Kaufen* bei |
Kaufen* bei |
Die sechzehnjährige Ada wird diese letzte Geschichtsstunde vor den Weihnachtsferien so schnell nicht vergessen, in der ihr plötzlich alles zu viel wurde: die Mitschüler, der Unterricht und nicht zuletzt die eigene Geschichte, von der ihr große Stücke fehlen. Sie weiß zwar, dass ihre Eltern aus Zypern stammen und von dort nach England gekommen sind, weil sie als griechischstämmiger Mann und türkischstämmige Frau ihre Liebe insbesondere nach der Teilung der Insel nicht leben durften, aber Genaues hat man ihr nie verraten. Inzwischen ist ihre Mutter tot und ihr Vater, ein liebevoller Mann und begeisterter Naturforscher, der sich insbesondere mit Bäumen beschäftigt (und gerne mit dem Feigenbaum im Garten spricht, den er hingebungsvoll umsorgt), schweigt weiterhin.
Als die Schwester ihre Mutter überraschend zu Besuch kommt, ist Ada zunächst genervt von dieser etwas chaotischen, abergläubischen Frau mit ihren vielen schrägen Sprichwörtern und ewigen Ratschlägen, begreift dann aber, dass das ihre Chance ist, endlich Näheres über ihre Herkunft und ihre Familie zu erfahren.
Die Liebe zwischen dem sensiblen Kostas, der schon als Kind Natur, Tiere und Pflanzen liebt und der rebellischen Defne, die zum Entsetzen ihrer Familie am liebsten einfach tut, was sie will, wäre in einem anderen Umfeld gar kein Problem gewesen, doch auf Zypern spielt es trotz aller augenscheinlichen Brüderlichkeit eine große Rolle, ob man griechischer oder türkischer Herkunft ist, und die sich zuspitzende politische Situation auf der Insel macht es fast unmöglich, diese Beziehung wirklich zu leben.
Elif Shafak war mir bisher nur dem Namen nach ein Begriff, aber mit diesem ergreifenden Buch hat sie sich sofort in mein Herz geschrieben. Auch über Zypern wusste ich bisher kaum mehr, als dass es eine geteilte Insel ist. Shafak verknüpft die traurige Geschichte der Insel mit einer verbotenen Liebe zwischen zwei jungen Menschen und einer urgemütlichen Taverne in Nicosia, die eine Besonderheit hat: mitten drin wächst ein alter Feigenbaum, liebevoll gepflegt von den beiden Wirten.
Diese Feige ist eine der Erzählstimmen des Buches, was mir ungemein gefallen hat und die vielfältige Wunderwelt der Natur, die es so unbedingt zu schützen gilt und die doch so oft mit Füßen getreten und nicht beachtet wird, in ganz besonderer Weise vor Augen führt. Die menschlichen Charaktere sind genauso großartig gezeichnet, voller Leben und mit Ecken und Kanten und liebenswerten Macken. Shafaks Stil ist poetisch, voller wunderschöner Sprachbilder, aber von einer gewissen Leichtigkeit getragen und angenehm unprätentiös. Dabei sind es zahlreiche schwere Themen, die sie anschneidet und ungeschminkt ans Licht holt, auf eine Art, die ganz und gar nicht kalt lässt. Ein schönes Gegengewicht dazu sind Kostas' untötbare Naturbegeisterung und viele kuriose und interessante Fakten aus der Tier- und Pflanzenwelt, die ganz mühelos und völlig ohne Erklärbärton eingestreut werden.
Jetzt schon eines meiner Highlights des Jahres, wenn nicht DAS schönste Buch. Ich freue mich auf weitere Bücher von Elif Shafak.