Bertrand Russell – History As An Art

  • Bei diesem Text handelt es sich einen Vortrag im Rahmen der Hermon Ould Memorial Lectures, den Russell 1954 gehalten hat, und der mir heute in der Bibliothek in die Finger fiel. Der Historiker in mir wollte dann schon gerne wissen, was dieser Nicht-Historiker denn darüber zu sagen hat, und ich kann feststellen, daß die Lektüre eine gute Entscheidung war.


    Russell schreibt den Fachwissenschaftlern nämlich ins Stammbuch, daß bei aller erstrebenswerten Faktentreue und notwendigen Genauigkeit, die den wissenschaftlichen Teil der Geschichtsschreibung ausmacht, der künstlerische – oder vielleicht eher: literarische – Aspekt nicht zu kurz kommen dürfe. Er glaubt auch nicht, daß das Bemühen Kausalzusammenhänge zu ermitteln, in der Geschichtsschreibung ein besonders sinnvolles Unterfangen ist, da die Wahrscheinlichkeit einer Wiederholung oder einer Prognosegenauigkeit daraus gering ist. Was nun den künstlerisch-literarischen Aspekt angeht, so äußert er sich dazu wie folgt:


    Zitat

    Some words, especially those invented for scientific purposes, have merely a dictionary meaning. If you found the word "tetrahedron" on a page, you would at once begin to feel bored. But the word "pyramid" is a fine rich word, which brings Pharaos and Aztecs floating to the mind.


    Würden doch mehr Wissenschaftler darauf hören und lesbare Texte schreiben! Um Nicht-Historiker für Geschichte zu begeistern, solle diese auch interessant wie ein guter Roman sein. Das erfordert aber von dem Historiker, daß er Stellung bezieht und seiner Erzählung Helden und Schurken zugesteht. Daß der Leser dann quasi „gezwungen“ ist, sich eine konträre Darstellung zu besorgen, um den Ausgleich zu bekommen, ist dabei allemale der langweiligen, um Ausgleich bemühten Darstellung vorzuziehen.


    Er bedauert, daß die Tradition der großen historischen Erzählungen durch Einzelwissenschaftler, wie sie das 18. und 19. Jahrhundert kannten, inzwischen dem Spezialistentum gewichen ist und untermalt mit vielen Beispielen, was für den „gemeinen“ historisch interessierten Leser ein Werk spannend zu lesen macht. Außerdem verweist er darauf – und auch das m. E. nicht zu Unrecht, aber da ist seit diesem Vortrag auch schon längst wieder ein Wandel festzustellen –, daß Geschichte vor allem als solche von Gesellschaften betrachtet wird und die Taten einzelner Menschen zu wenig Berücksichtigung fänden. Dabei sei es ein Fehler, die Bedeutung von Einzelpersönlichkeiten in der Geschichte zu schmälern, da damit auch Inspiration verlorengeht, auch wenn man diesen Personen nicht im Detail nacheifern muß oder auch (in manchen Fällen) nur sollte. Geschichte bzw. Geschichtsschreibung ist für Russell ein wesentlicher Bestandteil der Bildung, in anderer Form als bspw. die Naturwissenschaften:


    Zitat

    The multiplication table, though useful, can hardly be called beautiful. It is seldom that essential wisdom in regard to human destiny is to be found by remembering even its more difficult items. History, on the other hand, is - so I shall contend - a desirable part of everybody's mental furniture in the same kind of way as is generally recognized in the case of poetry.


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen