Fjodor Dostojewskij - Der Idiot

Es gibt 35 Antworten in diesem Thema, welches 12.023 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Mäusedudler.

  • Hallo Ihr,


    es ist ein Hochgenuss Eure Gedanken zu lesen, fast besser, wie der Roman.


    Ganz große Klasse.


    Dazu fällt mir im Moment nichts Gescheites ein, um mich einzuklinken.



    Gruß


    gretchen

  • Ohh, Mombour,


    bitte nicht Rotwerden.


    Ich fand die Leserude zuerst sehr, sehr lasch, wobei ich mich selber in meine Kritik mit einschließen muß und ich hatte auch gar keine Lust mehr, das Buch weiterzulesen, aber durch Eure Diskussion wurde ich so richtig aufgescheucht, doch weiterzulesen und das finde ich klasse.


    Das war der Kick, der mit gefehlt hat. :daumen:


    Liebe Grüße


    gretchen

  • Ich bin mittlerweile im zweiten Teil angelangt, der Fürst war in Moskau und ist nun wieder zurück in Petersburg.
    Mir ist bisher nicht klar, wieviel er nun geerbt hat: ist er nun reich oder nicht? Oder hat er in seiner Großmut gleich mehr ausgeben als sinnvoll?


    Interessant ist zunächst vor allem sein Brief an Aglaja, sein Verhältnis zu ihr bleibt im unklaren - allerdings auch wohl ihm selbst.


    Nach seiner Rückkehr nach Petersburg fand ich dann seinen Besuch bei Rogoschin sehr spannend. Dieser dreht mehr und mehr durch, als Frau hätte ich glaube ich auch Angst vor ihm. Nastassjas Problem ist wohl vor allem, dass sie sich selbst unwürdig findet und nicht glaubt, den Fürsten verdient zu haben, lediglich jemand wie Rogoschin kommt ihr als Ehemann möglich vor, da es ihr bei ihm wohl egal ist, ob sie ins Gerede bringt. Außerdem scheint es ihr wohl auch egal zu sein, ob ihr etwas geschieht (ob nun durch Rogoschin oder jemand anders). Bei ihrer Vergangenheit wohl kaum verwunderlich. Interessanter finde ich da Rogoschin, da mir weiter unklar ist, warum er ein so krankhaftes Verhältnis zu Nastassja hat. Über seine Vergangenheit weiss man zu diesem Zeitpunkt einfach zu wenig, um da Rückschlüsse ziehen zu können.


    Im übrigen ist der Fürst wie bereits angemerkt natürlich kein Idiot. Ich glaube zudem auch, dass "gutgläubig" nicht das richtige Wort, denn das würde ja bedeuten, dass er seine Mitmenschen nicht richtig einschätzen kann und ebendies kann er meiner Meinung nach überaus gut. Er glaubt nicht, dass seine Mitmenschen besser sind als sie wirklich sind, sondern sieht sehr klar deren Fehler und Bewegründe für ihre Handlungen. Er passt sich dem aber nicht an, sondern bleibt immer er selbst und verhält sich so nicht wie es dem gängigen Muster entspricht.

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted

  • Hallo,


    Interessant in Bezug auf das Gute im Menschen, und Aglaja spielt auf den Fürsten an, ist also der Vortrag der Jepantschin-Tochter eines Puschkin-Gedichtes mit Namen "Der Arme Ritter". In dem sie im Gedicht bestimmte Initialen tauscht, ist ein direkter Bezug der Beziehung zwischen Natassja und Myschkin gegeben. Raffiniert. Das Gedicht spielt auf die Hohe Minne an, ebenso auf "Don Quijote", den Dostojewskij zur Schaffung der Figur des Fürsten Myschkin



    Ziemlich pampig und gemein sind übrigens die Vorwürfe (BuchII, Kap.VIII), die in dem Artikel der satirischen Zeitschtift über den Fürsten gemacht werden. Ganz frech:


    Zitat

    Für einen Parasiten aus der besitzenden Klasse war nichts natürlicher, als sich einzubilden, daß man für Geld auf dem Markt sogar Verstand (und insbesondere in der Schweiz) kaufen könnte.


    Des Fürsten Verteidigung der gesamtem Vorwürfe beginnt so:

    Zitat


    „Ich möchte nichts gegen diesen Artikel einwenden...“


    Bemerkenswert, dass er so beginnt, obwohl dann gleich das „aber“ kommt. Myschkin will hier erstmal Ruhe bewahren. Konfliktscheu ist er aber nicht, hat aber seine Emotionen unter Kontrolle. Last es uns so formulieren, er ist wie ein Stoiker, die Gemütsruhe in Person. Wenn Dostojewskij einen guten Menschen darstellen wollte, hat der Autor auch hier sein Vorhaben umgesetzt. Keine Wutausbrüche, sondern gelassen und zielsicher wie Hercule Poirot im Orientexpress klärt er seinen Fall auf und , ja das ist wichtig, er überzeugt die ganze Gesellschaft. So naiv ist der Fürst wirklich nicht. Vielleicht erscheint das Gute in einer chaotischen Welt naiv, weil durch die Verkörperung des Guten der Fürst die Welt trotzdem nicht besser machen kann. Der Beginn seiner Verteidigung beginnt wie ein Schuldbekenntnis, als ob er sich wieder mit Schuld beladen will (christl. gesehen: Die Sünden der Welt auf sich nehmen). Myschkin zeigt hierin seinen versöhnenden Charakter.


    Das weite Spektrum, wie Myschkin auf seine Umgebung wirken kann, zeigt ein Zitat aus dem folgendem Kapitel:


    Und nun zu Ippolit:


    Zeit seines Lebens krank, hat nur noch zwei Wochen zu leben, ein Atheist. Hat nur auf seinem Bett gelegen aus dem Fenster geschaut auf eine Mauer.


    „Der Tote hat kein Alter.“ sagt er. Das Leben ist schon zu Lebzeiten an ihm vorübergegangen. Er sagt auch (wer's nicht lesen möchte, lese den Spoiler nicht. Ich kann es aber nicht verkneifen, diese ergreifende Stelle zu zitieren. Man stelle sich nur mal vor, man wäre dabei gewesen):


    Ein Nihilist? Verbitterung.


    Im dritten Buch des Romans begegnen wir noch einmal Ippolit.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo...


    Mäusedudler schrieb:

    Zitat

    Ich glaube zudem auch, dass "gutgläubig" nicht das richtige Wort, denn das würde ja bedeuten, dass er seine Mitmenschen nicht richtig einschätzen kann und ebendies kann er meiner Meinung nach überaus gut.


    Dass der Fürst gutgläubig ist, ist eine Tatsache. Er durchschaut zwar die Menschen, aber setzt über diesen Blick immer die Hoffnung auf das Gute im Menschen.
    Wenn er zum Beispiel das Gegenüber erkannt hat (also auch erfasst, was dessen Absicht ist), erkennt er auch gleichzeitig den guten Kern in dem anderen Wesen. Er erhöht die Menschen also in seinem Denken, während er höchstens sein eigenes Wesen in Frage stellt - die Doppelgedanken, die in ihm toben.
    Das wird besonders gegen Ende des Buches sehr deutlich.


    Zum Beispiel, als Ippolit den Fürsten auf seine Gutgläubigkeit hinweist, weil dieser nicht einsehen will, dass ihm Ganja sein Glück untergraben will. (Myschkin winkt ja öfter im Roman sofort ab, wenn ein Mensch, der ihm etwas Negatives über einen anderen mitteilen möchte, auf ihn zukommt - "Nein, reden Sie nicht weiter..." oder "Ach, ich möchte es lieber nicht hören...") Ippolit sagt:


    Oder Myschkins Ansichten über Aglajas Wesen:


    In solchen Ausschnitten, die doch häufig in den Zeilen vorkommen, sieht man das Wesen Myschkin in seiner Gutgläubigkeit deutlich. Diese Gutgläubigkeit ist von ihm aber durchaus absichtlich gewählt. Er hat sich dafür entschieden und ist nicht einfach aus Unachtsamkeit oder, weil er die Menschen nicht durchschaut, gutgläubig.
    Dostojewski hat hier eben den vollendet wundervollen Menschen erschaffen, was beinhaltet, dass seine gute Seele die Menschen begreift (er ist ja eben kein "Idiot") und trotzdem an das Gute in ihnen glaubt.
    Seine Reaktion bei Spott verdeutlicht das auch noch einmal, denn, was tut er? Er lacht mit. Ein wunderschönes Wesen. :smile:


    Liebe Grüße
    PessoA

    Einmal editiert, zuletzt von PessoA ()

  • Hallo Leute,


    Drittes Buch


    Fortsetzung meiner Bemerkungen zu Ippolit:


    Ippolit ist ein Nihilist, ein Atheist. Er verkörpert Gott ist tot. Bei solch einer Radikalität müsst sich Ippolit doch schon selber fragen, warum er überhaupt geboren ist. Er verneint das Leben und deswegen sagt er:


    Zitat

    Ich erkenne keinen Richter über mich an und weiß, daß ich jetzt keiner richterlichen Gewalt mehr unterstehe.


    Sicher sind Ippolits Ausführungen über Holbeins Bild beeindruckend, doch redet er nicht als Christ, sondern als Atheist. Natürlich hat der Leib Christi, gottgewordenes Fleisch, gelitten. Sogar noch wesentlich mehr als jeder gewöhnliche Mensch, denn er hat ja das Leid der Welt auf sich genommen. Dieser theologische Gedanke wird von Ippolit natürlich nicht in Erwägung gezogen. Auf der anderen Seite ist es ja so, von den christlichen Märtyrern, die sich mit Freude in die Klauen der bestiarum hingegeben haben, um das irdische Leben in ein paradiesisches einzutauschen, wissen wir aber nicht, was in ihren Köpfen vorgegangen ist, als die Zähne des Löwen nur noch drei Zentimeter von ihrem Gesicht entfernt waren.


    Ippolit klagt den Fürsten an, der seine letzten Atemzüge noch "versüßen" will. Für Ippolit ist das nur eine Qual im Angesicht des Todes. Sogar eine Fliege, die gerade im Sonnenlicht summt und ihren Platz in der Welt gefunden hat, kann er nur noch beneiden. Für Ippolit ist nicht nur Gott tot, sondern sein Leben auch schon. Vom philosophischen Standpunkt aus gebe ich dem Lebensverneiner nicht recht, weil er einfach schon depressiv ist.
    Platon lässt Sokrates sagen, es komme nicht darauf an, wie lange man lebt, sondern wie man lebt. Darum kann ich Ippolits

    auch nicht gutheißen. Dieses Problem hat Dostojewskij schließlich gut gelöst.


    Trotzdem gibt mir Ippolit insofern einige Rätsel auf , weil er einerseits die christlichen Perspektiven des Jenseits als Atheist ablehnt,


    Gibt es zu Ippolit andere Meinungen, Widersprüche oder Zustimmung.?


    Ich bin übrigens mit dem Roman durch. Mit dem Schlussplädoyer warte ich noch.


    Liebe Grüße
    mombour


    PS: gretchen und mäusedudler, macht hier noch ein wenig rambazamba :zwinker:

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo Mombour,


    als ich gerade Deinen Aufruf gelesen habe, bekam ich ein ganz, ganz schlechtes Gewissen.


    Letzte Woche war es bei uns ganz lang und stessig, da war mit mit Lesen nicht viel Staat zu machen. Zwei, drei Sätze und ich war im Land der Träume.
    Aber jetzt habe ich das meiste wieder im Griff und ich kann mich hoffentlich wieder voll dem Idioten widmen.


    Eure Postings sind wahnsinning interessant und spornen zu mehr an.


    Also, ich bin auf jeden Fall noch dabei und hoffe, meinen Rückstand bald aufgeholt zu haben.


    Liebe Grüße


    gretchen :winken:

  • Ich lese immer noch und bin jetzt bei Kapitel 16. Allerdings bin ich etwas verwirrt von euren Kapitelangaben, bei mir sind die einfach von 1 bis 45 durchnummeriert, bei euch scheint es aber Buch 2 und Buch 3 zu geben? Kann jemand vielleicht mal nachsehen, wie viele Kapitel die einzelnen Bücher haben, dass ich weiß, wovon ihr sprecht? Im Internet habe ich dazu nichts gefunden. Ich lese übrigens eine Bertelsmann Ausgabe von 1965 (übersetzt von August Scholz), ich hoffe die ist nicht gekürzt oder so...


    Jedenfalls habe ich gerade gelesen, wie verrückt Nastasja wohl ist. Mir tat der arme Fürst Myschkin so leid, als sie zuerst eigentlich zugesagt hat, ihn zu heiraten und dann doch mit Rogoschin verschwindet.


    Ich lese mit Interesse eure Postings und es tut mir leid, dass ich bisher nicht so viel zu dieser Leserunde beitragen konnte. Ich bin jetzt aber sehr motiviert, das Buch weiterzulesen.


    Liebe Grüße,
    Stefanie

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Hallo stefanie_j_h,


    hm, von einem Übersetzer August Scholz habe ich noch nie gehört. Also zur Orientierung. Das Buch besteht aus vier Büchern, sei es Winkler Verlag mit dem Übersetzer Arthur Luther oder Amann-Verlag/Fischer TB, Übersetzerin Swetlana Geier.


    Erstes Buch = 16 Kapitel; Zweites Buch = 12 Kapitel; Drittes Buch = 10 Kapitel; Viertes Buch = 12 Kapitel
    Ich komme somit auf 50 Kapitel (nicht 45)


    Ich habe übrigens recherchiert, die Übersetzung von Scholz muss ungefähr um 1900 enstanden sein (Bruno Cassirer Verlag, Berlin). Zufällig weiß ich, dass es eine ältere Ausgabe von "Anna Karenina" gibt, in der einige Kapitel gestrichen sind. Mir schwant hier böses, dass deine Ausgabe zumindest etwas gekürzt ist. Wär' doof, so was. Ja. Ganz übel.


    Liebe Grüße
    mombour

    Einmal editiert, zuletzt von mombour ()

  • Hallo mombour!
    Danke für die ganzen Infos! Ich habe mir schon fast gedacht, dass die Übersetzung etwas älter ist, ich habe bei Amazon mal die ersten Seiten der dtv-Ausgabe gelesen, da ist die Sprache viel moderner.


    Sieht also ganz so aus, als wären mir 5 Kapitel unterschlagen worden :grmpf: Das hat man also davon, wenn man Papa's Flohmarkt Ausbeute aus dem Regal zieht :zwinker:


    Naja, dann lese ich jetzt mal meine gekürzte Ausgabe weiter und hoffe, dass da nicht allzu viel fehlt...


    Liebe Grüße

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  • Hi,


    ich war ein paar Tage in Urlaub, dafür hatte ich auf der Zugfahrt endlich mal wieder Zeit, länger am Stück zu lesen. Ich bin momentan in der Mitte von Buch 4, sprich bald durch.


    Im dritten Teil des Buchs fand ich es vor allem spannend, die unterschiedlichen Charaktere zu "beobachten". Es passiert ja eigentlich nicht viel, aber die unterschiedlichen Personen und die genauen Beschreibungen geben einem das Gefühl, mittendrin zu sein. Mir gefällt Lisaweta, die sich nicht immer so verhält, wie die Gesellschaft es von ihr erwartet. Letztendlich fügt sie sich aber und hat Angst - nicht zu unrecht - dass ihre Tochter Aglaja ihr ähnelt. Der Fürst ist augenscheinlich sehr verliebt, allerdings bleibt Aglaja weiter rätselhaft. Mir scheint, dass sie den Fürsten für seine Einstellung liebt; sie liebt ihn sozusagen als Verkörperung des Guten im Menschen. Andererseits weiss sie aber auch, dass er in seiner eigenen Welt und nicht in ihrer lebt. Dazu trägt nicht zuletzt seine Angewohnheit bei, sich selbst immer anzuzweifeln und als quasi wertlos einzuschätzen. Nastassjas Auftauchen ruft wieder einmal Wirbel hervor, allerdings bin ich noch nicht weit genug, um evtl. Auswirkungen ihres Auftritts absehen zu können.


    Zu Anfang von Buch 4 verwundert der Fürst mich etwas, der sich von der feinen Gesellschaft am Abend so blenden lässt. Zuvor hat er neue Bekannschaften meist sehr scharfsinnig beurteilt, auch wenn er sich immer selbst schilt, Schlechtes von jemanden zu denken. An dieser Stelle würde ich ihn auch als gutgläubig bezeichnen (was für mich etwas anderes ist als der Wille, in allen Menschen auch einen guten Kern zu entdecken ;-)). Er lässt sich hier blenden, was er vorher nicht getan hat. Wie es hier weitergeht, erfahr ich aber erst heute Abend...


    Zu Ippolit:
    Er scheint mir einer jener Menschen zu sein, die andere beeindrucken wollen, aber an allem und jedem scheitern. Seine Ansichten wirken teilweise sehr aufgesetzt und sind darauf angelegt, andere zu schockieren und Aufsehen zu erregen. Er nutzt seine Krankheit dabei aus, denn dadurch bekommt er Aufmerksamkeit, die er sonst nicht erlangt hätte. Er kann sich anderen gegenüber fast alles erlauben, da er auf Mitleid setzt und es auch bekommt. Wenn er sich wirklich umbringen wollte, hätte er es problemlos tun können, so ist es aber nur ein Theater, dass ihn kurzzeitig in den Mittelpunkt rückt. Auch ohne seine Krankheit wär er einer derjenigen, die Höheres wollen, aber nie erreichen (ähnlich wie Ganja, Anfang Kapitel 3). Anders als Ganja verbittert er aber und baut seine Weltanschauung als Bollwork um sich auf. Die Episode mit dem Arzt zeigt, dass er auch Mitgefühl besitzt und einen guten Kern hat, obwohl er dies meist unterdrückt.
    Ippolit ist für mich ein Gegenstück zum Fürsten: der Fürst glaubt trotz seiner Krankheit an das Gute (im Menschen) und verhält sich auch so, bei Ippolit bewirkt die Krankheit das Gegenteil.

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted

  • Ippolit ist für mich ein Gegenstück zum Fürsten: der Fürst glaubt trotz seiner Krankheit an das Gute (im Menschen) und verhält sich auch so, bei Ippolit bewirkt die Krankheit das Gegenteil.


    So krass habe ich das nie gesehen. Das Gegenstück zu Myschkin wäre ein schlechter Mensch. Aus meiner Sicht gibt es noch nicht einmal diesen. Sogar mit Rogoschin ist der Fürst verbrüdert. Myschkin ist ein Christ, Ippolit ein Atheist, hier mag ein Gegensatz liegen (natürlich :zwinker: ). Meiner Meinung nach ist Ippolit kein schlechter Mensch, weil er ein Atheist ist. Hat er nun etwas schlechtes getan? Nein.


    Natürlich stellt er sich in den Mittelpunkt. Auf den ersten Blick mag das unsympathisch sein, aber Ippolit sieht hier seine einzige Chance im Leben, vor Menschen etwas zu sagen (aufgrund seiner Erkrankung). Dafür habe ich Verständnis, dass sich jemand mal aussprechen möchte, bevor er stirbt.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Da hab ich mich schlecht ausgedrückt. Mit Gegenteil meinte ich, dass Ippolit im Gegensatz zum Fürsten nicht an das Gute im Menschen glaubt, nicht dass er ein schlechter Mensch ist (was natürlich realistischer ist, als auf das Gute im Menschen zu hoffen, aber auch ziemlich deprimierend ist).


    Ich finde schon, dass sowohl der Fürst und Ippolit (mit Bezug auf deren Weltsicht) als auch der Fürst und Rogoschin (mit Bezug auf deren Handlungen) gewollte als Gegensätze konzipiert sind.

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted

  • [...] dass Ippolit im Gegensatz zum Fürsten nicht an das Gute im Menschen glaubt, [...] was natürlich realistischer ist, als auf das Gute im Menschen zu hoffen, aber auch ziemlich deprimierend [...]


    Wieso deprimierend? Man kann nur positiv überrascht werden ;)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • So, am Wochende bin ich fertig geworden. Dostojewski hat mir wieder viel Lesespaß beschert, auch wenn mir Verbrechen und Strafe etwas besser gefällt.


    Zu den letzten Kapiteln:
    Ich fand es sehr mutig von Aglaja, die Konfrontation mit Nastassja zu suchen - auch wenn sie verliert. Auch wenn der Fürst Aglaja sicher liebt, so ist sein Mitleid mit Nastassja doch größer. Dass diese dann wieder vor der Hochzeit wegläuft, ist wenig überraschend, ebenso dass Rogoschin dem Druck nicht mehr standhält und Nastassja umbringt. Seine LIebe zu Nastassja war ja schon zu Beginn des Buchs vom Wahnsinn überschattet. Der Fürst zerbricht und verfällt - wohl endgültig - dem Wahnsinn, er kann dem nicht standhalten. Insgesamt kam dieses Ende allerdings ziemlich abrupt im Vergleich zu der ausführlich beschriebenen Annäherung von Aglaja und dem Fürsten vorher.
    Etwas gestört hat mich der Epilog, Aglajas Heirat mit dem polnischen Windhund war mir einfach zu übertrieben tragisch. Irgendwie passt das nicht zum Rest des Buchs.
    Für meinen Geschmack hätte der Epilog auch ganz wegfallen können.


    Trotzdem - tolles Buch und unbedingt empfehlenswert :klatschen:
    Der Epilog ist nun wirklich nur eine Kleinigkeit im Vergleich zu den 850 prima Seiten vorher ;) Insbesondere Dostojewskis Personenbeschreibungen haben es mir angetan. Die Figuren werden beim Lesen wirklich lebendig. Das mir Verbrechen und Strafe besser gefällt, liegt wohl daran, dass die Handlung realistischer und besser nachvollziehbar ist. Der Fürst ist hingegen eine Kunstfigur, die zwischen reale Personen "gesetzt" wird und dies nicht übersteht. So interessant er ist, so fehlt doch die "Echtheit" eines Raskolnikov.

    :lesen: Naomi Novik - Uprooted