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Frisch von der Schule weg wird Juliet Armstrong 1940 vom MI5 rekrutiert und einer Abteilung zugeteilt, die ein Nest von faschistischen Sympathisanten auszuheben versucht. Hauptsächlich besteht ihre Arbeit darin, Abhörprotokolle zu tippen, wenn sich ihr Kollege in der Nachbarwohnung mit Kontakten aus jenen Kreisen trifft, die ihn für einen Gleichgesinnten halten - einerseits fühlt sich das schon irgendwie aufregend an, oft genug ist es aber einfach nur anstrengend und gleichzeitig ein bisschen langweilig. Doch dann wandelt sich alles, als Juliet mit einer falschen Identität ausgestattet und in höhere gesellschaftliche Kreise eingeschleust wird, wo sie insbesondere die glühende Faschistin Mrs. Scaife ins Visier nehmen soll.
Zehn Jahre später arbeitet Juliet als Produzentin beim Schulfunk der BBC. Eine ziemlich unglamouröse Angelegenheit, die nicht mal ein Büro im altehrwürdigen Broadcasting House mit sich bringt, aber Juliet ist es gar nicht so unrecht, jetzt ein eher unspektakuläres Leben zu führen. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass die Vergangenheit sie einholen und sogar in Gefahr bringen könnte. Aber auch - oder gerade? - beim Geheimdienst bleibt offenbar nichts für immer verborgen.
Ich mag Bücher über weibliche Agentinnen, gerade während des 2. Weltkrieges, und ich schätze Kate Atkinson als großartige Erzählerin. Eine sehr gute Kombination also, die sich hier bietet, und ich wurde nicht enttäuscht.
Juliets Geschichte ist kein klassischer Spionagethriller. Wir schauen ihr einfach bei dem über die Schulter, was sie tut, egal ob sie auf abenteuerlichem Wege flüchten muss, um nicht als Agentin aufzufliegen, oder bloß genervt ist vom x-ten miserablen Schulfunkmanuskript, das sie umschreiben muss, damit es überhaupt eine Chance hat, auch nur einem einzigen Schüler im Land zu gefallen. Kate Atkinson beherrscht die Kunst perfekt, Alltägliches genauso mitreißend zu schildern wie brisante Situationen in Diensten des MI5, und versteht es ausgezeichnet, ohne reißerische Tricks für Spannung zu sorgen, auch durch geschickt eingesetzte Zeitsprünge (wobei ich da ab und zu mal kurzzeitig etwas verwirrt war, es klärte sich aber immer rasch auf).
Die Einblicke in Juliets Agentinnendasein im besonderen und die britische Gesellschaft zu Beginn des Krieges im allgemeinen sind faszinierend, was sicher auch daran liegt, dass die Autorin sich in jener Zeit bestens auskennt und mit vielen kleinen Details aufwartet, die vielleicht gar nicht so sehr auffallen beim Lesen, aber ungemein für Atmosphäre und Authentizität sorgen. Es wird auch sehr deutlich, wie sehr Juliet psychisch gefordert und belastet ist - der geringste Fehler, das kleinste Verplappern könnte das Aus bedeuten, und wem sie wirklich trauen kann, ist beileibe nicht immer klar.
Am Ende ging es mir ein bisschen zu schnell mit ein paar Entwicklungen, aber bis dahin habe ich mich großartig unterhalten, viele interessante Dinge gelernt und mich zwischendurch auch köstlich amüsiert, denn so ernst das Thema ist, staubtrocken-schwarzer Humor schleicht sich immer wieder ein und sorgt für ein wenig Auflockerung.
Abgerundet wird das Buch durch ein Nachwort, in dem die Autorin erläutert, was Fakt und was Erfindung ist, wovon sie besonders inspiriert wurde und auf welche Quellen sie sich gestützt hat. Besonders schön für Leseratten: es gibt auch einige Tips zum Weiterlesen, sowohl für Sachbuch- als auch für Romanleser*innen.
Kate Atkinson ist für mich definitiv eine tolle Entdeckung, und ich freue mich, dass es noch einiges von ihr gibt, was ich noch nicht kenne.