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Thomas Bernhard (1931-1989) Wittgensteins Neffe Erstveröffentlichung: 1982 Verlag: Suhrkamp gebundene Ausgabe 163 Seiten |
Inhalt (Verlagsinfo
Wittgensteins Neffe ist die Geschichte einer Freundschaft, mit der Thomas Bernhard seine Autobiographie in die Jahre 1967 bis 1979 fortführt. Bei einem Sanatoriumsaufenthalt vertieft sich seine Freundschaft mit Paul Wittgenstein, die mit leidenschaftlichen Diskussionen über Musik begonnen hatte. Der Mathematiker Wittgenstein, der Neffe Ludwig Wittgensteins, leidet seit seinem 35. Lebensjahr an einer Nervenkrankheit. Als Mitglied einer der reichsten Familien Österreichs anfangs finanziell unabhängig, verschenkt er sein Vermögen unbekümmert an andere, bis er selbst in Armut abgleitet und in seinen letzten Lebensjahren mehr und mehr vereinsamt. Nur mit seinem Freund Thomas Bernhard bleibt er verbunden, und dessen Notizen werden zum Bericht der Sterbegeschichte des Paul Wittgenstein.
Meine Meinung:
Thomas Bernhard schildert in der für ihn typischen Form des inneren Monologs ohne Absätze und Kapiteleinteilungen die Zeit seiner 12 Jahre währenden Freundschaft zu dem beinahe ein Vierteljahrhundert älteren österreichischen Mathematiker und Schriftsteller Paul Wittgenstein, einem Neffen des berühmten Philosophen Ludwig Wittgenstein, von der ersten Begegnung im Wiener Sanatorium am Steinhof - Bernhard in der Abteilung für Lungenkranke, Wittgenstein in der psychiatrischen Anstalt - bis zum Tode Wittgensteins.
Zunächst überwiegt Bernhards Bewunderung für den großen, in ganz Wien bekannten Exzentriker Paul Wittgenstein, seine Intelligenz, sein großes Wissen und seinen ausschweifenden Lebensstil. Er lässt den Leser teilhaben an der Freundschaft zu diesem nicht ganz einfachen Menschen und den gemeinsamen Interessen, insbesondere der großen Liebe zur Musik. Die Schilderung der gemeinsamen Unternehmungen haben mir sehr gefallen, die Spaziergänge, die Besuche im Hotel Sacher, um stundenlang gemeinsam Zeitung zu lesen oder Menschen zu beobachten, oder die Entgegennahme des Grillparzerpreises, die auch in T.B.s Buch "Meine Preise" äußerst amüsant beschrieben wird. Natürlich gibt's auch den einen oder anderen Seitenhieb gegen Österreich, und sei es nur, weil nirgends die gewünschte Neue Zürcher Zeitung erhältlich ist... Das alles hat mir sehr gut gefallen, und ich habe mich des öfteren köstlich amüsiert.
Gegen Ende des Buches allerdings wird der Ton nachdenklicher und mitfühlender, aber auch distanzierter, als der geistige und körperliche Verfall Wittgensteins voranschreitet, er keine Freude mehr an den gemeinsamen Interessen hat, durch seinen bisherigen ausschweifenden Lebensstil sein gesamtes Vermögen aus dem Fenster geworfen hat und wegen seiner Nervenkrankheit schließlich langsam den Verstand verliert. Dabei haben mich insbesondere die Schilderungen traurig gestimmt, in denen Bernhard schmerzlich den Verfall der einstigen Genialität und des Intellekts seines Freundes bedauert. Bedrückend auch der Moment, als Bernhard den alt gewordenen und gebrechlichen Freund auf der Straße sieht, in schäbiger Kleidung, wo dieser doch früher immer so viel Wert auf stilvolle Kleidung gelegt hat, und Bernhard sich nicht traut, ihn anzusprechen, ihm stattdessen aus dem Weg geht. In diesen Momenten habe ich ganz mit ihm gefühlt und musste das eine oder andere Mal einen recht dicken Kloß im Hals runterschlucken. Schließlich stirbt Paul Wittgenstein kurze Zeit später verwirrt, verarmt und einsam, und das schlichte Begräbnis war ursprünglich auch ganz anders geplant...
Besonders beeindruckt hat mich bei diesem Buch, wie einfühlsam Bernhard vorgeht und wie sehr er sich von seiner (unerwarteten) menschlichen Seite zeigt. Man merkt, wie wichtig ihm die Freundschaft zu Paul Wittgenstein war, und wie wichtig es ihm war, seinem Freund mit diesem Buch ein Denkmal zu setzen. Es ist ein Buch, das mir nicht nur Paul Wittgenstein nähergebracht hat, sondern auch den Menschen Thomas Bernhard. Meine Wertschätzung für diesen Schriftsteller wächst und wächst.
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