2 – Seite 59 bis 118 (Teil I; Kapitel 4-7)

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  • Hier wollen wir uns zum o. a. Abschnitt austauschen, Spoilermarkierungen sind daher nicht erforderlich.

  • Ein sehr aufschlußreicher Abschnitt! Da ist zunächst Issas Versuch, Geschäftsmann zu werden. Auch dabei hatte ich gleich wieder ein merkwürdiges Gefühl, letztlich aber aus den falschen Gründen, wie sich später gezeigt hat. Ich fragte mich nämlich, warum ein einfacher Bauer wie er auf die Idee kommt, sich zum Kaufmann zu wandeln. Daß er dabei prompt wieder in eine Falle tappt und das ganze Geld verliert, war da keine Überraschung. Auch seine folgende Reaktion nicht. Wieviele solcher Schläge kann ein Mensch ertragen, bevor er zusammenbricht? Sicher ist das individuell verschieden, und Issa ist kein psychischer Schwächling, aber unbegrenzt kann er eben auch nicht wegstecken und wieder aufstehen. Daß er sich an El Moro noch rächen konnte, hat mich unter den Umständen fast gefreut, auch wenn ich sicher bin, daß der nächste El Moro, nur mit anderem Namen schon irgendwo bereitsteht. Zumindest bringt dies alles Issa zu der Einsicht, daß er Younes doch besser bei seinem Bruder läßt. Hier habe ich mich wieder gefragt: Warum? Warum zu diesem Zeitpunkt? Weil er füchten muß, als Mörder verhaftet zu werden und er dem Sohn die Belastung ersparen will? Ich habe nicht den Eindruck, daß die Polizei besonders interessiert daran sein könnte, den Mord an El Moro aufzuklären. Weil Issa sich selbst endlich eingesteht, daß er aus dieser Tretmühle nicht mehr herauskommt, und er dem Sohn doch etwas Besseres gönnt? Das wahrscheinlich am ehesten, und das spräche dann letztlich durchaus für ihn. Daß er an Frau und Tochter in dem Zusammenhang nicht denkt, müßte man ihm vielleicht vorwerfen, aber die beiden haben in seinen Gedanken sicher nicht den gleichen Wert wie Younes, daher überrascht es nicht.


    Für Mahi und seine Frau Germaine geht ein Wunsch in Erfüllung. Sie haben keine eigenen Kinder und kommen auf diese Weise zu einem Sohn. Im Prinzip wissen sie natürlich auch, daß der Junge eine Eingewöhnungszeit braucht, aber in ihrer Begeisterung schießen sie schon mal übers Ziel hinaus. Die Verwirrung eines Zehnjährigen bei einem solchen Wechsel kann ich mir wahrscheinlich nicht mal annähernd vorstellen, denn die Unterschiede sind ja mehr als krass. Trotzdem hat er sich schnell eingewöhnt, denn wie man beim Besuch bei der Mutter merkt, fällt ihm auf dem Weg das Elend schon ganz anders auf. Und er lernt frühzeitig, was hinter dem Spruch „Kleider machen Leute“ steckt – womit er ja nicht einmal so falsch liegt.


    Interessant war die Szene in Mahis Arbeitszimmer, bei dem dieser Younes zumindest Teile der Familiengeschichte enthüllt. Damit klärt sich auch das etwas schwierige Verhältnis zwischen den Brüdern, selbst wenn ich in Rechnung stelle, daß wir nur Mahis Sicht der Dinge präsentiert bekommen. Immerhin hat er keine Probleme, die „dunklen Flecken“ von Familienmitgliedern klar zu benennen, aber ob er das mit den eigenen auch täte, darf ja doch bezweifelt werden. Ich hatte nach diesen Eröffnungen und in Verbindung mit der ursprünglichen Ausstattung von Younes' Zimmer auch vermutet, Mahi könne vielleicht zum Christentum konvertiert sein, aber so weit hat er sich von der Familie und den Traditionen dann doch nicht entfernt.


    Das Wiedersehen mit dem Vater auf der Straße und unter diesen besonderen Bedingungen muß für Younes ein Schock gewesen sein. Schließlich hatte sich Issa nicht nur von seinen eigenen Träumen weiter denn je entfernt, sondern auch einen erheblichen Abstieg von der Person hinter sich, die Younes kannte oder zu kennen glaubte. Was für ein Gefühl muß das für einen Elf- oder Zwölfjährigen sein? Und wenn ich auch verstehen kann, daß er damit zu Hause nicht herausplatzt, so hätte ich doch gedacht, daß er mit Mahi über die Begegnung reden würde, nachdem Issa verschwunden ist. Warum tut er es nicht? Ist es ihm peinlich? Hat er nicht genug Vertrauen zu seinem Onkel?


    Und nun auch noch der Zwangsumzug aus Oran nach Río Salado, weil Mahi der Beobachtung entgehen will. Wahrscheinlich kann er noch von Glück sagen, daß er „nur“ eine Woche in Gewahrsam war, noch länger, und er wäre vermutlich als völliges Wrack zurückgekehrt. So ist er noch in der Lage, Entscheidungen über sein Leben zu treffen, und auch wenn Germaine und Younes darüber nicht froh sind, so ist es sicher richtig, sich in ruhige(re) Gefilde zurückzuziehen. Ob das besser oder schlechter als Oran sein wird, muß sich noch erweisen, das wird entscheidend von der Atmosphäre in der Stadt abhängen. Und natürlich werfen die politischen Ereignisse und der Unabhängigskrieg, der 1954 ausbrechen wird, schon ihre Schatten voraus, nicht nur, weil Mahi Abhandlungen schreibt und Pamphlete vertreibt. Younes wird dann in den Zwanzigern sein, also ein gutes oder zumindest wahrscheinliches Alter für eine aktive Beteiligung, ich bin gespannt.

  • Zitat

    Ein sehr aufschlußreicher Abschnitt! Da ist zunächst Issas Versuch, Geschäftsmann zu werden. Auch dabei hatte ich gleich wieder ein merkwürdiges Gefühl, letztlich aber aus den falschen Gründen, wie sich später gezeigt hat. Ich fragte mich nämlich, warum ein einfacher Bauer wie er auf die Idee kommt, sich zum Kaufmann zu wandeln. Daß er dabei prompt wieder in eine Falle tappt und das ganze Geld verliert, war da keine Überraschung. Auch seine folgende Reaktion nicht. Wieviele solcher Schläge kann ein Mensch ertragen, bevor er zusammenbricht? Sicher ist das individuell verschieden, und Issa ist kein psychischer Schwächling, aber unbegrenzt kann er eben auch nicht wegstecken und wieder aufstehen. Daß er sich an El Moro noch rächen konnte, hat mich unter den Umständen fast gefreut, auch wenn ich sicher bin, daß der nächste El Moro, nur mit anderem Namen schon irgendwo bereitsteht. Zumindest bringt dies alles Issa zu der Einsicht, daß er Younes doch besser bei seinem Bruder läßt. Hier habe ich mich wieder gefragt: Warum? Warum zu diesem Zeitpunkt?


    Ich glaube, da hat er einfach losgelassen. Und tatsächlich ist es mit Issa dann nur noch bergab gegangen. Dabei hatte er doch einiges geleistet: er hatte so viel gearbeitet und das Geld, das er für die Partnerschaft gebraucht hätte zusammen gespart und wieder folgte eine Enttäuschung - wie ein Käfer, der an einem Glas hochkrabbelt und immer, wenn er es fast geschafft hat, herauszukommen, wird er wieder hinein geschnippt. Die letzte Aktion, zu der er dann noch die Kraft aufbringen konnte, war der Mord an El Moro.


    Zitat

    Das Wiedersehen mit dem Vater auf der Straße und unter diesen besonderen Bedingungen muß für Younes ein Schock gewesen sein. Schließlich hatte sich Issa nicht nur von seinen eigenen Träumen weiter denn je entfernt, sondern auch einen erheblichen Abstieg von der Person hinter sich, die Younes kannte oder zu kennen glaubte. Was für ein Gefühl muß das für einen Elf- oder Zwölfjährigen sein?


    Ich habe die Luft angehalten, als ich diese Passage gelesen habe, so schrecklich fand ich das - für beide. Für den armen Jungen, der den Vater, den er liebt und trotz allem bewundert, so am Boden sehen muss und für den armen, gedemütigten Mann, dem gar nichts mehr geblieben war, nachdem sein Sohn ihn in seiner ganzen Erbärmlichkeit im Dreck gesehen hatte.


    Zitat

    Und wenn ich auch verstehen kann, daß er damit zu Hause nicht herausplatzt, so hätte ich doch gedacht, daß er mit Mahi über die Begegnung reden würde, nachdem Issa verschwunden ist. Warum tut er es nicht? Ist es ihm peinlich? Hat er nicht genug Vertrauen zu seinem Onkel?


    Ich kann mir vorstellen, dass ihm klar war, dass sein Vater es nicht gewollt hätte, dass ein "Außenstehender" von dem Elend erfahren hätte. Vielleicht war er aber auch einfach erstarrt und nicht in der Lage, diese traumatische Begegnung zu artikulieren.


    Zitat

    Für Mahi und seine Frau Germaine geht ein Wunsch in Erfüllung. Sie haben keine eigenen Kinder und kommen auf diese Weise zu einem Sohn. Im Prinzip wissen sie natürlich auch, daß der Junge eine Eingewöhnungszeit braucht, aber in ihrer Begeisterung schießen sie schon mal übers Ziel hinaus. Die Verwirrung eines Zehnjährigen bei einem solchen Wechsel kann ich mir wahrscheinlich nicht mal annähernd vorstellen, denn die Unterschiede sind ja mehr als krass. Trotzdem hat er sich schnell eingewöhnt, denn wie man beim Besuch bei der Mutter merkt, fällt ihm auf dem Weg das Elend schon ganz anders auf. Und er lernt frühzeitig, was hinter dem Spruch „Kleider machen Leute“ steckt – womit er ja nicht einmal so falsch liegt.


    Zunächst dachte ich, die beiden tragen schon ein wenig dick auf und verschrecken Younes damit - aber wider Erwarten hat er sich sehr schnell in seinem neuen Heim eingelebt. Der Besuch bei der Mutter macht das deutlich.


    Ich bin gespannt, ob wir im Verlauf des Buches etwas über das Schicksal seiner Eltern und der Schwester erfahren. Der Umzug nach Rio Salado macht das eher unwahrscheinlich.


    Zitat

    Ich hatte nach diesen Eröffnungen und in Verbindung mit der ursprünglichen Ausstattung von Younes' Zimmer auch vermutet, Mahi könne vielleicht zum Christentum konvertiert sein, aber so weit hat er sich von der Familie und den Traditionen dann doch nicht entfernt.


    Das hatte ich auch vermutet. Gestört hat mich besonders, dass aus Younes nun plötzlich Jonas geworden ist, so als wollte man ihn von seinen Wurzeln trennen.


    Zitat

    Und nun auch noch der Zwangsumzug aus Oran nach Río Salado, weil Mahi der Beobachtung entgehen will. Wahrscheinlich kann er noch von Glück sagen, daß er „nur“ eine Woche in Gewahrsam war, noch länger, und er wäre vermutlich als völliges Wrack zurückgekehrt. So ist er noch in der Lage, Entscheidungen über sein Leben zu treffen, und auch wenn Germaine und Younes darüber nicht froh sind, so ist es sicher richtig, sich in ruhige(re) Gefilde zurückzuziehen.


    Auf seine Weise ist Mahi genauso ein Träumer wie sein Bruder. Ich hoffe, dass seine Träume nicht ebenso zerplatzen wie Issas - der Gefängnisauffenthalt war ja nur ein Vorgeschmack, was passieren könnte.


    Zitat

    Younes wird dann in den Zwanzigern sein, also ein gutes oder zumindest wahrscheinliches Alter für eine aktive Beteiligung, ich bin gespannt.


    Ich auch.

  • Diese Wiedersehensszene mit dem Vater fand ich wirklich schrecklich. Issa wurde bis dahin ja trotz aller Rückschläge immer als sehr stolzer Mann beschrieben und das macht die Szene umso schlimmer. Zwar lag Unheil in der Luft, aber diesen Verfall hatte ich nicht erwartet und so hat mich diese Szene sehr betroffen gemacht. Yasmina Khadra hat mich hier mit seiner Art diese Szene zu beschreiben sehr überzeugt. Das war so intensiv, dass man das Entsetzen des Jungen ganz deutlich spüren konnte bzw. dieses Entsetzen selbst spürte. Trotzdem bleibt immer noch Luft für den Leser sich weiterhin mit den Gefühlen des Jungen auseinanderzusetzen, weil sie irgendwie widersprüchlich beschrieben werden. Was seine Gefühlsäußerungen betrifft, so ist er seinem Vater doch sehr ähnlich. Beide sprechen nicht über ihre Gefühle, auch wenn sie von Problemen gequält werden. Sie machen das lieber mit sich selbst aus und vermeiden Hilfe von außen. Das geht selten gut. Hier wird Younes zum Beispiel krank.


    Was mich hier übrigens wundert, war Younes Kommentar über den Vater. Als Leser hatte man ja oft das Gefühl, dass der Vater seinen Kindern seine Liebe nicht zeigt oder sie überhaupt liebt, aber Younes beschreibt ihn doch als liebevoller Vater.
    Diese Augen, die mich verzaubert und verschreckt hatten, geliebt und beschützt, gerügt und gerührt, sie ruhen zum allerletzten Mal auf mir.(S. 98)


  • Interessant war die Szene in Mahis Arbeitszimmer, bei dem dieser Younes zumindest Teile der Familiengeschichte enthüllt. Damit klärt sich auch das etwas schwierige Verhältnis zwischen den Brüdern, selbst wenn ich in Rechnung stelle, daß wir nur Mahis Sicht der Dinge präsentiert bekommen. Immerhin hat er keine Probleme, die „dunklen Flecken“ von Familienmitgliedern klar zu benennen, aber ob er das mit den eigenen auch täte, darf ja doch bezweifelt werden.


    Mir kam es ein bisschen so vor, als würde Mahi um Younes' Verständnis und Ankennung buhlen, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass der Junge die Ansichten (später vor allem die politischen?) des Onkels annimmt.



    Das Wiedersehen mit dem Vater auf der Straße und unter diesen besonderen Bedingungen muß für Younes ein Schock gewesen sein. [...]Und wenn ich auch verstehen kann, daß er damit zu Hause nicht herausplatzt, so hätte ich doch gedacht, daß er mit Mahi über die Begegnung reden würde, nachdem Issa verschwunden ist. Warum tut er es nicht? Ist es ihm peinlich? Hat er nicht genug Vertrauen zu seinem Onkel?


    Ich schätze, er schämt sich einfach, den Niedergang seines Vaters zu erleben, der für ihn ein Leitbild ist oder zumindest war. Ebenso schwer zu ertragen wird der Gedanke sein, dass sein Vater ihn gleichzeitig auch erkannt hat, denn Younes hat zumindest unbewusst schon eine Vorstellung vom Ausmaß des Stolzes seines Vaters, daher wird ihm klar sein, wie schwer es für den Vater sein muss, so von seinem Sohn gesehen zu werden.


    Interessant war für mich auch der Besuch von Younes bei seiner Mutter, die ihn schon bald wieder wegschickte. Welche Gründe könnte das haben? Ist es die Angst, der Vater könnte gar nicht mehr heimkommen, weil er damit rechnet, erneut seinem Sohn zu begegnen?


  • Interessant war für mich auch der Besuch von Younes bei seiner Mutter, die ihn schon bald wieder wegschickte. Welche Gründe könnte das haben? Ist es die Angst, der Vater könnte gar nicht mehr heimkommen, weil er damit rechnet, erneut seinem Sohn zu begegnen?


    Ich glaube eher, die Mutter ist wirklich froh, daß der Junge beim Onkel ein besseres Leben führen kann, und wünscht ihm das Beste. Sie erinnert sich ja wohl noch selbst an entsprechende Zeiten, und wenn der Junge die Familienehre vielleicht wiederherstellen kann, was ihrem Mann – auch für sie offensichtlich nicht gelingt –, dann siegt das wohl sogar über die Mutterliebe. Oder diese verstärkt den Wunsch nach dem guten Leben für Younes? Wie auch immer ...

  • Was Issa, dieser stolze Mann, hier erleben mußte ist wirklich tragisch. Mir ging es auch so, dass ich gleich ein mulmiges Gefühl hatte, als er seine Idee bekannt gegeben hat, Geschäftsteilhaber zu werden. Auch Issas Frau hatte ja eine dunkle Vorahnung, dass die Sache schief gehen würde. Wenn ich es recht bedenke, war es das erste Mal überhaupt, dass sie ihrem Mann widersprochen hat. Vermutlich hatte sie richtig Panik. Dass Issa sich für die erlittene Schmach an El Moro bitter gerächt hat, war verständlich, obwohl es letztendlich Mord war. Als Younes nun zu seinem Onkel kommt, ist das eine tiefgreifende Änderung in seinem Leben, die er trotzdem erstaunlich gut verkraftet. Dass er sich verhältnismäßig schnell eingewöhnen konnte, liegt sicher hauptsächlich daran, dass es eine Wende zum Besseren für ihn war. Trotzdem war es nicht einfach für ihn, die neue Umgebung unterscheidet sich völlig von allem, was er bisher gekannt hat. Die Zuneigung, die ihm Mahi und Germaine entgegenbringen, sind einerseits angenehm, andererseits fühlt er sich vermutlich doch sehr bedrängt davon.
    Am stärksten hat mich die Szene berührt, als Younes seinen Vater zufällig wieder getroffen hat. Diese Situation war für beide Seiten sehr schlimm. Der Sohn hat wohl in dem Moment alle Illusionen verloren, die er bis dahin über seinen Vater hatte, und Issa hat sich geschämt. Die verzweifelten Versuche, trotz völliger Trunkenheit ein wenig seiner Würde zu bewahren, haben mich erschüttert. Die Verschlossenheit, mit niemandem über sein Erlebnis zu reden, liegt wohl in der Familie. Vater und Sohn tragen beide nicht ihr Herz auf der Zunge. Wie für seinen Vater der Alkohol, so war wohl für Younes die Krankheit eine Art Ventil, um mit dem Erlebten fertig zu werden.


    Dann ist Issa verschwunden. Ich habe mich gefragt, was wohl aus seiner Frau und der kleinen Tochter geworden ist. Wovon leben die beiden jetzt? Das ging nicht so recht aus der Erzählung hervor.

    Liebe Grüße<br />Susanne

  • Als Younes nun zu seinem Onkel kommt, ist das eine tiefgreifende Änderung in seinem Leben, die er trotzdem erstaunlich gut verkraftet.


    Seine schnelle oder vielmehr seine widerstandslose Anpassung an die neue Situation kommt mir seltsam vor, je länger ich darüber nachdenke. Younes war elf, also in einem Alter, wo man sich schon langsam abnabelt, aber seine Eltern und den vertrauten Familienkreis noch braucht. Er ist zwar generell eher zurückhaltend und fügsam, aber diese Passivität bei einem so wesentlichen Einschnitt in sein Leben finde ich fragwürdig. Er leidet zwar auch im Geheimen, aber welcher Junge, der seinen Vater so verehrt und seine Familie liebt, nimmt das ohne aktive Gegenwehr hin? Dass er dann ohne Widerstand den neuen Namen akzeptiert, der ja doch ein wesentlicher Teil einer eigenen Identität ist, ist auch erstaunlich. Das alles widerspricht komplett dem, was ich von Kindern kenne.

  • Seine schnelle oder vielmehr seine widerstandslose Anpassung an die neue Situation kommt mir seltsam vor, je länger ich darüber nachdenke. Younes war elf, also in einem Alter, wo man sich schon langsam abnabelt, aber seine Eltern und den vertrauten Familienkreis noch braucht. Er ist zwar generell eher zurückhaltend und fügsam, aber diese Passivität bei einem so wesentlichen Einschnitt in sein Leben finde ich fragwürdig. Er leidet zwar auch im Geheimen, aber welcher Junge, der seinen Vater so verehrt und seine Familie liebt, nimmt das ohne aktive Gegenwehr hin? Dass er dann ohne Widerstand den neuen Namen akzeptiert, der ja doch ein wesentlicher Teil einer eigenen Identität ist, ist auch erstaunlich. Das alles widerspricht komplett dem, was ich von Kindern kenne.


    Ich denke, dass Younes den Halt im vertrauten Familienkreis eben nicht so stark hatte, wie das für ein elfjähriges Kind wünschenswert wäre. Die Mutter erscheint mir zwar recht vernünftig, und Younes scheint sie zu verehren, aber eigentlich hat sie recht wenig zu sagen, und der Vater ist so damit beschäftigt, die Familie zu erhalten, dass sein Sohn darüber in den Hintergrund gerät. Younes nimmt das alles wohl nicht bewußt wahr, aber ich kann mir gut vorstellen, dass durch diese familiäre Situation seine Reaktionen anders ausfallen, als man das von einem Jungen in diesem Alter erwartet.

    Liebe Grüße<br />Susanne

  • Ja, die Situation in Familie ist schon prekär. Ich kann mir auch vorstellen, dass Younes sich als folgsamer Sohn beweisen möchte und seinem Vater nicht noch zusätzlich Probleme bereitet, indem er offen gegen die Zwangsadoption aufbegehrt. Aber er wird ja quasi in eine andere Welt versetzt. Und das alles ohne den klitzekleinsten Versuch, Papa umzustimmen? Nein, das passt einfach nicht.

  • Ich hatte ja schon im letzten Abschnitt gehofft, dass Younes doch noch zu seinem Onkel darf und diesem ganzen Elend entkommen kann. Jetzt ist das passiert, aber ein bitterer Beigeschmack bleibt, wenn man an das Schicksal Issas und der restlichen Familie denkt. Was mit der Mutter und der kleinen Schwester passiert, jetzt nachdem Issa verschwunden ist, mag ich mir gar nicht ausmalen. Und da der Onkel aus Oran weggeht, hat er jetzt auch nicht mehr die Möglichkeit ihnen zu helfen oder wenigstens die Miete zu bezahlen.


    Das letzte Treffen zwischen Younes und Issa war wirklich schlimm, das muss für beide ein riesiger Schock gewesen sein, den man so leicht nicht überwinden kann.


    Ich kann mir vorstellen, dass ihm klar war, dass sein Vater es nicht gewollt hätte, dass ein "Außenstehender" von dem Elend erfahren hätte. Vielleicht war er aber auch einfach erstarrt und nicht in der Lage, diese traumatische Begegnung zu artikulieren.


    Ich kann mir auch vorstellen, dass er seine Familie bzw. seinen Vater schützen will und vermeiden möchte, dass noch jemand davon erfährt. Da er seinen Vater und dessen Stolz auch gut kennt, weiß er vermutlich auch, dass Issa nicht möchte, dass er jemand anderem von dem Vorfall erzählt.




    Das hatte ich auch vermutet. Gestört hat mich besonders, dass aus Younes nun plötzlich Jonas geworden ist, so als wollte man ihn von seinen Wurzeln trennen.


    Das hat mich auch etwas gewundert, aber ich hab das so in Erinnerung, dass Germaine den Namen nur falsch verstanden hat und ihn deshalb Jonas nannte, oder liege ich da falsch?



    Und natürlich werfen die politischen Ereignisse und der Unabhängigskrieg, der 1954 ausbrechen wird, schon ihre Schatten voraus, nicht nur, weil Mahi Abhandlungen schreibt und Pamphlete vertreibt. Younes wird dann in den Zwanzigern sein, also ein gutes oder zumindest wahrscheinliches Alter für eine aktive Beteiligung, ich bin gespannt.


    Ich sehe schon, ich muss mich noch ein bisschen über die Geschichte Algeriens informieren, bevor ich weiterlese...

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Seine schnelle oder vielmehr seine widerstandslose Anpassung an die neue Situation kommt mir seltsam vor, je länger ich darüber nachdenke. Younes war elf, also in einem Alter, wo man sich schon langsam abnabelt, aber seine Eltern und den vertrauten Familienkreis noch braucht. Er ist zwar generell eher zurückhaltend und fügsam, aber diese Passivität bei einem so wesentlichen Einschnitt in sein Leben finde ich fragwürdig. Er leidet zwar auch im Geheimen, aber welcher Junge, der seinen Vater so verehrt und seine Familie liebt, nimmt das ohne aktive Gegenwehr hin? Dass er dann ohne Widerstand den neuen Namen akzeptiert, der ja doch ein wesentlicher Teil einer eigenen Identität ist, ist auch erstaunlich. Das alles widerspricht komplett dem, was ich von Kindern kenne.


    Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr muss ich dir Recht geben, Doris! Mir ist das währemd dem Lesen eigentlich gar nicht seltsam vorgekommen, dass Younes sich so schnell anpasst und auch ohne Widerstand zu seinem Onkel zieht. Aber wenn ich jetzt lese, was du so geschrieben hast, ist es doch sehr komisch, dass er alles einfach so hinnimmt.
    Aufgefallen ist mir das auch, als er mit seinem Onkel aus Oran wegziehen muss. Er möchte eigentlich nicht weg von seiner Freundin Lucette, aber er protestiert nicht einmal dagegen.
    Möglicherweise ist er einfach nur als sehr folgsames Kind erzogen worden, so dass er weiß, dass man seinem Vater (oder später eben Onkel) nicht zu widersprechen hat, sondern sich gehorsam den Entscheidungen des Familienoberhaupts fügen muss.

    ~~better to be hated for who you are, than loved for who you&WCF_AMPERSAND're not~~<br /><br />www.literaturschaf.de

  • Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr muss ich dir Recht geben, Doris! Mir ist das währemd dem Lesen eigentlich gar nicht seltsam vorgekommen, dass Younes sich so schnell anpasst und auch ohne Widerstand zu seinem Onkel zieht. Aber wenn ich jetzt lese, was du so geschrieben hast, ist es doch sehr komisch, dass er alles einfach so hinnimmt.
    Aufgefallen ist mir das auch, als er mit seinem Onkel aus Oran wegziehen muss. Er möchte eigentlich nicht weg von seiner Freundin Lucette, aber er protestiert nicht einmal dagegen.
    Möglicherweise ist er einfach nur als sehr folgsames Kind erzogen worden, so dass er weiß, dass man seinem Vater (oder später eben Onkel) nicht zu widersprechen hat, sondern sich gehorsam den Entscheidungen des Familienoberhaupts fügen muss.


    Ich stimmte euch beiden da voll zu. Ich war ebenfalls sehr erstaunt das ein 11jähriger einen solchen einschnitt in sein Leben ohne starke Proteste oder wenigstens einen längeren Widerwillen akzeptiert. Vorallem bei dem Aspekt der Namensänderung hat sich alles in mir gesträubt. In dem Moment wäre ich selber wohl davon gelaufen oder hätte mich sehr stark zur Wehr gesetzt. Ich hatte einen kleinen Hoffnungsschimmer erwartet als Younes den Umstand das er nun Jonas sei seiner Mutter berichtete. Aber da diese auch keine wahre Regung zeigte kann ich mir vorstellen das der Junge auch spätere Entscheidungen über seinen Kopf hinweg einfach annehmen wird....

    Ich bin, was du träumst.<br />Ich wache immer über dich.<br />Ich bin, was deine Hand lenkt.<br />(gez. Seele)

  • Puh, das "Treffen" von Younes und seinem Vater war wirklich sehr intensiv geschildert. Da blieb auch mir fast das Herz stehen. Wenn doch das ganze Buch von gleicher Qualität wäre!


    Ich hatte eigentlich nicht den Eindruck, dass Younes sich so schnell bei Onkel und Tante einlebt. Er nimmt es hin, dass er jetzt bei ihnen ist, so wie er alles hinnimmt, ohne sich gegen sein Schicksal aufzulehnen. Das ist etwas, das er nie gelernt hat. Sein Vater, auch wenn er ihn auf eine Art liebte, war viel zu sehr Tyrann, als dass Younes auch nur auf die Idee gekommen wäre, ihm zu widersprechen.
    Er muss erst einmal lernen, einen eigenen Willen zu haben, und ihn dann auch durchzusetzen. Seine zurückhaltende Persönlichkeit macht ihm das nicht leichter und durch sein Außenseitertum fehlen ihm auch andere Vorbilder, die ihm Alternativen aufweisen. Er frisst alles in sich hinein, wird eher krank, als das er sich seinen Kummer von der Seele redet. Ganz schön tragisch.

    Wir sind irre, also lesen wir!


  • Ein sehr aufschlußreicher Abschnitt! Da ist zunächst Issas Versuch, Geschäftsmann zu werden. Auch dabei hatte ich gleich wieder ein merkwürdiges Gefühl, letztlich aber aus den falschen Gründen, wie sich später gezeigt hat.


    Mein erster Gedanke war, wenn da klappt, wäre es ja super. Und der zweite, das es nie was wird, wenn man Vorauszahlungen leisten muss - und wie Issa so leichtgläubig sein kann. Allerdings hätte ich nicht damit gerechnet, dass Issa ausgeraubt wird. Ich dachte einfach, der "Geschäftspartner" haut ihn übers Ohr. Naja, hat er vielleicht auch zusammen mit El Moro. Dass Issa dann wirklich loszieht und ihn ersticht, fand ich hammerhart.


    Zitat

    Hier habe ich mich wieder gefragt: Warum? Warum zu diesem Zeitpunkt? Weil er füchten muß, als Mörder verhaftet zu werden und er dem Sohn die Belastung ersparen will?


    Vermutlich war er einfach an dem Punkt aufzugeben und einzusehen, dass es für Younes wirlich besser ist. Ich glaube nicht, dass Issa selbst noch geglaubt hat, wirklich hochzukommen. Wie du sagst, ein Mensch kann nicht unbegrenzt einstecken, und für Issa war da wohl die Grenze erreicht.


    Zitat

    Daß er an Frau und Tochter in dem Zusammenhang nicht denkt, müßte man ihm vielleicht vorwerfen, aber die beiden haben in seinen Gedanken sicher nicht den gleichen Wert wie Younes, daher überrascht es nicht.


    Mich wundert ein wenig, dass Mahi scheinbar nicht an die beiden denkt. Spätestens nach Issas Verschwinden wäre es doch an der Zeit gewesen, die beiden ins Haus zu holen?


    Die Szene zwischen Issa und Younes auf der Straße ging mir auch sehr nahe.


    Wenn doch das ganze Buch von gleicher Qualität wäre!


    Das wäre mir dann glaub ich zu intensiv.

  • Mein erster Gedanke war, wenn da klappt, wäre es ja super. Und der zweite, das es nie was wird, wenn man Vorauszahlungen leisten muss - und wie Issa so leichtgläubig sein kann.


    Wahrscheinlich hat Issa von sich auf andere geschlossen. Er ist viel zu ehrlich, um jemanden übers Ohr zu hauen, daher war er vielleicht so blauäugig zu glauben, dass ihm das im umgekehrten Fall nicht auch passiert.