Graeme Simsion - The Rosie Project / Das Rosie-Projekt

Es gibt 29 Antworten in diesem Thema, welches 10.036 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Don Tillman ist 39, Genetikprofessor, folglich intelligent, und sieht auch gar nicht so übel aus. Mit den Frauen klappt es bei ihm aber trotzdem nicht, er ist noch kein einziges Mal über ein erstes Date hinausgekommen. Das mag wohl daran liegen, dass die meisten anderen Menschen seine Weltsicht nicht teilen - Don denkt rein rational, sachlich und optimierungsorientiert. Gefühle stören dabei eigentlich nur (findet er). Zwar geht er nicht völlig emotionslos durchs Leben, aber sein Gefühlsleben spielt eine untergeordnete Rolle, und er tut sich außerdem schwer, Emotionen anderer Menschen einzuordnen. Auch sein Ironiedetektor funktioniert nur bedingt, wie auch das Verständnis für soziale Rituale und zweckfreien Smalltalk. Kurz, er ist ein Nerd, ein Einzelgänger und nicht so richtig sozialkompatibel.


    Da er sich aber dennoch eine Partnerin wünscht, entwickelt er kurzerhand einen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden Fragebogen und startet damit "Projekt Ehefrau". Er nimmt an Speed-Dating-Abenden und anderen Partnervermittlungsevents teil, meldet sich bei Partnerbörsen im Internet an und beglückt innerhalb kurzer Zeit 300 Frauen mit seinen Fragen.


    Und dann taucht plötzlich Rosie auf. Die erste Frau, die Don mit in seine Wohnung nimmt, entspricht überhaupt nicht seinen Wunschvorstellungen. Sie raucht, sie trinkt, sie arbeitet in einer Schwulenbar, sie kleidet sich verrückt und hat nicht mal einen akademischen Abschluss. Und sie ist auf der Suche nach ihrem leiblichen Vater, wobei ihr Don als Genetiker möglicherweise behilflich sein könnte ...


    Im Vorfeld hatte ich schon so einiges über dieses Buch gehört, vieles davon wenig begeistert. Somit habe ich auch nicht allzu viel von der Lektüre erwartet und wurde dann umso positiver überrascht.


    Allein schon die Erzählweise aus Dons Blickwinkel hat mich durchweg überzeugt. Dass er sein Leben komplett durchoptimiert hat, um ja keine Zeit zu vergeuden, dass er ganz normale soziale Interaktionen oft nicht recht zu deuten weiß und dabei selten ein Blatt vor den Mund nimmt, ist zum einen reichlich Stoff für skurrile oder peinliche Situationen, zum anderen sorgt seine Sicht der Dinge für eine sehr interessante Erzählperspektive.


    Rosie, in fast allem das krasse Gegenteil von Don, unterscheidet sich aber doch in einer Hinsicht von vielen anderen, denen er begegnet: sie scheint instinktiv zu verstehen, dass er anders ist, und lässt sich auf ihn ein, weil sie seine Art irgendwie spannend findet und nicht nur, weil er ihr mit ihrer Vatersuche helfen kann. Und so kommt es, wie es kommen muss: es entstehen zarte Bande zwischen den beiden, auch wenn es einige Verwicklungen gibt, bis ihnen das überhaupt erst mal klar wird.


    Ein klein wenig hat mich gestört, dass die DNA-Jagd, die Don und Rosie im Zuge ihrer Nachforschungen inszenieren, doch einigermaßen unrealistisch ist. Andererseits ist das ganze Buch im Grunde so was wie die moderne Nachfolgerin der Screwball-Komödien aus den 50er und 60er Jahren, denen man ja auch nicht unbedingt hundertprozentige Wirklichkeitstauglichkeit vorwerfen kann - und die gerade deshalb so viel Spaß machen.


    Ich habe mich jedenfalls bestens unterhalten mit Don, Rosie und den schillernd bunten Gestalten in ihrem Umfeld und einige Male herzlich lachen können über diese Liebeskomödie mit ungewöhnlichen Protagonisten und auch einem kleinen bisschen Tiefgang.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Dass Don Autist ist, wie in ein paar Rezis hier steht, stimmt so übrigens nicht.


    Es gibt zwar Gründe zu der Annahme, dass er Asperger oder so etwas hat, das wird aber nie explizit erwähnt (bzw. heißt es, dass nie genau geklärt wurde, was eigentlich mit ihm los ist). Er hält nur einmal eine Vorlesung über das Thema Asperger-Syndrom.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • []... und auch einem kleinen bisschen Tiefgang.


    Kannst du das noch etwas erläutern? An sich verstehe ich es so, dass du das positiv meinst, wenn ich die Wörter aber so lese, würde ich eher in Richtung "oberflächlich" denken. :smile:




    Dass Don Autist ist, wie in ein paar Rezis hier steht, stimmt so übrigens nicht.


    Es gibt zwar Gründe zu der Annahme, dass er Asperger oder so etwas hat, das wird aber nie explizit erwähnt (bzw. heißt es, dass nie genau geklärt wurde, was eigentlich mit ihm los ist). Er hält nur einmal eine Vorlesung über das Thema Asperger-Syndrom.


    Gut zu wissen, danke!
    Wenn ich mich recht erinnere, hat der Autor in einem Interview über das Buch gemeint, dass der Protagonist Autist sei. Liegt allerdings schon zwei, drei Jahre zurück.

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing


  • Kannst du das noch etwas erläutern? An sich verstehe ich es so, dass du das positiv meinst, wenn ich die Wörter aber so lese, würde ich eher in Richtung "oberflächlich" denken. :smile:


    Nun ja, es ist schon eher eine amüsante Liebeskomödie als ein "Problembuch" oder eine tiefgründige Charakterstudie, aber ich habe das Buch dennoch nicht als flach oder plump empfunden und fand das Einfühlungsvermögen des Autoren in Dons Charakter sehr angenehm. Lass es mich mal so ausdrücken: man lacht mit Don, nicht über ihn, und vielleicht ist man nach der Lektüre eher bereit, sich in "andere", "merkwürdige" Menschen hineinzudenken, statt sie als "komisch" abzustempeln.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Danke Valentine! :winken:
    Jetzt verstehe ich was du meinst.

    Es geschah kurz nach Anbruch des neuen Jahres, zu einem Zeitpunkt,

    als die violetten und gelben Blüten der Mimosenbäume rings um die Ambulanz

    aufgesprungen waren und ganz Missing in Vanilleduft gehüllt war.


    Abraham Verghese – Rückkehr nach Missing

  • 4ratten


    Don, Professor für Genetik, sucht eine Frau. Nichts leichter als das sollte man denken, denn rein objektiv betrachtet erfüllt er alle Anforderungen: durchaus attraktives Äußeres (wenn auch eher im Verborgenen) und ein Job mit hohem gesellschaftlichem Ansehen und überdurchschnittlichem Verdienst. Doch weit gefehlt, denn Don hat so seine Schwierigkeiten mit Menschen, nicht nur mit dem anderen Geschlecht. Gefühle und Empathie sind nicht so sein Ding, denn seine 'Vermutungen über den Rest der Welt gründeten vor allem auf Film- und Fernsehserien', die er als Kind gesehen hatte sodass es immer wieder zu peinlichen Situationen kommt. Logik und Rationalität sind seine Welt und genau mit diesen Mitteln macht er sich auf die Suche nach einer Ehefrau. Doch da trifft er Rosie...
    Simsion ist es gelungen, die Welt eines Asperger-Betroffenen in einer gelungenen Form humorvoll darzustellen, ohne dass er sich über seine Hauptfigur lustig macht. Konsequent behält er den nüchternen Ton seines Protagonisten bei und je weiter man liest, umso weniger merkwürdig erscheint einem diese Art und Weise. Egal wie wunderlich man Don zu Beginn empfunden haben mag, Seite für Seite wächst er einem mehr ans Herz und man hofft innigst, dass er trotz aller Widrigkeiten sein Glück finden wird.
    Dennoch gab es einige Dinge, die mich störten. Dass Don Asperger hat, liegt auf der Hand denke ich. Dass er jedoch trotz seiner Reflektiertheit über seine eigene Person und mit seinem Hintergrund dies nicht bei sich diagnostiziert (sondern lediglich bei den Kindern seines Vortrages), hat bei mir heftiges Kopfschütteln ausgelöst. Auch die Sache mit der Augenfarbe und seinem besten Freund empfand ich als unglaubwürdig. Und zuguterletzt tritt, so amüsant dieser Schreibstil auch sein mag, ca. ab 2/3 des Buches doch so etwas wie ein Gewöhnungseffekt ein. Man kennt Don und seine Art inzwischen, sodass die Lektüre etwas an Originalität verliert.
    Nichtsdestotrotz: Es hat Spaß gemacht und ist eine Empfehlung wert.

    Je mehr sich unsere Bekanntschaft mit guten Büchern vergrößert, desto geringer wird der Kreis von Menschen, an deren Umgang wir Geschmack finden.    Ludwig Feuerbach (1804 - 1872)

  • Ich habe das Buch ja nun schon vor einigen Wochen gelesen und will mal versuchen, die Eindrücke wiederzugeben, die hängengeblieben sind. Trotz anfänglicher Skepsis hatte ich großes Vergnügen daran! Ja, es wirkt ein wenig konstruiert. Es ist schon unrealistisch, dass die Handlung so funktioniert, mit diesem Fragebogen, diesen DNS-Tests und diesem Ende.


    Andererseits, auf einer anderen Ebene hat so ein Fragebogen durchaus einen Sinn, jedenfalls innerlich. Nach ein paar gescheiterten Beziehungen ist es schon sinnvoll, sich eine innere Liste anzulegen mit Dingen, die beim potentiellen nächsten Partner überhaupt nicht gehen und mehr oder weniger macht das wohl auch jeder.


    Unterhaltungswert hat die Geschichte durchaus, ich denke da nur an die Szene mit Don und Rosie als Barkeeper bei diesem Alumnitreffen, das war doch göttlich. :klatschen: Auch die Argumentation, die Don gegenüber diesem Kreationisten führt, fand ich klasse.


    Auch die Frage, ob Don nun Autist ist oder Asperger hat oder dergleichen macht nachdenklich. Ich kenne mich mit dem Spektrum autistischer Störungen und ihrer Bezeichnungen nicht aus, aber sind die Übergänge da nicht fließend? Jeder ist wohl ein bißchen seltsam. Ich habe auch Punkte, in denen ich immer wieder bei meinen Mitmenschen anecke. Und was ist an Don eigentlich so schlimm? Er hat sein Leben bestens im Griff, aber stößt manchmal Leute vor den Kopf, weil er zu direkt ist und manche Umgangsformen nicht einhält. Ansonsten ist er ein ehrlicher und anständiger Kerl. Und ist es nicht pervers, Leute wie Don als krank oder gestört zu bezeichnen, aber Leute, die bewußt und absichtlich lügen, betrügen und andere manipulieren, die finden wir höchst gesund?


    Vielleicht sollte das Buch uns dazu bewegen, auch in dieser Hinsicht mal öfter hinter die Fassade eines Menschen zu schauen, bevor wir über ihn urteilen.


    Das Buch gefiel mir jedenfalls unerwartet gut und ich werde mir auch Band 2 vornehmen.


    4ratten

    Freiheit ist immer Freiheit der Andersdenkenden (R. Luxemburg)

    Was A über B sagt, sagt mehr über A aus als über B.

  • Witzig, dass es Dir genauso ging wie mir und schön, dass es Dir auch so gut gefallen hat!


    Ich bin noch skeptisch, ob ich Band 2 lesen möchte, weil ich schon öfter gelesen habe, der sei weit weniger gut ... aber wenn Du es wagst, werde ich mal gucken, was Du dann sagst :smile:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen