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Der Inhalt, auf die kürzest mögliche Form gebracht: Der Erzähler des Jahres 2008 blickt anlässlich einer Reise nach Wunsiedel zurück auf einen dreimonatigen Aufenthalt in der oberfränkischen Stadt, wohin er sich im Sommer 1964 als junger ehrgeiziger Schauspielanfänger von den Versprechungen des Intendanten der dortigen Freiluft-Festspiele locken ließ. In den ausgedehnten Rückblenden wird ein völliges Scheitern an unrealistischen eigenen Ambitionen geschildert, zu dem sich zusätzlich noch der Verlust der in Heidelberg zurückgelassenen, untreu werdenden Freundin ereignet.
„Wunsiedel“ ist ein Buch, das konsequent wider den Zeitgeist geschrieben ist, denn es behandelt ein Thema, das unzeitgeistiger nicht sein kann: Reue - über vertane Lebenszeit, über fatale Fehleinschätzungen. Zu diesen Fehleinschätzungen gehört die krachend fehlgeschlagene Hoffnung, auf dem real existierenden Theater irgend etwas sinn- und qualitätsorientiertes ausrichten zu können; das naive Vertrauen des angehenden ambitionierten Schauspielers in die Zusicherung eines Provinzintendanten, in ihn als „Nervenschauspieler“ große Hoffnung zu setzen – tatsächlich ging es dem Intendanten, wie sich zeigen wird, um etwas ganz anderes. Eine weitere Fehleinschätzung: die Persönlichkeit eines Schauspielers im bedeutend allgemeinen; eine weitere die Wahl der seelisch labilen und alsbald untreu werdenden Freundin…
Die Erzähltechnik verschränkt die Erlebnisse des Erzählers mit seiner aktuellen Reflexion während seines Wiedersehens mit der Stadt, läuft also auf zwei eng verknüpften Ebenen ab. Das und das Thema des Buches bedingen einen eher stillen, ruhigen Erzählton, dem es an sarkastischen Einwürfen nicht fehlt. Trotzdem ist der Text nicht ohne Widerhaken, und ich benötigte relativ lange, in den Rhythmus der formal eher konventionellen Erzählung zu finden. Die nötige Distanz, die die Larmoyanz des Helden ebenso vermeidet, wie eine unangemessene Ironie, schafft Buselmeier durch die Schaffung eines zeitlichen Abstandes von 44 Jahren, in denen sich mancher Nebel lichtet.
Auffallend und für das Textverständnis wesentlich sind die zahlreichen literarischen Bezüge, vor allem auf die Romane des in Wunsiedel geborenen Jean Paul. Längere Passagen beziehen sich ausdrücklich darauf, es sind charakteristische Zitate enthalten; aber auch unterschwellig ist der in Wunsiedel geborene Dichter allgegenwärtig. Der Erzähler selbst trägt den Namen „Schoppe“, als sei er geradewegs dem „Titan“ entlaufen. In einem Brief der fernen Freundin erteilt sie dem fremdelnden Helden einen Rat, welche Haltung er in der ihn abstoßenden Umgebung einnehmen solle, der sich liest wie ein Lebensmotto Jean Pauls selbst. Die wild wuchernde Ästhetik, der Humor und die und Phantasie Jean Pauls erweisen sich dabei als bleibender Zufluchtsort der wunden Heldenseele.
Dieses Buch setzt viel voraus; hauptsächlich ist es die Kenntnis der wesentlichen Schriften von Jean Paul, ohne die die Haltung des Erzähler selbst nicht wirklich zu verstehen ist. Daneben ist es, man muss es so deutlich sagen, die Reife, rückblickende Reue über biografische Details nachvollziehen und nachempfinden zu können. Pop geht anders.
Interessant ist die unterschiedliche Rezeption des Romans in der professionellen Kritik. Manche loben einen leichten Sommerroman, den subtilen Humor. Andere erkennen darin, ähnlich meiner Einschätzung, mehr einen ernsten Rückblick auf ungute Erfahrungen, die zu nichts Nutze waren – so Jan Wiele in der FAZ. Eigenartig: ihm waren sogar nebensächliche Details aufgefallen, über die ich auch stolperte – Bäume mit reif leuchtenden Äpfeln und Birnen Anfang Juni. Aber vielleicht ist es ja ein Zeichen für Qualität eines Textes, wenn solche Dinge darin überhaupt auffallen – und nicht etwa klapprige Sätze, fadenscheinige Fabeln, schräge Metaphern, fataler Humor…