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Carsten Polzin (Hrsg.) - Das Fest der Vampire: Phantastische Weihnachtsstorys
Kurzbeschreibung:
Wenn Vampire in der Weihnachtsnacht zuschlagen. Wenn Dämonen in kalten Welten Unheil anrichten. Wenn Abenteurer im ewigen Eis ihr Schicksal finden … Die beliebtesten phantastischen Autoren unserer Zeit führen mit neuen unheimlichen, überraschenden und humorvollen Geschichten in magische Winterreiche.
Meine Meinung:
In der Kürze liegt die Würze - deswegen haben Kurzgeschichten auch ihren ganz eigenen Reiz für mich und ich lese zwischendurch immer wieder mal gerne eine Kurzgeschichtensammlung. Hier scheint sich beim Piper-Verlag so etwas wie eine Tradition zu entwickeln; zum zweiten Mal bereits präsentiert Carsten Polzin weihnachtliche Fantasy-Kurzgeschichten - ideal zum häppchenweise Weglesen an den Weihnachtsfeiertagen. Natürlich ist es schwierig, epische Fantasy in 20 Seiten zu pressen; keine kapitelweisen Landschaftsbeschreibungen und lange Wanderungen, sondern knackige Geschichten mit einem steilen Spannungsbogen sind angesagt - gar nicht so einfach. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Ich hatte jedenfalls überwiegend Spaß und Freude an den Geschichten und würde mich freuen, wenn es auch eine dritte Piper-Weihnachtsanthologie gäbe.
Noch ein Wort zum Titel: der ist wohl dem aktuellen Vampirwahn geschuldet, leider aber auch ein Schuss nach hinten, denn: in kaum einer der Geschichten kommt ein Vampir vor, und wenn, dann bestimmt nicht im aktuellen romantisch-verklärten Anstrich. Das führt einerseits zur Enttäuschung bei den meist jugendlichen Vampirleser(innen), die mit einer völlig anderen Erwartungshaltung an das Buch herangehen (die amazon-Rezis sprechen Bände). Andererseits wird man mit diesem Titel (und Cover ) wohl kaum das passende Zielpublikum für die Kurzgeschichten ansprechen, nämlich experimentierfreudige Fantasy-Leser mit Sinn für anspruchsvolle Texte jenseits des Fantasy-Mainstreams. Vielleicht lernt man ja daraus....
Jetzt zu den einzelnen Geschichten:
Jonathan Barnes - Mr. Coldicutts Party
Der Anfang ist recht lustig, eine Weihnachtsparty steht an und es wird in einer ironisch-amüsanten Weise berichtet, wie sich die Angestellten der Werbeagentur Coldicutt & White darauf vorbereiten. Trotzdem ist die Geschichte von Anfang an auch unheimlich, denn es kommt ständig ein Mann darin vor, der eigentlich gar nicht vorkommen dürfte. Dementsprechend vorbereitet wunderte es mich dann nicht mehr, dass die Geschichte im letzten Drittel umschlägt und sehr gruselig wird. Fazit: Weihnachtspartys können echt gefährlich sein, am besten nicht hingehen. Sprachlich ein Hochgenuss, diese Geschichte.
Susanne Gerdom - Lang lebe die Königin
Auch bei Susanne Gerdom geht es sehr düster zu, und dazu noch blutig. Aus dem weihnachtlichen Motiv der Geburt macht die Autorin eine Wiedergeburt der ganz besonderen Art. Die titelgebende Königin ist nämlich tot, was der König in seinem Gram aber nicht akzeptieren will. Da kommt ein gewisser Nekromant gerade recht, um seine finsteren Künste ausgerechnet an Heilig Abend unter Beweis zu stellen. Etwas künstlich, wie hier der Bezug zu Weihnachten konstruiert wird; die Handlung könnte genauso gut an Ostern stattfinden (Wiederauferstehung und so ). Der Schreibstil gefiel mir gut, sehr bildhaft und eindringlich.
Tobias O. Meißner - Von draußen
Tobias O. Meißner präsentiert uns diesmal einen waschechten Weihnachtskrimi, der sich wirklich klasse liest - ich habe aber auch nichts anderes erwartet! Dabei sind auch wieder mehrere Ebenen berührt; zum einen der Kriminalfall (mit anfangs 3 Toten am Heilig Abend), zum anderen seine phantastische Auflösung, die einmal mehr das Weihnachtsfest aus einem kritischen Blickwinkel heraus beleuchtet und dabei natürlich herrlich überspitzt ist. Ein bemerkenswertes Nebenphänomen ist die Schilderung von Kommissar Zundts grippalem Infekt; wer Spaß daran hat, kann zählen, auf wieviel verschiedene Arten man den Rotz in der Nase hochziehen oder rausschneuzen kann - die Kreativität des Autor kennt hier keine Grenzen. Dazu noch der außergewöhnliche Sprachstil, der mich bei manchen Wörter vermuten lässt, dass Tobias sie eigens für die Geschichte erfunden hat. Toll, kann ich da einfach nur sagen!
John Moore - Schneeschuhe
War klar, dass nach drei guten Geschichten irgendwann der Absturz kommen musste - hier isser. Diese Geschichte ist extrem langatmig, reitet auf dem Schuhtick der Frauen herum und hat mit Weihnachten so überhaupt nichts zu tun. Das einzig originelle ist hier ein Hund, über dessen Identität ich hier nichts näheres sagen will, um nicht zu spoilern. Auf diesen kleinen Gesellen hätte der Autor sich mehr konzentrieren sollen, anstatt alles aus der Sicht einiger nervöser Hotelbetreiber zu schildern. So fiel es mir ausnehmend schwer, die Geschichte mit den Schuhen flüssig durchzulesen und dabei auch noch Spaß zu haben.
Julia Conrad - Blüten
Das ist eine süße Geschichte, die liebe ich! Es handelt sich im wesentlichen um den Dialog zwischen einer Krähe und einem Weihnachtsbaum, der erst einmal über seinen Daseinszweck aufgeklärt werden muss, was der Krähe natürlich gut gefällt, da sie sich wichtig tun kann. Schön, wie die Krähe den Sinn des Weihnachtsfestes aus ihrer Sicht erklärt und wie der Weihnachtsbaum dann reagiert - fantasisch, bewegend und voller Symbolkraft. Sehr gelungen!
David Wellington - Das Experiment
Das ist eine ziemlich grausame Geschichte, in der ein gefangener Vampir verschiedene Experimente durchlaufen muss - man könnte auch sagen, er wird gefoltert. Ich hab mich sehr unwohl mit dieser Geschichte gefühlt, sie ist null weihnachtlich und gehört zu den Geschichten, die zu jeder Jahreszeit stattfinden könnten; nur da es für diese Anthologie zweckdienlich ist, wurde sie auf den Heiligen Abend verlegt. Davon bin ich nicht begeistert und ich finde, manche Autoren könnten sich ein bisschen mehr Mühe geben, um ihre Geschichten mit einem weihnachtlichen Thema zu verflechten. Diese Geschichte fand ich überflüssig.
William King - Karpfen im Netz
In dieser Geschichte wird mehrmals auf Lovecraft Bezug genommen, und wie eine Lovecraft-Geschichte kommt sie auch rüber; düster, dunkel, gruselig. Dazu Prag als Setting - und dass Prag ein wunderbares Pflaster für gruselige Geschichten ist, das haben wir kürzlich erst in einer Leserunde zu einem Prag-Krimi festgestellt. Mir hat diese Geschichte einer jungen Amerikanerin, die mit einer Welt außerhalb unserer Welt konfrontiert wird, recht gut gefallen. Der Autor hat sich auch bemüht, die Kurve zu Weihnachten zu finden, was ihm mittels der Weihnachtskarpfen ganz gut gelungen ist. Doch, das lässt sich lesen.
Terry Pratchett - Zwanzig Pence mit Umschlag und Weihnachtsgruß
Oh weh, diese Geschichte hab ich überhaupt nicht verstanden! Es geht schon los mit den verschiedenen Erzählebenen: am Anfang kommt ein Zeitungsartikel über einen Kutscher; dann ein Tagebucheintrag des Arztes des Kutschers, der in diesem Zuge dann die Geschichte des Kutschers erzählt. Dieser Kutscher ist mit seinen Fahrgästen während eines Schneesturms unterwegs und hat ein Erlebnis, dass ihn in den Wahnsinn treibt: er trifft auf ein quadratisches Loch, das er später dann als Tor zu Hölle bezeichnet. Dahinter befindet sich eine schneefreie, braune Ebene, in der sich auch andere Menschen orientierungslos bewegen. Mal scheint eine vertraute Straße aufzutauchen, mal trifft man auf Dinge wie ein überdimensionales Rotkelchen. Überall befinden sich reflektierende Silberplättchen, und im Text tauchen immer wieder Einwürfe wie "Zwanzig Pence, mit Umschlag und Weihnachtsgruß!" oder "Weihnachtsgrüße! Von allen im Büro!" auf. Ich war beim Lesen völlig ratlos und kann es mir nur so erklären, dass ich hier größere Leselücken habe und mit etwas mehr Vorkenntnissen das Pratchett-Universum besser hätte einordnen können. Oder ist die Geschichte einfach nur schlecht? Hm...
Daniela Knor - Mittwinternacht
Hm, ich finde es ja immer ein bisschen unglücklich, wenn Autoren ihre Kurzgeschichten als Ausschnitte aus einem ihrer bisherigen Werke konzipieren; der treue Leser hat zwar seinen Spaß aufgrund von Wiedererkennungseffekten und hat außerdem unter Umständen ein umfassendes Bild der Welt, aus der die Geschichte stammt. Nicht so der Neuling, der sich ganz unvoreingenommen und ohne Vorkenntnisse an die Geschichte wagt. So ging es mir auch bei Daniela Knor; bereits die Vorbemerkung der Autorin: "Diese Geschichte spielt 10 Jahre vor den Ereignissen, die in meinem Roman "Nachtreiter" beschrieben werden." hat mir ein bisschen die Freude an der Geschichte genommen. Die Handlung selbst fand ich nichtssagend, zwei Kinder huschen nachts durch eine (mittelalterliche?) Burg und zaubern ein bisschen; es ist gerade die Wintersonnenwende und der Zauber klappt offenbar. Hm. Dazu noch ein Sprachstil, den ich ganz offen gesagt als hölzern bezeichnen würde. Nein, der Bringer ist diese Geschichte nicht und ich werde auch vorerst meine Finger von "Nachtreiter" lassen.
Michael Peinkofer - Das Geschenk
Ein zweit- oder eher drittklassiger Illusionist gerät unversehens in den Kampf zwischen den Mächten der Finsternis und den Mächten des Lichts. Das gibt doch jede Menge Stoff für eine temporeiche Geschichte, die mir sehr gut gefallen hat. Schon allein die Schilderung der missglückten Versuche des großen Raganrick, sein Publikum mit billigen Zaubertricks zu fesseln, sind lesenswert und hat mich zum Schmunzeln gebracht - natürlich blamiert sich der Künstler bis auf die Knochen. Mit seinem Latein am Ende, sitzt er in seiner Garderobe und fängt an, sich zu betrinken, damit es ihm nachher leichter fällt, sich die Kugel zu geben. Da tritt ein alter Mann in sein Leben und ab da ist nichts mehr so, wie es wahr.... Diese Geschichte ist bis jetzt die actionreichste, es gibt eine Verfolgungsjagd und ein paar wirklich düstere Momente, aber auch ein Verwandlung und ein neues Leben für unseren glücklosen Zauberer. Die Geschichte ist nicht weihnachtlich im eigentlichen Sinn, aber sie hat Bezug zur Wintersonnenwende und damit irgendwo meinen Nerv getroffen. Michael Peinkofer ist also weiterhin ein Garant für spannende und spritzige Kurzgeschichten, wie schon in "Das Fest der Zwerge".
Thomas Plischke - Horch was kommt von draußen rein
Noch ein Knaller - Mann, ist diese Geschichte vielleicht böse! Sehr gekonnt gemacht, wie zunächst aus der Perspektive eines kleinen Mädchens erzählt wird, das auf den Weihnachtsmann oder notfalls auch Knecht Rupprecht wartet. Er kommt auch tatsächlich, sieht allerdings ein wenig seltsam aus, so ganz ohne Bart und rote Mütze... es entspinnt sich ein netter Dialog zwischen den beiden und der "Weihnachtsmann" stellt ganz seltsame Fragen. Warum er dann einen Zettel an die Eltern schreibt, versteht Leonie nicht so ganz, und mit ihm mitkommen möchte sie eigentlich auch nicht, obwohl er ihr eine Fahrt im Rentierschlitten versprochen hat. Aber was so ein kleines Mädchen ist, das weiß sich schon zu wehren gegen falsche Weihnachtsmänner... wie, das lest besser selbst. Für mich die Geschichte mit der besten Pointe von allen.
Thomas Finn - Meister Calamitas' erstaunliche Kuriositäten
Die Geschichte ist eingebettet in die Rahmenerzählung, in der ein Großvater seinen beiden Enkelkindern erzählt, warum in Tannfurt jedes Jahr das Lichterfest gefeiert wird. Der Autor bastelt sich also quasi sein eigenes Weihnachten, was für mich in Ordnung geht, da die Stimmung passt - es gibt Gans, viele Lichter brennen und die Kinder sind ganz ungeduldig. In der Kerngeschichte geht es um Ivo, einen jungen Dieb, der sich ausgerechnet einen Zauberer ausgesucht hat, um ihn zu beklauen. Das Ganze ist sehr märchenhaft und poetisch erzählt, was mir natürlich sehr gut gefallen hat. Durch die magische Verkleinerung der Hauptfiguren auf Däumlingsgröße (ein Motiv, dass auch in den "Chroniken der Nebelkriege" vorkommt), erhält die Geschichte einen besonderen Reiz; denn die Schilderung der Räume des alten Fachwerkhauses aus Däumlingssicht ist ein besonderer Leckerbissen. Bücher werden plötzlich zu haushohen Gegenständen, Lesebändchen zu schweren Teppichen und Fliegenklatschen zu Mordinstrumenten. Nicht zu vergessen Kater Abraxas, der als schwarzes Riesenmonster erscheint, noch dazu als hungriges. Sehr phantasiereich und stimmungsvoll ausgearbeitet, dieses Märchen, und am Ende bekommt der böse Zauberer, was er verdient. Für alle anderen gilt: wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute. Einer der Höhepunkte des Buches!
Charlotte Kerner - Vierundzwanzig Hahnenschreie
Puh, diese Geschichte ist natürlich nach dem märchenhaften Vorgänger wie eine kalte Dusche. Aber vom Text her nicht uninteressant; die Autorin schildert den Spaziergang eines Mannes an Heilig Abend durch ein mediterranes, trostloses Örtchen. Er hat offenbar Migräne und dadurch geht es ihm einerseits gar nicht gut, andererseits heuchelt ihm sein Gehirn so einiges vor; zum Beispiel trifft er auf Agatha Christie, die gerade eine mörderische Kurzgeschichte schreibt, und er hat noch weitere Halluzinationen und Assoziationen - zwischendurch kommen ihm immer wieder verschiedene Weihnachtlieder in den Sinn. Der beste Satz des Buches steht fast am Ende: "Die besinnlichen Tage haben schon so manchen um die Besinnung gebracht." Ja, ein sehr bemerkenswerter Beitrag, an dem mich nur zwei längere Fußnoten gestört haben, die zwar zum Textverständnis ganz gut waren, mich aber zweimal aus dem Lesefluss gebracht haben, was bei Kurzgeschichten natürlich fatal ist. Das wäre sicher auch eleganter gegangen. Trotzdem, Charlotte Kerner - eine interessante Autorin mit einem messerscharfen Schreibstil.
Florian Straub - Das Ritual
Wah, jetzt feiern sogar die Dämonen schon Weihnachten! Natürlich auf ihre ganz ureigenste Weise, die mir so einige Schauer über den Rücken jagte. Was bei Dämonen und Menschen gleich ist: Kommunikation ist alles - das sollte das Dämonenmädchen Vara bedenken, bevor sie ihre eigenen Schlüsse über die Vorkommnisse in ihrer Familie zieht... Eine originelle Kurzgeschichte, die so weihnachtlich ist, wie sie unter diesen Umständen sein kann. *grusel*
Ian Watson - Wenn Jesus durch den Kamin kommt
Wie genial! Hier wird gleich Ostern, Pfingsten und Weihnachten auf einmal abgehandelt, außerdem der Untergang des römischen Reiches, das Aufkommen des Sozialismus und.... noch vieles mehr. Das muss man einfach gelesen haben und darüber geschmunzelt haben... Eine phantastische Geschichte!
So, es ist wie immer: es gibt ein paar herausragende Geschichten, ein paar durchschnittliche und welche für die Tonne. Daher meine Gesamtwertung:
+
EDIT: Betreff angepasst. LG Seychella