Jean-Marie Gustave Le Clézio - Der Goldsucher

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  • Hallo


    Jean-Marie Gustave Le Clézio: Der Goldsucher


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    Als im Jahre 2008 der Träger des Literaturnobelpreises verkündet wurde, reagierte Focus Online mit dem Artikel Voll daneben, in dem der Redakteur Jobst-Ulrich Brand über Preisvergaben der letzten Jahre lästerte - „Ja, dann schafft ihn doch am besten gleich ganz ab, den Literatur-Nobelpreis!“ - ohne konstruktive Literaturkritik zu leisten, obwohl schon damals Jean-Marie Gustave Le Clézio zu den am meisten gelesenen französischen Autoren auf der Welt gehörte, Deutschland ihn aber verschlafen hatte.


    Mit dem Roman „Der Goldsucher“ taucht Le Clézio in die Welt des Abenteuerromans ein. Der Leser wird allerdings überrascht sein, kein actionreiches Abenteuer vorzufinden, sondern er wird in einer farbigen Sprache gemächlich durch den Roman getragen, auch wenn der Romanaufhänger andere Hoffnungen weckt. Nach den Aufzeichnungen seines Vaters ist Alexis auf der Suche nach dem legendären Goldschatz eines unbekannten Korsaren, der schon seit hundert Jahren gesucht wird, und sein Vater herausgefunden haben will, der Schatz befinde sich auf der Insel Rodriguez im Indischen Ozean gelegen.


    Der Roman erzählt von der Naturverbundenheit des Menschen. „Immer, soweit ich zurückdenken kann, hab ich das Meer gehört.“ So beginnt der Roman. Das Meeresrauschen erfüllt Alexis mit „einer Sehnsucht, die er nicht begreife.“ Er lauscht seinem Vater zu, wie er vom Sternenhimmel erzählt, und wenn er im Jahre 1910 von Mauritius Richtung Rodriguez aufbricht, auf dem Deck des Schoners „Zeta“ liegt, dann „schwankt der Himmel zwischen den beiden Masten, die Sternbilder drehen sich, halten einen Augenblick inne und kehren in die Ausgangsstellung zurück.“

    Le Clézios poetische Malerei, die Landschaft Mauritius', die Fahrt auf dem Meer, usw. ist von eindringlicher Farbigkeit gezeichnet, die auf mich aber nicht ausufernd wirkt. So lese ich dutzende Seiten, lasse mich durch die Worte treiben wie auf einem Schiff, durchstreife Zuckerrohrplantagen, durchlebe wie ein Robinson Crusoe Alexis' Einsamkeit auf Rodriguez, die Suche nach dem Schatz. Was will ein Autor mehr, wenn er Leser mit seiner Erzählmagie so gewaltig mitreißen kann.


    Inhaltlich verdient der Roman besondere Aufmerksamkeit, weil das Abenteuer selbst, die Schatzsuche, in Frage gestellt wird. Trotzdem, ersteinmal lässt sich Alexis in den ersten Weltkrieg treiben, bevor seine Abenteuerreise zu einer Reise in seinen inneren Wesenskern führt.


    Um Kritik an Kolonialmächten ins Spiel zu bringen, hat Le Clézio u.a. die Kreolin Uma in den Roman gesetzt, eine wunderbare erdgebundene, mit zarten Strichen gezeichnete Frauengestalt, die sich für das Kosarengold nicht die Bohne interessiert. Die Gier der Kolonialherren, ihr Machtmissbrauch gegenüber einheimischer Landarbeiter kommt ihm Roman zum Tragen, schwelt aber eher im Hintergrund, sodass im Roman niemals Überheblichkeiten auftauchen, wie wir sind die Guten, ihr die Bösen, sondern es wird ja gerade die innere Wandlung des weißen Mannes Alexis aufgezeigt, der vor vielen Jahren als kleiner Junge mit seinem schwarzen Freund Denis auf Mauritius herumstreift, mit ihm Kindheitsabenteuer erlebt.


    Anhand dieses Romans kann die Begründung des Nobelpreiskomitees nachvollzogen werden, Jean-Marie Gustave Le Clézio sei ein „Verfasser des Aufbruchs, des poetischen Abenteuers und der sinnlichen Ekstase, dem Erforscher einer Menschlichkeit außerhalb und unterhalb der herrschenden Zivilisation«


    Bisher mein liebster Le Clézio!!


    Diesmal vergebe ich eine Rattenfamilie
    5ratten


    Liebe Grüße
    mombour

  • Danke, mombour, das hört sich wieder sehr interessant an. Daß die Abenteuergeschichte „Schatzsuche“, so habe ich Dich verstanden, nur den äußeren Aufhänger für die Selbstreflektion einerseits, die Kolonialkritik andererseits bildet, scheint mir ein positiver Aspekt. Zumindest ersteres erinnert mich auch durchaus an Joseph Conrad ....


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Hallo Aldawen,


    genau so ist es gemeint, wie du sagst. Kannst du mir einen Roman von Josef Conrad nennen, in dem es auch um Selbstreflektion geht? Würde mich interessieren....


    Liebe Grüße
    mombour

  • Besonders ausgeprägt fand ich es bei einigen seiner kürzeren Erzählungen, aus der Erinnerung z. B. Der geheime Teilhaber oder Gaspar Ruiz. Was Conrads Romane angeht, so klaffen bei mir noch bedauerliche Leselücken :sauer:

  • Hallo,


    Von Conrad habe ich bisher auch nur "Jugend" und "Das Herz der Finsternis" gelesen, weiterhin "Almayers Wahn", dessen Inhalt ich total vergessen habe und ein wenig im "Lord Jim" herumprobiert. Mehr nicht.


    Glücklicher Weise habe ich von Josef Conrad "Geschichten vom Hörensagen", darin u.a. "Gaspar Ruiz" und "Der geheime Teilhaber" enthalten sind. Super, und ein herzliches Dankeschön. :klatschen:


    Offenbar ist der Vergleich mit Conrad auf der Rückseite vom Goldsucher durchaus berechtigt.


    Liebe Grüße
    mombour

  • Hallo,


    auf meiner lange unterbrochenen Leseweltreise bin ich nun auch in der Inselwelt des Indischen Ozeans, auf Mauritius und Rodriguez gelandet.
    Le Clézios Roman ist so, wie ihn mombour sprachmächtig vorgestellt hat, von unbestrittener literarischer Qualität, warmer Menschlichkeit und Toleranz.


    Dennoch springt bei mir der Funke nicht über: Das zentrale Thema des Unbehaustseins, der Verlorenheit und der daraus resultierenden Sehnsucht als bestimmendes Lebensmerkmal ist so beherrschend in diesem Roman, dass er alle anderen Inhalte überdeckt. Das ist legitim und drückt ein wohl oft vorhandenes Lebensgefühl aus, allerdings nicht meins.


    Vom Stilistischen her ist Le Clézio - zumindest in diesem Roman - ein Schilderer, d.h. der Anteil der Dialoge ist marginal gegenüber der Schilderung von Seelenzuständen, Landschaften, Reisestimmungen, was ebenfalls nicht meinem Geschmack entspricht, aber sicherlich oft zu Momenten geradezu magischer Dichte findet.


    Der Vergleich mit Joseph Conrad, der hier mehrfach gezogen wurde, kam mir bei der Lektüre auch mehrfach in den Sinn, wobei die mir bekannten Conrad-Novellen zumindest häufiger in die Außensicht wechseln als der vorliegende Roman, der ganz von der Innensicht bestimmt ist.


    Fazit: Ein sehr interessantes, sprachlich schönes Werk, das nur nicht meinen Interessen entspricht. Für Freunde der literarischen Schilderung sicher eine sehr lohnende Lektüre.


    finsbury

  • Ende des 19. Jahrhunderts, Mauritius: Der Erzähler, Alexis, wächst glücklich auf, am liebsten treibt er sich im Dschungel und auf den Zuckerfeldern herum oder schwimmt mit seinem Freund im Meer. Wenn er im Haus ist, denkt er sich mit seiner Schwester Geschichten aus und liest europäische Zeitungen, die eine für ihn völlig fremde Welt beschreiben. Doch die Mutter erkrankt, der Vater ist ein Träumer, der sich mit immer neunen Ideen vor der Pleite zu retten versucht. Ein Wirbelsturm zerstört die hohle Idylle vollständig und zwingt die Familie in die Stadt und Alexis dazu, ein ordentliches Mitglied der (weißen) Gesellschaft der Insel zu werden. Doch der Traum vom Schatz des Korsaren – einer der Ideen seines Vaters – lässt ihn nicht los und führt ihn übers Meer zu einem Einsiedlerleben auf einer der Inseln des pazifischen Ozeans.


    Die Inselzeit wird im Buch durch den ersten Weltkrieg unterbrochen, an dem Alexis teilnimmt und die Geschehnisse auf den französischen und flandrischen Schlachtfeldern muten vor dem tropischen Hintergrund des Rests des Buchs seltsam an. Dabei werden die Tropen durchaus nicht als ein reines Paradies geschildert, es gibt Krankheiten und zerstörerische Naturgewalten, Armut und Ungeziefer, aber über all dem liegt ein impressionistischer Weichzeichner.


    Alexis ist ein Suchender, er findet keinen Frieden und keine Ruhe, die Suche nach dem Goldschatz bedeutet für ihn, ohne dass es ihm bewusst ist, zugleich die Suche nach dem verloren gegangenen Glück seiner Kindheit. Auch als er eine Frau (außer seiner Schwester) findet, die er liebt, kann er nicht von seinem großen Traum lassen und erkennt nicht, dass das Glück nicht in Gold zu messen ist.


    Das Buch hat im insgesamt recht gut gefallen, es war stimmungsvoll, es machte mich allerdings manchmal traurig, Alexis so in die Irre laufen zu sehen. Nur mit dem Schluss hatte ich Probleme, es wirkte auf mich unwahrscheinlich und so habe ich dem Erzähler nicht so ganz getraut, ob er mir von der Wirklichkeit erzählt oder sich nicht doch so einiges nur erträumt.


    4ratten