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  • Vergil: Aeneis, Übers. Von Johannes Götte in Zusammenarbeit mit Maria Götte, Mit einer Einführung von Bernhard Kytzer


    Artemis Verlag 1988, München


    Die Ausgabe


    Die Bibliothek der Antike, wie sie der Artemis Verlag herausgibt, bietet einen modernen Zugang zur antiken Literatur. Mit der preiswerten Taschenbuchausgabe hat er sich das Verdienst erworben, diese Werke auch dem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Die Bände sind gut gebunden und fassen sich angenehm an. In der vorliegenden Ausgabe ist auf eine Nachbildung der antiken Verse verzichtet worden, was das Lesen sehr erleichtert.
    Mir liegt außerdem noch eine Ausgabe des Reclam-Verlages von 1966 (Wilhelm Plankl, Hrsg) vor, die genau diese Vorzüge nicht hat. Da das ganze Büchlein auch noch den alten Geist der blinden Vergil-Verehrung atmet habe ich – zu Gunsten des Werkes – mich vor allem auf die Artemis-Ausgabe gestützt.


    Der Autor
    Vergil ist vielleicht der westliche Autor mit der größten Wirkungsgeschichte. Geboren um 70 v.Chr, gestorben 19 v.Chr. war er ein Zeitgenosse von Caesar und Augustus und verfaßte das römischen Nationalepos – eben das vorliegende Werk - in der Zeit von ca. 29 v.Chr. bis zu seinem Tode. Die Legende weiß von der engen Freundschaft des Dichters mit Augustus zu berichten, die einen nicht wundert, wenn man im Buche liest, wie die ganze römische Geschichte auf das goldene Zeitalter unter Augustus hin gedeutet wird. Wenn man dann noch bedenkt, wie der Kaiser mit weniger angepaßten Literaten, wie Ovid zum Beispiel, umgesprungen ist, kann man schwerlich von einer Freundschaft auf Augenhöhe ausgehen. Wir werden Vergil nicht Unrecht tun, wenn wir in ihm den Hofdichter des julischen Kaiserhofes erkennen.
    Seinem Ruhm tat das keinen Abbruch. Durch die Antike hindurch galt Vergil neben Horaz als der römische Autor schlechthin, und das Mittelalter ließ sich von dieser Verehrung nur zu gern anstecken, sprach ihm sogar aufgrund eines Mißverständnisses die Heiligkeit zu.
    Diese Verehrung ging in dem Maße zurück, wie das Latein an Bedeutung verlor und der demokratische Geist an Einfluß gewann. Wem die Monarchie suspekt wird, der wird, der wird auch die Verherrlichung des römischen Imperialismus nicht ohne weiteres mitmachen wollen.


    Das Werk


    Vergil hat die Aeneis nicht fertiggestellt, er soll sogar verlangt haben, daß sein unvollendetes Werk nach seinem Tod verbrannt wird. Und wirklich weist das Epos einige Unvollkommenheiten auf, die aber neben dem Gesamtentwurf verblassen. Vergil übernahm nicht weniger, als die beiden Hauptwerke der antiken Bildungsliteratur – Ilias und Odysee – ins Lateinische zu übertragen und im Sinne einer staatstragenden, römisch-kaiserlichen Ideologie umzudeuten. Das ist ihm auch – jedenfalls was die nicht-hellenistische Antike angeht – gelungen.


    Die Aeneis ist in zwölf Kapitel gegliedert, in genau halb so viele wie jedes der Werke Homers. Die ersten sechs Kapitel werden normalerweise als 'Römische Odysee' und die zweite Hälfte des Werkes als 'Römische Ilias' bezeichnet, da sie einerseits die Irrfahrt des Helden und andererseits die Eroberung einer Stadt beschreiben.


    Nach dem Fall Trojas macht sich Aeneas auf göttliche Weisung hin auf, um Rom zu gründen. Er sammelt die überlebenden Trojaner ein und zieht mit ihnen nach Westen bis ihm Königin Dido in Karthago Asyl gewährt.
    Dido verliebt sich in Aeneas und dieser willfährt ihr. Dido fühlt sich mit Aeneas verheiratet, dieser aber nicht mit ihr. Nachdem ihn ein Orakel an seinen göttlichen Auftrag erinnert hat, versucht Aeneas sich mitsamt seinem Volk bei Nacht und Nebel zu verdrücken. Als Dido erkennt, daß sie verlassen wurde, begeht sie Selbstmord. Aus dieser Tragödie entstand die Erbfeindschaft zwischen Karthago und Rom. So wurden die punischen Kriege im Nachhinein motiviert und legitimiert - den Völkermord an den Karthagern eingeschlossen.


    Aeneas reist weiter, aufgehalten durch den Tod seines Vaters Anchises und der darauf folgenden Totenspiele. Diese Episode liegt formal an der Schnittstelle zwischen der Römischen Odyssee und der Römischen Ilias, sie wird formal noch durch die außerordentliche Detailfülle betont. Da werden ungeheure Reichtümer als Preise ausgesetzt und gewonnen. Jene Familien, die bei der römischen Landnahme nicht genug berücksichtigt werden können, finden hier einen ihrer Vorfahren wieder. Dem nichtrömischen Leser unserer Tage wird das ganze Brimborium etwas lang.


    Schließlich erreichen die zukünftigen Römer die Tibermündung und setzen sich dort fest. Durch Orakel angekündigt werden sie dort von ihren zukünftigen Bundesgenossen empfangen, doch nicht alle Ureinwohner sind mit den Neuankömmlingen einverstanden. Es kommt zum Krieg.
    Damit es für die Neugründung noch einmal spannend wird, fährt Aeneas davon, um Verbündete zu gewinnen. Dabei trifft er auch den griechischen Helden Diomedes, von dem er auch über das Schicksal des von Aeneas gehassten Odysseus (der schreckliche Ulixes), was etwas seltsam ist, da Odysseus zu dieser Zeit noch unterwegs ist.
    Julus, Sohn des Aeneas, Stammvater der Julier, und aus diesem Grunde in die Aeneis eingeführt, tut sich bei der Verteidigung der neuen Heimstatt hervor, zieht aber gegen Turnus den Kürzeren. Aeneas, von seiner Mutter Venus mit einer neuen Rüstung ausgestattet gerade rechtzeitig, um den Feind zu erschlagen und die Gründung Roms zu sichern.
    In der Ausstattung des Aeneas spiegelt Vergil die Ausstattung des Archilles durch dessen göttliche Mutter Thetis bei Homer und übertrumpft sie noch. Während der Schild des Achilles mit mythischen Szenen ausgestaltet wird, finden sich auf dem Schild des Aeneas die Begebenheiten der römischen Geschichte, bis zu ihrem Höhepunkt und Kaiser Augustus.


    Kommentar


    Ich habe in meiner Kinder- und Jugendzeit gerade die Sagen des klassischen Altertums mit Begeisterung gelesen. Allerdings hatte ich auch damals schon Schwierigkeiten mit der Aeneis, auch in der Aufbereitung durch Gustav Schwab. Ich habe mich jetzt an die Lektüre gemacht, um herauszufinden, ob es an der Übersetzung oder an der Geschichte lag, daß ich so gelangweilt war. Ums kurz zu machen: Es lag an der Geschichte.


    Vergil hatte sein Epos in das oben beschriebene Korsett zu zwingen und hatte dabei einige inhärente Probleme zu bekämpfen. Anders als die Griechen erlaubten die Römer ihren Helden keine Schwächen: Herakles war aufbrausend, Achill eine beleidigte Zicke und Odysseus brach bei Bedarf sein Wort, aber Aeneas durfte keine Schwächen haben. Fromm und dem Vater sowie dem zugehörigen ~land ergeben macht er sich auf göttliche Weisung auf den Weg – und man kann den Weg nachverfolgen. Während Odysseus die meiste Zeit seiner Reise nicht wußte, wo er war und ob er den nächsten Tag erleben würde, wußte Aeneas immer wo er war. Deswegen ist die griechische Odyssee spannend und die lateinische dank göttlichem Navigationssystem langweilig.
    Aeneas umgeht dank Ortskunde die Hindernisse, die ihm z.B. die Zyklopen hätten in den Weg legen können.


    Dido ist für Aeneas sowohl Circe als auch Nausikaa, sie gewährt ihm sowohl die Wohltat eines heimischen Herdes als auch leidenschaftliche Liebe. Der Held läßt sich das als ganzer Mann gefallen, läßt aber die Frau ohne einen weiteren Gedanken auf sie zu verwenden, im Stich, als ein Orakel ihn zur Weiterfahrt mahnt. Aus diesem Grund versucht er wohl nicht einmal, Dido mitzunehmen, denn schließlich muß er noch dereinst in den Adel Latiums einheiraten.


    Genauso wie die Reise steht auch das Ergebnis des Kampfes um die Stadt jederzeit fest. Vergil bringt es fertig dem abwechlungsreichen Schlachtgeschehen jede Spannung zu nehmen, indem er es zu Tode beschreibt.
    Mit einigen Klimmzügen werden beliebte Sagen in das Epos eingearbeitet, wie die Verwandlung der durch Aeneas verbrannten Schiffe in Seejungfrauen oder die Einbeziehung der legendären Gründer Roms Romulus und Remus in den julischen Familienverbund.


    Fazit:


    Vergil reitet einen Raubzug durch die hellenistische Mythologie und strickt daraus ein Epos, in dem das Rom des Augustus als die Krönung der Geschichte erscheint, von den Göttern seit Anbeginn so geplant. Die göttliche Abkunft des Julischen Geschlechtes und damit Julius Caesars und Octavians wird hergeleitet und deren Herrschaftsanspruch theologisch begründet. Kaiserherz, was willst Du mehr?


    Diese Apotheose der julianischen Kaiser mußte jedem römischen Republikaner die Haare zu Berge stehen lassen. Aber die Kaiserpartei hatte gewonnen und so wurde die göttliche Legitimation des Kaisertums zum allgemeinen Bildungsgut, was bis in die heutige Zeit hinein Schule gemacht hat.


    Apropos Schule: Ich halte die Aeneis nur bedingt für tauglich, an der Schule gelesen zu werden, würde aber in jedem Fall ein entsprechend gründliche Bearbeitung der Entstehungszeit im Geschichtsunterricht anmahnen. Die Aeneis ist ein virtuoses Stück Propaganda, vor dessen handwerklicher Qualität man den Hut ziehen möchte, aber es bleibt, was es ist: Ein politisches Pamphlet - wahrscheinlich im Auftrag des Augustus verfaßt -, in dem der römischen Demokratie die Legitimation entzogen wird.

    ____<br /><br />Äh.. ja? :kaffee:

  • Danke für die ausführliche und kenntnisreiche Rezension! Aber eine kleine Bemerkung kann ich mir doch nicht verkneifen:


    Die Aeneis ist ein virtuoses Stück Propaganda, vor dessen handwerklicher Qualität man den Hut ziehen möchte, aber es bleibt, was es ist: Ein politisches Pamphlet - wahrscheinlich im Auftrag des Augustus verfaßt -, in dem der römischen Demokratie die Legitimation entzogen wird.


    Ein bisschen mehr ist es dann schon noch - sonst hätte das Werk nicht Jahrtausende überlebt ;). Gerade die Liebesgeschichte der Dido hat auch immer wieder Autoren zu eigenen Versionen angeregt ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Danke für das Kompliment :redface:
    Ich bin - gerade was Dido angeht - anderer Meinung. Was Aeneas mit Dido macht ist so himmelschreiend ungerecht und lieblos, daß es andere Literaten zur Reaktion gedrängt hat, da sind wir auf derselben Welle, aber die Funktion der Episode ist klar: Rechtfertigung der Erbfeindschaft mit Karthago. Wirklich genial verpackt wird hier den (zukünftigen) Römern gerade soviel Schuld zugeschoben, daß sie den Kriegsgrund einsehen - mit allen unversöhnlichen Konsequenzen.
    Man kann hier beobachten, daß die Vernichtung Karthagos durch die Römer, zumindest Vergil ein schlechtes Gewissen bereitete.


    Ich bin der Meinung, das Vergils Werk - von interessierter Seite - überbewertet wurde. Das waren zu Anfang immerhin die julianischen Kaiser, später die römischen Kaiser insgesamt, die den Julianern nachfolgten, schließlich das Kaisertum schlechthin. Und was mit so einem Gewicht von Generation zu Generation weitergereicht wird, das wird nicht mehr hinterfragt. So schätzten die Literaten des britischen Empire immer noch höher als Homer. Erst nach dem dem Untergang des deutschen Kaisertums nach dem Ersten Weltkrieg gab es eine weniger imperiale Sicht auf Vergil. Vielleicht bewerte ich ihn ja zu schlecht, das mögen die nächsten Generationen entscheiden. Bei mir ist er auf jeden Fall ganz unten durch.
    Mein Urteil: Tradieren, aber nicht zu hoch bewerten.

    ____<br /><br />Äh.. ja? :kaffee:

  • Meine Meinung

    Ich wage mich mit meiner Lektüre ab und zu in die Antike. Aeneis habe ich in einem anderen Buch gefunden. Die Lektüre dieses Buchs liegt lange zurück, aber beim Lesen sind mir einige Ähnlichkeiten zwischen den Motiven aufgefallen.


    Ich bin meinen Lateinlehrern sehr dankbar, dass sie sich für ein anderes Werk entschieden haben. Mir ist auch die deutsche Lektüre nicht leicht gefallen. Ich fand das Werk ziemlich grausam, sowohl von den Taten, als auch von den Personen. Von daher passt es gut zu der Geschichte, in der ich es gefunden habe. Allerdings hat die mich nicht so fasziniert, wie es Aeneis getan hat.

    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.