Joseph O'Connor - Die Überfahrt/Star of the Sea

Es gibt 4 Antworten in diesem Thema, welches 2.034 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

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    Originaltitel: Star of the Sea


    November 1847: Die große Hungersnot kostet in Irland täglich hunderte Menschenleben. Einige der von ihrem Land vertriebenen Bauern versuchen der bitteren Armut durch Auswanderung zu entkommen. Auf der „Stella Maris“, die die Strecke nach New York befährt, befinden sich aber nicht nur verarmte Ex-Bauern, sondern es gibt auch einige 1. Klasse-Passagiere, darunter der bankrotte Lord Merredith mit Familie und Kindermädchen und der Erzähler, der amerikanische Journalist Grantley Dixon. Lord Merredith hatte bis zuletzt, trotz riesigem Schuldenberg, versucht, seine Pächter vor Tod und Vertreibung zu bewahren, aber da es ihm nicht gelang, hat auch er sich den Zorn irischer Untergrundorganisationen zugezogen und eine von diesen versucht nun einen der unglücklichen Passagiere der 3. Klasse zur Ermordung des Lords zu erpressen.


    Der Klappentext nennt „Die Überfahrt“ einen „packenden Thriller“, was mal wieder ein hervorragendes Beispiel für unpassende Klappentexte ist. Das Buch ist als Bericht des Journalisten gestaltet, der die einzelnen Geschehnisse teilweise selbst miterlebt hat und zudem die entsprechenden Hintergrundinformationen zusammengetragen hat. Thrillerhandlung gibt es eigentlich gar nicht, stattdessen werden zunächst die Lebensgeschichten der einzelnen Figuren erzählt, wobei sich ständig neue Querverbindungen zwischen so ziemlich allen handelnden Personen ergeben. In der Gegenwart, auf dem Schiff, passiert in der Zeit relativ wenig und man wartet als Leser lange Zeit auf den großen Knall. Der fällt eher leise aus, plötzlich ist alles vorbei und die Wendung, die sich am Ende ergibt, ist zwar überraschend, aber nicht umwerfend.


    Dabei ist das Buch an sich nicht schlecht, aber es ist nun einmal hauptsächlich eine Geschichte darüber, wie wenig jeder, ob Bauer, Verbrecher oder Lord sein Schicksal selber bestimmen kann, dass keiner von ihnen sein Leben so zu führen vermag, wie er es sich eigentlich wünschte. Die Sinnlosigkeit des geplanten Mords ist da nur das i-Tüpfelchen auf der Darstellung der Unplanbarkeit eines Lebensweges.


    Eine amüsante Anekdote muss ich noch loswerden: Der Journalist, der viel lieber Autor wäre (wieder einer dessen Leben nicht so verläuft, wie er es sich wünscht), zieht über ein neu erschienenes Buch her und fragt sich, wieso das gedruckt wurde und keiner sein Buch verlegen will - bei dem so unglaublich schlechten Buch handelt es sich um "Sturmhöhe". Da reicht „Die Überfahrt" natürlich nicht heran, aber es ist trotzdem eine interessante und manchmal mit verstörenden Details aufwartende Geschichte über das Leben in England und Irland in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Joseph O'Connor - Die Überfahrt“ zu „Joseph O'Connor - Die Überfahrt/Star of the Sea“ geändert.
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    An Bord eines altersschwachen Passagierschiffs namens "Star of the Sea" sind zahlreiche Iren auf dem Weg nach Amerika, auf der Flucht vor der verheerenden Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts. Ausgelöst wurde die Katastrophe durch die Kartoffelfäule, die die Ernten vernichtet hat, das noch viel größere Problem war jedoch der hartherzige Umgang der Engländer mit den Iren und der Großgrundbesitzer mit ihren Pächtern.


    Krasse Standesunterschiede sind auch auf dem Schiff nur zu spürbar. Während die Ärmsten der Armen unter menschenunwürdigen Bedingungen im Unterdeck zusammengepfercht sind, lassen sich die Passagiere der 1. Klasse beim Kapitänsdinner Champagner und feinste Menüs schmecken. Unter ihnen ist der Gutsbesitzer David Merridith, der mit seiner Familie samt Kindermädchen auf dem Weg zu neuen Ufern ist. Er ahnt nicht, dass sich Unheil zusammenbraut und der unheimliche Mann, der Nacht für Nacht schlaflos auf dem Unterdeck herumtigert, ein gedungener Mörder ist, der ihm nach dem Leben trachtet.


    Wer warum dahintersteckt, ist nur ein Aspekt der komplexen Handlung. Das Buch schildert nicht nur die Überfahrt (insofern greift der deutsche Titel viel zu kurz), sondern enthält viel mehr als das, ein verzweigtes Geflecht von Lebensgeschichten, die gleichzeitig die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Irland und England widerspiegeln und so verschiedenartige Schauplätze umfasst wie die ärmlichen Behausungen der irischen Kleinbauern, kunstsinnige Salons in opulenten Herrenhäusern und das übelste Gefängnis von London.


    Es geht um tiefstes Elend, Rebellion gegen kaltherzige Herrscher, seelische Qualen hinter schönen und weniger schönen Fassaden, tragische unstandesgemäße Liebesgeschichten, Familienzwist, aber auch um Entwicklungen in der zeitgenössischen Literatur, religiöse Traditionen und irische Volkslieder. Kurz, es ist eine Wundertüte prall gefüllt mit unvergesslichen, nicht immer einfachen, aber dafür umso interessanteren Gestalten, die immer wieder von neuem zu fesseln und zu überraschen versteht. Insbesondere der Bösewicht ist nicht das eindimensionale Monster, als das er in der Öffentlichkeit häufig gezeichnet wird.


    Charles Dickens, der im Buch gelegentlich erwähnt wird, stand sicherlich ein stückweit Pate für dieses Buch, was die Atmosphäre angeht, allerdings ohne den Kitschfaktor, den seine Bücher gerne einmal haben. Sehr schön auch die Erzählweise, ein Konglomerat unterschiedlicher Erzählstimmen, die ein harmonisches und faszinierendes Ganzes ergeben: Auszüge aus dem Tagebuch des Kapitäns, Aufzeichnungen und Romanentwürfe eines Journalisten und aufstrebenden Schriftstellers, der an Bord des Schiffes ist und einen Teil der Ereignisse als neutraler Beobachter miterlebt, Briefe, auktoriale und personale Erzähler wechseln sich ab, was sehr gut zu den zahlreichen Fäden passt, die sich schließlich miteinander zu einem Gesamtbild verknüpfen.


    Ein vielschichtiger Roman, der mir mit seinen vielen verschiedenen Facetten ausgesprochen gut gefallen hat.


    4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ein Buch, das ich mir ganz unbedingt nochmal "auf die Fahne schreib'" ;)

    - nach deiner Beurteilung nochmal mehr! (Hatte es mal ausgeliehen, aber leider in der zur Verfügung stehenden Zeit nicht gelesen...)

    "Bücher sind meine Leuchttürme" (Dorothy E. Stevenson)

  • Sagota , Doris : das freut mich sehr und ich hoffe, dass es Euch genauso gut gefällt wie mir.


    Es ist nur jammerschade, dass das Buch im Deutschen so einen langweiligen Titel hat. "Meeresstern" oder "Stern der Meere" wäre so viel schöner und passender gewesen! Oder auch "Stella Maris", wie die niederländische Ausgabe heißt :herz:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen