Sadie Jones - Der ungeladene Gast

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    Inhalt
    Die Torringtons ... das sind: Mutter Charlotte, der von den Kindern nicht akzeptierte Stiefvater Edward, die große Tochter Emerald, der Sohn Clovis und die wenig beachtete Imogen (Smudge). Sie alle leben auf einem englischen Landgut, das sie sich eigentlich nicht mehr leisten können.
    Doch an diesem Tag soll das keine große Rolle spielen, denn Emerald hat Geburtstag. Abends will sie zusammen mit ihrer Familie (abgesehen von Edward, der auf der Suche nach finanzieller Unterstützung ist) und einigen Freunden feiern. Doch dann passiert in der Nähe des Landgutes ein Zugunglück und die Überlebenden werden vorerst in dem großen Haus untergebracht. Das passt dem Geburtstagskind nicht wirklich in den Kram und auch der Rest der Anwesenden findet die ungebetenen Gäste eher lästig. Doch ein Passagier tut sich besonders hervor: Mr. Traversham-Beechers, der nicht nur Charlotte kennt, sondern auch die Stimmung innerhalb der kleinen Gemeinschaft hervorragend zu steuern vermag.


    Meine Meinung
    Ich bin hin und weg von diesem Buch. Zunächst eher gemächlich dahinfließend entwickelt die Handlung einen Sog, dem man sich fast nicht entziehen kann und der mich bis tief in die Nacht hat lesen lassen. Die Autorin erzeugt dabei eine Stimmung, die zwischen bedrohlich, beklemmend und zum Schreien komisch wechselt, wobei man nie so wirklich weiß, woran man ist.


    Da sich die Handlung nur an einem einzigen Ort abspielt, sind die Charaktere natürlich besonders wichtig. Und sie sind mir alle ans Herz gewachsen, besonders die kleine Smudge. Sie ist das jüngste Kind und meistens auf sich allein gestellt. Sie hat die verrücktesten Ideen und eine davon wird dazu führen, dass sich schon bald ein Tier im ersten Stock befindet, welches dort so gar nicht hingehört. Smudges Aktionen haben mich in ihrer Verrücktheit fast ein bisschen an Irvings Geschichten erinnert ... meistens musste ich herzhaft lachen, manchmal ist mir dieses aber auch im Hals stecken geblieben.
    Die meisten anderen Charaktere sind nicht übermäßig sympathisch. Sie haben ihre Vorurteile, blicken auf andere herab und lassen sich leicht beeinflussen. Dabei sind sie stets bemüht, die Fassade aufrecht zu erhalten, doch je weiter die Handlung voranschreitet, desto mehr lösen sich diese Attitüden in Luft auf.


    Auflösen ... ein gutes Stichwort für die Handlung. Dort lösen sich nämlich die Grenzen zwischen Realität und Fiktion immer mehr auf, bis man die ganze Wahrheit erfährt. Ich will nicht zu viel verraten, aber wer verrückten und absurden Wendungen nicht abgeneigt ist, sollte dieses Buch lesen. Soviel darf gesagt werden: Am Ende ist nichts mehr wie es einmal war und kein Stein steht mehr auf dem anderen.


    Dieses Buch war für mich eines der Highlights des Jahres, deswegen kann und mag ich nicht weniger als 5ratten vergeben.

    "Bücher lesen heißt wandern gehen in ferne Welten, aus den Stuben über die Sterne." (Jean Paul)

  • Meine Meinung:


    Zitat

    "Und während sie noch zögerte, traf sie völlig unerwartet ein heftiger Windstoß von hinten, drang durch ihr Kleid, blies alle Gedanken an die Konventionen aus ihrem Kopf. Die schwere Haustür war geschlossen, aber die Kälte traf Emeralds Rücken, hatte ihren Weg durch Pfosten und Scharniere gefunden - durch das solide Holz selbst, so schien es, so wie eine unsichtbare kalte Strömung einen manchmal unvermittelt erfasst, wenn man aus dem Meer steigt, und einem den Atem verschlägt". S. 73


    1912: Es ist der 20. Geburtstag von Emerald Torrington, welche mit ihrer Mutter Charlotte, dem Stiefvater Edward und ihren Geschwistern Clovis und Imogen, genannt Smudge auf dem etwas heruntergekommenen Familienanwesen "Sterne" wohnt. Charlottes erster Ehemann Horace, der Vater der Kinder, ist vor wenigen Jahren gestorben. Der Stiefvater ist den drei Kindern verhasst.
    Für den Abend ist ein großes Dinner mit den Freunden der Familie geplant. Stiefvater Edward reist nach Manchester, um ein Darlehen zu erbitten, um "Sterne" erhalten zu können.
    Der Tag vergeht mit Vorbereitungen zu dem Dinner, Ernest und Patience Sutton treffen ein und der Nachbar, der recht konservative John Buchanan kommt auf Besuch und wird kurzfristig eingeladen.
    Völlig unerwartet trifft die Nachricht von einem nahen Zugunglück ein. Die überlebenden, etwas heruntergekommene Passagiere sollen im Hause untergebracht werden. Emerald bringt sie im Frühstückzimmer unter und sie werden zunächst vergessen. Der Versuch, bei der Eisenbahnzentrale anzurufen, scheitert immer wieder. Währenddessen werden die überlebenden Passagiere immer ungeduldiger, sie haben Hunger und wollen gerne weiter.
    Smudge hat währenddessen ein eigenes großes Unterfangen und sie schafft es, dies auch zu realisieren.
    Es trifft noch ein weiterer, sehr merkwürdiger Gast ein, Charlie Traversham-Beechers, der plötzlich vor der Tür steht.
    Einige überraschende Wendungen und merkwürdige Dinge geschehen nun in "Sterne"; darüber hinaus ist es stürmisch und es regnet, was der etwas unheimlichen Stimmung zuträglich ist.


    In einer bildhaften Sprache erzählt Sadie Jones von den Geschehnissen des Tages, während diesem jede der liebevoll gezeichneten Personen eine Persönlichkeitswandlung durchmacht und lernt, andere so zu behandeln, wie man selbst behandelt werden möchte. Sie überwinden alte Konventionen und Vorurteile.
    Mit "Der ungeladene Gast" wagt sich Sadie Jones in ein etwas andere Genre, was ihr recht gut gelungen ist.


    4ratten

    Ein Haus ohne Bücher ist arm, auch wenn schöne Teppiche seinen Boden und kostbare Tapeten und Bilder die Wände bedecken.<br />(Hermann Hesse)

  • Auch mit hat Der ungeladene Gast als dritter Roman auf dem deutschen Buchmarkt von Sadie Jones sehr gut gefallen. Zuvor erzielte sie bereits 2008 mit ihrem Debütroman (Der Außenseiter) nicht nur in Großbritannien auf Anhieb Achtungserfolge. Jones wurde dafür mit dem Costa Book Awards ausgezeichnet und kann zudem auf mindestens ein verfilmtes Drehbuch (The fine art of love, 2005) zurückblicken. Allerdings – wie jeder andere Jungautor – musste die 1967 (es könnte laut Verlagsseite allerdings auch 1968 gewesen sein) geborene britische Autorin zuvor durchaus auch einige Fehlschläge hinnehmen und sich beispielsweise als Kellnerin die Butter auf ihren Brötchen verdienen. Das dürfte mittlerweile nicht mehr nötig sein, denn nicht nur ihr preisgekrönter Debütroman wurde zwischenzeitlich in mehrere Sprachen übersetzt.



    Zitat

    Inhalt laut Verlagsseite:

    Eine stürmische Nacht, ein rauschendes Fest
    und ein Geheimnis, das nie hätte ans Tageslicht gelangen dürfen

    Ein schöner Frühlingsabend im Jahr 1912: Es ist Emerald Torringtons zwanzigster Geburtstag. Das schon etwas heruntergekommene Sterne-Anwesen blitzt und glänzt, ein großes Dinner mit Freunden der Familie ist geplant. Doch ein Zugunglück, nur einige Meilen entfernt, sorgt dafür, dass eine Schar derangiert aussehender Passagiere vor der Tür steht und Einlass begehrt. Von nun an läuft nichts mehr nach Plan – und dann taucht auch noch ein Nachzügler auf, der ein dunkles Geheimnis mit der Hausherrin teilt. Während draußen ein nächtlicher Sturm heraufzieht, beginnen drinnen Anstand und Dekorum davonzuwehen und dem Chaos den Weg zu bereiten …


    Der Einband des vor mir liegenden Romans ist in einem warmen Rot gehalten. Er zeigt vorne eine Frau mit aufgestecktem Haaren in einem roten Kleid von hinten, wobei das Muster des Kleides und das Muster rot tapezierten Wand, vor der sie steht, identisch ist. Automatisch dachte ich dabei „das könnte jeder sein“ und faktisch passt es damit zu den lebendig wirkenden Romanfiguren, die tatsächlich durchaus neben uns wohnen könnten – Zeitrahmen hin oder her. Der Titel der deutschen Übersetzung ist stimmig und doch auch wieder nicht. Denn tatsächlich erscheint zu der eigentlich eher klein angedachten Geburtstagsfeier Emeralds nicht nur ein ungeladener Gast, sondern gleich mehrere. Allerdings gehen die anderen Überraschungsbesucher eher unter.


    Was erwartet man beim Betrachten des Buches? Oder nach dem Lesen des Klappentextes? Ein Drama? Ein historisches Sittengemälde? Ein Art Gaslicht-Atmosphäre? Einen psychopathischen Daueramoklauf und permanente Gänsehaut vom bloßen Umblättern? Es könnte alles sein. Zumal man bei Titeln der Deutschen Verlags Anstalt sicher sein kann, dass es etwas ist, das sich angenehm vom üblichen Mainstream abhebt.


    Mit Der ungeladene Gast bekommt man auch prompt einen Hauch Mystery, reichlich (schwarzen) Humor und feine Ironie. Psychologisch geschickt platzierte Seitenhiebe und Sticheleien mit einem unverstellten Blick auf eine gleichermaßen skurril versnobte wie teilweise verarmte feine Gesellschaft. Auf verkrustete Strukturen und wenige Möglichkeiten. Auf gewünschtes Sein und tatsächlichen Schein.


    In Jones Roman gibt es fast ein Dutzend näher beschriebener Charaktere. Trotz dieser Fülle bleibt keiner von ihnen eindimensional. Sie zeigen sich vielschichtig und letzten Endes trotz aller Fehler nicht ganz so auf sich selbst bezogen sind, wie sie anfänglich wirken. In den acht Kapiteln zeigt sich, dass manches aus purem Eigennutz und anderes dann doch eher aus Eigenschutz geschieht. Fast alle lassen sich erschreckend leicht manipulieren und gewinnen dadurch noch an Echtheit.


    Und so wird man mit eher leisen Tönen durch die Geschichte gezogen. Direkt hineingezogen hat es mich zugegebenermaßen nicht in Jones Roman – dafür gab es einige zu vorhersehbare Wendungen. Dennoch konnte ich das Buch nicht einfach weglegen. Denn zusätzlich zu den vorhersehbaren Wendungen kamen beim Lesen auch Fragen auf. Die wollten beantwortet werden, konnten es aber nicht gleich, da die Autorin mehrfach teils humorvolle, teils bitterböse oder arrogant wirkende Ausweichmanöver startete und vom eigentlich Offensichtlichen wegführte.


    Da ist eine scheinbar ganz normale Familie. Der Stiefvater macht sich auf, Gelder zu besorgen, um das Anwesen und den Lebensstandard seiner angeheirateten Familie zu bewahren. Ein finanziell etwas in Schieflage geratenes Familienidyll? Nicht ganz, denn seine Stiefkinder bilden sich viel auf sich ein und lehnen ihn ab. Jedenfalls wird das im Bezug auf Emerald und ihren Bruder Clovis deutlich. Imogen, Smudge genannt, das dritte Kind im Bunde bleibt größtenteils sich selbst überlassen und kann ihre liebenswert kindlichen und doch sehr exzentrischen Einfälle - etwa ein Pony in ihr Zimmer zu bringen – in die Tat umsetzen. Emeralds Mutter Charlotte offenbart sich größtenteils als verantwortungslose, egoistische, ja oberflächliche Frau. Der reiche Nachbar John wirkt engstirnig und bigott, die ankommenden Freunde Ernest und Patience dagegen bodenständig und verlässlich. Da gibt es die verhärmte Haushälterin Florence und natürlich ist da noch Der ungeladene Gast Charlie Travesham-Beechers. All das wird genauso leicht und fast spielerisch erzählt wie die Ankunft der verunglückten Zugreisenden, die dringend ein Quartier für die Nacht brauchen. Das bekommen sie zwar, wirkliche Zuwendung und Versorgung erfahren sie jedoch nicht, da es sich nur um Passagiere der dritten Klasse handelt, die man in den Augen der Familie getrost übersehen kann. Zwar lässt Jones das eine oder andere Mal so etwas wie ein schlechtes Gewissen bei dieser aufkommen, wirklich hilfsbereit wirkt sie jedoch nicht, steht doch immerhin Emeralds Geburtstagsfeier an, die ihre absolute Aufmerksamkeit verdient. Dem verspätet eintreffenden Zugreisenden Travesham-Beechers der ersten Klasse geht es da schon anders und er wird nicht nur wegen seiner fast bezwingenden Ausstrahlung geradezu hofiert.


    Die Welt Emeralds und ihrer eigentlichen Gäste gerät durch das Auftauchen der verunglückten Zugreisenden dennoch kurzfristig aus den Fugen. Die Autorin setzt dabei nicht auf Schockeffekte im großen Stil. Dafür webt sie langsam und stetig um ihre Figuren eine dichte, vielschichtige und bildhafte Atmosphäre, deren eigentliche Spannung sich manchem Leser eventuell erst auf den zweiten Blick und für einige eventuell gar nicht erschließen wird. Doch es lohnt sich dranzubleiben, denn alle ihre Charaktere – außer der kleinen Smudge - machen eine Wandlung durch. Lernen dazu, was anfangs unmöglich erscheint. Und das alles in einem Zeitraum von wenigen Stunden.


    Fazit:


    Der ungeladene Gast startet (fast zu) behutsam und nimmt erst nach einer Weile an Fahrt auf. Was nicht grundsätzlich schlecht ist, sondern dafür sorgt, dass Jones eine wie bereits erwähnt überaus bildhafte Kulisse für und mit ihren authentischen Figuren schafft. Doch genau deshalb würde ich den Roman auch eher als unterhaltsam denn spannend bezeichnen. Der dezent-spukige Effekt steigert sich zudem so behutsam, dass man bald erkennt, worauf er hinausläuft. Letztlich fügt er sich zwar so passend ein, dass man ihn dennoch nicht missen will. Trotzdem bleibt das Ende etwas unbefriedigend. Beinahe als wäre etwas gestrichen oder in letzter Sekunde abgewandelt worden. Alles in allem habe ich mich jedoch gut unterhalten gefühlt.


    Copyright © 2012 Antje Jürgens (AJ)



    4ratten

    Man sagt, dass die Welt ohne Fantasie ein trostloser Ort wäre.<br />Doch was wäre die Fantasie ohne Worte? Sie sind die Flügel, auf denen Fantasien in die ganze Welt gelangen können.

  • Originaltitel: The uninvited guests


    Nachdem „Der Außenseiter“ mich so sehr begeistert hat, habe ich sofort zugegriffen, als „Der ungeladene Gast“ mir in der Bücherei begegnet ist.


    Das Buch spielt in einem englischen Herrenhaus in der Provinz, an Emeralds 20tem Geburtstag. Sie lebt dort mit Geschwistern, Mutter und Stiefvater, der allerdings abwesend ist – unterwegs, um irgendwo genügend Geld aufzutreiben, um das Haus weiter unterhalten zu können. Trotz der finanziellen Schwierigkeiten hält die Familie am standesgemäßen Leben fest, es ist ein Dinner geplant. Doch der Abend verläuft nicht wie geplant, es stehen plötzlich Dutzende Opfer eines Zugunglücks vor der Tür, die im Auftrag der Eisenbahngesellschaft versorgt werden sollen. Immerhin alles eigentlich unwichtige Unterschichtlicher, bis auf einen Herren, der nicht nur die Gestaltung des Abends an sich reißt, sondern Einfluss auf die gesamte Familie und ihr weiteres Leben nehmen wird.


    Leider denken die meisten Figuren in erster Linie an sich bzw. ihre Position, so dass es schwer fällt, wirkliche Sympathieträger auszumachen – gerade ihre langanhaltende Ignoranz gegenüber den Bahnopfern fällt extrem negativ auf.


    „Der ungeladene Gast“ ist auf der einen Seite ein gesellschaftskritischer Roman, der immer wieder Schranken aufzeigt: gesellschaftlicher Art, aber auch zwischen den Geschlechtern, wobei Grenzüberschreitungen von Gesellschaft oder auch dem Schicksal geahndet werden. Andererseits gibt es einige Elemente eines Schauerromans, wodurch aber, meiner Meinung nach, jeglicher Kritik oder ironischen Betrachtung die Spitze genommen wird.


    Letztendlich wirkt der Roman dadurch unentschlossen und ich weiß, auch Wochen nachdem ich das Buch zugeklappt habe, immer noch nicht, ob es mir jetzt gefallen hat oder nicht.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Ja, das Buch ist genau so gruselig, wie sich der Klappentext liest. Zumindest, wenn man sich an den Sprachstil gewöhnt hat und diesen auch mag. Wenn das Buch auch nicht Mitte des 19ten sondern Anfang des 20sten Jahrhunderts spielt, fühlte ich mich unweigerlich an den Schreibstil der Bronte Schwestern erinnert. Charlotte, die Mutter dreier Kinder, mit deren Erziehung sie vollkommen überfordert ist. Die vernünftige große Tochter Emerald, der trotzige Sohn Clovis und das vernachlässigte jüngste Kind, die kleine Smudge, machen mehr oder weniger was sie wollen. Die Ereignisse wachsen Charlotte über den Kopf und erreichen ihren Zenit als erst eine gesamte Zugreisegruppe und schließlich ein „alter Bekannter“ vor der Tür steht …

    Sadie Jones hat mit diesem Buch – ganz anders als in ihren beiden Vorgängerbüchern – eine Art Gruselnovelle erschaffen, die sich den Leser ständig fragen lässt … was passiert hier eigentlich wirklich. Man liest sich durch eine Art Albtraum, aus dem man sich wachrütteln möchte. Ein Albtraum, der einen erschaudern lässt. Mir hat das Buch trotz der eigenwilligen Schreibweise recht gut gefallen.

  • Es ist Emerald Torringtons 20. Geburtstag, an dem ihr ungeliebter Stiefvater nach Manchester aufbricht, in der Hoffnung, die zukünftige Finanzierung des heißgeliebten und schon etwas heruntergekommenen Familienanwesens zu sichern. Sterne verlassen zu müssen wäre ein Alptraum für Emerald und ihren Bruder.


    Der Geburtstagsfeier soll die klamme Finanzlage der Familie aber nicht im Wege stehen. Die Köchin ist mit ihrer Schar von Helferlein eifrig dabei, für eine kleine Party am Abend leckere Köstlichkeiten zu zaubern. Emerald freut sich schon auf die Feierlichkeiten. Ihre kleine Schwester Imogen, genannt Smudge, ist weniger begeistert, viel mehr als festliche Kleider und Partygäste liebt sie die Tiere der Familie, insbesondere ihr Pony Lady, mit dem sie für diesen Tag besondere Pläne hat.


    Womit niemand gerechnet hat, ist die Einquartierung, die Sterne unversehens ins Haus schneit: ganz in der Nähe hat es ein schlimmes Zugunglück gegeben, und eine ganze Horde von Menschen sucht vorübergehend Zuflucht, die man ihnen wohl kaum verwehren kann. In welches Chaos die ungeladenen Gäste das Anwesen und seine Bewohner stürzen werden und dass sich unter ihnen ein sehr guter alter Bekannter von Emeralds Mutter befindet, konnte allerdings wirklich niemand ahnen.


    Sadie Jones zeichnet von der ersten Seite an ein extrem atmosphärisches Bild eines leicht in die Jahre gekommenen englischen Landsitzes und seiner Bewohner. Wann genau sich das Ganze abspielt, ist nicht ganz klar, es muss sich aber um den Beginn des 20. Jahrhunderts handeln, es gibt zumindest schon Autos, auch wenn sie noch angekurbelt werden müssen. Ein bisschen Downton-Abbey-Feeling kommt auf, wenn wir Emerald und ihre schillernde Familie ebenso durch den Tag begleiten wie die Dienstboten, die sich eifrig mühen, dem Geburtstagskind eine gebührende Feier zu bereiten.


    In dieses bei allen Sorgen doch recht idyllische Bild platzt die Nachricht von der schrecklichen Eisenbahnkatastrophe und wenig später eine Wagenladung verstörter Menschen, von denen keiner so recht weiß, was man nun mit ihnen anstellen soll und die sich, je weiter die Zeit fortschreitet, immer merkwürdiger benehmen. Ganz zu schweigen von dem einen speziellen Überraschungsgast, auf den sich bald aller Aufmerksamkeit richtet. Es wird mysteriöser und mysteriöser, bis schließlich klar wird, was es mit den ungeladenen Gästen auf sich hat.


    Stellenweise übertreibt die Autorin ein bisschen, als sich die Handlung immer mehr zuspitzt, aber ansonsten ist "Der ungeladene Gast" (interessanterweise heißt das Original "The Uninvited Guests" - beides hat tatsächlich seine Berechtigung!) sehr unterhaltsam, oft überraschend und mit einer wunderbar spitzen Feder gezeichnet.


    Ein Extralob gebührt hier der Übersetzerin Brigitte Walitzek, die wirklich immer die perfekten Worte und einen wunderbaren Tonfall gefunden hat. Eine so rund klingende Übersetzung habe ich lange nicht gelesen.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen