[Drama] A Clockwork Orange - Uhrwerk Orange

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 2.912 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Gronauer.

  • Hallo! :)
    In der Suche habe ich keinen Thread zu diesem Film gefunden und ich würde mich sehr gerne ein wenig über dieses Werk unterhalten.
    Ich habe den Film vor wenigen Tagen auf Deutsch gesehen und fühlte mich nach dem Ende des Films etwas erschlagen. Der Film beinhaltet einen sehr hohen Anteil an Gewaltszenen, die teilweise wirklich sehr geschmacklos sind. Viele Leute, die den Film gesehen haben kritisieren gerade diesen hohen Anteil an Gewalt und fragen sich, wieso man "A Clockwork Orange" als Kinomeisterwerk betitelt.
    Mich würde interessieren welche Meinung ihr dazu habt. Ich persönlich fand die dargestellte Gewalt auch sehr krass und sicherlich grenzwertig - aber da ich viel von Stanley Kubrick halte, sehe ich diese Darstellung sinnloser Gewalt eher als Stilmittel, das definitiv schocken soll. Ich finde der Film hat eine klasse Atmosphäre. Der Film wirkt für mich etwas grotesk, schockt aber wie gesagt durch die Gewaltszenen und die "Kälte" die eigentlich in jeder Person des Films steckt.


    Meiner Meinung nach erreicht genau deshalb der Film, dass sich der Zuschauer nach Ende des Streifens näher mit ihm beschäftigt und über die dargestellte Thematik nachdenkt.
    Oft heißt es ja, dass Uhrwerk Orange (...) ein Film über einen totalitären Staat sei. Sicherlich kann man die Strukturen als totalitär sehen, doch für mich ist die wahre Aussage des Films einfach, dass unsere Welt immer mehr in sinnloser Gewalt versinkt. Und wenn man sich das mal überlegt, hat der Film verdammt recht. Lassen wir mal die grotesken Figuren weg und sehen nur die Wutausbrüche und der unbegründete Haß der Menschen, befinden wir uns doch schon bereits in einer ähnlichen Welt (man muss nur mal an die zig Übergriffe im öffentlichen Verkehr, auf Bahnhöfen, etc. denken).


    Soviel erstmal zu meinen Eindrücken. Mich würden jetzt eure Eindrücke interessieren und ob der Film bei euch ähnliche Gedanken ausgelöst hat.


    Abschliessend hätte ich allerdings noch eine Frage: in der deutschen Synchronisation wird der Kopf immer als "Gulliver" bezeichnet. Mir ist nicht klar in welcher Sprache das der Fall ist, wieso Kubrick das so gemacht hat (vielleicht stammt das aus der Literaturvorlage, die ich nicht kenne?) und wie das in der englischen Fassung gelöst wurde.


    Falls Threads zu einzelnen Filmen nicht erwünscht sind, gibt es ja vielleicht eine Art "Sammelthread", wo man meinen Beitrag dann ja hin verschieben kann.

    Zitat von André Glucksmann: <br />Philosophieren bedeutet zuallererst, gegen die eigene Dummheit zu kämpfen.

  • Die Romanvorlage aus dem Jahre 1962 stammt von Anthony Burgess. Die merkwürdigen Slangbegriffe sind weitgehend synthetisch, es gibt nur wenige reale Vorbilder, etwa für "Gulliver". Burgess hat hier einen Neusprech teils erfunden, teils aufgelesen. Die Synchronfassung folgt wohl der Übersetzung der deutschen Erstveröffentlichung.


    Den Film sah ich erstmals so um 1980 herum, da war er schon ein paar Jahre alt und ich Anfang 20. Was mir damals mulmig vorkam, war das enorme Kultpotential. Kult entsteht dann, wenn ein Film den Zuschauer aus einer rein passiven, konsumierenden Haltung herausholt und aktiv werden lässt, im Regelfalle durch Nachahmung. Tatsächlich gab es von Anfang an Nachahmer, weitgehend auf Kostümfesten - mit weißer Garderobe, Bowlerhat und Augenmakeup. Inzwischen sind wir etwas weiter in der Wahrnehmung realer, motivlos ausgeübter Gewalt. Und inzwischen gehe ich auch davon aus, dass Clockwork Orange da vermutlich nicht viel beigetragen hat. Die Dauerberieselung mit Brutalprogrammen in Kino und TV sowie die täglichen Cybermassaker dürften da viel wirksamer sein als ein hoch stilisierter und ästhetisierter Film - wenn wir mal nur die Medienwelt betrachten.


    Was bleibt, ist eine Provokation für ein intellektuelles Publikum, das der Reibung von Beethovens Musik an Prügelorgien der Protagonisten nachsinnt. Schon die Jugend der Zeit um das Jahr 2000 herum war damit nicht mehr wirklich anzusprechen, die sog den entsprechenden Kitzel eher aus Tarantinos Pulp Fiction - die brutale Gewalt wird hier nicht mehr vor eine hochgestochene musikalische Folie gestellt, sondern in einen zynischen beiläufigen Humor eingebettet.


    Was den Film aus der Masse der Produktionen heraushebt, ist bis heute gerade die surreale Überzeichnung, durch die Grundkonflikte sichtbar gemacht werden. Wie weit darf ein Staat auf die Persönlichkeit eines Einzelnen zugreifen? Darf er umerziehen? Dürfte oder sollte er bei augemachten Kotzbrocken überhaupt darauf verzichten? Klar, die Darstellung verlangt dem Zuschauer starke Nerven ab, aber die Grundfragen stehen dadurch umso klarer im Licht.


    Filmisch, da gibt es wenig zu deuteln, war das ein Meilenstein.

  • Noch ein Nachtrag:


    Wenn ich da oben Clockwork Orange und Pulp Fiction verglichen habe, muss ich auch anmerken, dass die beiden Filme definitiv in unterschiedlichen Ligen spielen, Tarantino kann Kubrick auch nicht das Wasser reichen. In Pulp Fiction dreht sich die Gewaltspirale sinnfrei um sich selbst, es ist eine mörderische Freakshow. Tarantino hat auch nur ein eng begrenztes Repertoire an Sujets, in dem er arbeiten kann. Kubrick hat, abgesehen vielleicht vom Western, in fast allen Genres Spitzenleistungen abgeliefert. Wir verdanken ihm


    einen düsteren, Schwarzweiß-Antikriegsfilm: Wege zum Ruhm
    einen Sandalenfilm: Spartacus
    Science-Fiction: 2001 Odyssee im Weltraum
    einen Kostümfilm: Barry Lyndon
    eine schwarze Komödie: Dr. Seltsam oder wie ich lernte die Bombe zu lieben
    einen Vietnamfilm: Full Metal Jacket
    einen Horrorfilm: Shining
    ein erotisches Eifersuchtsdrama: Eyes wide shut
    eine Gegenwartsliteraturverfilmung: Lolita


    und eben A Clockwork Orange.


    Das alles gehört zum besten in der jeweiligen Kategorie.

  • Ja, als Dödel war er hier die Idealbesetzung.


  • Die Romanvorlage aus dem Jahre 1962 stammt von Anthony Burgess. Die merkwürdigen Slangbegriffe sind weitgehend synthetisch, es gibt nur wenige reale Vorbilder, etwa für "Gulliver". Burgess hat hier einen Neusprech teils erfunden, teils aufgelesen. Die Synchronfassung folgt wohl der Übersetzung der deutschen Erstveröffentlichung.


    Vielen Dank für die Aufklärung!

    Zitat


    Den Film sah ich erstmals so um 1980 herum, da war er schon ein paar Jahre alt und ich Anfang 20. Was mir damals mulmig vorkam, war das enorme Kultpotential. Kult entsteht dann, wenn ein Film den Zuschauer aus einer rein passiven, konsumierenden Haltung herausholt und aktiv werden lässt, im Regelfalle durch Nachahmung. Tatsächlich gab es von Anfang an Nachahmer, weitgehend auf Kostümfesten - mit weißer Garderobe, Bowlerhat und Augenmakeup. Inzwischen sind wir etwas weiter in der Wahrnehmung realer, motivlos ausgeübter Gewalt. Und inzwischen gehe ich auch davon aus, dass Clockwork Orange da vermutlich nicht viel beigetragen hat. Die Dauerberieselung mit Brutalprogrammen in Kino und TV sowie die täglichen Cybermassaker dürften da viel wirksamer sein als ein hoch stilisierter und ästhetisierter Film - wenn wir mal nur die Medienwelt betrachten.


    Sehr interessant, dass es tatsächlich Nachahmer gab. Das bestätigt ja allerdings nur meinen Eindruck, dass der Film eine teilweise sehr enorme Wirkung auf die Zuschauer hat.

    Zitat


    Was bleibt, ist eine Provokation für ein intellektuelles Publikum, das der Reibung von Beethovens Musik an Prügelorgien der Protagonisten nachsinnt. Schon die Jugend der Zeit um das Jahr 2000 herum war damit nicht mehr wirklich anzusprechen, die sog den entsprechenden Kitzel eher aus Tarantinos Pulp Fiction - die brutale Gewalt wird hier nicht mehr vor eine hochgestochene musikalische Folie gestellt, sondern in einen zynischen beiläufigen Humor eingebettet.


    Tatsächlich ist Pulp Fiction einer meiner Lieblingsfilme, allerdings aufgrund des Humors. Jetzt einen Vergleich zwischen den beiden Filmen anzustellen, darauf wäre und bin ich nicht gekommen. Für mich verfolgt Kubrick einfach eine strikte Aussage und will diese um jeden Preis in seinem Film darstellen, während - wie du schon selber schreibst - Tarantino wohl eher auf eine humoristische Weise und einer sinnlosen "Gewaltorgie" überzeugen wollte.

    Zitat


    Filmisch, da gibt es wenig zu deuteln, war das ein Meilenstein.


    Ich bin mir etwas unsicher, wie jetzt deine persönliche Meinung über den Film ist. Du beschreibst hier sehr sachlich, was du über den Film denkst, aber ob dir der Film nun "gefällt" oder nicht, ist mir noch nicht ganz klar und würde mich interessieren.

    Zitat von André Glucksmann: <br />Philosophieren bedeutet zuallererst, gegen die eigene Dummheit zu kämpfen.

  • Hallo,



    Ich bin mir etwas unsicher, wie jetzt deine persönliche Meinung über den Film ist. Du beschreibst hier sehr sachlich, was du über den Film denkst, aber ob dir der Film nun "gefällt" oder nicht, ist mir noch nicht ganz klar und würde mich interessieren.


    Ich kann mich fachlich Gronauer nur anschließen. "Uhrwerk Orange" habe ich als Teenager zum ersten Mal gesehen und war sehr beeindruckt. Zwar bin ich Jahrgang 75 und damit fällt der Film nicht ganz in meine Zeit, aber ich habe zum Glück eine ältere Schwester, die meinen Geschmack sehr (positiv) geprägt hat. Durch sie habe ich viele Filme und Musiker der 60er und 70er kennen und schätzen gelernt.


    Trotzdem kann man über "Uhrwerk Orange" wohl nicht sagen "Der Film gefällt mir" oder ".. gefällt mir nicht". Der Film kann einen umhauen. Er kann einen beeindrucken, beeinflussen, erschrecken, abschrecken, entsetzen. aber gefallen? Nein. Ich finde den Film schrecklich. Aber ich finde ihn auch absolut beeindruckend. Einfach faszinierend.

    Rechtsextremismus ist wieder salonfähig gemacht worden, durch CDU/CSU und FDP.


  • So ähnlich verhält sich das auch mit meinem Bruder und mir, auch wenn wir beide noch deutlich jünger sind und absolut keinen Bezug zu der Zeit des Films haben.


    Genau aus diesem Grund habe ich "gefällt" auch in Anführungsstriche geschrieben, denn dass dieser Film nicht unterhält im Sinne eines Actionstreifens steht wohl fest. Nur ich habe mich sehr damit beschäftigt (vor allem auf Amazon) welche Meinungen andere über den Film haben und viele fanden ihn zu abstoßend, als dass sie ihn als gelungenen Film bezeichnen würden.
    Aber meiner Meinung nach muss ein guter Film nicht immer nur unterhalten, sondern kann auch schocken und zum nachdenken anregen, weshalb wir hier wohl die selbe Meinung haben.

    Zitat von André Glucksmann: <br />Philosophieren bedeutet zuallererst, gegen die eigene Dummheit zu kämpfen.

  • Clockwork Orange gehört in eine Kategorie, die nicht unbedingt "gefallen" muss. Respekt ist da angemessener. Ich denke auch nicht, dass er auf "Gefallen" hin gedreht ist. So etwa kann ich denn auch meinen Eindruck schildern.


    Die Parallele zu Pulp Fiction habe ich vor allem deshalb gezogen, weil es in beiden Fällen um stilisierte Gewalt geht. Das verbindet die beiden Filme. Was sie trennt: Clockwork Orange verhandelt ein Problem.