Im Rahmen des SUB-Wettbewerbes habe ich dieses sehr schöne Buch gelesen und hier erfolgt nun meine Rezension dazu.
Tomek Tryzna - Fräulein Niemand
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Kurzbeschreibung (von Amazon):
Kurz vor dem Hauptschulabschluß wechselt Marysia die Schule, der Vater hat in der Stadt einen besseren Job gefunden. Das Mädchen vom Lande freundet sich mit der Aussenseiterin Kasia an. Doch dann bricht Kasia plötzlich den Kontakt ab, und die schöne Ewa aus neureichem Elternhaus, die weiß, wie man Geld ausgibt und Männer um den Verstand bringt, wendet sich Marysia zu. Für Marysia tut sich eine vollkommen neue Welt auf...
Inhaltsangabe:
Der Roman spielt im Polen der achtziger Jahre. Die aus einer armen, siebenköpfigen Familie stammende, 15-jährige Marysia wechselt noch kurz vor ihrem Hauptschulabschluss die Schule, da ihr Vater einen neuen, besser bezahlten Beruf gefunden hat. Das Mädchen vom Lande findet schnell Gefallen an der für sie sehr groß und lebendig wirkenden Stadt Walbrzych. In der Klasse wird sie jedoch zunächst ausgegrenzt, da sie sich nicht nach der neuesten Mode kleidet und sich anfangs recht unsicher verhält.
Dies ändert sich jedoch schnell, als sie die exzentrische, reiche Kasia kennenlernt und sich eng mit ihr befreundet. Kasias Liebe gilt der Musik, am Klavier ist sie ein Wunderkind und sie ist nahezu besessen von ihrem Wunschtraum, mithilfe ihrer teuren Synthesizer aus Japan ein Werk von bezaubernder Schönheit zu komponieren. Damit möchte sie ihrem geliebten Vater, der in Tunesien lebt und den sie nur vom Briefkontakt kennt, der sie jedoch von dort auch reichlich mit Dollars versorgt, eine große Freude bereiten. Während der Freundschaft der beiden Mädchen wird klar, dass Kasia unter schweren psychischen Problemen leidet und glaubt, von einer Art Dämon besessen zu sein, der sie zum Gehorsam zwingt und der sie auch dazu zwingt, sich stets in Zigeunerkleidung zu hüllen, was ihr in der Klasse Spott und Hohn einbringt. Diesem Dämon gibt sie auch die Schuld daran, dass sie nach kurzer Zeit den Kontakt zu Marysia abbricht.
Marysia steht jedoch nicht lange alleine da, denn die schöne und beliebte Ewa, die aus einer neureichen Familie stammt und die ihre Freizeit der Mode und ihrem Motorrad widmet, bewirbt sich um ihre Freundschaft. Marysia, die schon immer von der Schönheit und dem Selbstbewusstsein dieses Mädchens fasziniert war, lässt sich nur allzu schnell von ihr begeistern, da sie immer der neuesten Mode folgt und weiß, was gerade angesagt ist, was ihr den Respekt der Klassenkameraden verschafft.
Die Freundschaft mit Ewa führt zu einer tiefgreifenden Änderung des Charakters Marysias. Sie entdeckt durch Ewa ihre Weiblichkeit, wird selbstbewusster, wird jedoch auch rücksichtslos und skrupellos, da sie denkt, dass ihr neues Lebensziel von Reichtum, Luxus und Unabhängigkeit nur durch ein solches Verhalten zu erreichen ist. Ebenso nimmt das Verhältnis der beiden Jugendlichen zueinander lesbische Züge an, was Marysia noch stärker an Ewa bindet und sie in gewisser Weise abhängig von der schönen Freundin macht.
Als Kasia schließlich unvorhergesehen wieder in Marysias Leben tritt, muss diese sich zwischen den beiden Freundinnen entscheiden und ein Gefühlschaos zwischen Machtspielen, Liebe und Verrat beginnt…
Meine Meinung:
Insgesamt hat mir das Buch ganz gut gefallen und es hat mich auch über weite Strecken gefesselt, so dass es mir teilweise nur schwer möglich war, das Buch aus der Hand zu legen.
Ich musste mich jedoch erst ein wenig einlesen, um mich an die Gegenwartsform zu gewöhnen, in der das Buch geschrieben ist und obendrein tritt die Protagonistin als Ich-Erzählerin auf, was bekanntlich auch nicht jedermanns Sache ist. Nach ein paar Seiten kam ich persönlich jedoch ganz gut mit dem Schreibstil zurecht.
Durch die Ich-Form erhält der Leser tiefe Einblicke in Marysias Gefühlswelt, was dazu führte, dass ich mich der Hauptfigur mit ihren liebenswerten Fehlern, die insbesondere zu Beginn des Romans zum Vorschein kommen, sehr verbunden fühlte. Auch die beiden anderen Hauptcharaktere, Kasia und Ewa, sind gut ausgearbeitet und der Leser lernt sie durch Marysias Erzählungen mit all ihren Stärken und liebenswerten Eigenschaften, aber auch ihren Fehlern gut kennen.
Marysia erweckt aufgrund ihrer schwierigen Familienverhältnisse auch das Mitgefühl des Lesers, schließlich spricht der Vater dem Alkohol zu, die Mutter ist herzkrank und der kleinste ihrer vier Geschwister ist von Geburt an blind. Die Familie dominiert aber nur zu Beginn der Geschichte Marysias Gedankenwelt, zum Ende hin nimmt die Beziehung zu ihren beiden Freundinnen überhand.
Gewöhnungsbedürftig fand ich an dem Buch allerdings Marysias zahlreiche Tag- und Nachtträume, die teilweise nur schwer von der Realität zu unterscheiden sind und deren Übergänge in die Realität fließend sind, so dass die Geschichte von Zeit zu Zeit verwirrend wirkt. Insbesondere der Schluss ist mit zahlreichen Verwicklungen und Übergängen zwischen Traum und Wirklichkeit sehr kompliziert gestaltet und mir fiel es schwer, zwischen wirklichen Geschehnissen und Marysias Traumwelt zu unterscheiden, so dass mir nicht ganz klar ist, wie das Buch nun eigentlich ausgegangen ist und was nun mit der Hauptfigur geschehen ist.
Diese Traumpassagen sind es meiner Meinung auch, die den Lesefluss des Buches ein wenig stören.
Was mir am Schreibstil des Buches außerdem noch gut gefällt, sind die zahlreichen Dialoge, welche die Geschichte und die Charaktere lebendig machen.
Die Geschichte ist meist nachdenklich, manchmal auch sehr philosophisch, jedoch weist sie auch liebenswert witzige Stellen auf.
Zudem erhält man einen interessanten Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse im Polen der achtziger Jahre, der Roman spiegelt den enormen Unterschied wieder, der teilweise zwischen Armen und Reichen klaffte und der Leser erfährt sehr viel über den Alltag des polnischen Jugendlichen auf dem Weg zum Erwachsenwerden.
Trotz meiner teilweisen Schwierigkeiten mit Tryznas Schreibstil bereue ich die Lektüre des Romans nicht und kann den Roman sowohl Jugendlichen als auch Erwachsenen empfehlen, es lohnt sich wirklich, schon allein der Geschichte wegen.
Meine Wertung: