Franz Kafka - Amerika

Es gibt 89 Antworten in diesem Thema, welches 26.062 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von HoldenCaulfield.

  • Das ist mir auch schon aufgefallen. Ich will hier keine künstliche Frauen-Männer- Front schaffen, aber gerade in der Diskussion hier zu Kafka (und auch früher zu Thomas Bernhard) fällt auf, dass zumindest die hier vertretenen Frauen nach einem positiv besetzten Protagonisten suchen (trotz der Einschränkungen durch Bettina). Dennoch ist mir letztlich nicht klar, worin die geschlechtsspezifische Begründung für diese unterschiedlichen Ansätze liegen sollte.


    Ich denke es hängt von der Lektüre ab, ob ich mich mit den Protagonisten identifizieren will.
    Ich lese z.B: sehr gerne Mankell, weil mir der Kommissar äusserst sympathisch ist, sein Lebensstil, seine Überlegungen, sein soziales Engagement...
    Bei "seriöser" Literatur mache ich mir, auch als Frau :zwinker:, keine Gedanken wie ich persönlich zu den Protagonisten stehe, das spielt überhaupt keine Rolle, in diesen Büchern interessiert mich dann nur der Schreibstil, die Aussagen, das Betrachtungsvermögen des Autors, seine Art der Auseinandersetzung mit dem sozialen und/oder politischem Umfeld, usw.



    Ich kann mich daran erfreuen. Genauso wenig wie ich für ein Bild bildhafte Elemente benötige (es kann auch vollkommen abstrakt sein), darf auch ein Buch wenig oder gar keine Handlung (sprich: keine Geschichte im herkömmlichen Sinne) aufweisen.


    Das kann ich nur unterschreiben.


    liebe Grüsse
    dora


  • Das ist doch wie eine Kommode: Wer kauft sie denn, nur weil sie aus peruanischem Affenbrotbaum ist, gleichzeitig aber schlecht rutschende Schubfächer und eine abgrundtief hässliche Platte hat?


    Das klingt nach einem traumatischen Erlebnis... :breitgrins:



    In diesem Sinne brauche ich in der Regel schon einen Protagonisten als Aufhänger, eine Identifikationsfigur, wenn Du sie so nennen möchtest. Die muss aber nicht so sein, wie ich sie gerne hätte, sie muss auch nicht so reagieren wie ich und Ähnliches. Aber ich muss ihre Geschichte verfolgen wollen.


    Da gebe ich Dir recht, aber ich will doch nicht nur dann Geschichten verfolgen, wenn ich das handeln der Figuren nachvollziehen kann, oder? Ich bedaure es sehr, die geschichten des Landvermessers K. oder auch Karl Roßmanns nicht bis zum Ende nachvollziehen zu können.
    Was Du meinst, ist vielleicht, dass uns Kafka keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Blick ins Innenleben seiner Figuren gewährt. Es gibt keine Reflexionen, keinen Blick in die Gedankenwelt, wir müssen von dem, was wir präsentiert bekommen, schließen.



    Ich kann mich daran erfreuen. Genauso wenig wie ich für ein Bild bildhafte Elemente benötige (es kann auch vollkommen abstrakt sein), darf auch ein Buch wenig oder gar keine Handlung (sprich: keine Geschichte im herkömmlichen Sinne) aufweisen.


    Da stimme ich zwar zu, aber einen Bezug zu Kafka sehe ich nicht ;-): Kafka schreibt doch Geschichten im herkömmlichen Sinn, es ist doch überhaupt kein Problem, die Handlung seiner Romanfragmente zusammenzufassen: Karl Roßmann reist nach Amerika, wo er einer ganzen Reihe kauziger Figuren begegnet und nach Arbeit sucht, die an den unterschiedlichsten Orten findet, Gespräche führt usw. (ich müsste jetzt wirklich noch einmal in den Text schauen). Aber das ist mit Sicherheit keine hermetische Prosa, sondern ein sehr klarer linearer Erzählstil.



    Ich halte es übrigens für keinen Zufall, dass es sich um Frauen handelt. Dies und die Tatsache, dass auch Claudi Kafka am Vaterkomplex aufmacht, weisen m.M.n. schon darauf hin, dass diese Interpretation sehr weit vorne auf der Zunge liegen muss.


    Diese Annahme ist durch nichts zu rechtfertigen. Kafka war schon immer ein wenig widerspenstiges Opfer der biographischen Lesart. Meist weiß man um sein schlechtes Verhältnis zum Vater, bevor man auch nur eine Zeile von ihm gelesen hat. Ich halte es für Zufall, dass sich hier die meisten Frauen kritisch äußern (Bettina hat außerdem noch gar nicht, sie liest das Buch ja erst noch), es gibt aber auch hier im Forum glühende Kafka-Verehrerinnen, außerhalb natürlich sowieso. Schon im allgemeinen Kafka-Thread ist die Diskussion viel zu sehr auf die Person Kafka abgestellt gewesen. Hier im "Amerika"-Thread sollten wir uns die Textarbeit nicht auf diese Weise vereinfachen bzw. zerschießen,


    meint: Bartlebooth.

  • [quote author=Bettina]
    Ich kann über ein Buch zwar denken, dass es gut aufgebaut ist, durchdacht ist, etc, aber irgendeinen Aufhänger brauche ich für mich, um das Buch insgesamt zu mögen. Mir ist es bisher noch nicht passiert, dass ich ein Buch z. B. nur wegen seines Aufbaus oder wegen seiner Botschaft mochte oder weil ich dem Autor allerbestes Handwerk bescheinigen konnte oder weil ich wusste, dass er in einem Genre einen Meilenstein gesetzt hat.[/quote]


    Genau.


    [quote author=Bettina]
    Kannst Du Dich alleine am schriftstellerischen Handwerk erfreuen? An Satzbau, Wortwahl, Konstruktion der Handlung, Bildhaftigkeit, Allegorien? Mir persönlich reicht es nicht, auch wenn ich solche Details schätze, wenn ich sie als besonders erkenne.[/quote]


    Nochmal genau. Du sprichst mir aus dem Herzen, Bettina! Genau das meine ich.
    Satzbau, Wortwahl etc sind für mich die "Technik" des Buches (oder meinetwegen auch das Handwerk des Autors). Die Handlung und die Charaktere sind die "Seele". Und es muss einfach beides stimmen, damit ich am Ende mit dem Buch zufrieden bin. Dabei ist für mich die Seele des Buches wichtiger als seine Technik, um mal bei den Begriffen zu bleiben. Und gerade da bietet mir Kafka nichts ausser Magenschmerzen und Zorn über die Protagonisten.
    Ich bin eher bereit, über stilistische Unsauberkeiten oder eine mässig konstruierte Handlung (also schlechte Technik) hinwegzusehen als über eine nichtssagende Handlung oder sich absurd verhaltende Charaktere, die ich in keiner Weise nachvollziehen kann. Wie Bettina schon schrieb, ein Charakter muss nicht unbedingt symphatisch sein - aber nachvollziehbar schon (auch wenn man sich selber anders verhalten würde).


    Liebe Grüsse


    Alfa Romea

    Wer anderen folgt, wird nie zuerst ankommen.

  • Zitat von "Alfa"

    Es gibt Charaktereigenschaften, die ich (im richtigen Leben mit richtigen Leuten) nicht leiden kann. Dazu gehören Leute, die eigentlich intelligent sind, aber nicht für sich selber einstehen können und dann darunter leiden und womöglich noch in Selbstmitleid ertrinken. Karl Rossmann ist ein Musterbeispiel dafür. Und wenn ich dann einen Roman lese, in dem ein solcher Vollpfosten die Hauptrolle spielt, dann kann ich mir nicht einfach sagen "Das ist ja nur ein Roman, sieh es als Charakterstudie oder -beschreibung". Dazu muss ich keine Bücher lesen, solche Deppen kann ich jeden Tag in meinem Umfeld studieren.


    Ich würde auch nicht sagen, dass Kafka "Charakterstudien" schreibt, dafür bleibt der Blick ins Innere der Figuren viel zu vage. Wir lernen ja nichts über die Beweggründe Karls oder K.s oder wessen auch immer. Kafka beschreibt vielmehr eine Maschinerie, er beschreibt das, was zwischen seinen Figuren geschieht. Und ich bin mir zielich sicher, dass Du mit so manchem "Vollpfosten" (was für ein grandioses Wort, wird in meinen aktiven Wortschatz aufgenommen ;-)) viel anfangen könntest, wenn Dir ein Blick in die wankelmütige Seele gestattet würde. Aber dieser Nachweis wäre natürlich erst zu führen.



    Ich bin eher bereit, über stilistische Unsauberkeiten oder eine mässig konstruierte Handlung (also schlechte Technik) hinwegzusehen als über eine nichtssagende Handlung oder sich absurd verhaltende Charaktere, die ich in keiner Weise nachvollziehen kann.


    Ich glaube, wir sollten Kafka jetzt nicht zum brillanten Stilisten machen, da könnte man auch trefflich streiten. ich finde einfach nicht, dass seine Figuren so unglaublich absurd oder nicht nachvollziehbar handeln. Sie beugen sich einfach gewissen Regeln (K. im Schloss) oder sie sind passiv (wie Karl und wie in Wirklichkeit viele, die mit einer ihnen unbekannten Situation konfrontiert sind). Kafkas Figuren sind Beobachter und Funktionsträger. Hätten sie das, was man "ein normales Maß an Aufmüpfigkeit" nennen könnte, könnte Kafka seine Geschichten nicht erzählen. Wir lernen bei Kafka zwar nichts über die Gründe für Passivität, aber wir können diese und ihre Funktionsweise in seinen Texten genauestens beobachten.


    Herzlich: Bartlebooth.


  • Da stimme ich zwar zu, aber einen Bezug zu Kafka sehe ich nicht ;-): Kafka schreibt doch Geschichten im herkömmlichen Sinn, es ist doch überhaupt kein Problem, die Handlung seiner Romanfragmente zusammenzufassen: Karl Roßmann reist nach Amerika, wo er einer ganzen Reihe kauziger Figuren begegnet und nach Arbeit sucht, die an den unterschiedlichsten Orten findet, Gespräche führt usw. (ich müsste jetzt wirklich noch einmal in den Text schauen). Aber das ist mit Sicherheit keine hermetische Prosa, sondern ein sehr klarer linearer Erzählstil.


    Ja, es sind herkömmliche Geschichten, meine Aussage war nicht speziell auf Kafka gemünzt. Die Figuren jedoch sind nicht ganz so herkömmlich (zumindest erwartet Alfa - und ich kann diese Sicht ein Stück weit nachvollziehen - "normaler" handelnde Figuren). Und in diesem Sinne sind seine Geschichten nicht so wie Bettina sie erwartet. Kafka ist schon wie eine "gewaltige" Kommode, vor der man erstaunt stehen bleibt, aber bei der die Schubladen knarzen.


    Schöne Grüße,
    Thomas

    Einmal editiert, zuletzt von Klassikfreund ()

  • ...Bettina hat außerdem noch gar nicht, sie liest das Buch ja erst noch...


    Genau, ich feuere das angefangene Wettbewerbsbuch in die Ecke und lese erstmal den Kafka. Die Post hat Alfas Buch heil hierher gebracht - originalgetreu mit LS-Lesezeichen. Die Diskussion macht mich mehr als neugierig - hat sie ja von Anfang an schon gemacht. (was macht mein Mann beim Stichwort Kafka: :entsetzt:)


    Zitat von Klassikfreund

    Und in diesem Sinne sind seine Geschichten nicht so wie Bettina sie erwartet. Kafka ist schon wie eine "gewaltige" Kommode, vor der man erstaunt stehen bleibt, aber bei der die Schubladen knarzen.


    Kommoden (aus peruanischem Affenbrotbaum, bitte!) und Vollpfosten werden uns verfolgen :lachen:
    "Vollpfosten" wird in die offizielle Rezensions-Begriffsliste aufgenommen.


    Was ich erwarte, weiß ich übrigens gar nicht so genau. Ich bin vorgewarnt, aber mehr auch nicht.

    ☞Schreibtisch-Aufräumerin ☞Chief Blog Officer bei Bleisatz ☞Regenbogen-Finderin ☞immer auf dem #Lesesofa

  • Zitat von "Bartlebooth"


    Diese Annahme ist durch nichts zu rechtfertigen. Kafka war schon immer ein wenig widerspenstiges Opfer der biographischen Lesart. Meist weiß man um sein schlechtes Verhältnis zum Vater, bevor man auch nur eine Zeile von ihm gelesen hat. Ich halte es für Zufall, dass sich hier die meisten Frauen kritisch äußern (Bettina hat außerdem noch gar nicht, sie liest das Buch ja erst noch), es gibt aber auch hier im Forum glühende Kafka-Verehrerinnen, außerhalb natürlich sowieso. Schon im allgemeinen Kafka-Thread ist die Diskussion viel zu sehr auf die Person Kafka abgestellt gewesen. Hier im "Amerika"-Thread sollten wir uns die Textarbeit nicht auf diese Weise vereinfachen bzw. zerschießen,



    Guten Morgen,


    sehr interessante Diskussion. "Amerika" habe ich noch nicht gelesen, aber meine bisherige Kafkalektüre habe ich ohne Wissen um seinen Vaterkomplex gelesen (um ehrlich zu sein, habe ich erst aus diesem Forum davon erfahren) - und derart unbelastet habe ich in seinen Büchern auch keine Spuren davon entdeckt. Verführt vielleicht die Kenntnis der Biographie dazu, das Werk vorrangig nach autobiographischen Gesichtspunkten zu durchsuchen? Nicht ganz fair gegenüber dem Buch, finde ich.


    Zitat von "Bettina"

    Genau, ich feuere das angefangene Wettbewerbsbuch in die Ecke und lese erstmal den Kafka


    "Amerika" ist auf meiner Leseliste durch diese Diskussion auch weit nach vorn gerutscht :smile:


    Liebe Grüße
    Manjula

    Einmal editiert, zuletzt von Manjula ()

  • "Amerika" ist auf meiner Leseliste durch diese Diskussion auch weit nach vorn gerutscht :smile:


    Die Auswirkungen von LS auf unser Alltagsleben nehmen dramatische Züge an :ohnmacht:

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  • "Amerika" ist auf meiner Leseliste durch diese Diskussion auch weit nach vorn gerutscht :smile:


    "Amerika" liegt seit gestern auf meinem Nachttisch. :zwinker:


    liebe Grüsse
    dora

  • ....oder gleich jetzt? :breitgrins:


    Ich gönne uns mal sofort eine Mini-Leserunde. Öööh, geht nicht, wir brauchen einen Mod dazu...
    Manjula, machst Du auch mit?
    :engel:*ganzliebguck* Liebe Mods: Bekommen wir bitte eine Mini-Leserunde oder einen Tread in den Mitglieder-Projekten? Wir wären unendlich entzückt.



    BigBen: :totlach:
    Es ist wohl so, wie Bartlebooth sagte: "Amerika" ist Kafkas lustigstes Werk...

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    Einmal editiert, zuletzt von Bettina ()

  • :freu:


    @mod: :hallo:
    Edit: bitte, bitte, liebe mods... :bussi:

    Einmal editiert, zuletzt von dora ()

  • Hach, seid Ihr fix. Also, eigentlich kann ich ja nicht mitmachen, weil ich 1. das Buch noch nicht habe und 2. noch in einer anderen Leserunde hänge...aber was soll`s! Wenn unsere Bib das Buch hat, bin ich ab Samstag dabei :smile:


    Liebe Grüße
    Manjula

  • Hat schon jemand auf den Button "Moderator informieren" gehauen?


    Jetzt ja, danke Sandhofer, habe mich nicht getraut, dachte, der Button wäre nur zum Petzen da. :zwinker:


    liebe Grüsse
    dora


  • Hach, seid Ihr fix. Also, eigentlich kann ich ja nicht mitmachen, weil ich 1. das Buch noch nicht habe und 2. noch in einer anderen Leserunde hänge...aber was soll`s! Wenn unsere Bib das Buch hat, bin ich ab Samstag dabei :smile:


    Hallo Manjula,
    ich habe nächste Woche auch noch eine andere Leserunde, aber an chaotisches Lesen habe ich mich seit ich dieses Forum kenne, so langsam gewöhnt. :breitgrins:


    liebe Grüsse
    dora