Connie Willis: Die Farben der Zeit

Es gibt 2 Antworten in diesem Thema, welches 2.231 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Connie Willis: Die Farben der Zeit
    oder
    ganz zu schweigen von dem Hunde
    und
    wie wir des Bischofs Vogeltränke schließlich doch noch fanden



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    Klappentext:
    Der Traum aller Geschichtsstudenten wird wahr, als die Universität Oxford die Möglichkeit anbietet, mittels Zeitmaschine in die Vergangenheit zu reisen und Geschichte tatsächlich vor Ort zu studieren. Doch was so aufregend klingt, führt bald zu den skurrilsten Verwicklungen und Löchern im Raumzeitgefüge - und schließlich ist man nur noch mehr damit beschäftigt, mit Ach und Krach den korrekten Gang der Historie zu retten…



    Allgemeines:
    Ich habe das Buch im Januar dieses Jahres in der deutschen Ausgabe gekauft. Mittlerweile ist die deutsche Ausgabe nur noch gebraucht erhältlich, neu ist das Buch nur noch im englischen Original zu bekommen.



    Beurteilung:
    Der Klappentext stimmt und stimmt doch wieder nicht. Tatsächlich ist es so, daß die Universität Oxford Anfang des 21.Jahrhunderts die Möglichkeit der Zeitreise entdeckt hat. Jetzt schreibt man das Jahr 2057 und nur bestimmten Wissenschaftlern ist die Zeitreise gestattet. Allerdings immer weniger zu Forschungszwecken: die einflußreiche Lady Schrapnell (nomen est omen) hat es sich in den Kopf gesetzt, die Kathedrale von Coventry originalgetreu wiederaufzubauen. Leider wurde die Kathedrale 1940 von deutschen Bomben zerstört und Lady Schrapnell hetzt jetzt Historiker in die Vergangenheit, um Gegenstände aus der Kathedrale zu beschaffen. So beauftragt sie den Historiker Ned Henry „des Bischofs Vogeltränke“ zu beschaffen, koste es, was es wolle! Ned springt quer durch die Zeit um die verschollene „Vogeltränke“ zu finden, bei der es sich um eine äußerst häßliche, gußeiserne Blumenschale handelt. Dabei zieht er sich die Zeitreisekrankheit zu, die sich in Hörschwierigkeiten, Verwirrung und Rührseligkeit äußert. Damit er sich erholen kann (und vor Lady Schrapnell in Sicherheit ist), wird er kurzerhand ins Viktorianische Zeitalter geschickt - allerdings mit dem Haken, daß er eine bestimmte Sache zu einer bestimmten Zeit bei einer bestimmten Person abliefern soll. Danach könne er sich in Ruhe erholen. Nur leider bekommt er aufgrund seiner Schwerhörigkeit nicht mit, was er wem wann übergeben soll…


    Die ganze Geschichte ist einfach aberwitzig: streckenweise zum Schreien komisch, manchmal aber auch zum Wände krallen nervend!
    Der Anfang hat mich sehr irritiert, denn man wird mitten in die Geschichte hineingeworfen, was aber andererseits gut zu Ned Henrys Verwirrung paßt. Kaum ist er im Oxford des Jahres 1888 gelandet, werden immer wieder viktorianische Dichter zitiert, was den Lesefluß doch gestört hat. Zum Glück werden diese Zitate weniger, dafür gibt es viele Anspielungen auf den Roman Drei Mann in einem Boot von Jerome K. Jerome.
    Das Ende ist etwas zu lang gezogen, da hätten ein paar Seiten weniger nicht geschadet, zumal recht schnell klar wird, worauf alles hinausläuft.
    Bis auf diese kleinen Schwachstellen aber ist der Roman hervorragend: die Atmosphäre ist gelungen, die Romanze zum dahinschmelzen, die Charaktere durchweg glaubwürdig und der Humor umwerfend. :lachen:



    Meine Wertung:
    4ratten



    Originaltitel: To say nothing of the Dog or how we found the Bishop’s Bird Stump at last
    Übersetzer: Christian Lautenschlag
    Kategorie: Fantasy / Humor / Zeitreise
    Heyne
    719 Seiten
    ISBN: 3453187830

    viele Grüße<br />Tirah

  • „Die Farben der Zeit“ habe ich vor vielen Jahren schon einmal gelesen und war ziemlich enttäuscht von dem Buch, ich fand es (vor allem im Vergleich zum mich begeisternden „Jahre des schwarzen Todes“) ziemlich langweilig und nichtssagend und habe mich dann gefragt, ob man vielleicht „Drei Männer in einem Boot“ von Jerome K. Jerome kennen muss, um dieses Buch zu mögen. - Nein, muss man nicht, denn das habe ich immer noch nicht gelesen, trotzdem habe ich diesmal das Lesen von „Die Farben der Zeit“ sehr genossen.


    Die hektisch wirkenden Versuche der Zeitreisenden, alles in die Bahnen zu lenken, die die Geschichte den Historikern zufolge haben sollte (X muss Y treffen und später heiraten…) bieten einen wunderbaren Kontrast zum Leben der viktorianischen Oberschicht voller Nichtigkeiten. Die „modernen“ Figuren waren sympathisch und die viktorianischen Personen entsprachen so wunderbar den entsprechenden klischeehaften Vorstellungen, dass ich so manches Mal über das ach-so-typische Verhalten lächeln musste. Willis fügt viele kleine, immer wieder kehrende Details (Kirchenbasare) ein, und die Vogeltränke (so hässlich, dass sie unkaputtbar ist) hätte ich wirklich gerne einmal gesehen


    Trotz der Aufgeregtheit der Figuren eine wunderbar entspannendes Buch, aber „Drei Männer in einem Boot“ muss ich irgendwann wirklich einmal lesen.


    4ratten

  • Oxford, 2057. Nach zu vielen Zeitsprüngen innerhalb kurzer Zeit leidet der Historiker Ned Henry an einem ausgewachsenen Anfall von Zeitkrankheit mit Verwirrung, Schwerhörigkeit und übelstem Schlafmangel. Das hat er Lady Schrapnell zu verdanken, die es sich in den Kopf gesetzt hat, die alte Kathedrale von Coventry, 1940 durch einen deutschen Luftangriff zerstört, originalgetreu wieder aufzubauen, und nun eine ganze Schar zeitreisender Geschichtskundler darauf angesetzt hat, "des Bischofs Vogeltränke" aufzutreiben, eine monströse Blumenvase, die angeblich den verheerenden Brand nach dem Bombardement überlebt haben soll. Nachdem er in der Vergangenheit von einem Kirchenbasar zum nächsten gehetzt ist und das Ding doch nicht gefunden hat, ist er völlig durch den Wind, und um ihn Lady Schrapnells Zugriff zu entziehen, die ihn postwendend wieder auf die Reise schicken würde, wenn sie ihn sähe, verordnet ihm sein Vorgesetzter eine kleine Auszeit im viktorianischen England, jedoch nicht ganz ohne Hintergedanken.


    Ausgestattet mit einem stilechten Schnurrbart und einem Riesenhaufen Reisegepäck kommt Ned im Jahre 1888 an und merkt ziemlich schnell, dass die Gesellschaft von damals zwar den gepflegten Müßiggang und die leere Konversation zur Kunstform erhoben hat, sein Aufenthalt dort aber alles andere als gemütlich sein wird. Ruckzuck findet er sich wie weiland Jerome K. Jerome mit zwei Männern auf einem Ruderboot wieder (ganz zu schweigen von dem Hunde, versteht sich), zu einer Flussfahrt, die Turbulenzen mit sich bringt, die er sich nie hätte träumen lassen.


    Willis' Zeitreiseromane sind einfach herrliche, gescheite, witzige Unterhaltung. Egal, ob sie ihre Figuren ins Mittelalter, den Blitzkrieg oder eben in die Zeiten Queen Victorias entführt, sie erschafft immer ein minutiöses, detailverliebtes Bild der jeweiligen Zeit und sorgt dabei mit geschickt eingesetzten Running Gags und einer Riesenportion Humor dafür, dass sich ein amüsiertes Grinsen auf dem Gesicht des Lesers niederlässt und da so schnell nicht mehr verschwindet.


    Das endlose, hohle Geschwätz der holden Weiblichkeit, die umständlichen Umgangsformen, die einzuhalten sind, der blinde Glaube an Spiritismus und natürlich die allgegenwärtigen gesellschaftlichen Ereignisse wie Höflichkeitsbesuche und - Ned kann es kaum fassen - Kirchenbasare, all das wird so herrlich lebendig, wie auch die Irrungen und Wirrungen zwischen den einzelnen Personen. Die sind alle wunderbar skurril und, sogar die nervtötenden, irgendwie liebenswert.


    Ned hingegen weiß bald gar nicht mehr, was richtig und falsch ist, ständig lebt er in Sorge, das Raum-Zeit-Gefüge massiv durcheinandergebracht zu haben, indem er irgendein Ereignis in Gang gesetzt hat, das den Lauf der Geschichte verändert. Oder ist am Ende doch Verlass darauf, dass das System sich selbst korrigiert?


    Nach leichten Anfangsschwierigkeiten - Neds Konfusion hat Willis da so gut eingefangen, dass der Leser mit ihm Fragezeichen in den Augen hat - war auch das ein großartiger Lesespaß und ein super lesenswerter Zeitreiseschmöker. Alles da, was ich bei Willis so mag: tolle Charaktere, eine verschlungene, spannende Handlung, das gekonnte Spiel mit wiederkehrenden Motiven, eine Menge Humor und auch viel Gefühl. Und die vielen, vielen kleinen Details, wie die Uhr der Kathedrale von Coventry, die Stunde um Stunde weiter schlug, während das Kirchenschiff abbrannte. (Da hatte ich echt Gänsehaut.)


    Meine absoluten Lieblinge in der lose zusammenhängenden Zeitreise-Reihe hat das hier zwar nicht getoppt - das bleiben "Blackout" und "All Clear" - aber trotzdem eine ganz warme Empfehlung.


    Wobei: an der deutschen Übersetzung muss ich noch schnell rummeckern. Zwar hat der Übersetzer den Ton und den Humor von Willis echt gut hingekriegt, aber einige feststehende Begriffe hätte er mal besser nachgeschlagen. "The Battle of the Bulge" ist im Deutschen schlicht die "Ardennenschlacht" und nicht "die Schlacht von Bulge" :entsetzt:


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen