Samuel Pepys - Die Tagebücher 1660 - 1669

Es gibt 55 Antworten in diesem Thema, welches 17.902 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Hafermilch.

  • Ich habe deinen Titel übernommen, Doris. So findet jemand, der nach der Werkausgabe sucht, diesen Thread und die Besprechungen der "Kurzversion" sind dann einfach hier mit drin. Ich habe mir schon überlegt, ob ich die Threads zusammenlegen soll und mich dann dafür entschieden, weil es grundsätzlich das gleiche Werk ist. Sonst stellt sich bald einmal die Frage danach, wo die Grenze gezogen werden soll. "Illuminati" von Dan Brown beispielsweise gibts ja als Ausgabe mit und ohne Illustrationen - das ist eigentlich eine wesentliche Unterscheidung (vor allem, wenn dann noch jemand im Detail über die Illustrationen schreibt), aber ich wollte dazu jetzt keine zwei Threads lesen, wenn es mir nur darum geht, mir einen Überblick über die Inhalte zu verschaffen.


    Ich war bei der Zusammenlegung vielleicht ein bisschen streng, aber dafür habe ich dann eben den Titel der Werkausgabe übernommen :smile:

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Das ist schon OK, ist ja ein guter Kompromiss. Der Titel weist darauf hin, dass es sich um die Gesamtausgabe handelt, und der geneigte Leser wird sich schon durch die ersten Beiträge durcharbeiten, bis er auf das Hauptwerk stößt. Nebenbei kommt vielleicht mancher darauf, dass es auch gekürzte Ausgaben der Tagebücher gibt, mit denen man sich einen Eindruck von Pepys verschaffen kann.


    Irgendwann werden die Postings überwiegen, die sich auf die Gesamtausgabe beziehen, dann passt es wieder.

  • Mit einer kurzen Abhandlung über die bisherigen Veröffentlichungen von Einzelteilen und dem Gesamtwerk sowie einem Essay von Robert Louis Stevenson habe ich den Companion nun fertig gelesen.


    Stevenson beschäftigt sich unter anderem mit einzelnen Bemerkungen, die Pepys in seinem Tagebuch gemacht hat, und versucht sich an einer Analyse, außerdem führt er einige Einträge auf, auf deren Grundlage er Pepys' Charakter und Lebenseinstellung durchleuchtet. Außerdem beschäftigt er sich wie Sandhofer mit den Fragen



    Warum hat Pepys seine Tagebücher geschrieben? Für wen hat er sie geschrieben? Warum hat er sie plötzlich abgebrochen? Aber trotzdem sorgfältigst aufbewahrt?


    Ich glaube, das ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss, und das am besten, nachdem er den Menschen Pepys durch die Tagebücher kennen gelernt hat. Stevenson meint, Pepys' romantisches Ich habe nur für sich selbst geschrieben und Erinnerungen produziert. Für mich klingt das nachvollziehbar und plausibel. Vielleicht kommt aber auch die Beamtenseele durch, die danach drängt, alles schriftlich festzuhalten und anschließend zu archivieren. Wie auch immer, wir können uns glücklich schätzen, dass er es getan hat.

  • Außerdem beschäftigt er sich wie Sandhofer mit den Fragen



    Ich glaube, das ist eine Frage, die jeder für sich selbst beantworten muss, und das am besten, nachdem er den Menschen Pepys durch die Tagebücher kennen gelernt hat. Stevenson meint, Pepys' romantisches Ich habe nur für sich selbst geschrieben und Erinnerungen produziert. Für mich klingt das nachvollziehbar und plausibel.


    Das beantwortet aber meine beiden letzten Fragen auch nicht ... :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Das beantwortet aber meine beiden letzten Fragen auch nicht ... :winken:


    Zumindest eine kann ich dir noch beantworten: Er hat das Schreiben beendet, weil er zunehmend Augenprobleme hatte und eine Erblindung befürchtete, die allerdings nicht eintrat. 1680 führte er noch einmal ein Tagebuch, das aber nicht privater Natur war.


    Grüße
    Doris

  • Vor einigen Tagen habe ich den ersten Band der Tagebücher begonnen und mich nur langsam eingelesen. Es dauerte ein gutes Drittel (von 380 Seiten), bis die Gewöhnungsphase an den individuellen Pepys-Stil einsetzte, und nun auf den letzten Seiten des Buches merke ich zunehmend, wie sich eine Art Sog entwickelt und die Vorfreude auf das nächste Tagebuch steigt.


    Zu Beginn der Aufzeichnungen schwirrte mir der Kopf vor lauter Namen. Wie in Tagebüchern üblich, gibt es kaum Erklärungen zu den einzelnen Personen, doch ihre Bedeutung kann zum Großteil im Namensverzeichnis des Companions nachgelesen werden. Ich habe zunehmend darauf verzichtet, weil sie mit der Zeit geläufiger werden und man ein Gefühl dafür bekommt, wer wichtig ist.


    Inhaltlich nimmt Pepys‘ Tagesablauf den größten Teil ein. Er geht arbeiten und ist dafür oft in und um London unterwegs, pflegt ein reges Gesellschaftsleben und musiziert, singt und spielt gerne. Gutes Essen und Trinken spielen eine große Rolle für ihn. Im Verlauf eines halben Jahres ergibt sich seine Beförderung vom persönlichen Schreiber zum ersten Sekretär des Flottenamtes, die wegen eines zweiten Bewerbers nicht ganz ohne Bangen für Pepys abgeht. Das Jahr steht im Zeichen der Rückkehr des Königs Charles II., der aus dem Exil zurückgeholt wird, um die englische Monarchie weiterbestehen zu lassen.


    Vom „erotischen Pepys“, dem schon vor einigen Jahren ein eigenes Buch gegönnt wurde, ist noch nicht viel zu spüren, wenn auch bereits einige Anspielungen auf Getändel mit geneigten Frauen vorkommen. Abgesehen von einer mehrwöchigen Schiffsreise, der Sorge um seinen angestrebten einflussreichen Posten im Flottenamt und den innenpolitischen Wirren steht nur das manchmal reichlich banale Privatleben im Mittelpunkt, und doch hat es seinen Reiz.


    Von dem Gedanken, dass Pepys die Tagebücher nur für sich persönlich führte, bin ich mittlerweile abgekommen. Es mag sein, dass er nicht daran dachte, sie der allgemeinen Öffentlichkeit zuzuführen, aber es könnte sein, dass er sie für eine bestimmte Person geschrieben hat. Auffallend ist nämlich, dass er wichtige Persönlichkeiten immer mit „Sir“, „Mr.“ oder „Mrs.“ und vor allem seine Frau nie mit ihrem Vornamen oder einem Buchstabenkürzel bezeichnet, sondern immer „meine Frau“ nennt. Eigentlich ist es gerade in höchst privaten Aufzeichnungen normal, dass man sich Abkürzungen oder bloßer Namen bedient. Vielleicht wird meine Vermutung in einem der späteren Bücher bestätigt.


    4ratten


  • Von dem Gedanken, dass Pepys die Tagebücher nur für sich persönlich führte, bin ich mittlerweile abgekommen. Es mag sein, dass er nicht daran dachte, sie der allgemeinen Öffentlichkeit zuzuführen, aber es könnte sein, dass er sie für eine bestimmte Person geschrieben hat.


    Aber widerspricht sich das nicht ...?



    In einer privaten Geheimschrift abgefaßt, lagerten die zwölf Bände seiner Tagebücher über 100 Jahre ungelesen in einer Bibliothek. Erst 1818 gelang es, die Tagebücher zu entschlüsseln.


    Ich war bisher auch der Meinung, dass Pepys die Tagebücher durchaus nur für sich geschrieben haben könnte, zumal sie nicht nur in einer Art Geheimschrift oder Steno abgefasst wurden, die zu entschlüsseln einige Zeit gebraucht hat, sondern sie wurden auch erst lange nach seinem Tod und eher zufällig gefunden. Wenn mir an einer Veröffentlichung gelegen wäre, würde ich sie prominenter platzieren. :zwinker:



    Auffallend ist nämlich, dass er wichtige Persönlichkeiten immer mit „Sir“, „Mr.“ oder „Mrs.“ und vor allem seine Frau nie mit ihrem Vornamen oder einem Buchstabenkürzel bezeichnet, sondern immer „meine Frau“ nennt. Eigentlich ist es gerade in höchst privaten Aufzeichnungen normal, dass man sich Abkürzungen oder bloßer Namen bedient. Vielleicht wird meine Vermutung in einem der späteren Bücher bestätigt.


    Auch das würde ich nicht überinterpretieren. Das mag den damaligen Gepflogenheiten entsprochen haben. Ich schreibe in meinem Tagebuch von Personen, die ich respektiere, auch meist von "Herrn" oder "Frau" XY. Nur Leute, die ich nicht leiden kann, sind immer "der Schulz" oder "die Müller". :zwinker:

  • Aber widerspricht sich das nicht ...?


    Nein. Vielleicht waren die Bücher seinem Erben zugedacht und eine Person alleine ist noch keine Öffentlichkeit. Zum Zeitpunkt des ersten Tagebuches war zwar noch keine Rede von einem Kind, aber Pepys war damals 26, seine Frau 20, da muss ein Kind noch nicht an erster Stelle der Wunschliste stehen.



    Auch das würde ich nicht überinterpretieren. Das mag den damaligen Gepflogenheiten entsprochen haben. Ich schreibe in meinem Tagebuch von Personen, die ich respektiere, auch meist von "Herrn" oder "Frau" XY. Nur Leute, die ich nicht leiden kann, sind immer "der Schulz" oder "die Müller". :zwinker:


    Pepys schreibt grundsätzlich sehr respektvoll von allen Leuten, mit denen er zu tun hat, selbst wenn er nicht das beste Verhältnis mit ihnen hat, wobei das nur selten vorkommt. In der Hinsicht hatte ich mehr Offenheit erwartet. Der Ruhigste ist er nicht, das müssen seine Angestellten bei ein paar Gelegenheiten feststellen. So verprügelt er z. B. sein Mädchen mit einem Besenstiel, weil sie seine Kleidung für den nächsten Tag nicht so hingelegt hat, wie er es möchte. In der Öffentlichkeit ist er nicht so impulsiv, sondern zeigt sich von seiner umgänglichen Seite. Das Tagebuch wirkt ähnlich auf mich, immer so geschrieben, dass er sich nicht für eine unbedachte Äußerung rechtfertigen muss.



    Ich bin schon gespannt, Doris, was du schreiben wirst, wie es zu lesen ist, d.h. ob es für unsere Begriffe verständlich ist.


    In der Hinsicht musst du keine Bedenken haben, Tina, es ist leicht verständlich. Du liest ja auch öfter mal Klassiker und wirst bestimmt keine Probleme haben.

  • Nein. Vielleicht waren die Bücher seinem Erben zugedacht und eine Person alleine ist noch keine Öffentlichkeit. Zum Zeitpunkt des ersten Tagebuches war zwar noch keine Rede von einem Kind, aber Pepys war damals 26, seine Frau 20, da muss ein Kind noch nicht an erster Stelle der Wunschliste stehen.


    Ich meinte auch eher den Widerspruch zu Alfa_Romeas Hinweis auf den späten und zufälligen Fund der Tagebücher. Nach dem, was ich so darüber gelesen habe, scheint Pepys sie tatsächlich nur für sich geschrieben und vor anderen verborgen zu haben. Natürlich hat jeder Tagebuchschreiber beim Schreiben auch eine mehr oder weniger diffuse Vorstellung von möglichen Lesern der Nachwelt im Hinterkopf, und seien es nur die eigenen Verwandten oder Nachkommen. Aber in erster Linie schreiben Tagebuchschreiber für sich selbst. Es sei denn, sie heißen Thomas Mann. :breitgrins:


    Insofern lässt sich auch sandhofers letzte Frage in meinen Augen leicht beantworten:



    Warum hat Pepys seine Tagebücher geschrieben? Für wen hat er sie geschrieben? Warum hat er sie plötzlich abgebrochen? Aber trotzdem sorgfältigst aufbewahrt?


    Nur weil man aufhört, Tagebücher zu schreiben - aus welchen Gründen auch immer -, muss man sie nicht gleich wegwerfen. Sie dienen genauso der Erinnerung wie Fotoalben oder Briefe.

  • Drüben im Klassikerforum hat Giesbert einen Link zu drei Ausgaben des [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4451.msg48894.html#msg48894]"Samuel Pepys Magazins"[/url] gesetzt. Dort ist ein Großteil des Companions zu lesen mit vielen Informationen und Abbildungen. Sehr empfehlenswert!


    Grüße
    Doris


  • Drüben im Klassikerforum hat Giesbert einen Link zu drei Ausgaben des [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4451.msg48894.html#msg48894]"Samuel Pepys Magazins"[/url] gesetzt.


    Toll! Die sehen nach erstem Überfliegen unheimlich interessant aus. Mit umfangreichem Register, Illustrationen, Zeittafeln etc.


    Vielen Dank! :winken:

  • Drüben im Klassikerforum hat Giesbert einen Link zu drei Ausgaben des [url=http://www.klassikerforum.de/index.php/topic,4451.msg48894.html#msg48894]"Samuel Pepys Magazins"[/url] gesetzt. Dort ist ein Großteil des Companions zu lesen mit vielen Informationen und Abbildungen. Sehr empfehlenswert!


    Giesbert Damaschke - für die Suchmaschinen unter uns ... :zwinker:


    (Er bloggt auch den Briefwechsel zwischen Goethe und Schiller und Eckermanns Gespräche mit Goethe in Echtzeit ... )

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Ich lese mich derzeit gemütlich durch das zweite Tagebuch und habe die ersten sechs Monate durch.


    Pepys ist dabei, sich häuslich einzurichten in seiner neuen Wohnung, auf die er als Flottensekretär Anspruch hat. Auch sonst genießt er seinen Status und gewöhnt sich langsam an das Ansehen, das damit verbunden ist. In finanzieller Hinsicht muss er sich keine Sorgen mehr machen. Sein Vermögen wächst beständig, und er liebt es, stets aufs Neue seine Barschaft zu zählen. Natürlich bleibt das nicht verborgen, daher muss er sich zunehmend damit auseinandersetzen, von anderen angepumpt zu werden, was ihm gar nicht gefällt. Im Grunde genommen ist er sparsam, gibt aber gerne für kulturelle und leibliche Genüsse Geld aus. Dem Alkohol ist er sehr zugeneigt, nimmt seinen Konsum auch mit leichter Besorgnis zur Kenntnis, aber obwohl er des Öfteren am nächsten Morgen die Quittung bekommt, kann er sich dem Trinken, vor allem in guter Gesellschaft, nicht entziehen.


    In London findet derzeit in Umbruch statt. Der neue König wird gekrönt, was nicht von allen Bürgern wohlwollend hingenommen wird. In dieser politisch unruhigen Zeit ist die Todesstrafe zwar nicht alltäglich, aber auch nicht ungewöhnlich. Urteile gegen Oppositionisten werden schnell gefällt und vollstreckt. Fast beiläufig berichtet Pepys an einer Stelle über Köpfe, die auf Stangen aufgespießt und aufgestellt werden, aber zur Mitte des Jahres scheint sich alles beruhigt zu haben.


    Peyps ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt 29 Jahre alt, erscheint oft noch unsicher, vor allem in Hinsicht auf seinen Beruf, wird aber immer selbstbewusster. Seine jugendliche Begeisterungsfähigkeit hat er sich bislang erhalten. Auch wenn er gerne zu Übertreibungen neigt – „Wie ich es noch nie gehört/gesehen/gegessen habe“ – ist er ein sympathischer Zeitgenosse.

  • In der zweiten Jahreshälfte steht Pepys eine Erbschaft seines Onkels ins Haus, die allerdings auch einigen Ärger mit anderen Verwandten nach sich zieht. Man versucht, sich zu vergleichen, doch ein Anwalt ist bereits eingeschaltet. Auch die eigene Familie macht ihm Sorgen, denn seine Eltern streiten sich häufig und seine Dienstboten geben oft Anlass zur Klage.


    Von seiner Arbeit ist derzeit weniger die Rede. Von geregelten Arbeitszeiten kann man ohnehin nicht sprechen – möglicherweise ein Privileg seiner gehobenen Position. Teilweise arbeitet er auch am Samstag bis in den Abend und geht dafür an anderen Wochentagen vormittags oder nachmittags mit Bekannten aus. Auch für das Siegelamt ist er weiterhin tätig. Hier gibt es eine Bestimmung, die ihn für eine gewisse Zeit des Jahres verpflichtet.


    Immer wieder thematisiert er sein Vermögen und die Sorge, er könne Geld verlieren, obwohl er es auch gerne mit vollen Händen ausgibt, Freunde und Verwandte einlädt, seiner alten Schule Bücher spendet oder sich selbst neue Musikinstrumente und Kleidung anfertigen lässt. Als er seiner Frau Elisabeth endlich einmal den Kauf von Spitze im Wert von 6 £ genehmigt, nimmt er sich allerdings gleich vor, seine Ausgaben zu mäßigen, um nicht in Geldnot zu geraten :breitgrins:, obwohl er großen Wert darauf legt, dass sie attraktiv aussieht. Über eine Modefrage gerät er mit ihr einmal sogar in einen heftigen Streit, in der auch deftige Ausdrücke fallen, was bislang im Tagebuch ungewöhnlich ist.


    Auffallend ist seine Theaterleidenschaft. Es vergeht keine Woche, in der er nicht wenigstens ein Stück ansieht. Doch obwohl er sogar vor sich selbst ein Gelübde ablegt, diesbezüglich kürzer zu treten, ist keine Besserung zu erkennen; ebenso wenig hinsichtlich seines Vorsatzes, weniger zu trinken. Auch für das häusliche Musizieren – er spielt mehrere Instrumente - investiert er viel Zeit, allerdings ohne Reue. Er ist ein echter Genussmensch.


    Übrigens erging es dem Londoner von 1661 nicht besser als heutzutage: Am 10. Dezember bemerkt Pepys verdrießlich, dass er eineinhalb Stunden im Stau feststeckte.


    Obwohl ihm die Erbschaftsstreitigkeiten und seine Eltern Sorgen bereiten, zieht er doch am Ende des Jahres ein positives Resümee. Auch mein Fazit zum zweiten und dünnsten der Tagebücher fällt positiv aus. Und: Es ist nicht schwer, sich nach einigen Wochen Pause zwischen den einzelnen Büchern wieder einzulesen. Also kein Druck, den nächsten Band bald lesen zu müssen, um den Faden nicht zu verlieren.


    4ratten


  • Übrigens erging es dem Londoner von 1661 nicht besser als heutzutage: Am 10. Dezember bemerkt Pepys verdrießlich, dass er eineinhalb Stunden im Stau feststeckte.


    :lachen: Jaja, die "gute" alte Zeit! Nichts Neues zwischen Himmel und Erde, nicht einmal was die Verkehrsprobleme angeht.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Im ersten Halbjahr 1662 schafft Pepys es endlich, nach einigen halbherzigen Anläufen sein Vorhaben umzusetzen, weniger zu trinken und bis zu einem bestimmten Tag nicht mehr ins Theater zu gehen. Die dadurch gewonnene Zeit und Energie kommen seiner Arbeit im Flottenamt zugute, wo er zur Höchstform aufläuft und sehr zufrieden über seine Leistungen ist. Auch seine Kollegen nehmen es mit Wohlwollen zur Kenntnis. Trotz aller Euphorie weiß er aber, wo seine Grenzen liegen und versucht nicht, sie gewaltsam auszudehnen oder gar zu überschreiten. Anlass zu geheimem Ärger geben mitunter Vorgesetzte, die sich taktlos und unhöflich verhalten oder als Chef aufspielen, obwohl er ihnen nicht direkt untersteht.


    Im Gegensatz zum Theaterverzicht lässt er seine musischen Talente nicht brach liegen, liest und musiziert häufig und mit Genuss. Anfang des Jahres nimmt er Unterricht im Komponieren, erreicht aber bald ein Niveau, bei dem er sich zutraut, alleine weiter zu üben und trennt sich von seinem Lehrer. Die ewige Geldfrage dürfte zu dieser Entscheidung auch ein wenig beigetragen haben.


    Der König ist nun in London – im Gefolge seine schwangere Geliebte. Die mit Spannung erwartete neue Königin trifft im Frühsommer ebenfalls ein. Außenpolitisch gibt es im Mittelmeerraum einige Differenzen mit Spanien und dessen Verbündeten. Pepys erwähnt Reibereien oder die Zustände in Tanger nur ganz am Rand. In London selbst wird mit großem öffentlichen Interesse die Hinrichtung von Sir Henry Vane verfolgt, einem wegen der Mittäterschaft beim Mord an König Charles I. zum Tod Verurteilten, der am Schafott noch eine längere Rede gehalten hat. Freude über die wiedererlangte Monarchie scheint noch nicht zu herrschen, das Volk ist unzufrieden.


    Am 2. Juni macht er zum ersten Mal die Andeutung, dass seine Frau „ein neues geschlitztes Leibchen trug, das sehr hübsch ist“. Weiter gibt es keine Bemerkungen in diese Richtung. Mit Offenbarungen in ehelicher Hinsicht ist er erstaunlich zurückhaltend, während er schon das eine oder andere Mal erzählte, dass er einer Bediensteten schöne Augen gemacht hat.


    Ein Novum im Tagebuch ist eine kurze Bilanz zum Ende des ersten halben Jahres, passend zu seiner Akribie, die er im Amt nun an den Tag legt.

  • Auch das würde ich nicht überinterpretieren. Das mag den damaligen Gepflogenheiten entsprochen haben. Ich schreibe in meinem Tagebuch von Personen, die ich respektiere, auch meist von "Herrn" oder "Frau" XY. Nur Leute, die ich nicht leiden kann, sind immer "der Schulz" oder "die Müller". :zwinker:


    Heute kam mir der Gedanke, dass es möglicherweise gar nicht Pepys, sondern dem Verleger zuzuschreiben ist, dass keine Abkürzungen von Namen in den Tagebüchern zu finden sind. Pepys bediente sich ja einer besonderen Kurzschrift, was nicht nur darin begründet sein könnte, dass sie nicht jeder lesen kann, sondern die ihm darüber hinaus auch ermöglichte, die täglichen Einträge schneller zu schreiben. Dann wäre es nur logisch, auch Abkürzungen bei Namen vorzunehmen. Vielleicht hat dann der erste Verleger seiner Bücher angefangen, die Namen vollständig zu nennen, was später weiterhin so übernommen wurde.


    Hier und hier habe ich zwei schöne Tagebucheintragungen gefunden, in denen er auch Langschrift verwendet hat. Lesen kann ich davon leider nichts. Der zweite Eintrag ist übrigens der letzte Tagebucheintrag überhaupt. Danach hat er das private Schreiben aufgegeben.

  • Heute kam mir der Gedanke, dass es möglicherweise gar nicht Pepys, sondern dem Verleger zuzuschreiben ist, dass keine Abkürzungen von Namen in den Tagebüchern zu finden sind.


    Halte ich für wenig wahrscheinlich, ehrlich gesagt. Weil: Verleger - bzw. Herausgeber - pflegen in solchen Fällen einen Anmerkungsapparat aufzubauen, um zeigen zu können, wie schlau sie doch waren und welch eine Arbeit sie geleistet haben, um diese Abkürzungen aufzulösen. (Es ist übrigens in vielen Fällen wirklich eine Heidenarbeit :zwinker: ...)

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Noch ein paar Zeilen zum zweiten Halbjahr 1662. Pepys bildet sich ständig auf eigene Faust weiter, so nimmt er z. B. Unterricht in Mathematik und eignet sich Kenntnisse über Tauwerk an. Im privaten Bereich vertieft er seine musikalischen Fähigkeiten. In irgendeiner Form lernt er immer mit großem Eifer Neues dazu, lässt dabei nichts schleifen und hat seine Freude daran, dass nicht nur er einen Vorteil daraus zieht.


    Interessant fand ich den Abschnitt, als Pepys die Renovierung seines Hauses im Flottenamt in Angriff nehmen lässt und es schon wenige Tage später heftig und andauernd zu regnen beginnt. Die Möglichkeiten, Räume gegen eindringendes Wasser zu schützen, waren im 17. Jahrhundert offensichtlich noch nicht sehr ausgereift, denn das oberste Stockwerk wird wegen des abgetragenen Dachstuhls nahezu überflutet. Erstaunlich, dass man damals das Wetter noch nicht einmal auf zwei Tage vorhersagen konnte und solchen Wetterumschwüngen ausgesetzt war. Die Meteorologie steckte damals wohl noch in den Kinderschuhen, aber es gab doch immer jemanden, der das Wetter in den Knochen spürte. Als Mensch, der ständig aktuelle Informationen aus den Medien abrufen kann, ist man in dieser Hinsicht natürlich verwöhnt. Es war für mich das erste Mal, dass ich mir über solche Auswirkungen überhaupt Gedanken gemacht habe. Vor allem, weil die Handwerker nicht einfach Plastikplanen über das offene Haus breiten konnten. Wie gut geht es uns doch!


    Angesichts des außerordentlich großen Kreises an Menschen, mit denen Pepys beruflich wie privat zu tun hat, ist es unmöglich, alle Namen zu behalten, selbst wenn man ohne größere Pausen liest. Verwirrungen gibt es auch durch nicht gerade seltene Namensgleichheiten. Zwar kann man mit dem Personenverzeichnis einigermaßen Abhilfe schaffen, doch es sind nicht alle Namen verzeichnet, die im Tagebuch erwähnt werden; außerdem stört es den Lesefluss, wenn man öfter nachschlägt. Zwischenzeitlich habe ich mich darauf verlegt, einfach über gewisse Namen hinwegzulesen, die erwähnt werden in Zusammenhang mit Begebenheiten, die nicht weiter erläutert sind. Die wesentlichen Personen lernt man mit der Zeit gut kennen, da sie immer wieder auftauchen.


    4ratten

  • Halte ich für wenig wahrscheinlich, ehrlich gesagt. Weil: Verleger - bzw. Herausgeber - pflegen in solchen Fällen einen Anmerkungsapparat aufzubauen, um zeigen zu können, wie schlau sie doch waren und welch eine Arbeit sie geleistet haben, um diese Abkürzungen aufzulösen.


    Was sie in diesem Fall nicht taten. Gerade heute habe ich wieder einen Abschnitt gelesen, der zeigt, dass Pepys wohl doch einfach sehr höflich in den Tagebüchern über seine Zeitgenossen schrieb. Selbst seinen Vater bezeichnet er meist als "mein Vater" und nicht einfach als "Vater", was viel persönlicher ist. Was wiederum ein Indiz dafür ist, dass er mit einer Veröffentlichung seiner Bücher rechnete. Ich warte immer noch darauf, dass er sich bezüglich einer späteren Verwendung noch äußert.


    Die Herausgeber meiner Zweitausendeins-Ausgabe waren übrigens auch so sehr fleißig. Sie haben ein Namensregister und ein Wörterbuch von Pepys ganz eigener Sprache erstellt.