Carmen Korn - Töchter einer neuen Zeit

Es gibt 9 Antworten in diesem Thema, welches 1.372 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von JaneEyre.

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    Henny und Käthe sind fast exakt so alt wie das neue Jahrhundert und schon von Kindesbeinen an gute Freundinnen, als sie in der Hamburger Klinik Finkenau 1919 ihre Hebammenausbildung beginnen. Nach den langen schrecklichen Jahren des Krieges blicken sie guten Mutes in die Zukunft und hoffen, einer neuen Generation auf die Welt zu helfen, die keine gefallenen Väter, Brüder, Onkel oder Söhne zu betrauern hat und technische wie gesellschaftliche Fortschritte genießen kann.


    Henny ist eher ruhig und bodenständig und versucht ständig, es ihrer aufdringlichen Mutter recht zu machen, die sich nach dem Tod des Ehemannes im Krieg stark an ihre einzige Tochter klammert. Käthe hingegen hatte schon immer eine rebellische Ader, sympathisiert mit den Kommunisten und hätte es eigentlich noch lieber, wenn ihre große Liebe Rudi etwas mehr von einem Revolutionär und weniger von einem Romantiker hätte. Mit seinem Faible für Worte und Gedichte kann sie wenig anfangen und lässt lieber Taten sprechen.


    Lina und ihr Bruder Lud tragen schwer am Verlust der Eltern, die während des Krieges elend verhungert sind, um ihre Kinder zu schützen. Lina, die Ältere, fühlt sich für den sanftmütigen Jungen verantwortlich und lässt sich zur Lehrerin ausbilden, um Geld zu verdienen. Für die Liebe hat sie wenig Zeit, die kommt erst viel später und auf sehr überraschende Weise zu ihr.


    Ida ist die klassische "höhere Tochter" aus gutem Hause, die nichts tun muss, was sie nicht tun will - bis ihr Vater sie zu einer strategisch günstigen Heirat zwingen will, weil er hoch verschuldet ist. Den Mann, den sie wirklich liebt, würde der Vater sowieso nie akzeptieren, denn Tian ist chinesischer Herkunft und ein kleiner kaufmännischer Angestellter, alles andere als standesgemäß.


    Romane, die die bewegte Geschichte des 20. Jahrhunderts nachzeichnen, sind keine Seltenheit, aber Carmen Korns vielgerühmte Trilogie ist definitiv lesenswert. Weniger des Stils oder literarischen Anspruchs wegen - ihre Sprache ist geradlinig, schlicht, manchmal fast ein wenig zu einfach, aber sie versteht es ausgezeichnet, ihren Figuren Leben einzuhauchen und vor allem auch die damaligen Lebensumstände in Hamburg so authentisch zu schildern, dass man fast selbst dabei zu sein glaubt.


    Sehr angenehm auch, dass ihre Protagonistinnen ganz normale Frauen ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Schichten sind, keine Spioninnen, Schauspielerinnen, Gräfinnen oder Geliebte wichtiger Männer. Man erlebt die historischen Ereignisse genau so, wie sie die Durchschnittsbevölkerung damals erlebt hat, ohne Wissen um den großen Kontext, ohne weltpolitische Einordnung, basierend auf dem, was in der Zeitung steht, was man im Radio hört oder was irgendjemand erzählt hat. Das heißt natürlich, dass vieles nur angedeutet oder gar nicht groß erwähnt wird, wobei einiges Wissenswerte im Glossar am Ende des Buches erläutert wird.


    Trotzdem wird vieles, häufig ganz subtil, im Alltag spürbar - die Inflation, die Machtergreifung der Nazis, das langsame, zunächst fast unmerkliche Abgleiten braver Bürger in die braune Dreckbrühe der NS-Ideologie, bis der Krieg mit furchtbaren Bombennächten, deren Schilderungen nicht viele Worte und grausige Details brauchen, um an die Substanz zu gehen, endgültig auch ins Leben der Zivilbevölkerung Einzug hält.


    Dabei bleiben die Charaktere aber keine faden Schachfiguren auf dem Spielbrett der Geschichte. Nicht nur die vier Hauptdarstellerinnen, sondern auch zahlreiche facettenreiche Nebenfiguren bevölkern das Buch, viele davon so sympathisch, dass man an ihren Schicksalen großen Anteil nimmt und am Ende (das zugegebenermaßen einen bösen Cliffhanger enthält) eigentlich sofort mit dem nächsten Band weitermachen möchte. Vielleicht versammeln sich ein bisschen zu viele Themen in diesem überschaubaren Personenkreis - aber andererseits ist das im richtigen Leben ja durchaus manchmal ähnlich.


    Für mich ein sehr gelungener Auftakt zur Hamburger Jahrhundert-Trilogie, die sowohl Unterhaltungswert besitzt als auch eindrucksvoll das Leben zwischen dem Ende des 1. und dem des 2. Weltkriegs porträtiert.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Sehr schöne Beschreibung, da möchte man gleich lesen.

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Ich war erst ein bisschen skeptisch angesichts des Hypes, aber es hat mir wirklich sehr gut gefallen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch was für Dich sein könnte.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich war erst ein bisschen skeptisch angesichts des Hypes, aber es hat mir wirklich sehr gut gefallen. Ich könnte mir vorstellen, dass es auch was für Dich sein könnte.

    Kann ich ja mal auf meine Wichtelliste schreiben ;)8o

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Valentine hat mit ihrer gelungenen Rezi ja schon alles gesagt.


    Was mich am Schreibstil zunehmend irritiert hat, ist die Vorliebe der Autorin für verbfreie Hauptsätze, sehr gern zu Beginn der Kapitel.

    Bücher sind Magie zum Mitnehmen.

  • Der zweite Teil ist heute angekommen - freu mich schon

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane

  • Viel Spaß damit, ich hoffe, er gefällt Dir auch so gut wie mir.


    Ich muss irgendwann mal demnächst Band 3 lesen, sonst kann ich die Figuren nicht mehr richtig zuordnen.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Hoffe ich auch - aber hab keine Bedenken.. . Kann ich sicher am Wochenende mal anfangen, das andere Buch ist fast durch... aber ich bin ja immer nicht so schnell wie ihr..

    Liebe Grüße JaneEyre

    Bücher haben Ehrgefühl. Wenn man sie verleiht, kommen sie nicht zurück.

    Theodor Fontane