Rebecca F. Kuang - Yellowface

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    Der neuste Roman aus der Feder von Rebecca F. Kuang mit dem Titel „Yellowface“ ist ein eigenständiges Werk. Daher kann man dies ohne Probleme lesen, wenn man noch kein Werk von dieser Autorin gelesen hat.



    Klappentext:


    June Hayward und Athena Liu könnten beide aufstrebende Stars der Literaturszene sein. Doch während die chinesisch-amerikanische Autorin Athena für ihre Romane gefeiert wird, fristet June ein Dasein im Abseits. Niemand interessiert sich für Geschichten "ganz normaler" weißer Mädchen, so sieht es June zumindest. Als June Zeugin wird, wie Athena bei einem Unfall stirbt, stiehlt sie im Affekt Athenas neuestes, gerade vollendetes Manuskript, einen Roman über die Heldentaten chinesischer Arbeiter während des Ersten Weltkriegs. June überarbeitet das Werk und veröffentlicht es unter ihrem neuen Künstlernamen Juniper Song. Denn verdient es dieses Stück Geschichte nicht, erzählt zu werden, und zwar egal von wem? Aber nun muss June ihr Geheimnis hüten. Und herausfinden, wie weit sie dafür gehen will.



    Letztes Jahr habe ich von der Bestsellerautorin Kuang das Werk „Babel“ gelesen und war damals total begeistert. Daher war mir klar, dass ich noch weitere Bücher von ihr lesen möchte und habe mich an ihr neustes Werk gewagt. Der Klappentext klang ziemlich vielversprechend, ich hatte einige Erwartungen an diesen Roman und diese wurden auch nicht enttäuscht.


    Der Stil ist wieder sehr angenehm und Kuang weiß, wie sie ihre Leser fesselt und in den Bann zieht. Auch hier wird wieder eine dichte Atmosphäre geschaffen. Das Buch ist durchweg spannend und dies auf so vielseitige Weise. Unerwartete Wendungen werden eingebaut, aber auch die Charakterdarstellung und Entwicklung dieser macht einen Großteil des Potential aus. „Yellowface“ wird aus der Sicht der Protagonistin June erzählt. Dadurch bekommt der Leser nur einen begrenzten Einblick in die ganzen Vorgänge, man erhält lediglich einen Blickwinkel. Dafür erhält man jedoch Zugang zu der Gedankenwelt von June und dies macht einen besonderen Reiz des Werkes aus. Man stellt sich als Leser oftmals die Frage, inwieweit dies eine realistische Darstellung ist oder ob dies lediglich die Meinung und die Wahrnehmung von June entsprechend und ob diese vielleicht leicht verschoben sind. Man bekommt während des Lesens eine leicht paranoide Ansicht auf das Geschehen und hinterfragt immer mehr die Zusammenhänge oder auch die Charaktere – man hinterfragt einfach alles und zweifelt dabei immer mehr an den Charakteren, aber auch an sich selbst und der eigenen Wahrnehmung. Dies fand ich sehr gelungen. Dadurch hat dieses Buch regelrecht eine Sogwirkung auf mich ausgeübt, wollte ich doch einfach wissen, wie die Geschichte weitergeht. Immer tiefer dringt man in diesen Strudel ein und immer mehr wird man in die Welt von June und ihren Ansichten hineingezogen. Daher ist es nicht verwunderlich, dass es mir schwergefallen ist, dieses Buch wieder aus der Hand zu legen.


    Positiv möchte ich auf jeden Fall die Charakterdarstellung und auch die Entwicklung dieser hervorheben. Dieser Roman lebt quasi davon und stellt einen wesentlichen Aspekt der Geschichte dar. Der Charakter der Protagonistin June fand ich sehr gelungen. Zunächst lernen wir sie als Freundin von Athena kennen. Die beiden haben zusammen studiert und sich während dieser Zeit kennen gelernt. Athena war von den beiden die erfolgreichere Schriftstellerin und man merkt recht schnell, dass June sie darum beneidet. Hat ihr Debütroman doch eher bescheidenen Erfolg gehabt, wobei im Gegensatz dazu Athena schon Bestseller geschrieben hat. Als die beiden sich treffen, um einen Erfolg von Athena zu feiern, kommt es zu einem tödlichen Unfall und June muss mit ansehen, wie Athena erstickt. Vorher haben die beiden über ein fertiges Manuskript von Athena gesprochen und nach dem tragischen Unfalltod nimmt June dieses Manuskript an sich, überarbeitet es und anschließend wird es veröffentlicht. Was dies mit dem Charakter von June anstellt und wie sie im Verlauf der Geschichte die Welt um sich herum und auch sich selbst wahrnimmt, fand ich sehr interessant. Nur zu gebannt habe ich ihren Gedankengängen gelauscht. Auch wenn mir June nicht sympathisch geworden ist und ich ihre Darstellung der Gegebenheiten teilweise sehr fragwürdig fand, so war ich doch von der Story total gebannt. June flüchtet sich quasi in ihre eigene Welt und rechtfertigt dabei ihr Verhalten, nach außen hin präsentiert sie dieses Buch, welches aus dem Manuskript von Athena gefertigt wurde, als ihr eigenes Werk und der Strudel wird dabei immer turbulenter. Ich mochte diese authentische Darstellung und habe mit June gelitten, aber manchmal hätte ich sie auch nur zu gerne wachgerüttelt. Ein sehr ambivalenter und authentischer Charakter. Aber auch die Nebencharaktere bekommen ihren Raum, natürlich nicht so viel wie die Protagonistin. Dennoch konnten sie mich auf ihre Weise überzeugen, auch wenn sie stellenweise nur recht kurze Auftritte hatten. In diesem Roman steht June eindeutig im Vordergrund. Athena lernt man im Gegensatz dazu nur recht kurz kennen und auch nur aus den Augen von June. Dies fand ich ein bisschen schade, da man so diesen Charakter und dessen Wesenszüge nicht vollständig einschätzen kann. Ich bin mir echt nicht sicher, in wie weit dies durch die Perspektive von June verzerrt wurde.


    Interessant fand ich auch die Einblicke in die Verlagswelt und auch die gelungene Kritik an dieser, bekommt man als Leser dadurch noch mal einen ganz anderen Blick auf die Ellenbogengesellschaft in diesem sehr kleinen Sektor. Auch die sozialen Medien und die Anonymität im Netz und die daraus resultierenden Folgen bekommen hier einen Spiegel vorgehalten. Manchmal ist man sich gar nicht bewusst, was ein Kommentar oder eine Kritik bei der anderen Person bewirkt und welche Konsequenzen dies für denjenigen haben könnte. Oftmals schaukelt sich ein Thema hoch oder es werden falsche Behauptungen gemacht, welche andere für bare Münzen ansehen.


    Mein einziger Kritikpunkt an dieses Buch ist hier leider das Ende. Hier geht es Schlag auf Schlag und es spitzt sich alles zu einem spannenden Finale zu. Jedoch hat es sich für mich nicht vollkommen rund angefühlt, ich fand es etwas zu abrupt und meiner Meinung nach hat es nicht so ganz zum restlichen Buch gepasst. Aber dies ist bekanntermaßen Geschmackssache.



    Insgesamt hat mich die Autorin Rebecca F. Kuan mit ihrem Roman „Yellowface“ richtig gut unterhalten und mich konnte auch dieses Werk wieder vom Erzähltalent der Autorin überzeugen. Gebannt habe ich an den Seiten gehangen und habe die Ansichten von June und die Geschichte um sie herum mit Spannung verfolgt. Von mir gibt es 4 Sterne und eine Leseempfehlung.


    4ratten :tipp:

  • June hat einen Bestseller geschrieben - oder doch nicht?



    Als die Amerikanerin June Hayward mit ihrer Freundin, bzw. eher Bekannten seit Studientagen, der chinesischstämmigen Athena Liu deren netflix-Vertrag in ihrem Loft feiert, stirbt diese vor Junes Augen. Unüberlegt und automatisch steckt sie das neue Manuskript von Athena ein, das noch niemand kennt. Darin geht es um das Leid von chinesischen Arbeitern im ErstenWeltkrieg. June ist so davon gefesselt, dass sie beschließt, es zu überarbeiten und druckreif zu machen.

    June, die mit ihrem Debütroman keinen Erfolg hatte, wird als Juniper Song mit "Die letzte Front" endlich zum Bestseller!

    Dieses Buch liest sich wie ein Geständnis oder Tagebuch; June spricht die Leser:innen direkt an (Das durchgehende Gendern im ganzen Roman war für mich gewöhnungsbedürftig. In Artikeln oder Nachrichten hat man sich ja schon daran gewöhnt, aber in einem Roman stört es meinen Lesefluss.)

    Durch die direkte Ansprache von June bekommt man tiefe Einblicke in ihre Gedanken- und Gefühlswelt. Und ich muss sagen: das gefiel mir nicht. June ist vor Neid zerfressen, eine sehr unsympathische Person, die emotional unterentwickelt und nicht empathisch ist. Sie sucht immer neue Rechtfertigungen, warum sie diese Geschichte veröffentlichen durfte. So eine derart falsche, hinterhältige und unerträgliche Protagonistin hatte ich noch nie. Trotzdem musste ich einfach ALLES erfahren, was für die Schreibkunst der Autorin spricht.

    Ich verurteile Junes Doppelmoral, mit der sie alles bewertet. Sie wechselt auch laufend von himmelhoch jauchzend zu Tode betrübt. Hat keinerlei Selbstbewusstsein und keine feste, eigene Meinung. Sie schwimmt mit dem Strom und versucht immer, im besten Licht dazustehen und das beste für sich rauszuholen, mit teils widerwärtigen Methoden. Und sie ist lernresistent. Sie lernt einfach nicht aus ihren Fehlern und verhält sich manchmal einfach nur dumm.

    Die Autorin verarbeitet in diesem Roman nicht nur Rassismus (der ein großes Thema ist), Diversität und die Frage der kulturellen Aneignung (Darf jeder alles schreiben? Also hatte June mit ihrer Herkunft überhaupt das Recht, einen Roman über das Leiden chinesische Arbeiter zu schreiben?); auch die Themen Plagiat, die Buchbranche in den USA (was für mich besonders interessant zu lesen war, denn oft denkt man sich: ja, genauso ist es; wobei es in den USA sicherlich noch schwieriger ist als in Europa durch die Buchpreisbindung), die "Diskussions"kultur in den Sozialen Medien (bzw. eher das Mobbing und Shitstorms, vor denen June besonders Angst hatte), Neid, Eifersucht, Intrigen. Somit also auch eine breite Bandbreite der Gefühle.

    Man fiebert mit June mit, wer da wohl so viel Hass auf sie hat und sie derart verunglimpft, und hasst sie trotzdem gleichermaßen wie auch Athena, der sie ihren Erfolg aus diversen Gründen missgönnt hat, denn auch diese war kein einfacher Charakter. Trotzdem hätte ich Athena gern etwas besser kennengelernt; nicht nur aus Sicht von June.

    Auch ein kleiner Krimi ist inkludiert, denn man grübelt bis zum Schluss, wie sich der Tod von Athena wirklich abgespielt hat.

    Doch manchmal wusste man selbst gar nicht mehr, was echt war und was sich June nur ausgedacht hat.

    Den Schluss fand ich leider nicht befriedigend, etwas dünn in der Erklärung, nicht wirklich nachvollziehbar. Aber auch so naheliegend, und deshalb etwas unspektakulär und vorhersehbar. Und June macht wieder dort weiter, wo sie zuvor schon aufgehört hat ("täglich grüßt das Murmeltier"). Doch gleichzeitig ist es auch ein eher offenes Ende, denn man weiß nicht, wie es schlussendlich ausgehen wird und kann auch nicht mit Bestimmtheit sagen: hat June uns das alles erzählt?


    Fazit:

    Ein Roman über das Autor:innen-Dasein, die Buch- und Verlagswelt, Plagiate, Sozial Media und alles, was dazugehört; der alle Gefühle vereint, einen mitreißt, wütend und traurig macht und manchmal nur den Kopf schütteln lässt. Und vor allem wird man nachdenklich.

    4ratten

  • Meine Meinung :


    R.F Kuang trifft genau die Punkte, die weh tun. Und zwar vor allem die sogenannte weiße Mehrheitsgesellschaft in den privilegierten Ländern der früheren Kolonialmächte...

    Eigentlich geht es eher oberflächlich wirklich um die Literaturszene. Es geht aber darum wie eben genau diese von weißen dominiert und welche Machtgefüge daraus gewachsen sind und daher auch den Buchmarkt bestimmen.

    Was mir besonders gefallen hat, war die Art und Weise wie und welchen Blickwinkel die Autorin gewählt hat, um das Ganze dann mit bitterbösen satirischen Elementen zu vermischen.


    Wie funktionieren moderne Medien heute, auch das ist ein Teil des Romans. Man merkt das sich RF Kuang selbst in dieser Welt bewegt, kein Journalist deckt einen Skandal auf, sondern es auf Twitter tauchen unangenehme Fragen auf, die den Skandal auslösen ohne das echte Beweise geliefert werden. Das alles der Wahrheit entspricht wissen erstmal nur June und wir als Lesende.

    Es hat ein bisschen gebraucht aber plötzlich war ich im Bann der Geschichte. June war mir dabei nicht sympathisch, aber es war spannend zu verfolgen, wie sehr sie nach und nach selbst die Wahrheit immer mehr aus den Augen verliert, sich in ihren Lügen so sehr verstrickt, das es ihre neue Wahrheit wird. Zu Selbstreflektion oder Empathie ist sie dabei nicht in der Lage. Ich wusste dabei manchmal nicht, welches Ende ich mir dafür eigentlich wünschen würde. An einer Stelle hätte ich vermutlich etwas böser entschieden als die Autorin. :lachen:


    Ein Roman der zum Nachdenken anregt, nicht nur über Rassismus und white Privelege im allgemeinen, sondern vor allem wie wir in Zukunft damit umgehen wollen, gibt es echte Lösungen die einen echten Dialog zu lassen? Wie lassen sich neue Wege finden, ohne dass das große Gespenst der (angeblichen) Cancel Culture im Raum steht?

    R. F. Kuang macht klar, warum es so wichtig ist, das bestimmte Geschichten auch aus der Kultur, von den Menschen heraus erzählt werden, die davon betroffen sind. Für die diese Geschichten echtes Leid, echte Erfahrungen und vor allem Traumata, bedeuten. Die zum Teil mehrere Generationen betreffen, selbst wenn die aktuelle Generation eigene Privilegien genießt - aber auch deshalb die Chance hat, über Dinge zu sprechen, über die andre geschwiegen haben/schweigen mussten.


    R.F. Kuang zeigt mit dem Zeigefinger auf uns alle. Es ist an uns als Gesellschaft Rassismus zu überwinden, aber auch keine neuen Diskriminierungen daraus entstehen zu lassen. Dieser Spagat ist die eigentliche Herausforderung.


    5ratten

  • Die Geschichte beginnt mit einem Paukenschlag: Junes Freundin/Konkurrentin Athena stirbt vor ihren Augen. Ausgerechnet an dem Tag, an dem ihre ohnehin schon steile Karriere noch weiter abhebt. June ist geschockt, aber sie erkennt auch die Chance, die sich ihr bietet: Athena hat sie gebeten, ihren neuen Roman zu lesen. Sie kann nichts mehr damit anfangen, aber June und so veröffentlicht sie das Werk ihrer toten Freundin unter ihrem Namen.


    Es ist eine Sache, sich die Tatsache schön zu reden, dass man einer Toten ihren letzten Roman gestohlen und als den eigenen ausgegeben hat. Je mehr sie darüber nachdenkt, desto größer wird ihr Anteil daran. Wie groß der tatsächlich ist, ist mir nie wirklich klar geworden. Sicherlich hat sie ein bisschen umgeschrieben und dafür auch über das Thema recherchiert. Aber je erfolgreicher sie wird, desto dünner wird das Eis, auf dem sie sich befindet. June erkennt, dass sie keine Ahnung über das hat, von dem sie angeblich geschrieben hat. Dazu kommt, dass ihr Verlag ihr ein neues Image verpasst hat, dass die Leute in die Irre führt.


    Immer wieder erzählt June, wie schlecht sie sich fühlt, wenn sie die Erwartungen der Menschen enttäuscht, aber das nehme ich ihr nicht ab. Denn gleichzeitig reagiert sie fast schon beleidigt, wenn man ihr ihre Unwissenheit vorwirft. sie glaubt, die richtigen Worte gefunden und richtig gehandelt zu haben. Aber auch wenn die Vorwürfe oft im falschen Ton geäußert werden, treffen sie doch einen wahren Kern. Ob Athena die gleichen Vorwürfe gehört hätte? Vielleicht. Als jemand, der sein ganzes Leben öffentlich machte, machte sie sich auch verletzbar und wurde verletzt.


    Das ist genau das, was ich an dem Roman mag: er kommt auf den ersten Blick leicht daher, aber Rebecca F Kuang hat viel hineingepackt: sie erzählt, wie schwer es für junge AutorInnen ist, in der Branche Fuß zu fassen. Wie das Internet jemand zum Star machen kann, aber genauso schnell vernichten. Und auch immer wieder von Rassismus: offen oder versteckt, bewusst ausgesprochen oder in Gewohnheiten versteckt. Mehr als einmal weigert sie sich, sich diesen Anstellungen zu stellen und ihr Umfeld macht mit. Das scheint einfacher zu sein, als über sich und das eigene Verhalten Gedanken zu machen.


    Ich habe selten in einem Buch einen erhobenen Zeigefinger gesehen, der so charmant verpackt war. Das macht die Dinge, die die Autorin angesprochen hat, nicht weniger wichtig. Aber für mich hat ist es das, was Buch zu einem der Lesehighlights in diesem Jahr macht.

    5ratten

    Into the water I go to lose my mind and find my soul.