Wolfram Fleischhauer: Drei Minuten mit der Wirklichkeit

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  • Die teils recht langen Exkurse in die Geschichte und Besonderheiten des Tangos sind nicht uninteressant, auf Dauer aber für Nicht-Tangotänzer etwas anstrengend.


    Interessant, wie unterschiedlich man das empfinden kann - ich fand diese Exkurse über den Tango überhaupt lang, im Gegenteil, sie haben mich auch als Nicht-Tangotänzer extrem fasziniert, so dass ich seitdem eine kleine Schwäche für alles, was mit Tango zu tun hat, entwickelt habe.


    Aber ich habe mich schon nach wenigen Seiten in dieses Buch verliebt und wenn man verliebt ist, ist man ja nicht immer objektiv. :zwinker:

  • Hallo!


    Ich gehöre auch zu denjenigen, die von Anfang an von dem Buch fasziniert waren. Bis jetzt bin ich leider noch nicht sehr weit in die Geschichte eingetaucht, Martin Baumert kam gerade von der Polizei zurück und Giulietta ist nach Argentinien verschwunden. Aber ich bin schon gespannt wie es weitergeht denn in den ersten 50+ Seiten gibt es für mich schon verschiedene Möglichkeiten, wie sich die Geschichte entwickeln kann. Auf jeden Fall freue ich mich schon aufs Weiterlesen.


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Das freut mich sehr, dass dir das Buch bisher gut gefällt, Kirsten. :)


    Ich war in diesem Jahr auf einer Lesung zu "Drei Minuten mit der Wirklichkeit", die mir sehr gut gefallen hat. Nicht nur kann Wolfram Fleischhauer sehr gut erzählen und vorlesen, passenderweise gab es auch einige Einspieler mit Tangomusik. Dadurch konnte ich noch mehr in die Geschichte eintauchen und bekam richtig Lust darauf, das Buch noch mal zu lesen, was ich dann auch gleich getan habe. :zwinker: Und der Roman konnte mich auch bei der zweiten Lektüre wieder verzaubern.

  • Hallo!


    Meine anfängliche Faszination hat mich bis zum Ende nicht verlassen. Sobald Guiletta in Buenos Aires ankam war ich wie gefesselt. Wolfram Fleischhauer hat es geschafft die Stadt so zu beschreiben dass ich das Gefühl hatte, selbst dort zu sein. Auch die verschiedenen Cafés mit ihren eigenen Regeln beim Tango konnte ich mir gut vorstellen. Ich bin keine Tänzerin, deshalb konnte ich mit den Tanzszenen nicht so viel anfangen. Trotzdem habe ich mich nicht dabei gelangweilt, sondern hatte zumindest eine ungefähre Vorstellung um was es ging.


    Aber auch die Geschichte außerhalb des Tango war interessant. Mein Anfangsverdacht,

    hat sich bestätigt. Trotzdem entwickelte sich das Ganze in eine andere Richtung als ich dachte. Es war spannend bis zum Schluß. Eine kleine Episode zeigt, wie sehr mich das Buch beschäftigte: ich habe es beim Frühstück gelesen als mich ein Kollege angesprochen hat. Er musste auf den Tisch klopfen und mich fast anschreien bis ich ihn bemerkt habe... So sollte mich jedes Buch fesseln.
    5ratten


    Liebe Grüße
    Kirsten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Giulietta Battin ist Ballett-Tänzerin und arbeitet an der Deutschen Staatsoper als Hospitantin. Sie lebt für ihren Beruf und liebt das Ballett über alles. In einem kleinen Berliner Club lernt sie den ebenso mysteriösen wie genialen argentinischen Tango-Tänzer Damián Alsina kennen. Sie kann sich seiner düsteren und geheimnisvollen Aura nicht entziehen und verliebt sich in ihn.


    Die kurze, aber sehr innige und leidenschaftliche Beziehung endet damit, dass Damián ohne ersichtlichen Grund einen Auftritt seiner eigenen Tango-Gruppe sabotiert und dann Hals über Kopf wieder in seine Heimat Buenos Aires verschwindet. Und als ob dies noch nicht genug wäre, findet Giulietta ihren Vater gefesselt und geknebelt in ihrem Studio; auch das ist Damiáns Werk.
    Was ist zwischen Damián und ihrem Vater geschehen? Offensichtlich verschweigt ihr Vater ihr einige Dinge, die wichtig wären, um die Geschehnisse zu verstehen. Giulietta macht sich Hals über Kopf – und ohne ein Wort Spanisch zu sprechen – auf den Weg nach Buenos Aires, um dort nach Damián zu suchen.


    Das Buch beginnt mit einem längeren Prolog, der eine gerichtliche Befragung zu dem Überfall auf Giuliettas Vater schildert und im Gegensatz zur eigentlichen Geschichte auch aus dessen Sicht erzählt wird. Bereits dieser Prolog wirft eine große Zahl von Fragen auf und lässt ahnen, dass auch der Vater nicht ganz unschuldig an der Sache ist und der Justiz und dem Leser etwas Wesentliches verschweigt. Ein Einstieg, der mich auf Anhieb packte und in das Geschehen hineinzog, wohlgemerkt noch ohne die Hauptfigur kennen gelernt zu haben.


    Dieses Kennenlernen geschieht dann im ersten Kapitel, in dem wir Giulietta auf einem Schweizer Flughafen begegnen. Sie wartet auf den Flug nach Buenos Aires, im Unklaren darüber, was sie dort erwarten wird. Und so ist der Leser von Anfang an bei Giuliettas waghalsigem und etwas naivem Unterfangen dabei und begleitet sie durch die große, ihr völlig fremde Stadt.


    Giuliettas Odyssee durch die Tango-Milongas der argentinischen Hauptstadt birgt zahlreiche Verwicklungen und Verwirrungen und lässt den Leser und die Protagonistin kaum einmal Zeit zum Durchatmen. Je mehr Giulietta über Damián herausfindet, umso mehr neue Fragen und Rätsel werden aufgeworfen, denn der Tango-Künstler bleibt vor allem eins: mysteriös.
    Die Protagonistin taucht gemeinsam mit dem Leser ein in die rätselhafte Welt des argentinischen Tangos mit ihren ganz eigenen Konventionen, ihrer eigenen Sprache und ihren eigenen Sitten und Gebräuchen.


    Die Figurenzeichnung ist psychologisch sehr feinfühlig gestaltet, sämtliche Nebenfiguren scheinen etwas zu verbergen und bleiben dem Leser erst einmal rätselhaft. Insbesondere Damián ist eine der faszinierendsten Buchfiguren, die mir in letzter Zeit begegnet ist. Auch Giulietta ist interessant. Während sie anfangs noch ziemlich naiv, starrsinnig und eher unsympathisch gezeichnet ist, ein verwöhntes Kind reicher Eltern, entwickelt sie sich im weiteren Verlauf der Geschichte zu einer gereiften und erwachseneren Persönlichkeit. Auch Giuliettas Vater mit der zunächst im Dunkel liegenden DDR-Vergangenheit ist ein gelungener, tiefschürfend gezeichneter Charakter. Die Vater-Tochter-Beziehung ist schwierig, der Vater kontrolliert jeden Schritt seiner Tochter, obwohl diese nicht mehr in ihrem Elternhaus wohnt. Seine Zuneigung grenzt teilweise schon an Besessenheit.


    Der Grundton des Buches ist nachdenklich und melancholisch, über allem schweben das Rätsel um Damián und die Geheimnisse von Giuliettas Vater, der einiges aus seiner eigenen Vergangenheit verschweigt. So wirkt die gesamte Geschichte mit ihren komplizierten Zusammenhängen über eine weite Strecke geheimnisvoll und undurchschaubar. Ein Gefühl von Gefahr, Intrigen und Verrat wird aufgeworfen, die Suche nach des Rätsels Lösung wird immer verzweifelter und nicht nur einmal ist Giulietta kurz davor, einfach aufzugeben, zumal sie an Damiáns Liebe zu zweifeln beginnt. Doch etwas in ihr hält sie davon ab – sie will die Wahrheit wissen, auch weil sie ihrem Vater zunehmend misstraut.


    Fleischhauer hat seinen Roman brillant und makellos zusammengewoben, alles wirkt sinnvoll und durchdacht, ein spannendes und berührendes Puzzlespiel. Die Geschichte übt einen starken Sog aus und ich vermochte kaum, das Buch wieder aus der Hand zu legen.
    Zu Beginn steht die sehr dramatisch verlaufende Liebesgeschichte im Vordergrund, doch nach und nach kommt auch eine politische Komponente zum Vorschein, die aufrüttelt und zum Nachdenken anregt. So erhält der Leser Einblicke in ein trauriges Kapitel der argentinischen Geschichte und die düsteren politischen Machenschaften während des kalten Krieges, an denen bei Weitem nicht nur Argentinien beteiligt war.


    Auch das Ende empfand ich als gelungen, alle Fäden und offenen Fragen werden stimmig zu einem Ganzen zusammengefügt, wobei das Ende zugleich traurig und doch befriedigend ist. Und dies, obwohl ich eines der größten Geheimnisse der Geschichte schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt erraten hatte.


    Fazit: „Drei Minuten mit der Wirklichkeit“ ist eine komplexe, berührende Liebesgeschichte mit Elementen eines Politkrimis, die Einblicke in die Welt des Tangos und des Balletts, aber auch in die jüngere argentinische Geschichte bietet. Der Spannungsbogen ist kontinuierlich hoch und der Roman steckt voller Geheimnisse, so dass mir zu keinem Zeitpunkt Längen auffielen. Prädikat: Empfehlenswert.


    5ratten

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen


  • Erendis: eine schöne Rezi! Sie hat mir dieses tolle Buch nochmal ins Gedächtnis gerufen. Das war wirklich ein Leseerlebnis :klatschen:


    Oh ja, bei mir ist es auch schon einige Wochen her, seit ich das Buch gelesen habe, aber es ist ein starker, nachhaltiger Eindruck geblieben. Es war auf jeden Fall für mich eines der besten Bücher, das ich dieses Jahr gelesen habe.

    :lesen: Joe Navarro - Menschen lesen

  • Das ist wieder einmal ein Bch gewesen, was mich restlos überzeugt hat! :klatschen:


    Wolfram Fleischhauer hat es geschafft, mir eine Welt näher zu bringen, mit der ich mich bisher nicht näher beschäftigt habe: Einerseits Ballett und Tango sowie Argentinien. Auch seitenlange Beschreibungen dieser Themen haben mich nicht gelangweilt, zu spannend erzählt waren die einzelnen Abschnitte.


    Auch die Liebesgeschichte zwischen Giulietta und Damián war fantastisch. Die beiden haben eine sehr spannede Hintergrundgeschichte und je mehr ich erfahren haben, desto schneller wollte ich lesen. Darum habe ich auch heute Abend die letzten 300 Seiten am Stück lesen müssen.
    Neben der Geschichte sind auch die Figuren sehr schön gestaltet und haben mir sehr gut gefallen. Wolfram Fleischhauer schafft es zudem, dass ich immer etwas anderes vermutet habe. Letztendlich wurde ich dann aber doch überrascht, was mich sehr gefreut hat.


    5ratten und ein absoluter :tipp:

  • Taschenbuch: 551 Seiten

    Verlag: Knaur (1. November 2002)

    ISBN-13: 978-3426622568

    Preis: 10,99 €

    auch als E-Book und als Hörbuch erhältlich


    Beeindruckende Mischung von Liebe, Tanz und Politthriller


    Inhalt:

    Die angehende Balletttänzerin Giulietta ist neunzehn Jahre alt, als sie sich Hals über Kopf in den jungen argentinischen Tangotänzer Damián verliebt. Nach einigen intensiven Wochen verlässt er sie plötzlich ohne Abschied. Giulietta reist ihm nach Buenos Aires nach, wo sie viel über die Welt des Tango erfährt und in die unrühmliche Geschichte des Landes hineingezogen wird.


    Meine Meinung:

    Schon mit dem Prolog baut Wolfram Fleischhauer Spannung auf. Er besteht aus einem Vernehmungsprotokoll von Markus Battin, Giuliettas Vater. Hier wird bereits klar, dass dieser etwas zu verbergen hat, doch was dies ist, bleibt bis kurz vor Schluss im Dunkeln.


    Auch Damián hat seine Geheimnisse, was ihn für Giulietta nur umso interessanter macht.


    Mit seinem fesselnden Schreibstil konnte der Autor mich von Anfang bis Ende begeistern. Ich wollte das Buch gar nicht aus der Hand legen. Gerne bin ich der jungen Balletttänzerin auf ihrer Odyssee durch Buenos Aires gefolgt und habe an ihrer Seite viel über den Tango und über die unrühmliche Geschichte Argentiniens gelernt.


    Für Leser, die sich überhaupt nicht fürs Tanzen interessieren, könnten die diversen Schrittfolgen, die immer wieder beschrieben werden, etwas langatmig wirken. Ich persönlich fand es faszinierend, zumal Fleischhauer es wunderbar versteht, das Kopfkino anzukurbeln. So konnte ich ganz tief in die Welt des Tanzes eintauchen und genießen.


    ★★★★★

  • Für Leser, die sich überhaupt nicht fürs Tanzen interessieren, könnten die diversen Schrittfolgen, die immer wieder beschrieben werden, etwas langatmig wirken.

    Könnten, müssen aber nicht ;) Ich bin absolut kein Tänzer, aber bei diesem Buch hatte ich mit den Beschreibungen keine Probleme. Im Gegenteil: der Autor hat sie so beschrieben, dass sogar ich sie mir vorstellen konnte.

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.