Elias Hirschl - Salonfähig

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    Ein schräges Buch über einen unsympathischen Mann, das trotzdem fesselt!


    Aus der Ich-Perspektive erzählt, ja wer eigentlich? (ein Name wird nie genannt), ein junger Politiker der ÖM (österreichische Mitte) seine Gedanken, Taten und Erlebnisse. Es ist eine extrem egozentrische Erzählung. Wenn er nicht von sich selbst erzählt, erzählt er über Julius, dem bisher jüngsten Kanzleranwärter, seinem großen Idol.


    Anfangs habe ich mir viele Gedanken darüber gemacht, auf welche Personen dieses Buch anspielt. ÖM, christlich orientiert, jüngster Kanzlerkandidat - naja, da braucht man nicht viel überlegen, das wird wohl die ÖVP sein. Aber dann hat dieser junge Kanzlerkandidat einen Gehstock, weil er vor Jahren einen Unfall hatte. Das erinnert doch auch sehr stark an einen ganz anderen Politiker. Doch warum die Anspielungen auf beide? Sind es überhaupt Anspielungen? Ich weiß es nicht genau, gehe aber schon eher davon aus.


    Er ist sehr unsympathisch, nicht eine Sekunde habe ich keine Antipathie verspürt. Es werden Aussagen getätigt, die per se nicht schlimm sind, aber in denen so viel Schlechtes mitschwingt - typisch Politiker hat. Er redet sich selbst ein, dass er gute Taten begeht, Mitleid mit Schwächeren hat, aber in Wahrheit ist das alles geheuchelt (das sage ich, nicht er - denn er glaubt ja daran, dass er gut ist).


    Oft führt ein unsympathischer Protagonist ja dazu, dass man ein Buch nicht gerne liest. Hier war das aber überhaupt nicht so. Ich war gefesselt und wollte wissen, wo die Reise hingeht. Denn wovon handelt das Buch überhaupt? Von Politik? Von Politikern? Von Psychopathen? Im Endeffekt denke ich, ist die Politik hier nur ein Rahmen. Es geht viel mehr darum, was es aus einem Menschen macht, von einem Gedanken besessen zu sein. Was genau das bedeutet, möchte ich hier nicht näher ausführen. Das muss jeder selbst herausfinden.


    Der Schreibstil ist eigen - fesselnd und spannend, sehr detailliert, stellenweise aber furchtbar wirr. Man merkt sehr deutlich, dass der Autor sehr gut weiß, mit der Sprache zu spielen und sie gezielt einzusetzen.


    Für mich gab es zwei Möglichkeiten, wie das Buch enden könnte. Aber ich war mir bis zum Schluss nicht sicher, ob ich damit nicht völlig daneben liege.


    Es ist definitiv ein Buch, das viel zum Nachdenken anregt. Man kann so viel hineininterpretieren, oder auch einfach nichts. Ich spreche eine klare Leseempfehlung aus und möchte auch noch betonen, dass man sich nicht für österreichische Politik interessieren oder sich damit auskennen muss, denn in Wahrheit spielt das keine Rolle.


    5ratten

  • Ob Hofer oder Kurz, wo ist da der Unterschied?


    Populistisch, opportunistisch, über Leichen gehend sind ja beide (es gilt die Unschuldsvermutung :)). Vielleicht spielt das Buch bewusst darauf an, dass diese Art von Politiker austauschbar sind, genauso wie Farben und Parteien. Ob orange, blau, schwarz oder türkis - alles Einheitsbrei, Ziel ist die eigene Macht stärken, ohne Rücksicht auf Verluste. Zum Glück schaffen sie sich immer wieder selber ab und müssen sich danach neu erfinden.


    Das Buch klingt auf jeden Fall interessant. Ich hab den Autor mal bei einem Poetry Slam im Kasino am Schwarzenbergplatz gesehen. Hat mir sehr gut gefallen, damals.

  • Also für mich ist sehr wohl ein großer Unterschied zwischen blau und schwarz/türkis. Aber ich möchte hier auf gar keinen Fall eine politische Diskussion los treten.

    Ja, in gewisser Weise ist es egal ob Kurz oder Hofer, weil es um den Typen Mensch geht: alles muss perfekt sein, salonfähiger Auftritt eben - und die Show drum herum.

    Man muss auch dazu sagen, dass die Figur von Julius sicherlich satirisch ist, aber Julius wird nicht offensichtlich kritisiert. Es geht einzig um die Psyche des Erzählers.

  • Hm ich bin gespannt, da ich ja nicht aus Österreich komme und die österreichische Politik nur genauer aus einem Podcast kenne, finde ich es durchaus interessant, wie ich das Buch wahrnehmen werde. Es steht zumindest auf meinem Hörbuchmerkzettel in meiner App.

  • Ich bin auch gespannt. Ich glaube zwar, dass man nichts mit der österreichischen Politik am Hut haben muss, weil es per se kein politisches Buch ist - aber vielleicht schätze ich das auch komplett falsch ein.

  • Wahrscheinlich ist es noch ein zusätzliches Zuckerl, wenn man aus Ö kommt oder aus sonstigen Gründen die Anspielungen kennt ;)

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • marimirl

    Definitiv^^ - Es hat sich denke ich mal für den Autor einfach angeboten, sich eben auf diese beiden Herren zu beziehen. Ich werde auf jedenfall dann berichten. Das Buch wandert auf meiner imaginären Bald Lese ich das Liste- auf jedenfall höher.

  • Wir haben dieses Buch im Rahmen der Leserunde meiner Lieblingsbuchhandlung gelesen - die Meinungen darüber waren sehr geteilt.:gruebel:

    Und eigentlich hat die Realität das Buch in der Zwischenzeit auch schon überholt...

    Für mich war es jedenfalls keine Satire!


    Ein namenloser Protagonist verliert sich völlig in dem Wunsch, seinem Idol ähnlich zu werden. Er ist besessen von Äußerlichkeiten, das Leben dreht sich um Koks, Moet & Chandon, teure Markenkleidung, die Frisur und hohle Sätze. Totale menschliche und geistige Verarmung, aber - NLP, Rhetoriktrainer und Psychotherapeut sei Dank - gleichzeitig ein Meister der Selbstinszenierung. Und darauf kommt es schließlich an, oder?


    Ein übertriebenes Sittenbild der aktuellen Slim-fit-Politikergeneration und ihrer Anhänger?


    Im Laufe der Geschichte kippt der Protagonist immer mehr aus der Realität heraus in eine wahnwitzige, psychopathologische Scheinwelt. Wobei völlig unklar bleibt, was davon tatsächlich Psychose und was Wirklichkeit ist.


    Übrigens wirklich sensationell vom Autor beschrieben. Sein Stil und Sprachwitz sind exzellent, sein beißender Spott ebenso. Er schreibt großartig und verwirrend.


    Trotzdem konnte ich mit dem Buch nicht viel anfangen: denn um eine Satire zu sein, ist es für mich viel zu realistisch. Also zu real und somit zu entlarvend um darüber wirklich lachen zu können.

    Vernunft, Vernunft...