Peinlicherweise ist mir erst als es (ziemlich spät) im Buch erwähnt wurde, aufgefallen, dass „Drood“ ja ein Bestandteil des Titels von Dickens letztem, nicht fertigstellten Roman ist – und das obwohl ich doch schon mal einen Roman darüber gelesen habe. So bin ich also ziemlich unvoreingenommen an diese Geschichte herangegangen und habe viktorianischen Grusel und Interessantes zu echten Personen der (Literatur-)Geschichte erwartet.
Das gab es dann auch, Wilkie Collins gibt den Erzähler und guten Freund Charles Dickens‘, der ihm deswegen auch prompt von dem Zugunglück erzählt, welches er nur mit Glück überlebt hat und von dem seltsamen Mann, der aussah, wie eine Personifikation des Todes und zwischen den Sterbenden umherging. Dickens will diesen Mann suchen, und im Verlauf der mehrere Jahre umfassenden Erzählung gibt es Ausflüge in die Slums und Unterwelt Londons, Mesmerismus im Übermaß, aber auch immer wieder schriftstellerischen Alltag und familiäre Sorgen. Dabei sorgten manche Beschreibungen und vor allem Ansichten zu Grummeln und Augenrollen bei mir, sind aber zum Teil sicherlich einfach nur korrekte historische Darstellung der damaligen Normalität.
Am Anfang war ich auch meist mit dem Erzähler Wilkie Collins auf einer Seite und habe seine immer wieder eingefügten spitzen Seitenhiebe als berechtigte Kritik an einem arroganten Dickens betrachtet, doch mit der Zeit erschien er mir immer mehr als simpler Miesepeter, der allen alles missgönnt. Seine offensichtlichen, von seiner Laudanum-/Opiumsucht genährten Wahnvorstellungen trugen das Ihrige dazu bei, seine Aussagen mehr und mehr anzuzweifeln.
Wie bei seinem vorigen Roman „Terror“ (das gefiel mir übrigens besser) lässt der Autor seinen Leser wieder selbst entscheiden, was er als Wahrheit akzeptieren und was als Hirngespinst abtun will. „Drood“ ist insgesamt zwar nicht schlecht gemacht, hat aber seine Längen und vor allem habe ich aber gerne Verständnis für meine Hauptfiguren und das habe ich Wilkie Collins gegenüber immer mehr verloren…
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