Marie-Sabine Roger - Der Poet der kleinen Dinge

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    Inhalt
    Alex ist mal wieder im Nirgendwo angekommen: in einer trostlosen (und namenslosen) Stadt jobbt sie in einer Hühnerfabrik und muss sich abends auch noch das Gejammere ihrer Vermieterin anhören. Alex wäre wohl schon längst weitergezogen, wäre da nicht der geistig und körperlich behinderte Gérard, der Bruder des Vermieters. Obwohl er sich nicht klar ausdrücken kann, erkennt Alex seine gute Seele und freundet sich mit ihm an. Bei einem gemeinsamen Spaziergang lernen sie zwei andere Außenseiter kennen: den arbeitslosen Cedric und seinen dauerbiertrinkenden Kumpel, den Zackenbarsch.


    Meine Meinung
    Irgendwo habe ich gelesen, dass das Buch besonders zauberhaft und wundervoll sein soll ... schade, ich habe fast nichts davon bemerkt. Eher habe ich das Buch als deprimierend und trostlos empfunden, wobei mir das Ende dann schon wieder zu kitschig positiv war.


    Der Aufbau an sich ist ganz gelungen. Abwechselnd erzählen Alex und Cedric aus ihrem Leben, wobei sich manche Begegnungen überschneiden. Diese Situationen sind natürlich immer ganz spannend, weil man die unterschiedlichen Gedanken mitbekommt.


    Weniger gelungen fand ich manche Charaktere. Alex ist nett und sympathisch, da gibts nicht viel zu meckern. Gérard ist sowieso eine Person für sich, seine Reaktionen sind manchmal ziemlich witzig und bringen einem zum Schmunzeln. Aber so richtig dringt man nicht zu ihm vor. Er ist zwar der Mittelpunkt der Geschichte, aber irgendwie kreisen die Personen die Handlung nur um ihn herum ohne ihn wirklich mit einzuschließen.
    Cedric hat mich meistens ziemlich genervt. Er ist arbeitslos und wenig motiviert, sich einen Jo zu suchen. Seine Ausrede: Arbeit ist was für Langweiler, er will mehr aus seinem Leben machen. Jeden Tag am Kanal sitzen und wegen seiner Ex-Freundin Depressionen schieben finde ich da nicht wirklich sinnvoll. Cedric soll wohl als bemitleidenswertes Wrack dargestellt werden, ich finde seine Null-Bock-Einstellung nur asozial.
    Der Zackenbarsch ist da auch nicht besser. Er hat zwar Arbeit, trinkt aber jeden Tag massenweise Bier und schmeißt die leeren Bierdosen in den Kanal, um daraus irgendwann einen Staudamm zu errichten. Aha.


    Auch die Handlung konnte mich nicht ganz überzeugen. Es soll auf das Leben eines behinderten Menschen aufmerksam gemacht werden, der schlecht behandelt und missverstanden wird. Das finde ich soweit ganz gut und dass das, was Gérard erlebt, noch lange nicht das Schlimmste ist, weiß ich aus eigener Erfahrung (habe schon mit behinderten Menschen zusammengearbeitet). Es wird eine sehr trostlose Stimmung aufgebaut, alles ist furchtbar und traurig und schlimm. Und dann kommt plötzlich und fast aus dem Nichts ein zuckersüßes und traumhaftes Ende. Die Handlung schlägt von einem Extrem ins andere. Ich weiß ehrlich gesagt nicht so recht, was ich mit dieser Konstruktion anfangen soll.


    Alles in allem war das Buch schon okay, aber von dem erwähnten "zauberhaft" ist nichts zu spüren. Da ich Alex ganz gern mochte und auch Teile der Handlung doch gut zu lesen waren gebe ich 2ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

    Einmal editiert, zuletzt von mondy ()

  • Also dem "Labyrinth" werde ich drei Ratten verpassen. Nach deiner Rezi werde ich dieses Buch also definitiv nicht zur Hand nehmen...

    //Grösser ist doof//

  • Ich habe dieses Buch vor einiger Zeit ausgelesen und bin glücklich damit.
    Das Buch gefällt mir persönlich nicht so gut wie "das Labyrinth der Wörter", ist aber dennoch ein Buch das mir sehr viel Freude beim Lesen bereitet hat.
    Das Thema ist schwierig und auch deswegen nicht mit dem ersten Buch der Autorin zu vergleichen.
    Es geht in dem Fall nicht um die Leidenschaft des Lesens oder um die Magie der Bücher.
    Es geht viel mehr um die Leidenschaft der Seele, die Interessen und Gedanken die ohne Sprache nicht zustande kommen würden.
    Bücher bestehen aus Wörtern, aus Grammatik und sollten ein Mindestmaß an Inhalt und Sinn enthalten.
    Doch wie ist das mit Menschen denen das Verständnis für Sprache aberkannt wird?
    Nur weil "Normallos" glauben, geistig Behinderte würden das Leben und dessen Aussagen nicht verstehen, muss das noch lange nicht so sein.
    Schon als kleines Kind war ich davon überzeugt das ein Großteil der behinderten Menschen in ihrem Leben glücklicher sind als die "verständig" erscheinenden Menschen. Und heute, als angehende Psychologin bin ich mir dessen sogar sicher.


    Geistige Behinderung hat 2 Seiten. Eine Seite der Dunkelheit und der Abgeschiedenheit, aber auch eine Seite des Glücks und der Auserwähltheit.
    Sie verstehen vieles nicht, aber muss man das?
    Es reicht zu erkennen und zu spüren was Leben ist, was Freundschaft ist und in diesem Sinne, was "Gut" ist.
    In diesem Buch geht es um einen behinderten Jungen. Er wird von seiner Schwägerin gehasst, als Trottel und Dummerchen bezeichnet und bei jeder Gelegenheit angeschrieben - er merkts doch eh nicht.


    Im Gegenteil.
    Bewusstsein zeichnet sich nicht dadurch aus, das man schlaue Wörter von sich gibt. Bewusstsein lebt im Inneren, Beusstsein ist der kleine Funken Lebensglück und Gefühl der in jedem Lebenden wohnt. Doch er braucht die Chance beachtet und herausgelassen zu werden.
    Der junge Mann in diesem Buch bekommt diese Chance. Er findet eine Freundin, jemanden der ihm zuhört und dem er seine Gedichte erzählen kann.
    Gedichte die Sinn ergeben, wenn man sich traut ihn zu suchen und ihn geistig behinderten Menschen zugesteht.


    4ratten

    Ich bin, was du träumst.<br />Ich wache immer über dich.<br />Ich bin, was deine Hand lenkt.<br />(gez. Seele)

  • Alex ist eine echte Weltenbummlerin und hat schon in allen möglichen Ländern Europas gelebt und gearbeitet. Wurzeln schlagen wollte sie nie, sie möchte sich weder an Orte noch an Menschen binden und hat auch nicht vor, in der Kleinstadt im Norden Frankreichs lange zu bleiben, in der sie gerade gelandet ist. Sie jobbt auf einer Hühnerfarm und wohnt bei einem ungleichen Ehepaar. Zum Haushalt der beiden gehört auch Gérard, der Bruder des Vermieters, der körperlich und geistig behindert ist und vor allem für Marlène nur eine lästige Verpflichtung zu sein scheint.


    Alex hingegen findet bald einen Draht zu Gérard, der große Freude an Gedichten und Liedern hat, unternimmt mit ihm öfter kleine Ausflüge an den Fluss und trifft dort auf Cedric und seinen Zackenbarsch genannten Kumpel.


    Die beiden sitzen häufig dort, trinken Bier, werfen Steine in den Fluss und tun sich selber leid. Cedric kann es seinem Vater nie recht machen, weil er seine Vorstellung von einem erfolgreichen Leben nicht teilt, und hat eine schmerzhafte Trennung hinter sich, die ihn ziemlich aus der Bahn geworfen hat.


    Ich mochte die Geschichte über die androgyne, ziemlich autarke Alex, die hinter einer verschlossenen Fassade viel Einfühlungsvermögen besitzt und hier für einige Menschen zum Katalysator für Veränderungen in festgefahrenen Lebenssituationen wird. Dass man über Alex' eigenen Hintergrund eher wenig erfährt, hat mich gar nicht gestört, es passte sogar ganz gut zu ihrer Lebensweise.


    "Der Poet der kleinen Dinge" ist eher modernes Märchen als realistischer Roman, aber wenn man das Buch unter dieser Prämisse liest, lässt sich durchaus hinnehmen, dass sich manches vielleicht ein bisschen zu gut ineinanderfügt. Ich könnte es mir auch gut als unterhaltsamen Film vorstellen.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen