vor niemandem, nicht einmal vor Priestern, Halt zu machen scheint...


    Die Autorin hat einen ausgefeilten und gekonnten Schreibstil, der so manches bildhaft vor Augen führt und deutlich die Gefühle der Menschen transportiert. Dadurch gelingt es, Sympathien oder Antipathien auf die entsprechend Personen zu verteilen und mit ihnen schnell vertraut zu werden.


    Neben der selbstbewussten Claudia, die über einen messerscharfen Verstand verfügt...


    "Alles wird besser beim zweiten Versuch. Vielleicht war Adams Rippe das Einzige, mit dem Gott so zufrieden war, dass er sie beider Schöpfung des Weibes ein zweites Mal nutzte. Den Rest erschuf er neu und vollkommener." (Seite 125)


    ... und damit in der Lage ist, einen religiösen Disput mit dem Burgkaplan Bernhard Josten zu führen, dem es selbst tatsächlich an einer Geistesgabe wie Klugheit mangelt, ihrer Freundin Barbara, die ein gutes Herz und Verhältnis zu ihrem Vater, dem Bürgermeister, hat, mit dem sie Dinge besprechen kann und durch den sie Rat und Unterstützung erfährt, stehen unterschiedliche Menschen im Mittelpunkt des Geschehens:


    Sebastian de la Val, der auf Grund eines Arrangements seines Vater mit Barbara verlobt wird, jedoch beginnt, der ihm geistig ebenbürtigen Claudia Gefühle entgegen zu bringen. Ein Mann, der die Rechte studiert und im Laufe seiner Studien die Erkenntnis gewonnen hat, dass es überhaupt keine Hexen und Zauberer gibt. Der der Meinung ist, dass die Geschichten über Hexensabbat und Teufelsbuhlschaft zu gleichen Teilen auf den schmutzigen Phantasien des "Hexenhammers" und den unter der Folter erpressten Geständnissen beruhen.


    Magdalena Pirken, die ehemalige Amme von Barbara, die als heilkundige Kräuterfrau den Menschen in ihrem Umfeld so manchen Mal Gutes getan hat, gleichwohl aber nun - verursacht von deren Aberglauben und Missgunst - zur Hexe stigmatisiert wird. Insbesondere bei ihrer ungerechten und demütigenden Behandlung habe ich empfindsam reagiert. So lässt einen die Autorin unter anderem an der entwürdigenden Leibesvisitation durch den lüsternen Hexenkommissar Pergener teilhaben. Nicht nur in diesem Fall sind die Hilf- und Machtlosigkeit der Menschen, sich gegen falsche Vorwürfe zur Wehr zu setzen, spürbar, weil offensichtlich ist, dass hier weniger die Fragen des Glaubens, sondern mehr Fanatismus, Machtausübung, Missgunst und Gier neben der Unwissenheit und ja auch Dummheit des einfachen Volkes eine Rolle spielen. Das verursacht Gefühle wie Aufregung, Empörung, sogar Wut.


    Natürlich - so soll es in einer Geschichte sein, wachsen einem die Guten ans Herz. Dabei vergisst Marita Spang jedoch nicht, diese mit Fehlern zu versehen, die sie erst menschlich machen.


    Zu den perfiden Gestalten, die die Autorin ersonnen hat, gehören neben dem bereits erwähnten Hexenkommissar Pergener weitere "Typen" wie Caspar Scholer, dessen hinterhältige und brutale Machenschaften viel Leid und Unglück verursachen.


    Auch einige weibliche Personen haben es auf die Liste der "Bösen" geschafft, wobei insbesondere die schlaue, intrigante und tatsächlich als Hexe zu bezeichnenden Kusine Claudias, Adela, die größtes Unbehagen nicht nur bei Menschen ihrer Umgebung hervorruft, erwähnt sei.


    In ihrem nicht nur vom Aberglauben geprägten Hexenwahn verlieren die Menschen jegliches Unrechtsbewusstsein und lassen es an Mitgefühl mangeln.


    Und doch gibt es sie, die selbstlose Liebe der "Hexe". Dafür legt Marita Spang mit diesem Buch ein eindrucksvolles Beispiel vor.


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