Johann Wolfgang Goethe - Die Leiden des jungen Werther

Es gibt 48 Antworten in diesem Thema, welches 20.414 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von kleinerHase.

  • Ich habe die Briefe vom Juli auch noch gelesen heute und muss sagen, so ganz sympathisch ist Werther mir auch nicht.
    Er wusste von Anfang an, dass Lotte verlobt ist und daher war es abzusehen, dass Albert irgendwann wieder kommt. Mir geht diese "Weltuntergangs-Stimmung" ein wenig auf die Nerven. Natürlich ist es schwer, wenn die geliebet Person bereits vergeben ist, aber er steigert sich zu sehr da rein.
    Besonders auffällig fand ich die Beschreibung, dass er nicht von ihr lassen kann und wenn er schon in Wahlheim ist, könne er auch noch eine weitere halbe Stunde gehen, um sie zu besuchen.

  • Das Problem bei mir ist, dass ich schon diese Zwickmühle des Werther verstehen kann. Ich weiß wie es ist, wenn man in jemanden verliebt ist, der vergeben ist. Problematisch ist es wenn man der Person dann nicht aus dem Weg gehen kann, weil man gezwungen ist, sie jeden Tag zu sehen. Ich glaube mein Problem liegt in der Art und weise, in welcher Werther / Goethe schreibt. Sie geht mir einfach gegen den Strich und macht mir so den Protagonisten unsympathisch. Ich denke, würde er in der Sprache Shakespeares reden, dann wäre er mir durchaus sympathisch.

  • Tina: Das freut mich, wenn ich etwas interessantes einbringen konnte. :smile: Was du zu der Art und Weise sagst, wie erzählt wird und, dass dir das Werther unsymphatisch macht: Da muss ich dir zustimmen. Ich konnte Werther wirklich überhaupt nicht leiden. Ich empfand ihn immer als unglaubliches Jammertal.
    Ich denke es könnte interessant für euch sein, was wir sonst noch zu dem Werk im Seminar besprochen haben, deshalb lasse ich euch die "Erkenntnisse" mal hier. :zwinker:


    Was die Erzählsituation von Goethes Briefroman angeht, so habe ich schon die Herausgeberfiktion erwähnt, sehr interessant ist allerdings der Wechsel von dieser Herausgeberfiktion zum Ich-Erzähler Werther. Auffallend ist die Tatsache (die ihr alle schon erwähnt habt ;)), dass es keine Gegenbriefe gibt. Die Sicht bleibt also auf Werther eingeschränkt. Während der ganzen Geschichte verändert sich aber auch seine eigene Erzählsicht immer ein kleines bisschen. Anfangs, im Ersten Buch, spricht man noch von einer "Reflektorperspektive". Werther beschreibt die Umgebung, reflektiert sein Befinden... das ändert sich dann mit seiner Verliebtheit - er reflektiert viel weniger, wird beinahe übermütig, verliert schliesslich zunehmend den Verstand.
    Man spricht bei Werthers Ich-Erzählung von einer "homodiegetischen" Erzählperspektive - das heisst, dass es sich um einen Erzähler handelt, der Teil der Geschichte ist und diese erlebt, nicht nur von aussen betrachtet. Die Herausgeberfiktion ist das Gegenteil dazu.


    Man könnte dann in den Bereich der Interpretation gehen und vielleicht sagen, dass Werthers Sicht diese typische, emotionsgeladene, etwas "kopflose" Art des Sturm und Drangs widerspiegelt, während die Erzählerfiktion dem gegenüber rational wirkt und als die "Vernunft" gedeutet werden kann.
    Aber auch innerhalb des Werkes kann man ins interpertieren gehen und vielleicht sagen, dass Werthers Ansichten und sein Verhalten "typisch Sturm und Drang" sind, im Kontrast dazu Albert, der sehr rational und konservativ ist, also noch die Aufklärung in sich stecken hat. Lotte steht dazwischen als eine Art Vermittlerin.


    Einer meiner Professoren erzählte uns (ich habe das ehrlich gesagt nicht nachgeprüft, ich bin nicht ganz so sehr der Goethe-Nerd ;D), dass Goethe sich ja später im Leben der Klassik verschrieben hatte und sich dann regelrecht für sein Jugendwerk "Werther" geschämt hat. Er konnte nicht mehr viel mit den Gedanken des Sturm und Drangs anfangen und ihm war das Werk unangenehm, vor allem da ihn fast jeder damit in Verbindung brachte (war ja auch ein Bestseller...). Er hat es dann später im Leben etwas editiert. Ich weiss nicht genau an welchen Stellen und ob wir heute die erste oder zweite Fassung im Buchhandel kaufen... muss ich mich mal informieren. Jedenfalls wurde das Werk von Goethe während seiner Klassik-Zeit nochmals überarbeitet.
    (schlagt mich, falls ich das falsch im Kopf habe und es in Wirklichkeit Iphigenie auf Tauris war, die überarbeitet wurde... ich zweifle gerade selber XD)


    Eine nette kleine Anekdote: Als Goethe einmal auf Napoleon Bonaparte traf, sprach ihn dieser auf den Werther an, den er gelesen hatte. Goethe hat sich tierisch darüber geärgert. Der alte Klassiker. XD EDIT: Scheint sich wohl um eine Fehlinformation zu handeln. Tut mir leid. :zwinker:


    Ich wünsche euch weiterhin viel Spass mit der Lektüre. Ich würde das Buch kein zweites Mal lesen wollen, aber es ist wirklich interessant zu analysieren. :winken:

    Einmal editiert, zuletzt von Noble Scarlet ()

  • Ein kleiner Nachtrag zu meiner Ausgabe:


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    Es handelt sich um die 20. Auflage, die im Insel Verlag erschienen ist (1. April 1973)

  • Eine nette kleine Anekdote: Als Goethe einmal auf Napoleon Bonaparte traf, sprach ihn dieser auf den Werther an, den er gelesen hatte. Goethe hat sich tierisch darüber geärgert. Der alte Klassiker. XD


    Goethe war äusserst geschmeichelt über die Aufmerksamkeit, die der Kaiser ihm zukommen liess. Und er blieb sein Leben lang ein glühender Verehrer des Phänomens Napoleon. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • sandhofer: Aaaah, dann hat mein Professor das wohl doch falsch erzählt. :breitgrins: Hast du da vielleicht die Quelle dazu? Das würde mich wirklich interessieren, ich finde das Phänomen Napoleon auch ziemlich spannend. Danke für die Korrektur! :winken:

  • @Noble Scarlet: Danke fürs schreiben. War sehr informative.


    @ alle:Hat man auch nicht mal gesagt, dass die Handlung des Romans autobiografisch sein ? Kann sein dass ich das mal bei Wiki gelesen hatte bin mir aber nicht mehr sicher...
    Ich habe heute die Briefe von August und September gelesen und im September merkt man wie Werther leidet, wie er hin und her gerissen ist. Er will die Stadt verlassen, aber kostet auch jeder Minute die er kriegen kann mit Lotte... Man bemerkt hier schon die Stimmungsschwankungen von Werther. Vor allem in den September- Briefen liest man dass er es nicht ertragen kann die beiden als Paar zu sehen. Immer wieder sagt er sich er muss fort! Er muss gehen....


    Das war der erste Teil (letzte Brief am10. Sept.) und dann kommt der 2. Teil und der erste Brief im Oktober wurde am 20. geschrieben. Das lese ich allerdings er nach her :smile:

  • Ich muss was gestehen:


    ich habe das Buch vorhin in der Straßenbahn beendet... Mein Hin- und Rückweg betruf insgesamt aber auch fast drei Stunden. :redface:
    Trotzdem werde ich mich immer mal wieder zu Wort melden.


  • Ich muss was gestehen:


    ich habe das Buch vorhin in der Straßenbahn beendet... Mein Hin- und Rückweg betruf insgesamt aber auch fast drei Stunden. :redface:
    Trotzdem werde ich mich immer mal wieder zu Wort melden.


    Das ging ja schnell :smile:


    Ich glaube ich bin morgen auch fertig habe ca. 50 Seiten zu lesen, aber Werther nervt mich momentan sehr. Er ist arrogant und immer wieder diese ich bin besser als andere gerede nervt einfach. Einerseits seht man auch wie deprimiert er ist. Ich weiß nicht, ob ich mit ihm Mitleid habe für die Liebe, die er fühlt oder ob ich mir denken soll selber Schuld. Die Frau ist vergeben - move on!

  • Ich habe jetzt den August gelesen und so nach und nach finde ich mich auch in die Sprache ein. Gerade was die Briefe dieses Monats anbelangt, bemerke ich, dass ich nun doch Mitgefühl für Werther empfinde, der so gefangen in seinen Gefühlen für Charlotte ist, dass ihn nur noch quält. Wäre Albert ein schuft, dann wäre es wohl für ihn viel leichter damit umzugehen, aber so, macht es das ganze noch schlimmer.



    Einerseits seht man auch wie deprimiert er ist. Ich weiß nicht, ob ich mit ihm Mitleid habe für die Liebe, die er fühlt oder ob ich mir denken soll selber Schuld. Die Frau ist vergeben - move on!


    Und oft ist es ja auch so, dass wir sehenden Auges in ein Unglück hineinrennen und in genau der selben Situation bei einem dritten nur fassungslos den Kopf geschüttelt hätten über soviel Unvernunft.
    So fand ich den Absatz über Verstand und Emotionen sehr wahr:


    Zitat

    „Mein Freund“, rief ich aus, „der Mensch ist Mensch, und das bisschen Verstand, das einer haben mag, kommt wenig oder nicht in Anschlag, wenn Leidenschaft wütet und die Grenzen der Menschheit einen drängen...“


    Emotionen können komplett vom Verstand abgekoppelt werden und das macht unser Verhalten so unvorhersehbar.


    Ebenso seine Frage:


    Zitat

    Musste denn das so sein, dass das, was des Menschen Glückseligkeit macht, wieder die Quelle seines Elends würde?


    Natürlich, denn nur das was uns am meisten am Herzen liegt, kann uns auch meisten verletzten, weil hier die mächtigsten Gefühle zum tragen kommen. Im positiven und so dann auch im negativen. Weil es uns eben nicht gleichgültig ist, weil es einen so hohen wert hat.


    Zitat

    Wenn wir uns selbst fehlen, fehlt uns alles.


    Dann fehlt uns das Gleichgewicht. Ich sehe aber auch immer wieder in meinem Umfeld, dass es Menschen gibt, die nicht alleine sein oder leben können. Sie sind sich selbst nicht genug um damit ihr LEben auszufüllen. Das tut mir immer leid wenn ich das sehe. Ich denke, sie fehlen sich auch.
    Hier kommt dann noch hinzu, dass Werther, auf Grund seiner mangelnden Beschäftigungsmöglichkeiten, da er ja keinem Beruf nachgeht umso mehr Zeit zum nachdenken und sich selbst zu bemitleiden hat. Seine Gedanken drehen sich nur noch im Kreis und werden keine Minute durch die Beschäftigung mit etwas anderem abgelenkt.


    Das dieses Buch autobiographisch ist, kann schon gut sein, denn Werther hat am selben Tag Geburtstag wie Goethe.


    Alle Briefe des Monats August scheinen darauf hinzuweisen, dass diese ganze Geschichte kein gutes Ende nehmen wird.
    Einmal diese Diskussion mit Albert über die Rechtfertigung und die Auslöser von Selbstmord, dann auch noch der letzte Satz in dem Brief vom 30. August:


    Zitat

    Adieu! Ich seh dieses Elendes kein Ende als das Grab.


    Mal sehen, ob ich heute noch dazukomme weiterzulesen, denn mittlerweile will ich wissen, wie dieses Drama ausgeht.


    Viele Grüße Tina

  • Ich habe nun weitergelesen und es ist fast ein Jahr vergangen, seit Werther sich wirklich aufgerafft hatte und gegangen war. Ich fand es gut, dass er sich eine Beschäftigung gesucht hatte, aber das hielt ja nicht sehr lange. Wie man sieht, ging es ihm in dieser Zeit wesentlich besser und nun, da er wieder in den lieben Tag hineinlebt, kreisen seine Gedanken wieder um Charlotte und er macht sich wieder auf den Weg nach Wahlheim.
    Kaum war er mir ein wenig sympathisch geworden, ist's nun auch schon wieder vorbei. Ich könnte diesen Kerl schütteln, der sich so viel auf seinen Geist, seine Menschlichkeit und seine Güte einbildet und doch so von sich eingenommen ist, dass er nicht merkt, dass andere über ihn lachen. Auch als er anfängt über die Ehe von Charlotte und Albert zu urteilen, ohne sie zu kennen und darauf zu bestehen, dass er der bessere Mann für Charlotte sei. Ich kann Charlotte nur beglückwünschen, dass sie ihren Albert hat und nicht diesen weltfremden, in Selbstmitleid zerfließenden Guck-in-die Luft von Werther.


    Ich hatte mich auch die ganze Zeit im ersten Teil gefragt, ob nicht Albert und Charlotte merken müssten, wir ihr Freund Werther so drauf ist. So wenig, wie er sich im Griff hat, kann ich mir nicht vorstellen, dass er seine Gefühle verbergen kann, oder gar verbergen möchte.


    Im ersten Brief vom September erfährt der Leser auch ein wenig von der Meinung Wilhelms, die Werther ja stellenweise in einem Brief zitiert. Das fand ich sehr interessant. Schade dass Wilhelm nicht mehr Einfluss auf ihn hat.


  • Im ersten Brief vom September erfährt der Leser auch ein wenig von der Meinung Wilhelms, die Werther ja stellenweise in einem Brief zitiert. Das fand ich sehr interessant. Schade dass Wilhelm nicht mehr Einfluss auf ihn hat.


    Vielleicht hätte er mehr Einfluss gehabt, wenn er Werther getroffen hätte. Briefe werden ja schnell vergessen.
    Getreu dem Motto "aus den Augen, aus dem Sinn" und so wie Werther sich benimmt, möchte er auch keinen Rat.


    Albert und Lotte dachten sich vielleicht, dass ihr Freund sich schon irgendwann wieder besinnen wird.

  • Eben, sie tut nichts dagegen.
    Man könnte fast davon sprechen, dass es ihr egal ist, wie er empfindet.

  • Was Werther in den Oktoberbriefen des zweiten Teils schreibt, kann ich nachvollziehen in Bezug auf mein Kind. Könnte ich meine Tochter nie wiedersehen, dann würde ich wohl ganz genauso empfinden, jedoch nicht bei einem "fremden" Menschen.

  • Ich habe gestern auch noch das Buch zu Ende gelesen.
    Ich finde Lottes Verhalten seht man vor allem zum Schluss besser als davor. Und ja ihr habt recht schließlich ist sie die Verheiratete und musste mehr Abstand zu anderen Männern halten...

  • Ich habe das Buch auch soeben beendet. Mein lieber Scholli. Werther macht durch seine Abschiedsbriefe Charlotte ein schlechtes Gewissen und sie teils dafür verantwortlich, dass er sich das Leben nimmt. Je nachdem wie stark Charlotte in ihrem Leben gefestigt ist, wird sie das sehr wahrscheinlich bis an ihr Lebensende verfolgen und hätte auch zur Folge haben können, dass dieses sich ebenfalls etwas antut, zumal Werther ja am Schluss, nach seinem letzten Besuch bei ihr, obwohl sie ihn bat, nicht zu kommen, davon überzeugt war, dass sie ihn ebenfalls liebe. Was ich jedoch wiederum sehr gut fand war, dass Werther zumindest so anständig war und vor alle seine Angelegenheiten erledigt hatte und somit keine Arbeit hinterliess.
    Er musste nur leider sehr lange leiden, weil der Schuss nicht richtig gesetzt war. Das tat mir leid, aber auch wenn es jetzt hartherzig kling und vielleicht auch ist - ich bin der Meinung, dass der Selbstmord das beste war, was er tun konnte, denn er war nur noch eine Qual für sich und seine Umgebung.


  • Das tat mir leid, aber auch wenn es jetzt hartherzig kling und vielleicht auch ist - ich bin der Meinung, dass der Selbstmord das beste war, was er tun konnte, denn er war nur noch eine Qual für sich und seine Umgebung.


    Na ich weiß nicht, ob Selbstmord wirklich ein Lösung ist. Ich halte ja nichts vom Selbstmord und finde es selbst bei Werther traurig, dass er Selbstmord als letzte Hoffnung gesehen hat.