Péter Esterházy - Die Mantel-und-Degen-Version

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  • Péter Esterházy - Die Mantel-und-Degen-Version. Einfache Geschichte Komma Hundert Seiten.


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    Eine Lesung im Frankfurter Literaturhaus mit Ina Hartwig als Moderatorin.


    Péter Esterházy gehört neben Imre Kertész und Péter Nádas zu den auch in Deutschland bekannten ungarischen Schriftstellern. Esterházy ist seit dem Jahr 2001 auch in Deutschland einem breiteren Publikum bekannt, als sein 800seitiges Mammutwerk Harmonia Caelestis vom deutschen Feuilleton begeistert aufgenommen wurde (im Original im Jahr 2000 erschienen).


    Esterházy gehört einem im kommunistischen Ungarn enteigneten adeligen Familienstamm an. In seiner Kindheit wurde er an "irgendwelche Prinzen und Prinzessinen nach Österreich" verschickt und dort lernte er Deutsch. Esterházy hat Mathematik studiert, wollte auch mal Priester werden, wie Ina Hartwig anmodiert. Der Autor winkt jedoch ab, und kommentiert läppisch "da war ich drei Jahre alt". Nur eine kleine Zahl an Zuhörern hatte sich an diesem Montag abend im Lesekabinett des Frankfurter Literaturhauses eingefunden. Das lag zu einem Gutteil auch an den chaotischen Verkehrsverhältnissen rund um das Literaturhaus. In unmittelbarer Nähe befindet sich die Europäische Zentralbank, die am Mittwoch offiziell eröffnet wird. Weiträumig werden schon Tage zuvor viele Straßen abgesperrt, Anwohner ist die Benutzung der Parkstreifen mit ihren Autos untersagt. 10.000 Blockupy-Demonstranten werden erwartet. Da gewaltbereite Chaoten nicht ausgeschlossen werden können, stehen 9.000 Polizisten und laut Presseberichten sämtliche Wasserwerfer der Bundesrepublik gegenüber. Auch eine Einheit der GSG9 ist vor Ort. Journalisten von Qualitätszeitungen wie die FAZ oder FR sind aus Sicherheitsgründen nicht zur Eröffnungsfeier zugelassen worden. Ein gespenstisches Bild bot sich schon am Montag Abend, an dem schon zig Fahrzeuge das Gebäude der EZB sicherten.


    Zu einem anderen Teil wird es aber auch an der Sperrigkeit des Autors liegen. Ich kann ihn nicht angemessen besprechen. In seinem neuen Roman werden zahlreiche Regeln der klassischen Erzählweise über den Haufen geworfen, so dass ein postmodernes Texttrümmerfeld zurückbleibt. Immer wieder werden Fußnoten eingeschoben, die den Text kommentieren. Diese Fußnoten werden durch das Kürzel des Autors P.E. gekennzeichnet. Der Autor tritt also im Roman in Erscheinung, obwohl alle Leser wissen, dass der Text in Ich-Form auch vom Autor stammt und nicht von einer fiktiven Figur. Doch nicht genug. Auch die Übersetzerin kommentiert die Fußnoten des Autors, in dem sie den Autor in den Fußnoten darauf hinweist, dass ein bestimmtes historisches Ereignis gar nicht im genannten Jahr stattgefunden hat. Esterházy erklärt, dass er die Übersetzerin ermutigte, genau dies zu tun. Und er führt aus, dass ein Roman eben alles dürfe, eben auch den Mauerfall der Deutschen ins Jahr 1985 zu verlegen, woraus sich natürlich eine Wirkung auf den Text ergibt. Im Roman gibt es zahlreiche Anspielungen auf lebende oder (aus Sicht des Romans) noch nicht lebende Autoren. Man kann dieses Buch sogar als Bibliomanikum lesen - was nicht mal Ina Hartwig explizit anmerkt (und sie hat ebenfalls ihre Schwierigkeiten mit dem Werk, aber dennoch zeigen ihre Fragen, wie sehr sie das Buch durchdrungen hat). Oder doch? Ihr fällt auf, dass Ingeborg Bachmann als Dichterin nicht erwähnt wird, obwohl die Dichterin eben einen Bezug zur böhmischen Heimat Esterházys hat. Und so schlage ich sofort die erste Leseempfehlung bei Amazon nach. Mathias Ènard - Erzähl Ihnen von Schlachten, Königen und Elefanten.


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    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • Danke für Deine Eindrücke!


    Das klingt ja wirklich etwas sperrig ... hast Du das Buch gelesen?

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich wollte schon länger mal was von Esterházy lesen, aber ich glaube, dieses wird es nicht sein :zwinker:

    //Grösser ist doof//

  • Esterházy war in Leipzig auf dem Blauen Sofa. Er ist ein witziger Gesprächspartner, sehr sympathisch und sehr intellektuell mit seiner dichten, langen, grauen Haarpracht. Da ich Digressionisten liebe und Fussnoten ebenso, habe ich mir das Buch noch gestern, kaum zu Hause, bestellt. :winken:

    Wo nehme ich nur all die Zeit her, so viel nicht zu lesen. (Karl Kraus)

  • Hallo!



    Esterházy war in Leipzig auf dem Blauen Sofa. Er ist ein witziger Gesprächspartner, sehr sympathisch und sehr intellektuell mit seiner dichten, langen, grauen Haarpracht. Da ich Digressionisten liebe und Fussnoten ebenso, habe ich mir das Buch noch gestern, kaum zu Hause, bestellt. :winken:


    als Liebhaber von Digressionen bist du bei Esterhazy gut aufgehoben. Allerdings macht es einem der Autor manchmal unnötig schwer - etwa bei Harmonia Cælestis, ein Buch, das ich abgebrochen habe (aber mit dem Hintergedanken, es doch noch mal zu versuchen).


    Einen anderen, kleineren Roman ("Eine Frau") habe ich durchgehalten: Vergnügen war das aber keines, ein Lawrence Norfolk schrieb dazu: "Erotisch, mit erstklassigen Sexszenen." Allerdings kommt einem dann beim Gedanken an zweit- oder drittklassige Sexszenen das kalte Grausen ... Das Buch war eine Bestätigung all meiner Vorurteile die sogenannte "erotische" Literatur betreffend: Ordinär, vulgär wäre für die entsprechenden Passagen eine sehr viel treffendere Bezeichnung. Es scheint immer dasselbe: Als ob der Autor Angst hätte, der Prüderie geziehen zu werden, wenn er nicht die Absonderung aller Körperflüssigkeiten eingehend beschriebe, seinen eitrigen Hautausschlag oder die unter dem Steißbein aufbrechende Haut der alternden Geliebten. Dazu sein Faible für säuerlichen Mundgeruch und feiste Arschbacken, die Diktion erinnernd an besoffene Männerrunden. All das mag "realistisch" sein (man kann auch seine eigenen Ausscheidungen mit Akribie beschreiben) - aber meine Faszination hält sich in Grenzen. Und es ist etwa so erotisch wie die Aufklärungsbroschüren der 60iger und 70iger Jahre: Wem das als Heranwachsenden präsentiert wurde, der war von seinem sexuellen Interesse für längere Zeit befreit.


    Diese Erfahrung war mit ein Grund dafür, dass ich der Harmonia mit recht wenig Geduld gegenübertrat.


    Grüße


    s.

  • Mein Resümee: Unlesbar! :grmpf: :grmpf: :grmpf:
    Da hat jemand mehrere Zettelkästen in einen Schredder geworfen und die Fetzen dann unsystematisch zusammengeklebt.
    Esterházy als Vertreter eines ungarischen Dadaismus?
    Wie geht so etwas durch das Lektorat?

    "Es ist die Pflicht eines jeden, es auch auszusprechen, wenn er etwas als falsch erkennt." --- Stefan Heym, 2001

  • Es war bestimmt keine Freude, sich da durchzuquälen, aber Du beschreibst es einfach herrlich :lachen:

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen