Beiträge von Ulrike Günkel-Kohl

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    Da dümpelt er nun vor sich hin, der heruntergekommene Reporter Bruno! Er trinkt zuviel Alkohol, seine langjährige Freundin und Kollegin Hanna hat ihm zwar die Liebe, nicht aber die Freundschaft aufgekündigt. In der Tat kümmert sie sich noch immer rührend um ihn. Es ist anzunehmen, dass er ohne sie, die gelegentlich vorbeischaut, um nach dem Rechten zu sehen und dafür zu sorgen, dass er sich ausreichend ernährt, längst völlig vor die Hunde gegangen wäre!
    Der Leser mag sich erstaunt fragen, warum sie ihn nicht längst sich selbst überlassen hat, denn Bruno ist kein netter, kein liebenswerter Zeitgenosse! Er ist großkotzig und unerträglich arrogant, gewiss niemand, dem die Herzen zufliegen. Er freilich sieht das ganz anders, hat ein Bild von sich, das fern jeder Realität ist.
    Doch geschehen ihm in letzter Zeit seltsame Dinge, die ihn ängstigen - und den Leser hoffen lassen, dass sie ihn zum Nach- und Umdenken bringen mögen: Bruno hat Visionen! Er sieht unter anderem wiederholt einen offensichtlich erhängten Mann auf einem Handkarren, dessen Füße mit dunkelbraunen Nagelschuhen begleitet sind...
    Um den ihn stark beunruhigenden Albträumen auf den Grund zu gehen, beginnt Bruno Nachforschungen anzustellen. Diese führen ihn in ein gottverlassenes Dorf in der Eifel, in dem die Zeit stillzustehen scheint und dessen Bewohner ihm mit Misstrauen, wenn nicht sogar Feindschaft begegnen.
    Brunos wenig einnehmendes Wesen trägt auch nichts dazu bei, sich Freunde zu machen, doch kommt er Schritt für Schritt dem Geheimnis auf die Spur, das die Dörfler um jeden Preis im Dunkel der Vergangenheit belassen wollen. Unerwarteterweise entdeckt Bruno dabei, dass es Verbindungen zwischen ihm und dem Dorf gibt, die weit in die Vergangenheit reichen, und dass ausgerechnet er dazu ausersehen ist, dem toten Mann in seinen Visionen eine lang verspätete Gerechtigkeit widerfahren zu lassen!


    Nein, die Figur Bruno zu mögen oder gar eine Bindung zu ihm aufzubauen, fällt wirklich nicht leicht! Seine Handlungsweise zu verstehen, ist ebenso nicht möglich. Er ist beileibe kein Sympathieträger - und vielleicht ist das der Grund, warum die Geschichte zwar leicht zu lesen, mir aber nicht tief gegangen ist. Vieles blieb zu sehr an der Oberfläche, wurde kurz angerissen, dann aber nicht weiter verfolgt. Um Bruno wirklich zu verstehen, hätte ich mir mehr Hintergrundinformationen gewünscht, hätte ich gerne gewusst, was ihn zu der Person machte, die er ist. Und dann hätte es tatsächlich eine runde Geschichte werden können. So aber bleibt mir der Protagonist bis zum abrupten Ende, das die Spannung nicht einlösen konnte, die sich während des Lesens durchaus aufbaute, fremd und alles in allem unsympathisch. Nicht einmal lustig kann ich ihn finden.
    Gelegentlich lässt die Autorin den Leser einen Sekundenblick hinter die Fassade des ungepflegten Maulhelden werfen, der mutmaßen lässt, dass doch mehr in ihm steckt, als er nach außen zeigt. Das aber war zu wenig, um ihn erfassen zu können.
    Nun, die Autorin plant einen Nachfolgeband! Womöglich wird dann meine Meinung über den vorliegenden Roman teilweise revidiert werden? Womöglich finden sich darin die Antworten, die ich hier vermisse?


    Was ich als positiv vermerken möchte, ist die Art und Weise, wie Vincie Halen einen Einblick gibt in die innere und äußere Struktur des Haupthandlungsortes und überhaupt das Leben zu der Zeit vor 75 Jahren, auf die Brunos Visionen zurückgehen. Sie sind von großer Bedeutung, um zu verstehen, was damals geschehen ist und warum es geschehen konnte.
    Dabei kommt der Verdacht auf, dass die Dorfbewohner die archaischen Strukturen noch nicht ganz abgeschüttelt haben, dass sie sich nie befreien konnten von der vermeintlichen Schuld, die ihre Väter damals auf sich geladen haben und die auch im Roman nicht zufriedenstellend, das heißt nachvollziehbar, geklärt wurde.
    Da die Autorin letztend aber darauf verzichtet, eine logische Verbindung zwischen den losen Enden damals und heute herzustellen, kann es nur eine Mutmaßung bleiben! Denn hinter das Gesicht kann man niemandem in diesem Roman blicken, wirklich verstehen und nachempfinden kann man auch nicht.


    3ratten

    Von Hunden, Herrchen und anderen komischen Vögeln


    Nach seiner Entlassung aus dem Polizeidienst schlägt sich Hartmann als Privatdetektiv durchs Leben.
    Seine Fälle sind alles andere als spektakulär, bis er eines Tages von einem Bauunternehmer den Auftrag erhält, bei dem stadtbekannten und berüchtigten Hundetrainer Wolf eine hohe Geldsumme einzutreiben, die dieser ihm schuldig ist. Hartmann steigt mit Elan in seine neue Aufgabe ein und begibt sich undercover in die Hundeszene, in der sich allerlei Klientel tummelt - von den Reichen und Schönen vor allem weiblichen Geschlechts bis hin zu solchen, die das eine oder andere Hühnchen zu rupfen haben mit Wolf, dessen übler Charakter nach und nach zum Vorschein kommt und sogar den abgebrühten Hartmann verblüfft.
    Doch schon bald wird der Hundetrainer ermordet aufgefunden - und nun gilt es, seinen Mörder dingfest zu machen, was Hartmann mit seinen sehr unkonventionellen, nicht immer legalen Ermittlungsmethoden und nicht zuletzt dank der Hilfe der eigens zu diesem Zweck ausgeliehenen Hundedame Gitte-Bruno sowie der patenten Hundetrainerin Marlene am Ende selbstredend auch gelingt!


    Michael Frey Dodillet ist hier ein rundum amüsanter, origineller Roman gelungen, der vor allem von seinem anfangs wenig sympathischen Protagonisten lebt! Immer einen flotten Spruch auf den Lippen laviert er sich durchs Leben, von Beachtung der Gesetze hält er nicht viel, scheinbar zieht er es vor, sich seine eigenen zu machen. Überhaupt ist er ein Einzelgänger, der recht ruppig mit seinen Mitmenschen umzugehen pflegt.
    Doch stellt der Leser im Laufe der aberwitzigen Geschichte, die sich vor seinen erstaunten Augen entfaltet, fest, dass es da noch einen ganz anderen Hartmann gibt, einen feinfühligen, empfindsamen Menschen mit viel Verständnis für die Schwächen anderer. Doch weiß er sein Inneres gut zu hüten, bis ihm dann Marlene, die Gefallen an ihm gefunden hat, auf den Kopf zusagt, dass sein ruppiges Verhalten nur Selbstschutz ist! Sie, aber auch die imposante Mischlingshündin Gitte-Bruno bringen peu a peu Hartmanns gute Eigenschaften an die Oberfläche, - zur Freude des Lesers, der längst nicht mehr umhin kann, Hartmann zu mögen. Ein interessanter Einfall des Autors war es auch, ihn ohne Vornamen durchs Leben gehen zu lassen - aber es passt zu ihm, er ist so, wie sein Name: knorrig-deftig!


    Einen großen Raum nehmen die Ermittlungen in der Schickeria ein, denn die unendlich gelangweilten, viel zu reichen Damen aus dieser Gesellschaftsschicht stellten die Hauptkundschaft des Alpha-Wolf dar - und sie waren ihm allesamt verfallen. Etwas, das wohl kaum ein Leser nachvollziehen kann...
    Mit Ironie bis hin zu fein verpacktem oder gar offenem Zynismus lässt der Autor seinen Hartmann hinter die Kulissen des schönen Scheins blicken, der nichts anderes ist, als eben nur das, denn er offenbahrt so viel Oberflächlichkeit aber auch unglaublich garstige Bösartigkeit, dass man sich am liebsten mit Schaudern abwenden möchte.
    So mag man auch bei der Aktivistengruppe mit dem seltsamen Kürzelnamen Büfükadü empfinden, deren selbsternannter Chef, ein irregeleiteter Dummkopf mit jeder Menge krimineller Energie kurzzeitig in Hartmanns Visier gerät, und unter deren Schutz sich Verrückte jedweder Couleur tummeln. Sie sind so überspitzt dargestellt, dass man das Lachen nicht verkneifen kann - dennoch sind sie realistischer, als man sich vorstellen mag....


    Gewiss, die Geschichte, dessen unleugbare Stärke die einprägsamen, eigenwilligen, zumeist absonderlichen Personen, die der Autor kreiert hat, sind und die angefüllt ist mit reichlich skurrilen Szenen, bringt den Leser vor allem zum Lachen. Sie amüsiert und unterhält auf sehr lockere, manchmal aber ein wenig oberflächliche, gelegentlich auch recht abgedroschene Art. Vielleicht aber mag sie den einen oder anderen Leser auch nachdenklich machen, denn es werden so viele Themen scheinbar nebenbei angeschnitten, die durchaus des genaueren Hinschauens wert wären. Aber dies liegt dann in den Händen und dem Ermessensspielraum jedes einzelnen Lesers!


    4ratten


    Besonders beeindruckt hat mich die Idee der Autorin nach einem vererbten Traum. In ihrem Traum wird das Dorf von Soldaten überfallen und sie versteckt sich...Genauso so einen Traum habe ich auch immer wieder. Allerdings kommen in meinem Traum die schwer bewaffneten Soldaten nicht auf Pferden sondern mit Panzern und mit einem Helikopter...Ich wüsste nicht, das meine Mutter etwas derartiges erlebt hat oder sie einmal davon erzählt hätte. Woher kommt dieser wiederkehrende Traum?


    Interessant ist, dass wir seit Sigmund Freud nicht eigentlich mehr wissen über Träume und ihre Ursachen. Wir können also munter spekulieren!
    An "vererbte Träume" glaube ich erstmal nicht! Wenn man als Kind ständig Geschichten über, wie hier, Soldaten erzählt bekommt, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sich das so im Kopf festsetzt und einen ängstigt, dass man diese Schreckensbilder des Nachts in seinen Träumen verarbeitet.
    Mir wurden beispielsweise als Kind die schauerlichsten Geschichten aus der Bibel erzählt - seitdem habe ich ziemliche Angst vor Hochwasser ( war bei uns ein häufiges Problem! ), was auf Noahs Arche zurückzuführen ist.
    Vielleicht hat man dir auch solche Geschichten erzählt, in denen Soldaten vorkommen, meine ich!?


    Mir kommt Anna auch so vor als wenn sie oftmals überhaupt nicht anwesend ist, nur ihr Körper. Ich denke das es ein Art Schutzfunktion ist. Vielleicht hat sie es aus dem Grund nicht geschafft sich um ihre Töchter zu kümmern oder überhaupt irgendwelche Emotionen zu zeigen.


    Mit der Schutzfunktion könntest du ganz richtig liegen. Aber noch wissen wir nicht, ob sie seit dem unaussprechlichen "Vorfall" mit ihrem späteren Ehemann so war oder ob später noch etwas geschah, das sie in die innere Emigration trieb. Zu dieser Vermutung tendiere ich eigentlich, denn sie muss ja ihren Töchtern, auf jeden Fall aber Sabines Mutter, unglaublich detailliert aus ihrem Leben erzählt haben, also durchaus kommunikativ gewesen sein....


    Das Schicksal von der Großmutter Anna wird hier beleuchtet. Sie wird zwar als übertrieben distanziert beschrieben, aber trotzdem haben Tochter und Enkelin sehr viele Informationen über ihr Leben. Das ist für mich ein wenig widersprüchlich.


    Ja, - es sei denn, die Großmutter war, als ihre Töchter heranwuchsen, offener. Vielleicht waren die Töchter ihre Vertrauten, wenn schon zu dem Ehemann keine Beziehung existierte, die als solche bezeichnet werden kann. Wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass die Großmutter zu der jüngeren Tochter, die zu Anfang mal erwähnt wurde und die recht flippig erscheint, ein Vertrauensverhältnis hatte.

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    Die Erzählerin der herzerwärmenden Geschichte hält es, nachdem sie einen Bauarbeiter, der ihr den Frühling durch seinen Lärm vergällt, mit einem Pfeil in den Allerwertesten verwundet hat, für geraten, ihrem Zuhause zu entfliehen. Sie nistet sich bei der Großmutter in einem kleinen Dorf im Thüringischen ein - und verbringt dort, im Land ihrer Kindheit, einen wunderschönen, unvergesslichen Sommer im Einklang mit dem Rhythmus der Natur und dem, was diese so freigiebig zu bieten hat.


    Das kleine, rundum fröhliche Buch hat mir wunderschöne Lesestunden beschert!
    Es bringt mir ein Stück heile Welt zurück mitten im Stress und Getriebe unsrer hektischen Zeit.
    Auf dem Land, bei der Großmutter der Erzählerin, scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, alles atmet Ruhe und Muse und Gelassenheit. Großmutters Ort erinnert mich in vielem an meine eigene Kindheit, die ich gar nicht weit von Silke Heins idyllischem Schauplatz verbracht habe.
    Einfach leben in diesem Frühling, dem folgenden Sommer und dem abschließenden Altweibersommer, mit all den Pflanzen und Düften und Lichtern, all dem kleinen und großen Getier, dem beschaulichen Dorfleben, den Festen, die anfallen und für kleine Höhepunkte sorgen - Silke Heins liebevoll-lebendige Beschreibungen bringen mir Erinnerungen an die heile Welt meiner Kindheit zurück!


    Obwohl die sich auf der Flucht befindliche Erzählerin als auch deren Großmutter, die aus der Zeit meiner eigenen Urgroßeltern zu kommen scheint, sind uneingeschränkt zum Liebhaben! Sie arrangieren sich so wunderbar miteinander, harmonisieren so perfekt, dass Altersbarrieren überhaupt keine Rolle spielen. Herzerwärmend fürwahr!


    Darüberhinaus flicht Silke Hein bezaubernde kleine Begebenheiten mit Menschen und Tieren in ihre Geschichte ein, bei denen man herzlich lachen kann ob ihrer Skurrilität oder einfach nur gerührt und berührt ist ob ihrer Wärmen und Freundlichkeit.
    Und beide, Großmutter und Enkelin, haben dazu noch ein großes Herz für Tiere! Während des Aufenthalts der Enkelin ziehen nach und nach Hund, Katze und Hängebauchschwein in Großmutters Haus im Amselgarten ein - zur Freude des Lesers, der gar nicht genug bekommen kann von den liebenswerten, anstrengenden, eigenwilligen neuen Mitbewohnern, die Großmutters Herz und das der Enkelin im Sturm erobern.


    Nur ungern trennt man sich am Ende des Sommers, der längst in den Herbst übergegangen ist, von den Bewohnern des Häuschens, das so liebevoll mit all dem bestückt ist, das das Leben vor vielen Jahrzehnten bereichert hat und von der Großmutter in Ehren gehalten wird.


    Einen Gutteil seines Charmes verdankt die Geschichte auch den detaillierten Beschreibungen der Autorin - sei es einer blühenden Wiese, eines schön gedeckten Kaffeetisches, der Amselschar, die dem Häuschen seinen Namen gegeben hat, oder der Zubereitung allerlei alter Gerichte, Marmeladen oder Likören.
    Obendrein werden auch noch Rezepte, zur Freude des Lesers, in die Geschichte integriert!
    Und zu meinem ganz persönlichen Vergnügen, denn gerade reift bei mir der köstliche Schlehenlikör nach dem Rezept, das die Verfasserin in der Originalhandschrift einer Urur...großmutter mit den entzückten Lesern teilt...


    Und weil mir das Büchlein eine solche Freude bereitet und meinen Alltag mit Sonne geflutet hat, möchte ich ihm eine herzliche Leseempfehlung hinterherschicken!


    5ratten


    Die Erinnerungen von Sabine an ihren Opa sind sehr deutlich und haben mich beeindruckt. Es scheint das er sehr liebevoll mit Sabine umgegangen ist.
    Es wird aber jetzt schon deutlich, dass die Ehe der Großeltern mehr als aussergewöhnlich gewesen sein muss. Die Oma schläft angezogen, sogar mit Kopftuch auf dem Sofa. Auch das Verhalten der Oma ist alles andere als normal. Sicher werden wir noch erfahren warum es so ist.


    Um so bedauerlicher finde ich, dass sie nach den Enthüllungen ihrer Mutter beginnt, auf innere Distanz zu ihm zu gehen! Ihr war er ein guter Großvater, die andere Geschichte sollte separat gesehen werden, sie hat mit der Erzählerin nichts zu tun. Aber mal schauen, zu welcher Einstellung sie schließlich findet...


    Annas seltsames Verhalten wird wohl mit der Art und Weise zu tun haben, auf die diese Ehe ohne Liebe zustande gekommen ist. Man stelle sich vor - seinen Vergewaltiger auch noch heiraten zu müssen!!! So entnehme ich das wenigstens der Kurzbeschreibung hier im Forum....


    Also ich habe jetzt mal angefangen...und bin dann bei der ersten Beschreibung des Großvaters an dem Begriff "Joppe" hängen geblieben. Diesen Ausdruck für einen einfachen Lodenmantel kenne ich eigentlich sonst nur von meiner verstorbenen Mutter, Jahrgang 1934. Wahrscheinlich ist er heute im Duden vom Aussterben bedroht, aber er erzeugt ein Gefühl, das mich in die Vergangenheit drängt.


    So viele Wörter sterben aus ( dafür kommen neue, meist aus dem Englischen adoptierte, hinzu, worüber man geteilter Meinung sein kann... ). Wer aus der Jugendgeneration kann heute noch etwas mit Vetter und Base anfangen! Aber Joppe ist zufällig ein Wort, das auch in der Mundart meiner Region noch gebraucht wird....

    Hallo an alle Mitlesenden und Mitdiskutierenden!


    Vor kurzem habe ich an einer Leserunde teilgenommen, in der ein Roman besprochen wurde, der sich mit den Themen Vertreibung und Neuanfang in einer fremden Heimat beschäftigte.
    Im Gegensatz dazu haben wir es mit "Die Mutter meiner Mutter" nicht mit einer fiktiven Geschichte zu tun! Dennoch kommt mir das Buch nach dem ersten Abschnitt wie eine Fortführung des Themas vor, - allerdings, so habe ich den Eindruck, ohne versöhnlichen Ausgang und dem Aufbau eines neuen, erfolgreichen, befriedigenden Lebens. Realistisch eben!


    Obwohl Anna, die Hauptperson, in dem Ort geblieben ist, an den es sie verschlug, obwohl sie dort - unfreiwillig, wie aus den Zeilen ersichtlich ist - eine Familie gegründet hat, ist ihr ein wirklicher Neuanfang nie gelungen. Vielleicht wollte sie nicht, vielleicht konnte sie nicht, nach dem, was ihr an dem Ort widerfahren ist, wie bislang immer angedeutet wurde.
    Es kommt mir so vor, als sei sie in einer Art Zwischenleben gefangen. Sie ist da, aber hat sich zurückgezogen; von ihrer Enkelin, der Verfasserin, wird sie als distanziert wahrgenommen, als jemand, zu dem keine Nähe möglich ist.
    Diese Nähe ist aber sehr greifbar, wenn sie von ihrem Großvater spricht! Was immer er Anna angetan hat, Vergewaltigung, wie es in der Kurzbeschreibung heißt, - er kommt mir nicht wie ein Unmensch vor. Er ist derjenige, der sich, auch emotional, um die Familie kümmert, den die Ich-Erzählerin immer liebte, zu dem sie aber nach den Enthüllungen ihrer Mutter, über deren Natur wir noch nicht viel wissen, auf innere Distanz geht.


    Von Annas Leben, ihrer Kindheit, der Zeit, als sie nach Kosakenberg kam, wissen wir schon viel. Ein einigermaßen fröhliches, offenes Kind war sie einmal. Nach der Vertreibung war es damit vorbei, aber immer noch kommt sie mir nicht verbittert vor, als sie nach, da bin ich sicher, schlimmen Erlebnissen, mit der Stiefmutter und den beiden Brüdern in Kosakenberg strandet.
    Als hätte sie nicht schon mehr als nur ihren Teil an verfügbaren Traumata abbekommen, wird in der vermeintlichen Sicherheit nach dem Ende des Krieges noch ein weiteres Trauma folgen, das sie nicht mehr verarbeiten wird.


    Erstaunt bin ich über die vielen detaillierten Informationen aus dem Leben der Großmutter, über die die Verfasserin verfügt! Und die Anna wohl ihrer ältesten Tochter, der Mutter der Autorin, anvertraut hat. Das legt die Vermutung nahe, dass sie, als ihre Töchter jünger waren, längst nicht so abweisend und zugeknöpft war, wie sich Frau Rennefanz an sie erinnert.
    Zumal keine Aufzeichnungen vorlagen, nur dieses eine Bild, das sie in ihr neues Leben hinübergerettet hat. Aber viele viele innere Bilder werden dagewesen sein...
    Auch die Erinnerungen der Autorin selbst finde ich bemerkenswert! Unglaublich, wie viele Kleinigkeiten ihr doch über die Jahre hinweg im Gedächtnis geblieben sind, wie viele Gesten und Blicke und Empfindungen...


    Ja, das Buch ist "spannend wie ein Roman", wie es im Klappentext heißt. Doch im Gegensatz zu so vielen Romanen beschönigt es nichts, es zeigt keine Helden oder sich sonst durch besondere Charaktereigenschaften von der Menge absetzende Menschen.
    Alles Harte, das Anna erlebt hat in den Kriegs- und Nachkriegsjahren, teilt sie mit Millionen anderer Menschen.
    Wir, die wir mit der Gnade der späten Geburt gesegnet sind, können uns kaum vorstellen, durch welche schlimmen Zeiten diese Menschen getrieben wurden. Dass sie überhaupt in ein neues Leben hineinfanden ( aber viele wohl eher nicht, so wie Anna! ), ist für mich kaum nachzuvollziehen, aber es zeigt, wie überlebensfähig Menschen doch sein können....

    Da geht es mir sehr ähnlich. Ich bin mir sicher, dass nur wenige Menschen das Leben leben, das sie sich im Alter von 19, 20 Jahren vorgestellt haben. Das Hamsterrad des Lebens holt vermutlich die meisten Menschen irgendwann ein...
    Aber - und das ist ein großes, fettes ABER - man kann eben auch etwas gegen Eintönigkeit und die ganz große Unzufriedenheit unternehmen. Man muss realistisch bleiben, keine Frage - dennoch bin ich mir sicher, dass man nicht so pessimistisch sein muss und mit 40, 50 Jahren im Tal der Tränen hausen.


    Ganz bestimmt ist das so! Mit 20 hätte ich mir das Leben, das ich heute führe ( wohlgemerkt - es ist keineswegs ein schlechtes! ), auch nicht vorstellen können. Es ist eben anders gekommen - wofür aber ich alleine zuständig bin. Für mich war immer wichtig, das Mögliche aus dem zu machen, was man hat und nie zurück auf die eigenen Fehler zu schauen.
    Und manche Menschen stehen tatsächlich irgendwann vor dem Scheiterhaufen ihrer Träume, manche geben danach auch auf, andere raffen sich auf und machen weiter. Und nicht nur irgendwie sondern so gut wie es geht... Vielleicht machen das unsre Protagonisten ja auch!? Auf ihre eigene Weise, die vielleicht nicht den Vorstellungen von uns Lesern hier in der Runde entspricht.


    Aber dieser Abschnitt bringt wenigstens etwas Tempo und Abwechslung in die Geschichte! Denn irgendwann müssen doch die einzelnen Erzählungen irgendeinen Sinn ergeben, oder? Und deshalb muss ich zugeben, dass mir dieser Abschnitt im Vergleich zu den vorangegangenen besser gefällt. Was allerdings nicht bedeutet, dass mich das Buch noch wirklich interessiert. Ganz ehrlich? Ohne Leserunde hätte ich es schon längst zur Seite gelegt.


    Nach dem zweiten Abschnitt hätte ich ohne Runde den Roman zur Seite gelegt, - nach dem dritten ganz bestimmt nicht mehr! Jetzt entfaltet er für mich seinen ganzen Charme, ich beginne hinter die Fassaden zu blicken und finde durchaus, dass die einzelnen Erzählstränge nicht nur einen Sinn ergeben, sondern sich zu einer Komposition zusammenfügen! Mir gefällt das Buch, das mir wie einer der mit leichter Hand in Szene gesetzter französischer Film erscheint, nun ausnehmend gut!


    Aber natürlich ist der Gedanke interessant und immerhin lebt ja der Roman davon sich die Frage zu stellen "was wäre gewesen wenn,...". Und ich hätte mich auch im nachhinein drüber geärgert und mir vorgestellt was hätte sein können.


    Wann überhaupt stellt man sich denn diese "Was wäre wenn"-Frage ernsthaft? Natürlich nur dann, wenn man mit dem Leben, das man führt, unzufrieden ist, wenn man vermeintlich verpassten Chancen nachtrauert, wenn man genau weiß, dass man in der Vergangenheit falsche Entscheidungen getroffen hat ( und das bereits in dem Moment wusste, in dem man sich so und nicht anders entschied... ).
    Ich halte das für zutiefst menschlich. Und gleichzeitig für gefährlich für die Psyche, da man verschüttetes Wasser schließlich nie mehr wird auffangen können...
    Ein Zeichen der Reife ist es, wenn man sich genau dies klarmacht und sich mit dem Leben, das man nun mal hat ( und beileibe nicht immer hat man das selbst zu verantworten - man denke nur an die Kriegsgeneration! ), so gut wie möglich arrangiert.



    Ja, irgendwas bahnbrechendes muss damals passiert sein dass die Band sich getrennt hat. Es wäre doch traurig wenn man gleich nach dem ersten Versuch einen Plattenvertrag zu bekommen gleich aufgibt, oder?


    Wissen wir so genau, ob die Bandmitglieder sich nicht bei vielen anderen Plattenfirmen beworben haben? Es kann ja durchaus sein, dass sie sich nach vielen Absagen versprachen, nur noch einen einzigen Versuch zu machen und, sollten sie eine Absage bekommen oder nichts von jener Plattenfirma hören, die Band aufzugeben... Oder die Eltern machten Druck, was ich mir gerade bei Alains Vater, dem Arzt, der sicher wollte, dass sein Sohn in seine Fußstapfen trat, gut vorstellen kann.


    Die Art wie Antoine Laurain schreibt, gefällt mir gut. Die Übersetzung erscheint mir auch recht gelungen (abgesehen vom Titel), aber alles zusammen plätschert so vor sich hin. Und auch wenn die einzelnen Fäden dieser Rhapsodie endlich zu einer Geschichte werden, verliere ich schön langsam doch ein wenig das Interesse an der Geschichte. Eigentlich seltsam!


    Mir geht es genau umgekehrt: der Roman hat mich, skeptisch wie ich über zwei Abschnitte hinweg war, jetzt richtig gepackt! Ich sehe den melancholischen Alain durch die Pariser Straßen schlurfen, ganz gepackt von dem Wunsch, die Aufnahmen von damals zu hören. Ich kann mich in den Künstler hineinversetzen, der etwas sucht, was er noch nicht gefunden hat und der die Musik, die mal sein Leben war, in einer Kammer verschlossen hält. Ich sehe den stillen JBM zielstrebig in Richtung Berangere fahren und dort von ihrer Entüllung geradezu umgehauen werden. Und schließlich sehe ich den armen Rechtsradikalen, der sich völlig verloren hat in einem Wahn, der möglicherweise nur die Kompensation für etwas ist, was ihm einstmals viel bedeutet hatte, was aber unwiderbringlich verloren ist...
    Ja - alle haben plötzlich Gestalt vor meinem inneren Auge angenommen, sie scheinen mir noch auf dem Weg zu sein, ihr Ziel noch nicht erreicht zu haben... Und mein Interesse ist hellwach!


    Domitiles Kampagne um JBM zum Präsidenten zu machen ist verlogen und übertrieben. Ich finde es ziemlich lasch von ihm, dass er sich da nicht besser wehrt. Oder will er das alles villeicht?


    Dieses scheinbar willenlose dem Ehrgeiz seiner Frau Nachgeben passt nicht zu diesem klugen Mann, der sich so erfolgreich an die Spitze gearbeitet hat. Und ebenso wie du, kann ich mir nicht erklären, warum er das tut. Seiner Frau zuliebe? Ihrem Geld zuliebe? Sie ist ja diejenige mit dem Riesenvermögen. Doch JBM dürfte mittlerweile selber genug Kohle haben. Also bleibt nur noch deine Überlegung, dass es ihm gut zupass kommt, bald das höchste Amt im Staat zu bekleiden! Der Gipfel wäre dann erreicht! Die Krönung eines ungewöhnlich erfolgreichen Lebens...


    Was mir immer besser gefällt ist, dass jeder irgendwann mal zu Wort kommt. Jetzt sogar einmal Ivana, und die hat doch mal tief blicken lassen oder? Hätte nicht gedacht dass Lepelle seine Musik so geliebt hatte. Und was sie wohl mit den geklauten Songs vorhat?


    Da Ivana wusste, dass Lepelle die Kassette noch hatte und gesehen hatte, wie enttäuscht Alain war, als der zeitgenössische Künstler ihn belog, tippe ich darauf, dass sie die Musik dem Arzt zukommen lassen wird...
    Das wird ihre eigentliche Rolle in dem Roman sein, denn ansonsten könnte ich mir nicht erklären, wozu ihr Auftritt eigentlich diente!

    Wer hätte das gedacht - der dritte Leseabschnitt, die zweite Hälfte des Romans, bringt mir genau das, was ich mir von ihm erhofft habe!
    Plötzlich öffnet sich die glatte Oberfläche und lässt tiefer und tiefer blicken, die Romanfiguren gewinnen an Kontur, sind fassbar und emotional erfahrbar. Die ganze Geschichte macht auf einmal Sinn!
    Reichlich spät - und das ist ein wenig schade, denn würde ich den Roman nicht im Rahmen einer Leserunde lesen, hätte ich ihn mitten im zweiten Abschnitt beiseite gelegt, der übrigens im Nachhinein auch Sinn macht.


    Der verlorengegangene Brief berührt nämlich durchaus die Gemüter der ehemaligen Bandmitglieder, die allesamt ( von Lejeune wissen wir es bis jetzt noch nicht, von Pierre werden wir es wahrscheinlich nie wissen ) verpassten Chancen nachtrauern und deren Leben mutmaßlich völlig anders verlaufen wären, hätte man denn auf jenem Postamt mehr Wert auf Sauberkeit und Ordnung gelegt. Bunter auf jeden Fall, schillernder, nicht so eintönig und festgefahren, wie es sich heute vor allem für Alain darstellt, aber für die anderen auf ihre Weise auch.


    Am meisten erstaunt mich die Reaktion des wenig sympathischen Künstlers Lepelle! Der war ja geradezu besessen von den Hologrammes - und ist es noch immer. Die Musik hat ihn nie losgelassen, im Gegenteil!
    Jetzt grollt er Alain, der doch gar nichts für die Verspätung des Briefes kann. Aber ja, er ist der Überbringer schlechter Botschaften - und als solcher bekommt er Lepelles Zorn ab. Das meinte ich am Anfang mit den schlafenden Hunden, die man in Ruhe lassen sollte...


    Auch der Rechtsradikale, Vaugan, ist berührt. Er hatte ebenfalls seine Träume. Bei ihm tut es mir richtig leid, dass die sich nicht erfüllten, denn dann wäre er nicht zu dem Nazi geworden, der er heute ist. Von der Musik besessen war er schließlich genauso, wie alle anderen, wie sich langsam herauskristallisiert...


    Und dann ist da die Geschichte um die Hauptfigur JBM ( denn das ist er für mich! ), der seiner Jugendliebe Berangere begegnet! Hätte die Band den Plattenvertrag damals bekommen, wäre er nicht nach New York gegangen, Berangere und er hätten sich nicht getrennt, Aurore ( die Überraschung schlechthin! ) wäre von Anfang an seine Tochter gewesen, er müsste sich jetzt nicht zwecks Erreichen des höchsten Amtes im Staat von der unsäglichen, nervtötenden Domitile vermarkten lassen, hätte die reiche, ehrgeizige Blanche nicht geheiratet - und hätte seine unbestreitbaren, im Übermaß vorhandenen Talente in den Erfolg der Band stecken können. Vielleicht wäre Pierre, der so völlig den Halt verloren hatte, dann auch noch am Leben...


    Ja, nun haben sie mich doch noch gepackt, die Überlegungen, was denn geworden wäre, wenn... Und das kurz vor dem Ende des Romans, auf das ich jetzt richtig neugierig bin!