PessoA: Die wichtige Rolle des Sufismus hast du sehr schön dargelegt.
Das andere, worauf sich mein Blick richtet, ist die moderne Türkei:
die Spieluhr, die auf einen Schlag das ganze Problem von Minarett, Muezzin, Lautsprecher und Verwestlichung versus Islamisierung durch eine moderne, ökonomische Lösung aus dem Weg räumt. Anstelle eines Vogels aus der altbekannten Kuckucksuhr waren zwei Figuren mit dem herkömmlichen Mechanismus verbunden. Auf der unteren von zwei Galerien, gebaut nach der Art der Minarettumgänge, erschien zu den Gebetszeiten ein winziger Imam und rief dreimal: "Allah ist groß!", und auf der oberen Galerie zeigte sich zu jeder vollen Stunde ein Spielzeug-Herrchen, glatt rasiert und mit Krawatte, und rief: "Welch ein Glück, Türke zu sein, Türke zu sein, Türke zu sein!"
Ich spüre den Schalk des Autoren hinter diesen Zeilen.
In Güdül werden Osman und Canan als Störenfriede bezeichnet. Man befürchtet, sie könnten die Grundfesten des Staates und des Islams erschüttern, weil sie ein neues Leben verkünden wollen, dabei geht es ihnen nicht darum, das moderne Türkentum zu erschüttern. Deshalb weicht Osman der Frage, ob er an Allah glaube, geschickt aus. Denn darum geht es nicht.
Pamuk treibt ein Spiel mit dem Leser, wenn er Osman das Gefühl gibt,
Zitates sei irreal, was ich erlebe, auch die kleine Stadt Güdül, die ich vom Fenster aus sah...
So gibt es viele Wahrheiten in dem Roman, viele unterschiedliche Lesarten.
Liebe Grüße
mombour