Kazuo Ishiguro - Als wir Waisen waren
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Inhalt
Christopher Banks wächst Anfang des 20. Jahrhunderts mit seinen Eltern in Shanghai auf. Sein Vater arbeitet für eine große Handelsgesellschaft, seine Mutter engagiert sich gegen den Opiumhandel, der viele Chinesen in die Drogensucht stürzt. Als Christopher zehn Jahre alt ist, verschwindet sein Vater und vier Wochen später auch seine Mutter; mit einem Schiff kommt er nach England zu seiner Verwandten. Christopher ist davon überzeugt, dass seine Eltern entführt wurden; sein großes Ziel ist es also, Detektiv zu werden und sie zu finden. Tatsächlich schlägt er nach dem Studium diese Laufbahn ein und löst einige bedeutende Fälle, bevor er nach Shanghai zurückkehrt, um die Suche nach seinen Eltern wieder aufzunehmen.
Meine Meinung
Die ersten zwei Drittel des Buches haben mir sehr gut gefallen: Viele Rückblenden zeigen die Erinnerungen Christophers an die Vergangenheit in Shanghai, auf die er seine Ermittlungen weitgehend stützt. Durch die Ich-Perspektive wird ein vielschichtiger Charakter sichtbar, der sich im Umgang mit den Menschen nicht immer als allzu einfach erweist. Sarah, der Christopher auf verschiedenen gesellschaftlichen Anlässen begegnet, fasziniert sowohl ihn als auch den Leser durch ihr ungewöhnliches Wesen. Die Spannung spitzt sich immer mehr zu; in Shanghai erreicht sie schließlich ihren Höhepunkt.
Allerdings hat mir das letzte Drittel bei weitem nicht so gut gefallen wie die ersten beiden. Der Charakter Sarahs wie auch die ganze Beziehung zwischen ihr und der Hauptfigur erreichen nicht das Maß an Tiefe, dass ich durch den Anfang erwartet und erhofft hätte. So bleibt sie im Ganzen doch etwas flach und mehr eigentümlich als faszinierend. Das fand ich schade.
Christopher scheint zeitweise völlig übergeschnappt zu sein, so denkt er
seine Eltern seien zwanzig Jahre lang in einem bestimmten Haus gefangen gehalten und er müsse sie retten. Auf dem Weg zu diesem Haus, von dem er auch nur zufällig erfahren hat und das mitten im Krisengebiet liegt, trifft er einen verwundeten Japaner. Er fantasiert, dass es sich um seinen Freund Akira handelt.
Prinzipiell hätte ich es nicht als schlimm empfunden, wenn er den Verstand verloren hätte, das hätte ich sogar begrüßt! Aber so sind diese Szenen nur verwirrend und wirken etwas unkoordiniert. Auch das Verhalten der Menschen ihm gegenüber in diesen Situationen ist äußerst merkwürdig;
ich kann mir zum Beispiel kaum vorstellen, dass chinesische Offiziere während dieser Krisenzeit nahe der Front gegenüber irgendeinem fremden Ausländer so zuvorkommend versuchen, seine wahnsinnigen Ideen zu verwirklichen.
Auch die Auflösung empfand ich als eher enttäuschend und nicht gerade einfallsreich; das Ende mit Jennifer war mir persönlich etwas zu kitschig.
Die Sprache hat mir dafür durchgehend sehr gut gefallen; der Stil ist klar, flüssig und elegant. Auch weil mich die ersten zwei Drittel wirklich überzeugt haben, werde ich mich bestimmt irgendwann wieder einem Buch von Kazuo Ishiguro versuchen (und dabei hoffentlich ein vollständig gutes erwischen).
Es ist mir unbegreiflich, wieso dieses Buch als Kriminalroman betitelt wurde; meiner Meinung nach hat "Als wir Waisen waren" mit diesem Genre nur den Beruf des Protagonisten gemeinsam. Details über die Fälle, bzw. den Fall werden kaum erwähnt.
Fazit
Eine hervorragend geschriebener Roman über einen jungen Mann auf den Spuren seiner Vergangenheit, der in der ersten Hälfte glänzt, dann aber immer mehr nachlässt, um ein schwaches und (für mich) enttäuschendes Ende zu liefern. Schade.
Liebe Grüße,
mondpilz