Margaret Atwood - Das Jahr der Flut

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  • Margaret Atwood: Das Jahr der Flut (The Year of the Flood)


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    Amerika, in nicht allzu ferner Zukunft: Eine Pandemie – die "wasserlose Flut" – ist ausgebrochen, die Menschen sterben wie die Fliegen. Unter den wenigen Überlebenden befinden sich zwei Frauen, Toby und Ren. Beide sind ehemalige Mitglieder der "Gottesgärtner", einer christlichen Öko-Sekte.
    Aus der Perspektive von Toby und Ren, die getrennt voneinander überlebt haben, erschliesst sich nach und nach in Rückblenden der Zustand der Welt vor der Pandemie. Vor der wasserlosen Flut wird die Welt beherrscht von Pharma- und Genetik-Konzernen und dem korrupten, brutalen CorpseCorps, einer zu den Konzernen gehörigen paramilitärischen Einheit. Die Umwelt ist weitestgehend zerstört, die meisten Pflanzen- und Tierarten sind ausgestorben, dafür wird mit neuen Kreuzungen experimentiert (es gibt z.B. eine Kreuzung zwischen Lamm und Löwe, das "Löwamm"). Wer nicht für die Konzerne arbeitet, sondern zu den "Plebslern" gehört, lebt in ständiger Angst vor dem CorpseCorps.


    Eine Gegenbewegung zu den Konzernen bilden diverse Öko-Sekten. Im Fokus der Erzählung stehen die "Gottesgärtner", die Askese und Veganismus predigen und versuchen, in kleinen Gruppen möglichst autark zu leben. Sie prophezeien bereits Jahre vorher die kommende "wasserlose Flut", auf die sie sich vorbereiten, indem sie Vorräte anlegen.


    Die Geschichte entfaltet sich nur sehr langsam. Zu Beginn hatte ich Mühe mich zurecht zu finden, was vor allem an der Erzählweise mit ihren Zeitsprüngen und Perspektivenwechseln lag. Ausserdem kommt erst in der zweiten Hälfte des Buches so richtig Spannung auf.
    Der Fokus liegt auf Toby und Ren und ihren individuellen (Vor-)Geschichten und weniger auf der detaillierten Beschreibung der Katastrophe. Die beiden Hauptfiguren sind charakterlich sehr verschieden, was sich auch im Schreibstil niederschlägt; Toby und Ren haben jeweils ihre eigene "Stimme", was ich sehr schön fand.


    Die dystopische Welt, die Atwood beschreibt, wirkt sehr realistisch. Der Roman ist durch und durch ein Kommentar zum gegenwärtigen Zustand der Welt, eine Kritik an unserem Konsumverhalten, unserem Umgang mit der Umwelt usw. und auch wenn mir das Buch stellenweise etwas zu moralinsauer war regt es auf jeden Fall zum Denken an. Dennoch kommt die Unterhaltung nicht zu kurz, weil Atwood es schafft, ihre Gesellschaftskritik in eine interessante Geschichte mit komplexen Figuren zu verpacken.


    Wegen kleineren Längen und meinen Einstiegsschwierigkeiten gibt es Abzüge, deshalb vergebe ich


    3ratten :marypipeshalbeprivatmaus:

  • Bei "Das Jahr der Flut" handelt sich um den zweiten Teil der MaddAddam-Trilogie von Margaret Atwood.


    Inhalt:


    Das zweite Buch spielt zunächst im selben Zeitrahmen, wie der erste Roman der Reihe, „Oryx und Crake“ . Erzählt wird die Geschichte der großen Pandemie diesmal aus der getrennt voneinander geschilderten Sicht zweier Frauen, der jüngern Ren und der sehr überlebensfähigen Toby.
    Zunächst finden die beiden Frauen auf recht unterschiedlichen Wegen in eine Art christlich angelehnte Bio-Sekte, die auf den Dächern der Großstadt lebt, Bienen hält, Gemüse und Pilze anpflanzt, sich vegetarisch ernährt, Konsum, Technik und Geschriebens ablehnt, das Wissen über die natürlichen Pflanzen und Tiere und das Überleben ohne Konsumgüter aber per Unterricht und Auswendiglernen bewahrt und ihre sehr eigen(willig)en Heiligen verehrt (häufig Umweltaktivisten, Tierschützer, Biologen etc.). Man erfährt im Laufe des Buches recht genau wie die Gottesgärtner leben, wie ihre Gesellschaft strukturiert ist und wie sie sich bemühen, sich von den Konzernen und vom sogennanten Plepsland abzugrenzen, was schon auch recht skurile und heilsbringerische Züge annimmt. Gewissermaßen stellen sie das gegenteilige Extrem der technologieorientierten Konzerne (in deren Umfeld man sich während Bd. 1 größtenteils aufgehalten hat) dar , sind in ihrer Sichtweise aber ebenfalls stur in ihrem Weltbild gefangen. Die "Gärtner" bieten jedoch vielen, von der zunehmend allmächtigen, völlig skrupellosen Staatsgewalt CorpSecorps Bedrängten, Hilfe und Unterschlupf . Toby und Ren leben sich nach und nach, jede auf ihre ganz persönliche Art, in diese Gesellschaftsform ein.


    Drastisch dargestellt ist die ganze geschilderte Welt, insbesondere in den Großstädten, ein großer gewalttätiger, verrohter, verschmutzer Sündenpfuhl; dem Untergang geweiht. Die Meere sind angestiegen, Rohstoffe neigen sich dem Ende zu, viele Tier- und Pflanzenarten sind ausgestorben, die sozialen Schichten weiter entfernt voneinander als je zuvor. Lebensmittelkonzeren erzeugen immer mehr genveränderte und sonstwie künstliche Lebensmittel, weil die natürlichen Bedingungen immer schlechter werden und nichts mehr wächst, natürliche Lebensmittel sind ein reines Luxusgut für die Oberschicht. Es entstehen immer mehr seltsame gekreuzte Tiere, Schafe denen Menschenhaar wächst, Schweine die menschliche Organe in sich tragen, Hühnchen die nur noch Schenkel haben und eigentlich kein Tier mehr sind. Geschlechtsverkehr jeglicher Art ist ohne moralische Schranken kaufbares Gut, menschliche Werte sind Mangelware. Alles was technisch, wissenschaftlich und genetisch möglich ist wird ohne jeden Skrupel auch gemacht.


    Die Gottesgärtner versuchen sich darüber zu erheben und erwarten die „Wasserlose Flut“ , den von Gott gewollten Untergang der Welt und bereiten sich mit Vorratshaltung und dem Bewahren von Survival-Wissen darauf vor um zu überleben und die Welt neu zu gestalten. Sie nennen ihre Depos "Ararats" , wie sie überhaupt viele Symbole und Worte der christlichen Überlieferungen mit ihrem Weltbild vermischen.


    Als die "Flut" in Form der von Crake erzeugten Pandemie dann tatsächlich kommt, sind die Gottesgärtner darauf zumindest besser vorbereitet als der Rest der Welt....




    Meinung:


    Im Vergleich zum vorangegangen Buch fand ich „Das Jahr der Flut“ leichter zu lesen, was für mich wohl hauptsächlich an den pragmatischen Handlungsweisen von Toby lag, die in diesem Buch den roten Faden und eine Identifikationsfigur darstellt. Wahrscheinlich half mir auch, das ich aus dem ersten Band schon einiges über die Lebensbedingungen wußte und darauf vorbereitet war, das es arg ungemütlich werden wird.


    Eingebettet in die spannende Schilderung der Leben und des Überlebens verschiedener Personen bei den Gärtnern, erzählt Margaret Atwood weiter über ihre ersonnene Zukunft und bringt eine Menge aktueller Kritik an aktuellen Gegebenheiten darin unter.


    Dieser Umstand ist gleichzeitig pro und contra: Einerseits sind die von ihr geschilderten Entwicklungen großenteils der blanke Horror, aber so nah an der Realität, "nur" jeweils ein paar, sehr konsequente Schritte weitergedacht, daß ich mich beim Lesen so mancher aktueller Nachrichten mit einem Schaudern an ihre Dystopie erinnert fühle. Ähnlich vergleichbar in seiner Wirkung war bisher eigentlich nur "1984" oder auch "Schöne neue Welt" und bezogen auf Vernetzung und Datenhaltung vielleicht noch "The Circle" .


    Andererseits nötigen einem die eingeflochtenen Gebete der Gottesgärtner und die häufig an den Kapitelanfang gestellten Predigten von "Adam eins", sozusagen dem Guru der Gärtner, schon eine gehörige Portion Geduld ab und ich gebe zu, sie manchmal nur noch überflogen zu habe. Das war mir zu gewollt und zu sehr Belehrung mit dem Holzhammer. Außerdem: Die Verrohung der Gesellschaft spiegelt sich auch in ihrer Ausdrucksweise wieder, entsprechend fielen manche Dialoge aus und machten mir echt Mühe sie zu lesen. Gleichzeitig war es folgerichtig von der Autorin die derbe Sprache so in ihre Dystopie einfließen zu lassen - schön zu lesen ist es aber nicht.


    Andere Passagen sind sprachlich sehr detailreich und ausgefeilt, Landschaften und Stimmungen entstehen ganz selbstverständlich vor dem inneren Auge. Ganz beiläufig sind unglaublich viele Wortschöpfungen in die Welt eingebunden (z.B. Löwämmer, für eine Kreuzung aus Lamm und Löwe, Hunölfe für die Kreuzung aus Hund und Wolf oder SoLecker-Eis für ein Sojaeis) . Zum Teil nachvollziehbar oder amüsant, teilweise aber auch arg sperrig, aber das könnte auch ein Übersetzungproblem sein. Um wirklich alle Anspielungen, Erfindungen und Verdrehungen zu verstehen oder zu entdecken und zu würdigen, müßte man die Bücher sicherlich mehrfach lesen. Ich hab tatsächlich schon darüber nachgedacht zeitnah Bd. 1 nochmal zu lesen, weil ich jetzt sicherlich einiges besser nachvollziehen könnte, als beim Erstlesen, bei dem man schon Mühe hat mit all der Information in die man geworfen wird.


    Insgesamt verlangt also auch dieser zweite Band dem Leser einiges ab, gleichzeitig ist es ein wahres Feuerwerk an Phantasie, die aber ihren Ursprung jeweils in wirklich diskutierten und vorhandenen Entwicklungen hat (CRISPR/Cas9-Technologie, Großkonzerne, Genmanipulierte Lebensmittel, Klimaveränderung, Samenmonopol, Bienensterben, Umweltverschmutzung usw.) . Es ist ein ironisches, häufig auch bitterböse, sarkastisches sehr konsequentes (ok eher pessimistisches) Weiterdenken vorhandener Möglichkeiten ohne Schonung etwaiger Empfindungen und Empfindlichkeiten des Lesers, für mich an manchen Stellen zu gewollt provokativ, zu derb und ein bisschen zu gnadenlos. Ich hatte stellenweise Mühe damit, wollte aber letztlich doch fasziniert immer weiterlesen, weil gleichzeitig einfach eine enorm spannende, komplexe, bis ins Detail durchdachte Geschichte erzählt wird, die sich im Gedächtnis festhakt.


    Alles in allem, trotz der Moralpredigten 4ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:
    Sehr ungewöhnlich, beeindruckend und alles andere als bequem.



    Achja... es wird öfter mal von dem "feinen" Humor in den Bücher geschrieben. Nun, unter feinem Humor stell ich mir persönlich was anders vor, ich würde den Humor, der sich aber in gewissem Maße schon durch alle Bücher zieht, eher als schwarz, sakrastisch, oft bitter und im freundlichsten Fall noch ironisch und trocken beschreiben, aber vorhanden ist er ohne Zweifel, wenngleich mir gelegentlich das zugehörige Lachen häufig doch im Hals stecken geblieben ist, angesichts der Umstände. Toby mochte ich aber sehr und manch andere Charaktere in den Büchern auch, denn trotz aller Unmenschlichkeit, war das Menschliche, die Liebe, Veranwortung, Güte, Freundschaft doch irgendwie nicht unterzukriegen und das ist letzlich der Trost der einem bleibt, beim Lesen dieser schon wirklich sehr finsteren Dystopie.

    Von den Sternen kommen wir, zu den Sternen gehen wir.

    Das Leben ist nur eine Reise in die Fremde.”

    (aus: "Die Stadt der träumenden Bücher")



    Einmal editiert, zuletzt von Firiath ()

  • Dieses Buch ist teilweise wie ein Schlag in die Magengrube, beim Lesen bleibt einem schlicht die Luft weg. Die Zukunft könnte tatsächlich so aussehen, die Beschreibungen sind verdammt realistisch. Wir sind ja schon dabei, eine solche Welt zu bauen.


    Nach dem Lesen von "Oryx und Crake", dem ersten Band der Trilogie, ist dieses Buch von Anfang an weniger verwirrend, weil man sich in der beschriebenen Welt schon ein wenig auskennt.
    Mich haben die "Predigten" von Adam überhaupt nicht gestört. Eigentlich ein Wunder, denn ich bekomme allein beim Wort Religion/Gott schon Bluthochdruck. Die Gottesgärtner-Interpretation der christlichen Mythologie fand ich faszinierend. Wegen der Gottesgärtner mochte ich das Buch lieber als den Vorgänger. "Oryx und Crake" beschäftigt sich mit einem zeitweise recht unsympathishen und mittelmäßigen Menschen. Das Buch ist deshalb natürlich noch lange nicht mittemäßig, aber zu oft möchte man die Figur einmal kräftig durchschütteln. "Das Jahr der Flut" beschäftigt sich noch mehr mit der zerfallenden Welt und die Sekte bildet mit ihrem Pazifismus den größtmöglichen Gegenpol. Dies fand ich besonders interessant.


    Ich bin sehr auf den letzten Teil gepannt.


    5ratten


    ***
    Aeria

  • Die Lektüre von Oryx und Crake lag zu weit zurück, als dass ich mich noch an viel daraus erinnern konnte. Deshalb war The Year of the Flood für mich keine Fortsetzung, sondern ein alleinstehendes Buch.


    Zwei Frauen mit einer scheinbar komplett gegensätzlichen Vergangenheit erzählen ihre Geschichte. Aber je mehr ich von ihnen erfahre, desto mehr Berührungspunkte haben sie. Lange gibt es nur Andeutungen über das, was passiert ist und gerade bei Reb war ich mir nicht sicher, ob sie das überhaupt wusste. Aber ihre scheinbare Oberflächlichkeit verbirgt eine ganz andere Geschichte. Toby erschien mir anfangs sehr geradlinig, aber auch bei ihr musste ich meinen ersten Eindruck revidieren. Das Leben der beiden Frauen hatte nichts mit der Situation zu tun, aus der sie gekommen waren.


    Die Gemeinschaft der Gottesgärtner (der neutralere englische Ausdruck Gardeners gefällt mir tatsächlich besser) habe ich als unangenehm empfunden. Das permanente Wohlwollen, unter dem etwas anderes zu schlummern schien, hat bei mir das Bild einer Gemeinschaft entstehen lassen, in der ich kein Teil sein wollte.


    Die Geschichte wird über lange Strecken sehr ruhig erzählt, allerdings gab es hier für mich einige Ungereimtheiten im Verhalten der Charaktere und auch in der Gemeinschaftsstruktur. Am Ende überschlagen sich die Ereignisse fast, aber auch hier war für mich nicht alles stimmig. Das Ende lässt in eine Zukunft blicken, die zwar anders sein wird, aber nicht unbedingt besser.

    3ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.

  • Die Welt, die Margaret Atwood entwirft, ist ein bisschen in unserer Zukunft, die Unterschiede zwischen Arm und Reich haben sich verschärft, die Umwelt wurde noch mehr zerstört, es gibt ein paar neuere wissenschaftliche Entwicklungen, viel Genmanipulation ist dabei.


    Das Jahr der Flut ist das Jahr, in dem ein Seuche die Menschheit größtenteils dahinrafft, aber das ist eher ein Hintergrundrauschen des Romans. Wir begleiten Toby, die eher pragmatisch durchs Leben geht, von ihr erfahren wir detailliert ihre Lebensgeschichte und dadurch auch einiges darüber wie die Welt vorher war. Sie war eine Zeitlang Mitglied bei den Gottesgärtnern, Öko-Christen, aber dadurch, dass sie nicht als übermäßig gläubig dargestellt wird, sondern zunächst eher aus Eigennutz und dann aus Gewohnheit die Lehren befolgt, bleibt sie mir sympathisch. Ren (Brenda) die zweite Hauptfigur hat ihre Kindheit bei den Gärtnern verbracht, beide überleben die Seuche isoliert.

    Die Gemeinschaft der Gottesgärtner (der neutralere englische Ausdruck Gardeners gefällt mir tatsächlich besser) habe ich als unangenehm empfunden. Das permanente Wohlwollen, unter dem etwas anderes zu schlummern schien, hat bei mir das Bild einer Gemeinschaft entstehen lassen, in der ich kein Teil sein wollte.

    Ja genau, ich habe mich auch von dieser permanent aufgedrängten Güte erdrückt gefühlt.

    Jedem Kapitel war eine Gottesgärtner-Predigt und ein abschließendes Lied vorangestellt - das habe ich meist nur überflogen. Der Rest des Buches gefiel mir aber sehr gut, es gelingt Atwood genau so dicht an der Realität zu bleiben, dass die Entwicklungen als in absehbarer Zeit möglich erscheinen - und dadurch umso fürchterlicher


    Dass dieses Buch eigentlich der zweite Teil der dystopischen MaddAddam-Trilogie ist, war irgendwie nicht so ganz in meiner Wahrnehmung und dann war es aus wettbewerbstechnischen Gründen nicht mehr möglich den ersten Band vorher einzuschieben. Es scheint aber so zu sein, dass die ersten beiden Bände auch nicht direkt aufeinander aufbauen, sondern eher parallel existieren, genauer werde ich das dann sagen können, wenn ich „Oryx und Crake“ gelesen habe, was ich durchaus vorhabe, ich will mehr über diese Welt und die Geschehnisse dort erfahren.


    4ratten