Historische Genauigkeit - ein Muss im historischen Roman?

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  • Hallo, Grisel!


    Edit: Hach! Ich Depp! doh.gif
    Ich meinte natürlich:


    Hallo, Nimue!


    Zitat von "nimue"

    mal eine kurze Frage: Wie verhaltet ihr euch bei Büchern, die falsches Wissen vermitteln - Wissen, über das ihr selbst aber gar nicht Bescheid wisst? Das können ja auch Kleinigkeiten sein.


    Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden ... :confused:
    Wenn ich gar nicht Bescheid weiß (wie z.B. wenn es um die französische Geschichte nach Napoleon I bis Napoleon III geht (da sieht's bei mir ganz finster aus ... das ist "mein" dunkles Zeitalter!), dann merke ich das doch gar nicht.
    Teil mir jemand mit, daß ich einem Scharlatan aufgesessen bin und belegt mir das auch noch, dann ärgere ich mich natürlich über den Scharlatan -- und über meine Bildungslücke -- und wenn ich feststelle, daß der Kritiker auch nicht recht hat, suche ich halt weiter. Denn dann hat mich meist der Virus gepackt. ;)


    Zitat

    Noch eine Frage zum Mittelalter: Wenn die Hygiene leidlich gut war, wie konnte dann die Pest übertragen werden?


    Es geht schon damit los, daß Pest früher jede epidemisch auftretende, lebensbedrohliche Seuche bezeichnete, da lat. pestis schlicht und einfach "Seuche" heißt.
    Es war also längst nicht jede "Pest" die von Yersinia pestis übertragene Infektionskrankheit -- es konnte sich ebensogut um Typhus, Cholera, Grippe, hämorrhagische Fieber u.ä. handeln.
    Durch die Kreuzzüge, aber auch durch andere Migrationsbewegungen wurden immer wieder Infektionskrankheiten eingeschleppt, gegen die die Menschen Mitteleuropas schlicht und einfach keine Abwehrkräfte hatten (ähnlich wie die Indianer Nordamerikas gegen Mumps, Masern u.ä.). Es läßt sich heute leider nur sehr schwer rekonstruieren, welche Krankheit zuschlug. Jedesmal von der Pest auszugehen, ist arg spekulativ.


    Ich hatte bei der Hygiene eine Einschränkung gemacht: Episodisch auftretende Landflucht (z.B. nach Mißernten etc.) führte zur Bildung von Elendsvierteln in und vor den Städten. In Elendsvierteln herrschen auch heute noch extrem schlechte hygienische Bedingungen, die einerseits auf die Beengtheit der Wohnsituation, andererseits auf die sich bei Armut ausbreitende fatalistische Lebenseinstellung zurückgeführt werden können. Diese Umstände führen nahezu automatisch zur Ausbreitung von Seuchen; brutal gesprochen handelt es sich hier quasi um einen "natürlichen Selbstregulierungsprozeß".


    Bei den großen Pestepidemien des 14. und 17.Jhs. können wir die Verbreitung zu einem ganz erheblichen Teil auch auf die Verelendung zurückführen, die zu immer schlechteren hygienischen Bedingungenführte -- ebenso wie die Entwicklung der Leibfeindlichkeit, die ebenfalls ihren Beitrag zu dieser Entwicklung leistete.


    Es ist auffällig, daß Kulturen, die in beengten Verhältnissen Wohnen ("Naturvölker", prähistorische Völker etc.) von der Ethnographie meist als sehr sauber dargestellt werden (die Negativdarstellung als "schmutzige Wilde" findet sich hingegen in der politischen Propaganda). Offenbar ist Schmut ein typisches Elendsproblem, dessen Ursachen vor allem im Inneren des Menschen, in seiner psychischen Verfassung, liegen -- einer Verfassung, die durchaus von äußeren sozialen und materiellen Umstände forciert werden kann.


    Manfred Vasold hat übrigens ein hochinteressantes Buch darüber geschrieben, indem auch die Problematik der Überlieferung und der Legendenbildung behandelt wird (s.u.).
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

  • Hallo Iris,


    danke für die Erklärung zur Pest! Genau das wollte ich wissen! Super! :klatschen:


    Zitat von "Iris"

    Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden ... :confused:
    Wenn ich gar nicht Bescheid weiß (wie z.B. wenn es um die französische Geschichte nach Napoleon I bis Napoleon III geht (da sieht's bei mir ganz finster aus ... das ist "mein" dunkles Zeitalter!), dann merke ich das doch gar nicht.


    Das ist für mich nämlich der Punkt. Man merkt es dann ja gar nicht ;)
    Wenn ich mir ansehe, dass es massenhaft Leute gibt, die nicht mal wissen, wieviele Bundesländer Deutschland hat und wie deren Landeshauptstädte heißen, so ist es für mich nicht verwunderlich, wenn "Lügen"Bücher wie die Päpstin verkauft werden.


    Solche Bücher wissen eine gute Geschichte zu erzählen - ob sie wahr ist oder nicht. So what. Das interessiert doch ganz ehrlich nur wenige (mich auch nicht - aber ich liebe ja auch Fantasy & Science Fiction).


    Aber solche Menschen...noch viel ehrlicher...sie merken sich doch auch nicht, was in den Büchern steht. Glaubt ihr wirklich, dass es so viele Leute gibt, die einen dicken Schmöker kaufen und diesen dann für bare Münze halten geschweige denn sich alles merken, was sie da lesen? Neeee... das könnt ihr mir nicht schmackhaft machen.


    Wir dürfen nicht vergessen, dass in Bücherforen nur eine winzige Menge der Leser zu Wort kommt.


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Hallo Nimue!


    Hmm .. diesen "Freibrief" kann ich einfach nicht akzeptieren. ;)


    Zitat von "nimue"

    Aber solche Menschen...noch viel ehrlicher...sie merken sich doch auch nicht, was in den Büchern steht. Glaubt ihr wirklich, dass es so viele Leute gibt, die einen dicken Schmöker kaufen und diesen dann für bare Münze halten geschweige denn sich alles merken, was sie da lesen?


    Alles merken sich Leser nicht, aber merkwürdigerweise alles, was ihnen zupaß kommt -- und das ist das Problem: Die Leute glauben, was sie glauben wollen!


    Hier liegt aber eben die Verantwortung der Schriftsteller -- entweder sie machen ganz deutlich, daß sie die ganze Sache erfunden haben, um die Leute gut zu unterhalten, oder sie halten sich auch an die rekonstruierte Realität -- oder sie tummeln sich lieber gleich im Bereich Fantasy. Aber sich was zusammenzuzuppeln, was in den Zeitgeist paßt und dann indem man seine eigene Glaubwürdigkeit als Autor in die Waagschale wirft, um der Lüge auch nur den Anstrich der Wahrheit zu geben -- das ist in meinen Augen eine Riesensauerei!


    Aber das Thema hatten wir jetzt schon zu oft, und ich glaube, wir kommen da nicht recht zusammen.
    Ich bin schlicht und einfach der Überzeugung, daß jeder Beruf ein Berufsethos hat -- und wer nicht danach handelt, ist schlichtweg ein Stümper!
    Liebe Grüße :blume:
    Iris :sonne:

  • Hi!


    Ich gehöre nicht zu denjenigen, die falsche Bücher für gefährlich für die Menschheit halten, sie ärgern mich nur. Habe das Bsp. sicher schon mal irgendwo angebracht, aber wenn Du zB einen Zeitungsartikel über Deine Heimatstadt liest, und die ist da auf einmal im falschen Bundesland, die Bürgermeisterin ist ein Mann, etc. ärgerst Du Dich doch sicher auch?


    Zu den Sachen die man gar nicht als falsch erkennt, klar, über die kann man sich auch nicht ärgern. Wenn einem was komisch vorkommt und einen die Sache interessiert, kann man ja nachforschen, ob man zu Recht oder zu Unrecht mißtrauisch war.


    Bye,


    Grisel

  • Hallo Grisel!


    (Jetzt stimmt 's aber! :breitgrins:)


    Zitat von "Grisel"

    Ich gehöre nicht zu denjenigen, die falsche Bücher für gefährlich für die Menschheit halten,


    Das habe ich auch nicht behauptet!


    Zitat

    Habe das Bsp. sicher schon mal irgendwo angebracht, aber wenn Du zB einen Zeitungsartikel über Deine Heimatstadt liest, und die ist da auf einmal im falschen Bundesland, die Bürgermeisterin ist ein Mann, etc. ärgerst Du Dich doch sicher auch?


    Nee, das finde ich nicht ärgerlich, sondern lächerlich, bestenfalls fürchterlich peinlich für den Stümper (s.o.!), der den Mist gebaut hat -- und die Redaktion, die das unbesehen publiziert.


    Es geht mir vielmehr darum, daß ich es für zutiefst unethisch ansehe, wenn dieselben, die darauf pochen, es sei ja "nur ein Roman", also eine erfundene Geschichte, z.B. im selben Interview darauf beharren, daß der Hintergrund ein seit Jahrtausenden gut dokumentiertes "Geheimnis" sei, das von finsteren Mächten (Vatikan, CIA, Freimaurer, Ärztekammer, "die Männer" ...) unterdrückt werde und man sich auf begeisterte Unterstützung durch "viele Wissenschaftler" beruft, während sehr leicht feststellbar ist, daß das genaue Gegenteil der Fall ist.


    Stell dir vor, ein Autohersteller mache damit Werbung, daß die Sitze in seinen Autos nach uraltem medizinischen Gehemwissen konstruiert worden seien, das die Schulorthopädie stets unterdrückt habe, um ihre Einnahmequelle zu sichern -- denn alle anderen Autositze seien so gebaut, daß damit früher oder später die Bandscheiben geschädigt würden!


    Die Verantwortlichen müssen nicht nur damit rechnen, daß man sie für bekloppt erklärt, sondern sogar mit Abmahnungen und ähnlichem.
    Und das mit Recht! ;)
    Liebe Grüße. :blume:
    Iris :sonne:

  • Hi Iris!


    Zitat von "Iris"


    Das habe ich auch nicht behauptet!


    Eh nicht. Ich wollte nur meinen persönlichen Standpunkt eingrenzen.


    Zitat von "Iris"


    Nee, das finde ich nicht ärgerlich, sondern lächerlich, bestenfalls fürchterlich peinlich für den Stümper (s.o.!), der den Mist gebaut hat -- und die Redaktion, die das unbesehen publiziert.


    OK, war vielleicht ein schlechtes Bsp. Oder doch nicht, denn genauso peinlich finde ich ja Fehler, die ganz elegant durch simpels Blicken auf eine Zeitlinie hätten vermieden werden können, geboren, gelebt, geheiratet, gekrönt, vermehrt, gekämpft, gestorben. Das muß in meinen Augen passen, es sei denn, die Daten sind ohnehin unklar oder eine Verschiebung ist für die Story wichtig. Für sowas gibt es Nachworte.
    Die, sagen wir mal, tiefer gehenden Informationen tun schon weh, wenn sie eklatant falsch sind. Aber es hängt davon ab, was es ist.


    Ein Beispiel. Es ärgert mich, häufig über Romantempler zu stolpern, die versuchen, Friedrich II auf Kreuzzug zu ermorden. Aber viele der F(S)achbuchautoren behaupten das ebenfalls, und es hat mich selbst viel Aufwand gekostet, den Vorwurf zu entkräften, und was wirklich war kann man hier so genau nicht sagen. Also schlucke ich das mit Zähneknirschen.


    Ich beurteile jeden Fall für sich. Ist es ein himmelschreiender Fehler, eine andere Deutung, etwas was man nur besser wissen kann (oder zu wissen glaubt!), wenn man das Glück hatte, die entsprechende Info zufällig gefunden zu haben, etc.


    Es sind die himmelschreienden Fehler die mich ärgern, weil sie so unnötig sind. Ich gestehe, ich verstehe es auch einfach nicht, warum das so schwer zu sein scheint.


    Zitat

    Es geht mir vielmehr darum, daß ich es für zutiefst unethisch ansehe, wenn dieselben, die darauf pochen, es sei ja "nur ein Roman", also eine erfundene Geschichte, z.B. im selben Interview darauf beharren, daß der Hintergrund ein seit Jahrtausenden gut dokumentiertes "Geheimnis" sei, das von finsteren Mächten (Vatikan, CIA, Freimaurer, Ärztekammer, "die Männer" ...) unterdrückt werde und man sich auf begeisterte Unterstützung durch "viele Wissenschaftler" beruft, während sehr leicht feststellbar ist, daß das genaue Gegenteil der Fall ist.


    Das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Wenn einer auf sein Buch "Roman" schreibt, dann ist es einer. Da kann er marketingmäßig machen, was immer ihm Freude macht, es bleibt ein Roman.
    Wenn er ein Geheimnis aufzudecken hat, soll er ein fachliches Buch schreiben, und dann kann er uns alle erschüttern mit seinen weltbewegenden Eröffnungen.


    BTW, falls Du Dan Brown meinst, ich frage mich, was die Aufregung soll? Diese Prieuré-Geschichte ist doch ein alter Hut. Lincoln/Baigent/Leigh haben ihr erstes Buch vor 20 Jahren rausgebracht!


    Bye,


    Grisel

  • Zitat von "Iris"

    Was mir wesentlich mehr Sorgen macht, ist der Umstand, daß die gleichbleibende Nachfrage nach diesen nervig stereotypen »Die ...in« dazu führt, daß von Autoren -- und vor allem von Autorinnen zunehmend solche Storys verlangt werden -- und das nervt mich als Autor(in) wirklich!


    :freu: Genau! Das trifft einen Trend, den ich gar nicht kapiere. Ende der Achziger ist z.B. Elizabeth von Arnim (na, und ein paar andere mehr) wieder ausgegraben worden und wurde prompt als Frauen-Literatur verkauft. Dieses Phänomen, "Frauen von früher" als ihrer Zeit voraus zu verkaufen, geht also bis locker hinter 1900 n.Chr. und trifft nicht nur das "super-finstere" Mittelalter.
    Die gute Lisbet hatte zwar einen echt giftigen Humor Männern gegenüber. Aber meine werte Tante musste mir gut zureden, das erste Buch von ihr zu lesen - wegen der Beurteilung als Frauen-Literatur wollte ich es erst gar nicht haben!



    Das ist auch der eigentliche Grund für mich, manche "historischen Schinken" nicht in die Hand zu nehmen - weniger aus Angst vor historischen Fehlern als mehr die Angst vor der falschen Verpackung.


    :grmpf: Aber das ist eigentlich ein Thema für ein anderes Forum.

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  • Hallo, Grisel!


    Dir ist schon klar, daß du mich gerade vom Schreiben abhältst? ;)


    Zitat von "Grisel"

    Ich beurteile jeden Fall für sich. Ist es ein himmelschreiender Fehler, eine andere Deutung, etwas was man nur besser wissen kann (oder zu wissen glaubt!), wenn man das Glück hatte, die entsprechende Info zufällig gefunden zu haben, etc.


    Das ist schon klar: "Fehler" sind etwas, daß man graduell beurteilen muß. (Das sollten sich Lehrer mal hinter die Ohren schreiben!:breitgrins:)


    Zitat

    Es sind die himmelschreienden Fehler die mich ärgern, weil sie so unnötig sind. Ich gestehe, ich verstehe es auch einfach nicht, warum das so schwer zu sein scheint.


    Da gibt 's ein nettes Argument, das von der entsprechenden Seite häufig angewendet wird: "Hauptsache, es ist eine gute Geschichte."


    Offen gestanden, wenn jemand bei unschwierig überprüfbaren Dingen stümpert, dann kann es für mich keine "gute Geschichte" mehr werden. ;)


    Zitat

    Das ist wieder eine ganz andere Geschichte. Wenn einer auf sein Buch "Roman" schreibt, dann ist es einer. Da kann er marketingmäßig machen, was immer ihm Freude macht, es bleibt ein Roman.
    Wenn er ein Geheimnis aufzudecken hat, soll er ein fachliches Buch schreiben, und dann kann er uns alle erschüttern mit seinen weltbewegenden Eröffnungen.


    Dem widerspreche ich: Denn erstens wird in Sachbüchern genausoviel gestümpert wie in der Belletristik, und zweitens wird der Zweck von Literatur nicht ausschließlich dadurch definiert, Augengymnastik und mentalen Zeitvertreib zu liefern. Literatur (wie jede Art von Kunst) kann viel mehr -- und erst wenn sie die simple Augengymnastik übersteigt, wenn sie mich auf Ideen bringt, mich bereichert, dann ist es für mich eine "gute Geschichte".


    Nebenbei bemerkt ist das auch die einzige akzeptable Definition von Literatur als solche.
    Alles andere ist und bleibt trivial! Dann lieber Kino! :breitgrins:


    Zitat

    BTW, falls Du Dan Brown meinst, ich frage mich, was die Aufregung soll? Diese Prieuré-Geschichte ist doch ein alter Hut. Lincoln/Baigent/Leigh haben ihr erstes Buch vor 20 Jahren rausgebracht!


    Wenn es mir um Dan Brown ginge, hätte ich den Namen genannt. Es ist eine verbreitete Masche: Beide Argumente ("Roman = frei erfunden" <-> "Hintergrund real") werden nach Bedarf miteinander kombiniert und gegeneinander ausgetauscht. Auf diesen Zug mußte auch Dan Brown nur aufspringen -- ebenso wie auf die Züge mit den verschiedenen Verschwörungstheorien. Solche Drehrumdiebolzenargumentationen gab es schon bei den Sophisten im Athen des 4.Jhs. v.Chr. -- was sie nicht weniger unethisch macht. ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

  • Hi Iris!


    Zitat von "Iris"

    Dir ist schon klar, daß du mich gerade vom Schreiben abhältst? ;)


    Ui, schlechtes Gewissen meinerseits! :breitgrins:


    Zitat

    Offen gestanden, wenn jemand bei unschwierig überprüfbaren Dingen stümpert, dann kann es für mich keine "gute Geschichte" mehr werden. ;)


    Hängt natürlich immer davon ab, wie heftig es ist, aber prinzipiell sehe ich das anders. Wenn mir ein Buch von der Story her sehr gut gefällt, bin ich bereit, großzügiger zu sein. Oder sagen wir umgekehrt, wenn da viele Fehler sind, und die Geschichte ist banal, ja, was soll ich dann noch mit dem Buch?


    Zitat

    Dem widerspreche ich: Denn erstens wird in Sachbüchern genausoviel gestümpert wie in der Belletristik, und zweitens wird der Zweck von Literatur nicht ausschließlich dadurch definiert, Augengymnastik und mentalen Zeitvertreib zu liefern. Literatur (wie jede Art von Kunst) kann viel mehr -- und erst wenn sie die simple Augengymnastik übersteigt, wenn sie mich auf Ideen bringt, mich bereichert, dann ist es für mich eine "gute Geschichte".


    Das erstens bringt uns wieder zum vorigen Thema, wie man solche Bücher betrachten sollte.
    Beim zweitens widerspreche ich, weil ich persönlich es anders sehe. Natürlich suche ich stets nach dem "perfekten" Buch, wo einfach alles paßt, aber ich lese auch gern Bücher, die einfach nur nett sind, ohne mir mehr zu geben. Aber, hier waren wir schon mal. :smile:


    Zitat

    Wenn es mir um Dan Brown ginge, hätte ich den Namen genannt. Es ist eine verbreitete Masche: Beide Argumente ("Roman = frei erfunden" <-> "Hintergrund real") werden nach Bedarf miteinander kombiniert und gegeneinander ausgetauscht.


    So häufig bin ich persönlich noch nicht auf sowas gestoßen, daß ich da einen Trend heraussehen würde.


    Bye,


    Grisel

  • Hallo, Grisel!


    Du bist entschuldigt: Ich mache gerade Mittagspause. :breitgrins:


    Zitat von "Grisel"

    Wenn mir ein Buch von der Story her sehr gut gefällt, bin ich bereit, großzügiger zu sein. Oder sagen wir umgekehrt, wenn da viele Fehler sind, und die Geschichte ist banal, ja, was soll ich dann noch mit dem Buch?


    Selbstverständlich gibt es Fälle, wo ein literarisches Konzept die Realien manipuliert, ob das nun Schiller ist, Feuchtwanger oder auch Klaus Mann. Wenn mir das erkennbar gezeigt wird, dann habe ich damit auch kein Problem.
    Allermeistens kommen diese Mankos aber zusammen: Man hat eine superbanale, geradezu austauschbare Story (insbesondere beim "Die ... in"-Strickmuster), der gesamte Hintergrund ist kaum rudimentär recherchiert und die Daten sind auch noch der Story angepaßt.
    Oder die Autorin (meist sind es nun mal Autorinnen oder - selten - weibliche Pseudonyme männlicher Autoren) läßt das Ganze gleich in unteren Gesellschaftsschichten spielen, dann muß man offenbar auf keine Realien Rücksicht nehmen (als ob man sowieso nicht wüßte, wie die damals gelebt hätten:vogelzeigen:) und kann die vorurteilsgeschwängerte Phantasie wuchern lassen. ;)
    Dieses Zeug ist schlicht und einfach trivial! :)


    Mit dieser Feststellung verurteile ich keinen Leser zum Idioten -- ich lese selbst gelegentlich Triviales -- aber sicherlich nichts "Historisches", denn... s.o. :)


    Zitat

    Natürlich suche ich stets nach dem "perfekten" Buch, wo einfach alles paßt, aber ich lese auch gern Bücher, die einfach nur nett sind, ohne mir mehr zu geben.


    S.o. Es gibt sicherlich niemanden, der niemals Triviales liest (nehmen wir mal eine auf Klassiker fixierte Bildungsborniertheit aus!). Etwas als trivial zu bezeichnen, stempelt auch nicht den, der es auch gern mal liest, zum Deppen. Wer allerdings nur Triviales liest und anderes nicht gelten läßt, hat m.A.n. schon ein arg beschränktes Literaturverständnis. :breitgrins:


    Übrigens bin ich nicht der Ansicht, daß "Hochliteratur" sich im Gegensatz zur Trivialliteratur dadurch auszeichnet, daß sie schwer oder gar unverständlich ist! Das verzeihe ich nur Büchern aus früheren Jahrhunderten oder fremden Kulturkreisen, deren Verständnishorizont mit dem unseren nicht deckungsgleich ist.
    Ganz im Gegenteil adelt es ein richtig gutes Buch, daß es sehr gut lesbar ist ("fließt"), Denkanstöße liefert und zugleich Raum für eigene Bilder und Gedanken läßt.


    Zitat

    So häufig bin ich persönlich noch nicht auf sowas gestoßen, daß ich da einen Trend heraussehen würde.


    Die ganze Sache wird auch unter Kollegen immer wieder diskutiert, bei der Zusammenarbeit im Lektorat kommt so was oft genug zur Sprache, abgesehen davon wurde diese Auseinandersetzung schon zu Zeiten von Felix Dahn geführt -- sogar in Rezensionen werden mal diese, mal jene Positionen vertreten. Es ist wirklich nichts Neues.
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

  • Hallo Iris,


    Zitat von "Iris"

    S.o. Es gibt sicherlich niemanden, der niemals Triviales liest (nehmen wir mal eine auf Klassiker fixierte Bildungsborniertheit aus!). Etwas als trivial zu bezeichnen, stempelt auch nicht den, der es auch gern mal liest, zum Deppen. Wer allerdings nur Triviales liest und anderes nicht gelten läßt, hat m.A.n. schon ein arg beschränktes Literaturverständnis. :breitgrins:


    Wobei das eher den gegenteiligen Anschein hat (vielleicht täuscht dieser Eindruck ja - ich lasse mich gerne belehren). Bei mir kommt an:


    Triviale historische Romane sind unverzeihlich.


    Vielleicht kommt mein Eindruck aber auch nur von Historikus vehementen Postings, denn hier hat man ehrlich gesagt schon oft das Gefühl, dass man ein Depp ist, sobald man Diana Gabaldon gerne liest. Und sorry, aber das ist für mich ein absolutes Reizthema, weil ich denke, dass jeder das lesen sollte, was ihm gefällt, ohne dass er sich dafür rechtfertigen muss.


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.

  • Hi Iris!


    Zitat

    Selbstverständlich gibt es Fälle, wo ein literarisches Konzept die Realien manipuliert, ob das nun Schiller ist, Feuchtwanger oder auch Klaus Mann. Wenn mir das erkennbar gezeigt wird, dann habe ich damit auch kein Problem.


    So weit hinauf greife ich gar nicht, denn bei Klassikern ist das für mich wieder was anderes. Da erwarte ich ehrlich gesagt kaum historische Korrektheit.
    Es gibt einfach Bücher, die mir wahnsinnig gut gefallen, weil ich sie als gut geschrieben empfinde, obwohl sie die Geschichte so heftig zurecht biegen, daß es kracht, oder eben Fehler dabei sind.
    Ich registriere die Fehler, aber wenn der Rest paßt, sind sie mir nicht so wichtig. Ist meine ganz persönliche Art, damit umzugehen.


    Bye,


    Grisel

  • Zitat von "Iris"

    Es ist eine verbreitete Masche: Beide Argumente ("Roman = frei erfunden" <-> "Hintergrund real") werden nach Bedarf miteinander kombiniert und gegeneinander ausgetauscht.


    Wie grenzt man so etwas seriös ab? In einem anderen Forum gibt es gerade den aktuellen Fall "Die Päpstin", daher frage ich mich mal an diesem Beispiel entlang:


    Mal angenommen, Johanna hat gelebt. Dann wäre der Hintergrund real, aber das Drumherum frei erfunden, um einfach eine gute Story aus einem einzelnen Faktum zu machen. Wäre in meinen Augen in Ordnung, wenn das so im Klappentext (oder im Anhang) steht.


    Angenommen, Johanna hat nicht gelebt, dann wäre die Story vielleicht immer noch gut, aber der Anlass der Story wäre hanebüchen (weil man eine Päpstin nicht einfach gegen die Geschichte erfinden kann, eine Apothekerin oder Ärztin schon).


    Denn die Möglichkeit des Autoren ist ja immer, einen historischen Anlass zu nehmen und ihn in eine andere Richtung weiter zu entwicklen. à la "Was wäre passiert, wenn der Brief an den König doch nicht angekommen ist". Das ist bei moderner Literatur gang und gebe, dass Stories auf "Zeitungsschnipseln" basieren bzw. davon inspiriert werden und mehr ist dem Autoren auch nicht bekannt. Idee ergibt Plot.
    Dann wäre das Problem eines Autors historischer Romane, dass die Geschichte einfach schon passiert ist und dadurch festgelegt ist, speziell was Daten angeht - seine Eckpunkte sind schlicht absolut fixiert (im Gegensatz zu denen eines eines modernen Autors, dessen Auswirkungen in der Zukunft liegen).
    Und das Problem der Leser wäre, dass sie um diese Fixierung wissen und sich auf diese Fixierung einlassen.

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Hi Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Angenommen, Johanna hat nicht gelebt, dann wäre die Story vielleicht immer noch gut, aber der Anlass der Story wäre hanebüchen (weil man eine Päpstin nicht einfach gegen die Geschichte erfinden kann, eine Apothekerin oder Ärztin schon).


    Aber es gibt die Legende über sie. Sonst dürfte es ja auch keine Romane über zB Robin Hood geben oder König Artus. Wobei ich Romane über zweiteren zB, wenn sie ohne übersinnliche Elemente auskommen und sich der Autor bemüht, ihn in die überlieferte Geschichte einzubauen, sehr wohl unter die historischen rechne, obwohl das dann wohl Ansichtssache ist.


    Bye,


    Grisel

  • Hallo, Nimue!


    Zitat von "nimue"

    Wobei das eher den gegenteiligen Anschein hat (vielleicht täuscht dieser Eindruck ja - ich lasse mich gerne belehren). Bei mir kommt an:


    Triviale historische Romane sind unverzeihlich.


    Blödsinn! :breitgrins:
    Triviale historische Romane sind trivial. Punkt. Nicht mehr und nicht weniger.


    Ich für meinen Teil lese keine historischen Trivialromane, weil sich mir bei diesen Dingern schlichtweg die Fußnägel aufrollen -- und das tut weh! Ich spreche dabei von mir und niemand anderem!
    Ich habe ausdrücklich betont, daß die Festellung, ein bestimmtes Buch sei trivial, keineswegs eine Verurteilung der Leser dieses Buches darstellt. Warum auch? Wenn ich behaupte, daß Daimler teure Autos baut, erklärt das doch auch nicht automatisch jeden Mercedesfahrer zum Snob! :rollen:


    Zitat

    sorry, aber das ist für mich ein absolutes Reizthema, weil ich denke, dass jeder das lesen sollte, was ihm gefällt, ohne dass er sich dafür rechtfertigen muss.


    Über Gabaldon kann ich nichts sagen, die liegt thematisch einfach nicht in meiner Spur und meine Daumenkinotests im Buchladen haben mich nicht überzeugt, die Bücher zu kaufen. Deshalb kann und will ich diese Romane auch nicht en detail beurteilen.
    Ich verstehe allerdings auch nicht, warum Leser glauben, man erwarte von ihnen, sie müßten sich rechtfertigen, wenn sie etwas gerne lesen, was ein anderer verrissen hat oder auch nur als trivial bezeichnet.
    Die Welt ist groß und bunt. Ich z.B. bin ein großer Fan von Umberto Eco, dessen Roman Das Foucaultsche Pendel seinerzeit von Hellmuth Karasek im Literarischen Quartett nach Strich und Faden verrissen wurde. Die Tirade gipfelte in der Bemerkung: "Ich liebe Ballaststoffe, Ballaststoffe sind wichtig -- aber dieses Buch besteht nur aus Ballaststoffen!"
    Offen gestanden hat mich dieses Verdikt in meiner völlig gegenteiligen Ansicht über diesen Roman nicht im geringsten wanken lassen. Ich fand allerdings die zitierte Bemerkung so klasse, daß ich sie gerne als Beispiel für eine gegenteilige Meinung zu diesem Buch oder als "zündende Spitze" zitiert habe und noch immer zitiere.
    Ich begreife wirklich nicht, warum man einen Verriß nicht einfach stehenlassen kann anstatt sich den Schuh anzuziehen, man müsse sich jetzt rechtfertigen. Wie soll 's denn erst einem Autor gehen, wenn schon die Leser mit einem Verriß nicht leben können? ;)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

  • Zitat von "nimue"

    Bei mir kommt an:


    Triviale historische Romane sind unverzeihlich.


    Vielleicht kommt mein Eindruck aber auch nur von Historikus vehementen Postings, denn hier hat man ehrlich gesagt schon oft das Gefühl, dass man ein Depp ist, sobald man Diana Gabaldon gerne liest. Und sorry, aber das ist für mich ein absolutes Reizthema, weil ich denke, dass jeder das lesen sollte, was ihm gefällt, ohne dass er sich dafür rechtfertigen muss.


    Kann ich voll und ganz unterschreiben.


    LG :sonne:


    Bianca

  • Zitat von "Grisel"

    Aber es gibt die Legende über sie. Sonst dürfte es ja auch keine Romane über zB Robin Hood geben oder König Artus. Wobei ich Romane über zweiteren zB, wenn sie ohne übersinnliche Elemente auskommen und sich der Autor bemüht, ihn in die überlieferte Geschichte einzubauen, sehr wohl unter die historischen rechne, obwohl das dann wohl Ansichtssache ist.


    Grisel, allora, das sehe ich genauso - ich rechne mich zu denen, die die Existenz dieser Päpstin für sehr wahrscheinlich halten. Ich frage mich nur grundsätzlich, wie weit ein Autor gehen dürfte, um immer noch ernst genommen zu werden - die Genauigkeit des Umfelds alleine (Klima, Währung, Ernährung) kann es ja nicht sein, oder? Denn wenn eine Figur wie die Päpstin erfunden wäre, hätte jeder Autor ja wirklich heftigst in die Geschichte eingegriffen, während er das bei "normalen" Leuten nicht hätte.


    :confused: Robin Hood: Da soll die historische Ungenauigkeit ja schon längst passiert sein (habe ich zumindest mal gelesen): Angeblich habe er gar nicht alle Taten begangen, die man ihm zuschreibt (man hat einfach die Taten anderer Wegelagerer oder Räuber hinzu gerechnet, weil die anderen in Vergessenheit gerieten). Und zudem soll er gar nicht der edle Held gewesen sein, sondern heimtückisch, mordend, rücksichtslos etc. Wenn das stimmt, ist das Kind dann nicht schon längst in den Brunnen gefallen?

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  • Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    Wie grenzt man so etwas seriös ab?


    Gute Frage ... :confused:
    Im Grunde kann man kaum mehr tun als beobachten, wer wie argumentiert, und auf dieser Basis entscheiden, wem man Glauben schenkt. Und sich auch selbst informieren -- aber auch da muß man sich entscheiden, welchen Experten man vertraut.
    Es liegt am Ende in der eigenen Verantwortung.


    Zitat

    In einem anderen Forum gibt es gerade den aktuellen Fall "Die Päpstin", daher frage ich mich mal an diesem Beispiel entlang:


    Besonders aktuell ist der Fall nicht, da das Buch schon ein paar Järchen auf dem Buckel hat und der Archetyp der "Die ...in"-Romane ist. ;)
    Nur aus diesem Grund habe ich das Buch gekauft und gelesen.
    Auf die Diskussion möchte ich mich wirklich nciht mehr einlassen, irgendwann ist man der Sache schlichtweg müde.


    Zitat

    Dann wäre das Problem eines Autors historischer Romane, dass die Geschichte einfach schon passiert ist und dadurch festgelegt ist, speziell was Daten angeht - seine Eckpunkte sind schlicht absolut fixiert (im Gegensatz zu denen eines eines modernen Autors, dessen Auswirkungen in der Zukunft liegen).


    Ich bewege mich ja selbst in diesem Genre, und denke, daß man es so streng nicht sehen kann. Was reale Personen angeht, ist man auf bestimmte Daten festgelegt -- aber gilt das nicht ebenso für Ereignisse der zeitgeschichte? Dürfte man "straflos" die Wiedervereinigung nachträglich auf das Jahr 1984 vorverlegen, bloß weil der Held 1988 laut Plot schon tot ist und er doch verdammt nochmal eine große Rolle gespielt haben soll? :breitgrins:
    Ich bin auch der Ansicht, daß ein Autor historischer Romane (so sie mehr als trivial sein sollen) sich in der Mentalität, der Sachkultur, der Kunst, Literatur und Musik der Zeit, die er beschreibt, auskennen sollte -- vor allem um seiner selbst willen!
    In sehr, sehr vielen Fällen tappen einfach Blinde durch bunte Kulissen, die absolut nichts mit historischen Realien zu tun haben, sondern nur Vorurteile bedienen -- genauso wie es die zeitgenössische Trivialiteratur auch handhabt.
    Ich sehe also den Unterschied nicht wirklich.
    In beiden Fällen geht es doch darum (wie schon der alte Aristoteles sagte), daß der Erzähler eine Geschichte erzählt, wie sie möglich/wahrscheinlich ist bzw. möglich/wahrscheinlich gewesen wäre. Mehr geht sowieso nicht. :)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

  • Hallo, Bettina!


    Zitat von "Bettina"

    ich rechne mich zu denen, die die Existenz dieser Päpstin für sehr wahrscheinlich halten. Ich frage mich nur grundsätzlich, wie weit ein Autor gehen dürfte, um immer noch ernst genommen zu werden - die Genauigkeit des Umfelds alleine (Klima, Währung, Ernährung) kann es ja nicht sein, oder? Denn wenn eine Figur wie die Päpstin erfunden wäre, hätte jeder Autor ja wirklich heftigst in die Geschichte eingegriffen, während er das bei "normalen" Leuten nicht hätte.


    Mit Verlaub, wenn man sich die Quellen mal sehr genau anschaut, dann entlarvt sich die Legende von dieser "Päpstin" sehr schnell als eine griffige Kolportage auf der Basis von zwei frühmittelalterlichen Pamphleten aus der Feder der "spin doctors" von Gegenpäpsten. ;) Es gibt absolut keinen Hinweis darauf, daß jegliches Zeugnis für die Existenz eines weiblichen Papstes getilgt worden sei, weil ein weiblicher Papst für die Kirche eine Peinlichkeit gewesen sei, so groß, daß es deren Existenz bzw. Machtanspruch bedroht hätte. Das ist eine Behauptung, die auch bei strengster wissenschaftlicher Überprüfung jeglicher Grundlage entbehrt.
    Nicht daß die Kirche kein Geschichtsfälschung betrieben hat, aber jede Geschichtsfälschung hinterläßt Spuren in den Quellen, irgendwelche Quellen wurden immer übersehen -- und warum soll es ausgerechnet diesmal anders gewesen sein? Es gab weiß Gott Dinge, Personen und Ereignisse, die die Kirche in ihrem Machtanspruch und in ihrer Existenz bedroht haben -- eine Frau auf dem Pfaffenthron? Wirklich nicht!
    Das Ganze ist ein Märchen aus der Reformationszeit, um den Vatikan lächerlich zu machen. Das ist der einzige Schluß, den ein aufmerksames und kritisches Quellenstudium zuläßt. Schön wär 's, aber jenseits aller Wahrscheinlichkeit, da aufgrund der damaligen Verhältnisse schlichtweg unmöglich.
    Es gab päpstliche Konkubinen, Mütter, Schwestern, Töchter, die nachweislich die Macht in den Händen hielten, nach Gutdünken Päpste machten und absetzten -- die Verschwörungstheorie um eine Päpstin ist schlichtweg ein Konstrukt aus Spinnweben. ;)


    Bei Robin Hood hingegen bin ich auf Experten angewiesen, da kenne ich mich nicht aus -- würde ihn aber als Archetypen einer ganzen Bevölkerungsgruppe ansehen: Angehörige niederen Adels, die ihre Lehen verloren und fortan auf Raubzüge zu ihrem Lebensunterhalt angewiesen waren, oder ein freier (Groß)Bauer, der enteignet wurde. Wenn so ein Vogelfreier bei seinen ehemaligen Leibeigenen und Hörigen beliebter war als sein Nachfolger, ist schnell die Legende vom Rächer der Enterbten geboren. Ob es einen solchen Vogelfreien mit Namen Robin Hood gegeben hat, steht in den Sternen, der bedeutungschwangere Name ("Hood" - "Kappe", man denkt irgendwie sofort an die Jakobiner und ähnliches) scheint mir allerdings mehr auf die Erzählfreude der Menschen zurückzuführen als auf eine reale Person.
    Aber was soll 's! Es gab genügend seiner Art, warum sollte man nicht einen davon stellvertretend Robert of Locksley nennen? Auch Sophokles' Helden waren kein 100%igen historischen Figuren, aber sie dienten seinerzeit gut als glaubwürdige Exempel für menschliches Handeln. :)
    Liebe Grüße, :blume:
    Iris :sonne:

  • Huhuuu,


    Zitat

    Dürfte man "straflos" die Wiedervereinigung nachträglich auf das Jahr 1984 vorverlegen, bloß weil der Held 1988 laut Plot schon tot ist und er doch verdammt nochmal eine große Rolle gespielt haben soll?


    Dessen bin ich mir sogar sicher. Lass das Buch einen Amerikaner lesen (oder einen Jugendlichen im Jahre 2020) und er wird den Fehler nicht bemerken ;)


    Liebe Grüße
    nimue

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.