Beiträge von cynthor

    Inhalt


    Aufgrund ihrer Kontakte aus College-Zeiten erhält die junge Mae einen Job beim „Circle“, des Internetgiganten der Zukunft, der die aktuellen Riesen wie Facebook oder Google weit hinter sich gelassen hat. Bahnbrechend war hierbei der Siegeszug des „TrueYou“, eine Art Deanonymisierung der Internetnutzer.
    Während Mae sich durch die sozialen Hierarchien und Gepflogenheiten des Circles kämpft, überflutet der Kreis die Welt mit preiswerten und hochwertigen Kameras. Als einer der ersten Menschen wird Mae „transparent“, das heißt, ihr ganzes Leben wird von einer der Kameras begleitet – ihre Privatsphäre ist damit zunichte und der Totalüberwachung Vorschub geleistet. Dann taucht der mysteriöse Kalden auf und beginnt, ein seltsames Spiel mit ihr zu treiben…


    Meinung


    Auch wenn der Roman von seiner literarischen Qualität eher schwach ausfällt, sowohl was das schriftstellerische Niveau als auch die der Handlung betrifft, hat Eggers einige nette Ideen, wie eine informationstechnische, zukünftige Dystopie aussehen könnte.


    Das beginnt schon mit der Schilderung der „Circle“-Zentrale: ein gläserner Bau, ähnlich wie ein Panoptikum aufgebaut, Transparenz und Durchsichtigkeit, wohin man sieht. Um die Angestellten abzulenken, das darf man zweien der drei Weisen getrost unterstellen, wird er mit luxuriösem Ambiente und materiellen Konsumgütern abgelenkt. Für jeden Geschmack finden sich Gleichgesinnte. Kann eine Firma schlecht sein, die ihren Angestellten so viel Gutes tut? Kaum, dass dieser Gedanke auftaucht, ist er auch schon wieder zwischen Wellnesstempeln und wilden Partys verschollen. Auch die Kameras greifen unter dem Namen „SeaChange“ das Panoptikum-Thema wieder auf: moderne Technik macht die besondere Architekturform unnötig.


    Symptomatisch für die völlige Überfrachtung der Mitarbeiter ist die tägliche Zunahme von Maes Bildschirmen – erneut eine geniale Idee des Autors. Die Informationsflut, die täglich, nein stündlich auf Mae niedergeht, hat schon bald die Ausmaße eines Tsunami angenommen. Aufgrund der Vielzahl an „Zings“, dem Twitter/Facebook/Instagram/et. –Ersatz kann Mae sich kaum noch auf ihre Arbeit konzentrieren, bzw. verbringt Stunden damit, mit wildfremden Leuten zu kommunizieren.


    Unweigerlich fühlt man sich an die aktuellen Entwicklungen erinnert. Kaum ein schöner Augenblick, der nicht sofort über Netz verteilt, kommentiert und geliked werden kann, keine Unterhaltung, kein Essen, ohne dass ständig der Blick in Richtung Smartphone geht – Eggers beschreibt bloß satirisch eine mögliche, aber realistische Entwicklung. Etwas stutzig macht allenfalls die Zahl von Maes Kontakten: sie steht in Kontakt mit allen Circlern (mehr als 10.000), bei jeweils „vorgeschriebenen“ 10 Zings am Tag und bei einer rekordmäßigen Sekunde pro Nachricht, wäre Mae schon allein mit dem beantworten der Zings bzw. dem Lesen rund um die Uhr beschäftigt. Der PartizipationsRang erinnert an den Wert der Daten in Elsbergs „Zero“ (dieses Buch habe ich ebenfalls rezensiert), und wenn Mae von „sozialem Rückstand“, also unbeantworteten Zings spricht, muss man Mercers Ansicht zustimmen: Maes Ex, beschrieben beinahe als internetfeindlicher, hoffnungslos konservativer Hinterwäldler, bezeichnet es richtigerweise als Klatsch und Tratsch.


    Die „moralische“ Verpflichtung, in den sektenähnlichen Kreis der Circler vollumfänglich einzutreten, zu partizipieren, die Aufgabe der Anonymität im Internet durch das wahre ich, des TrueYou, und das geniale Ende (der angedrohte Angriff auf die gedankliche Privatsphäre – „Die Gedanken sind frei“ war einmal) machen den Roman zu einer fantasievollen Dystopie mit vielen gelungenen Elementen. Insgesamt lesenswert, wenn auch wie bemerkt mit literarischen Schwächen.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    4ratten

    Inhalt


    Einer Gruppe anarchischer Hacker gelingt es, das gesamte Stromnetz Europas lahmzulegen. Während Regierungsbehörden und staatliche bzw. internationale Organisationen damit kämpfen, einerseits die Auswirkungen der Katastrophe in den Griff zu bekommen, und andererseits deren Verursacher zur Strecke zu bringen, stürzt Europa ins Chaos.
    Nachdem in ganz Italien der Strom ausgefallen ist, findet der italienische IT-Fachmann Manzano erste Hinweise, dass der Black-Out keine „natürliche“ Ursache hat: Unbekannte haben die intelligenten Stromzähler manipuliert und somit den Stromausfall initiiert. Weil ihm in Italien niemand Glauben schenkt, informiert Manzano über einige Umwege Europol, die mit ihm gemeinsam beginnen, die unbekannten Terroristen zu jagen. Gleichzeitig versuchen Menschen in ganz Europa, die Kraftwerke und damit die Stromversorgung wieder in Gang zu bringen, während mit jeder Stunde die Auswirkungen der Katastrophe dramatischer werden: die Wasserversorgung bricht zusammen, Lebensmittel werden knapp, die Notstromversorgung in Krankenhäusern fällt aus, Probleme bei der Kühlung der Atomkraftwerke führt zu einer Evakuierung vom tausenden Menschen, die in Notunterkünften zusammengepfercht leben müssen.


    Meinung


    Elsbergs Science-Thriller gewährt dem Leser Einblick in die sonst weitgehend unbekannte Welt des elektrischen Stroms. Dass dieser in Kraftwerken diversester Arten produziert und über Leitungen in die Privathaushalte eingespeist wird, dürfte jedem klar sein, aber die beinahe filigrane Komplexität dieses Unterfangens bleibt dem Normalbürger eigentlich verborgen. Diese sorgt wiederum für den hohen Realitätsgrad des beschriebenen Szenarios – einmal aus dem Gleichgewicht gebracht, ist der Koloss Stromversorgung eben nur schwer wieder in Bewegung zu versetzen.


    Der Autor konzentriert sich vor allem auf die Arbeit der Regierungen und regierungsähnlichen Institutiuonen. Das ist verständlich, wird dort doch die Handlung vorangetrieben und man ist so nahe am Geschehen wie möglich. Etwas enttäuschend ist es allerdings schon, dass gerade die Auswirkungen, die einen selbst im Falle eines echten Black-Outs treffen würden, nur anhand einer Familie, die in engem Kontakt zu Europol steht, anhand von Regierungsberichten und anhand der Erlebnisse des Italieners beschrieben werden, die allesamt nicht gerade dem typischen Normalbürger Max Mustermann entsprechen.


    Dies ist umso ärgerlicher, weil Elsberg die Gefahren und Folgen der Katastrophe eindrucksvoll zu schildern vermag: der Kampf um Nahrungsmittel, Sterbehilfe, Erpressung und Diebstahl, all dies wird in einer guten Mischung von empfindsam bis zynisch beschrieben. Einige weitere dieser kleinen Ausflüge in das Leben des Standardbürgers hätten der Verbrecherjagd nicht geschadet.


    Der größte Pluspunkt ist das zutiefst realistische Menschenbild, das genau die Erwartungen erfüllt, die der Leser (zumindest ist es mir so ergangen) hat – was natürlich auch einiges über einen selbst aussagt. Elsberg ergeht sich nicht in endlosen Oden über Solidarität und Nächstenliebe der Bürger in ihrem Kampf gegen Kälte und Hunger, sondern extrapoliert den Zeitgeist konsequent weiter. Die Lieblosigkeit unserer Tage im alltäglichen Umgang miteinander (nicht in der Familie, sondern darüber hinausgehend), die Ellbogen-Mentalität und der Glaube an das Recht des Stärkeren werden folgerichtig zum neuen Mantra der Zeit.


    Wer nicht im Glashaus sitzt, kann leicht mit Steinen werfen – das gilt wie immer auch bei beschriebenen Szenario in besonderem Maße, schließlich kann man keinem Menschen ernsthaft vorwerfen, im Kampf ums Überleben halbe Sachen zu machen. Wenn dabei aber alles auf der Strecke bleibt, was den Menschen zum Menschen macht, ist der weitere Weg unausweichlich. Kein Wunder, dass die großen Firmenchefs zwar als fähig, aber moralisch ungeeignete Persönlichkeiten dargestellt werden, die selbst im Angesicht tausender weiterer Opfer versuchen, aus der Krise Profit zu schlagen bzw. die Firma zu retten, und fraglos finanzielle Mittel auf der Prioritätenliste oberhalb von Menschenleben verordnen. Nette Seitenhiebe, etwa der Kommentar, für einen Krieg könne man doch sehr leicht Gründe finden, das habe das Beispiel Irak doch deutlich gezeigt, oder der Wahnsinn, sich auf unzuverlässige Kraftwerke wie Windräder etc. zu verlassen, runden die ganze Geschichte ab.


    Was von dem Roman bleibt?


    Mit Sicherheit die Diskussion über die Sicherheit neuer Medien, die seit Jahren anhält und erbittert geführt wird. Eine 100%-Sicherheit kann und wird es niemals geben, das hat Elsberg deutlich gemacht (war aber auch schon vor ihm bekannt). Trotzdem ist es ihm zu verdanken, jedem seiner Leser vor Augen geführt zu haben, welcher potenziellen Entwicklung wir entgegensteuern, insbesondere, wenn sich der Großteil der Bürger an Datenschutzdebatten weder beteiligt, noch ihre Stimme in die Waagschale wirft.


    Außerdem bleibt bei dem ein oder anderen vielleicht auch ein kleines bisschen Genugtuung. Den Argumenten der anarchischen Hacker – und damit Elsbergs Gesellschaftskritik – kann man sich nicht vollkommen verschließen. Ihre Ansichten sind keineswegs diejenigen vollkommen durchgeknallter Irrer, wenn auch die angeblichen Wahrheiten und Rechte, die sie daraus ableiten, mit normalem Menschenverstand nicht zu erklären sind. Auch wenn ihr Masterplan in seiner Gesamtheit gescheitert ist, haben sie ihr Ziel – ein Umdenken der Bürger – vielleicht doch schon erreicht. Wenn die extrem hohen Opferzahlen unschuldiger Menschen nicht wären, täte insofern ein kurzer Black-Out dem ein oder anderen vielleicht sogar gut.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    5ratten

    Inhalt

    England, nur knapp einem dem dritten – atomar geführten – Weltkrieg entkommen, ist zu einem faschistischen Überwachungsstaat geworden. Sämtliche Abweichler von der Normalität wie Homosexuelle oder Ausländer werden in Konzentrationslager gesteckt und – politisch korrekt ausgedrückt – „therapiert“. Ein anonymer in Guy-Fawkes-Maske, der sich schlicht V nennt, plant die Rebellion.


    Meinung


    Der erste Comic, den ich mir jemals gekauft habe – abgesehen von div. Disney-Bildstrips meiner Jugend. Und auch wenn die Verfilmung mich auf den Comic aufmerksam gemacht hat, und nicht umgekehrt, habe ich es nicht bereut, sondern muss sagen, dass auch seine anderen Werke wie Watchmen oder die Liga außergewöhnlicher Gentleman ihre Besonderheiten aufweisen, die sie zu literarischen Kleinoden machen.


    V ist ein vielschichtiger Charakter. Ihn auf seine Rolle als Kämpfer gegen den faschistischen Staat zu beschränken, wäre irreführend. Der Mann hinter der Guy-Fawkes-Maske ist brutal und gnadenlos, auf seinem Weg schreckt er weder vor perfider Rache noch vor dem Tod Unschuldiger zurück. Evey wird gefoltert und ihr Wille gebrochen, um sie „frei“ zu machen, wie V es nennt. Sein Verhalten ist durchaus psychopathisch zu nennen.


    Die Frage, die sich dem Leser stellt, ist die altbekannte: heiligt der Zweck die Mittel? V versucht die Menschheit zu retten, handelt aber selbst zumindest zuweilen unmenschlich. Immerhin ist er konsequent und weiß, dass für ihn in seiner neuen Welt kein Platz mehr ist – er lässt sich töten und beendet sein Leben mit einem riesigen Knalleffekt. Trotzdem beantwortet er die Frage uneingeschränkt mit ja.


    Darf man sich aber der Mittel seines Feindes bedienen, um ihn zu töten? Darf man auf das Niveau seines Gegners herabsinken, wenn man diesen nur so besiegen kann? Ich glaube, man kann auf diese Weise niemals gewinnen, sondern verliert in dem Moment, indem man nachgibt und sich zu einem Verhalten hinreißen lässt, das einem selbst eigentlich unwürdig ist. Auch wenn es niemand mitbekommt, haftet am inneren Selbstbild doch ein Makel, man hat ein schlechtes Gewissen und Gedanken, die man nie wieder los wird.


    Eine guter Einfall ist die Bezeichnung der verschiedenen Wachorgane, die nach dem menschlichen Organismus benannt sind. Die Polizisten bzw. Vollstrecker der Befehle des Führers heißen Fingermänner, die Männer an den Kamerabildschirmen bzw, Wanzen Augen und Ohren. Die anatomische Namensgebung verstärkt des Gefühl eines gewachsenen Staatsgebildes, das im Laufe der Jahre seine Fänge immer stärker nach den Bürgern ausstreckte.


    Eine Antwort auf die Frage nach der richtigen Balance zwischen Faschismus und Anarchie geben weder V direkt noch Moore implizit. V fordert die Menschen nur auf, ihren Verstand zu gebrauchen und gibt ihnen die Möglichkeit, dieses auch zu tun, indem er alle Staatsinsignien stürzt und
    –repräsentanten ermordet, aber schlussendlich bleibt es den Bürgern überlassen, was sie mit ihrer neu erlangten Freiheit anfangen. Vielleicht driften sie erneut in den Faschismus, vielleicht herrschen jahrelang chaotisch Zustände, man weiß es nicht.
    Letztendlich ist die direkte Staatsform vielleicht auch weniger entscheidend als der Einsatz und der Wille der Bürger. Wer sich mit antiken Utopien wie der von Morus oder der Idee des Philosophenstaats von Platon befasst, wird oft auf eine Monarchie- bzw. Diktaturähnliche Herrschaftsform stoßen. Selbst der Begriff des Diktators war in seinen Anfangstagen zunächst positiv besetzt. Das Amt diente im alten Rom dazu, dass ein starker Mann in Notzeiten die Geschicke des Staates wieder in sinnvolle Bahnen lenken konnte, ohne durch politische Hindernisse aufgehalten zu werden. Es ist wohl immer eine Frage des genauen Führungspersonals – eine korrupte Beamtenschaft kann trotz demokratischer Legitimation schädlicher sein als ein gerechter und gütiger König, ebenso ist ein Leben unter einem gewalttätigen Tyrannen ungewünschter als unter einem verantwortungsvollen Senat oder ähnlichem Beratergremium.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    5ratten

    Inhalt


    In einer dystopischen Zukunft sind Bücher verboten. Erlaubte Medien sind Radio und Fernsehen, die allerdings die Bürger manipulieren und abstumpfen lassen. Der Protagonist des Romans trägt den Namen Guy Montag und ist Feuerwehrmann – d.h., seine Aufgabe besteht darin, verbotenerweise gesammelte Bücher zu verbrennen.
    Guy zweifelt insgeheim allerdings am aufgebauten System, und seine Zweifel werden noch verstärkt, als er auf Clarisse trifft, eine junge Frau die ihm die Schönheit und den Wert des gedruckten Wortes vor Augen führt. Guy beginnt zu rebellieren und wird schnell zum ungeliebten Staatsfeind.


    Meinung


    Klassische Dystopie, die durchaus mit den Genreklassikern mithalten kann. Das geschichtliche Setup ist nichts neues, Guy lebt in einem absolutistischen Staat, dessen Führung damit beschäftigt ist, das einfache Volk von den wesentlichen Dingen abzuhalten.
    „Neu“ ist allerdings die Art und Weise, wie die unbekannten Herrscher vorgehen: im Gegensatz zum Großen Bruder Orwells, in dessen Welt die Geschichte ständig neu gedeutet, uminterpretiert und umgeschrieben wird (FakeNews lassen grüßen!), sodass niemand mehr weiß, was wahre Historie und was Fiktion ist, werden in Bradburys Roman kurzerhand alle schriftlichen – und damit langlebigen – Werke verbannt – aus den Augen, aus dem Sinn, sozusagen. Nicht umsonst ist die Entwicklung einer Schrift eine der höchsten Leistungen eines Volkes, und alle frühen Hochkulturen waren gerade durch die Existenz einer Schriftform gekennzeichnet.


    Der gesunde Menschenverstand gebietet allerdings eine andere „Kulturform“, um die Bürger von den dringenden Problemen ihrer Zeit abzulenken (wie dem nebenbei erwähnten Krieg). Prophetischerweise – Fahrenheit 451 wurde bereits 1953 geschrieben – sind die Medien der Wahl vor allem Radio und Fernsehen, mit denen die Stadtbürger geradezu bombardiert werden. Anstelle von informationslastigen Dokumentationen oder Tatsachenberichten, politischen Interviews oder ähnlich sinnvollen Bildergeschichten werden die Zuschauer im wahrsten Sinne des Ortes mit stumpf produzierten Shows zugemüllt und verblödet. Unwillkürlich stellt sich dem heutigen Leser die Frage, ob es bei dem nachmittäglichen Programm gewisser Sender nicht an der Zeit wäre, die Reißleine zu ziehen – gewisse Parallelitäten sind nicht zu übersehen, und die Folgen davon bekommt ebenfalls jeder mit, der mit offenen Augen durchs Leben geht.


    Geniale Idee – und wieder ein prophetischer Vorgriff auf die Political Correctness heutiger Tage – ist die Umdeutung des Begriffs Feuerwehr (bzw. die Zweideutigkeit des Wortes Firemen im Englischen). Die einstigen Helden der Brandbekämpfung, die (Vorsicht, Klischee) alten Omas ihre Kätzchen vom Baum holen, sind zu Verrätern ihres Heldentums und zu Unterstützern des Systems geworden, ein absolut feinsinniger Kunstgriff Bradburys.


    Zu was der Zerfall schriftlicher – und damit streng genommen jeglicher – Kultur führt, wird auch am Beispiel der Jugendlichen deutlich, für die es zum neusten Trend geworden ist, fremde Bürger aus Jux und Tollerei zu Tode zu hetzen.


    Ein Schelm, wer Böses dabei denkt und den Prozess in Berlin vor Augen hat.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    5ratten

    Inhalt


    Nachdem ein Patient einer Irrenanstalt eine Krankenschwester ermordet hat, ermittelt Inspektor Voß, scheitert aber am Widerstand der Leitung in Gestalt von Dr. Mathilde von Zahnd. Drei ihrer Patienten sind besonders wichtig, von denen sich zwei für Einstein bzw. Newton handeln, während Möbius, dem dritten, angeblich Salomo erschienen ist.
    Möbius, ein hervorragender Physiker, verliert aufgrund der Erscheinungen Reputation und Beruf, anschließend die Familie, und lebt nun alleine.


    Es stellt sich heraus, dass auch die beiden anderen Physiker von Weltformat sind, die von ihren jeweiligen Regierungen (Washington bzw. Moskau) dazu gebracht wurden, ihre Unzurechnungsfähigkeit auch mittels Mord zu beweisen, um an das Wissen zu kommen, das Möbius besitzt.


    Meinung


    Kennen wahrscheinlich viel aus der Schule – aus dem Deutsch- nicht dem Physikunterricht. Dürrenmatt gelingt eine exzellente Mischung aus Tragödie und Komödie.
    Genial finde ich zum einen die auffallende Parallelität zwischen erstem und zweitem Akt, nur dass die Handlung mit umgekehrtem Vorzeichen abläuft. Ist Voß anfangs noch bemüht, den ersten Mord an der Krankenschwester aufzuklären, genießt er schnell die Möglichkeit, sein Gewissen und damit die Gerechtigkeit einmal ruhen zu lassen. Was zeichnet es für das Bild der personifizierten Justitia, die nicht aufgrund ihrer Neutralität blind ist, sondern weil sie einfach keine Lust hat, sich selbst mit einem Mordfall (!) zu befassen? Überaus düstere Ansichten des Schriftstellers, was polizeiliche Ordnungsgewalt angeht.


    Mit der Figur des Möbius hat Dürrenmatt den Prototypen eines idealen Wissenschaftlers geschaffen: hochintelligent, schließlich gelingt ihm nicht weniger als das, was die Physiker seit Jahrhunderten umtreibt, nämlich das Aufstellen der Weltformel. Auch wenn dies nicht auf naturwissenschaftlicher Basis explizit beschrieben wird, ist es Möbius also gelungen, die vier Grundkräfte in einen logischen Zusammenhang zu bringen, was auch eine Manipulation der Gravitation ermöglicht.


    Möbius zweite hervorstechende Charaktereigenschaft ist sein Vermögen, aus seinen Schlussfolgerungen die richtigen Konsequenzen zu ziehen und zu diesen zu stehen. Der Physiker drückt sich keineswegs vor der Verantwortung, die sich aus seiner Forschung bzw. seinem Wissen ergibt. Über die Väter der Atombombe wurde genug geschrieben, und Möbius „Erfindung“ übertrifft die positiven und negativen Möglichkeiten der Atomkraft nochmals bei weitem, aber ich halte es für müßig, über Auswirkungen zu philosophieren.


    Viel entscheidender ist die reine Tatsache, dass Möbius sich nicht auf dem sprichwörtlichen Elfenbeinturm der Wissenschaft versteckt, sondern alles aufgibt, was ihm wichtig ist: Frau, Kinder und Beruf, auf all das verzichtet er sehenden Auges, weil es seiner Meinung nach die einzige Chance ist, die Situation zu einem befriedigenden Ende zu führen. Unbestritten ist Möbius bewusst, dass mit seinem Wissen viel Gutes getan werden könnte. Schlichtweg die Tatsache, dass es keine hundertprozentige Sicherheit gibt, treibt ihn zu seinem Opfer, und das ist Zeichen eines beeindruckend bewundernswerten Charakters, der sein Selbst und sein persönliches Wohlergehen – selbst in Verbindung mit dem Glück seiner Familie – weit geringer ansieht als das Wohlergehen der Menschheit.


    Er mordet selbst die unschuldige Krankenschwester, deren einziges Vergehen darin bestand, die Wahrheit herauszufinden. Möbius Verhalten ist konsequent, und er legt an sie nicht mehr als den gleichen Maßstab an, dem auch er sich unterworfen hat: ähnlich wie er ist auch Monika Wissen zuteil geworden, und weil dieses niemals ans Licht kommen darf, sieht Möbius ihren Tod als einzigen Ausweg.


    Abgesehen von dem eigentlichen Stoff der „Geschichte“, wie Dürrenmatt sie in seinen 21 Punkten bezeichnet, sind ebendiese tiefschürfender, als ihre Schlichtheit vermuten lässt.


    „Der Inhalt der Physik geht die Physiker an, die Auswirkungen alle Menschen.“,


    lautet Punkt Nummer 16 und ist die Quintessenz des Dramas, der Satz, der Triebfeder des Handelns Möbius ist.
    Auch die Nummer 18,

    „Jeder Versuch eines Einzelnen, für sich zu lösen, was alle angeht, muss scheitern.“,


    verdeutlicht die Problematik ebenso. Möbius Selbstopfer ist zwar gut gemeint, aber nicht nur sinnlos, sondern führt gerade erst zur schlimmstmöglichen Wendung. Dürrenmatt fordert Partizipation. Wenn Schwierigkeiten auftreten, die sich auf die Gesamtheit der Menschheit erstrecken, dann muss auch ebendiese Gesamtheit aktiv werden, das Problem angehen und eine Lösung finden – wobei man sich vor allzugroßer Kompromissbereitschaft hüten sollte. In dem globalen Dorf, zu dem unsere Welt leider (?) geworden ist, ist sonst nichts zu holen.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    5ratten

    Inhalt


    Čapek, ein überaus produktiver tschechischer Schriftsteller (1890 – 1938), schreibt über die Konsequenzen des Aufeinanderprallens zweier sehr unterschiedlicher Kulturen, die gegenseitigen Abhängigkeiten und Verstrickungen und letztendlich den Kampf um den Platz an der Spitze der Pyramide der Macht. In Südostasien entdeckt der Kapitän eines Handelsschiffes auf einer abgelegenen Insel eine unbekannte Tierart: große, intelligente Molche, die abgesehen von gelegentlichen Kämpfen gegen ihr Erzfeinde, die Haie, vollkommen friedlich und anspruchslos in den Buchten des unbekannten Eilands leben. Der etwas naive, aber bauernschlaue Kapitän van Toch erkennt die Intelligenz der Tiere und beginnt einen Tauschhandel. Die Molche suchen den Meeresgrund nach Perlmuscheln ab, während er ihnen Waffen liefert, mit denen sich die Tiere selbst verteidigen können.
    Um den Handel auszuweiten, braucht van Toch große finanzielle Mittel, die er von einem Großindustriellen erhält, ein wirtschaftliches Bündnis, das Schritt für Schritt in die Katastrophe führt. Nachdem das Geheimnis der geheim gehaltenen Molche an die Öffentlichkeit gedrungen ist, entwickelt sich schnell ein florierender Handel mit den Tieren, die als billige Arbeitskräfte für Hafenanlagen und, weiterhin konsequent, später auch als Marinesoldaten eingesetzt werden.
    Eher früher als später rächt sich die Ausbeutung der intelligenten Tiere, die zunehmend eigene Interessen durchzusetzen versuchen und schließlich den Krieg gegen die Menschen beginnen.


    Meinung


    Gleich vorneweg: die literarische Mischung aus Satire, Dystopie, Parodie, Schwarzer Humor, bitterer Menschenkenntnis und Science-Fiction führt zu einem Roman, den ich allen Freunden obiger Rubriken uneingeschränkt empfehlen kann.


    Čapeks Schreibstil ist unterhaltsam, sein Humor feinsinnig und überaus schwarz. Wenn man die Existenz der intelligenten Amphibien akzeptiert, ist der Lauf der Geschichte, beginnend bei dem erstmaligen Kontakt mit den Molchen bis zum Weltkrieg gegen sie, detailliert und derart vollkommen logisch geschildert, dass der Leser selbst von der Entwicklung gewissermaßen überrollt wird. Man muss sich der Frage stellen, ab welchem Punkt der Geschichte das drohende Verhängnis eigentlich klar zu erkennen war, und was man hätte tun können, um es zu verhindern.


    Eine geniale Idee ist auch die Umsetzung des Romans, der anfangs klassisch das Leben van Tochs schildert, im zweiten Teil aber zur Arbeit fiktionaler Historiker wird, die anhand Tausender Zeitungsberichten versuchen herauszufinden, wie es zu der Katastrophe kommen konnte. Mit ausufernden Fußnoten im Stile eines Pratchetts, in denen viele der Zeitungsartikel z.T. wörtlich abgedruckt sind, gelingt es Čapek, die (eigentlich absurde?) Ausgangssituation erschreckend real erscheinen zu lassen.


    Ein weiterer Pluspunkt sind die bissigen und sarkastischen Zwischenbemerkungen, von denen sich nicht wenige auf den Faschismus und den drohenden zweiten Weltkrieg beziehen (das Buch erschien 1936). Nachdem sich beispielsweise jede Küstennation mit eigenen Molchtruppen versorgt hat, gilt in Deutschland nach Erfolgen im marinen Baugewerbe folgende Parole:


    Solche Erfolche
    erreichen nur deutsche Molche!


    England andererseits, verbietet den Handel mit Molchen im Empire, und wenn ein paar Seiten später trotzdem englische und französische Molche im Ärmelkanal gegeneinander kämpfen, wundert sich der Leser nicht wirklich über Realsatire moderner Politik, die vordergründig Versprechungen macht ohne überhaupt den Versuch zu machen, sie zu halten.


    Čapeks Pessimismus zieht sich ungetrübt und ungestört durchs ganze Buch hindurch. Selbst, als Molche gegen Menschen kämpfen, werden sie noch von manchen Staaten mit Waffen versorgt, weil sonst das globale Wirtschaftsgefüge auseinander bricht, und man fühlt sich unwillkürlich an gewisse Konflikte in Afrika und dem Nahen Osten erinnert.
    Zuletzt sei angemerkt, dass Čapek nach einem brillant düsteren Roman ein nur schwaches Ende gelungen ist. Beinahe hat man den Eindruck, als wollte er das Buch endlich abschließen, und er hakt auf wenigen Seiten ab, was er durchaus hätte ausführlicher schildern können. Auch der erneute Stilwechsel, hin zu einem Selbstgespräch zwischen menschlichem und beobachtendem Selbstaspekt des Autors passt nicht zu der vorhergehend aufgebauten historischen Fiktionalität, die in wenigen Sätzen gnadenlos zerstört wird.


    Trotz des Endes ein herrlich tiefgründiges Werk vollgepackt mit Zynismus, schwarzem Humor und einem schwermütigen Fatalismus, das zu Lesen wirklich Vergnügen bereitet.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    5ratten

    Inhalt


    Auf der Farm des Bauern Jones übernehmen die Hoftiere unter Führung der intelligenten Schweine die Macht. Sie stellen ihre eigenen Gesetze auf, nach denen sie leben wollen, und beginnen, die bis dahin mehr oder weniger brachliegende Farm in einen blühenden Betrieb umzubauen.
    Zuerst führen die beiden Schweine Napoleon und Schneeball noch gemeinsam die „Revolution“ voran. Dann allerdings lässt Napoleon Schneeball vom Hof jagen, weil dieser angeblich die Farm wieder an den menschlichen Besitzer verkaufen wollte. Ohne einen geistig ebenbürtigen Gegner ist es für Napoleon leicht, mehr und mehr Macht an sich zu reißen.

    Meinung


    Dass Orwells „Farm der Tiere“ durchaus als Parabel auf die gesellschaftliche Entwicklung Russlands, insbesondere hinsichtlich der kommunistischen Revolution gelesen und verstanden werden kann, wird oft beschrieben – und meistens auch besser, als ich es könnte. Deswegen an dieser Stelle der Blick auf die Parallelen des „Märchens“ zur heutigen Gesellschaft.
    Was am meisten auffällt, ist die Art, wie Orwell die verschiedenen Tiergattungen anthropomorphisiert, bzw. umgekehrt, typisch menschliche Verhaltensmuster passenden Spezies zuordnet. Wer sich die heutige Gesellschaft genauer ansieht, wird nicht umhin kommen zu bemerken, dass Orwell diese Typen zwar überspitzt, aber gekonnt beschreibt.
    Da wären zum einen die Pferde, die am ehesten als Gutmenschn, pardon Guttiere, durchgehen können. Sie erfüllen das Klischee dieses Menschenschlags – etwas naiv, gutmütig, aber sehr willig und überaus tatkräftig – in vollendeter Weise. Die übervorsichtigen Hühner entsprechen den Verzagten, die aus Prinzip (wohlgemerkt nicht aufgrund von Argumenten) gegen jegliche Neuerung sind. Die Schafe, die kaum mehr als blöken können, und Sinnbild der dumpfen, manipulierbaren, gesichtslosen Masse darstellen. Der Esel Benjamin ist Stellvertreter der „Ich habe es ja gesagt“-Leute, der Zyniker, die zwar durchaus das Recht auf ihrer Seite haben, aber unfähig oder nicht willens sind, dafür einzutreten. Die Hunde sind die indoktrinierten Soldaten, folgen treu ergeben und ohne selbst zu denken ihrem (An)führer. Und zuletzt die intelligenten, raffgierigen Schweine, die verderbteste Gattung von allen, die hemmungslos manipuliert und betrügt. Sie wollen nicht das größte Stück vom Kuchen – sie wollen ihn ganz, und es gelingt ihnen dabei sogar, ihre Gefräßigkeit als Opfer für die Allgemeinheit zu verkaufen!
    Aber all diese Tiere sind nicht nur fiktive Figuren einer alten Geschichte – sie alle sind Teil unseres alltäglichen Lebens, wir treffen ständig auf ihre realen Verkörperungen, und es täte gut, den einen oder anderen sanft darauf hinzuweisen.
    Wie auch in „1984“ ist ein großes Thema Orwells die Geschichtsfälschung bzw. –umdeutung. In „Farm der Tiere“ äußert sie sich auf zwei Arten. Zum einen wird Schneeball Stück für Stück vom Helden zum Verräter stigmatisiert. Nur weil die Tiere kaum schriftlichen Aufzeichnungen, sondern bloß ein lückenhaftes Gedächtnis besitzen, können sie derart fehlgeleitet werden. Zum anderen ändern sich die Gesetze, die für die Tiere gelten, ständig – und immer zum Vorteil für die Schweine. Aus „Kein Tier soll Alkohol trinken“ wird „Kein Tier soll Alkohol trinken im Übermaß.“, „Alle Tiere sind gleich.“ mutiert zu „Alle Tiere sind gleich, aber manche sind gleicher.“, und weil kaum jemand lesen kann, bleibt auch dieses Verbrechen unbemerkt, was etwas an „political correctness“ und Gendergerechtigkeit erinnert, die z.T. sehr verwirrende Blüten treiben. Es bleibt dazu nur ein Satz zu sagen, der in der einen oder anderen Formulierung oft zitiert wurde und vermutlich Santanaya zugeschrieben werden kann: Wer die Fehler der Vergangenheit vergisst (oder aus ihnen nicht lernt), ist verurteilt, sie zu wiederholen.
    Abschließend noch ein Wort über den Schluss der Fabel: Orwell hat eines der ausdruckstärksten Buchenden geschaffen. Die Blicke von den Schweinen zu den Menschen und wieder zurück, bzw. die Ununterscheidbarkeit der Spezies, sind schlicht und ergreifend genial.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


    5ratten

    Autor: Ernle Bradford
    Titel: Der Schild Europas
    Untertitel: Der Kampf der Malteserritter gegen die Türken 1565


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    Inhalt


    Auf Malta stehen sich 40.000 Soldaten des osmanischen Reiches und knapp 750 Johanniter-Ritter und 8000 Malteser gegenüber. Neben ihrer zahlenmäßigen Übermacht setzen die Türken massiv Artillerie ein, um die maltesischen Festungen dem Erdboden gleich zu machen. Auf St. Elmo, einer strategisch bedeutsamen Feste, gehen so mehr als 6000 80kg-Kugeln nieder – pro Tag (das macht mehr als vier Kugeln pro Minute!).
    Obwohl die belagerten Ritter und Malteser wochenlang vergeblich auf Hilfe von Spanien und Italien warten, verlieren sie ihren unerbittlichen Verteidigungswillen nicht, was vor allem der unglaublichen Charakterfestigkeit des Johanniter-Großmeisters Jean Parisot de la Valette zu danken ist. La Valette, bereits türkischer Gefangener und Galeerensträfling gewesen und inzwischen über 80 Jahre alt, geht seinen Kriegern mit beispiellosem Vorbild voran.


    Meinung


    Wenn diese Geschichte nicht wahr wäre, müsste man sie erfinden.


    Eigentlich braucht man gar nicht mehr zu schreiben, aber ein paar besondere Begebenheiten will ich trotzdem kommentieren. Zuallererst ist der Abwehrkampf der Ritter (der Johanniterorden existiert als Malteserorden noch heute) ohne die einheimische Bevölkerung nicht denkbar. Auch wenn nur wenige Malteser namentlich bekannt wurden, leisteten auch sie beachtliches.


    Es gehört Mut dazu, zu sterben, aber noch mehr Mut ist erforderlich, um Männer in den Tod zu schicken. Die Osmanen konzentrierten ihre Truppen anfangs auf die vorgelagerte Festung St. Elmo, und nachdem sie mit ihren Kanonen und Schützen auch die angrenzende Bucht kontrollieren, wird es la Valette nahezu unmöglich gemacht, Verstärkungen zu schicken. Noch endlosen Tagen des Kämpfens ist klar, dass die Festung früher oder später endgültig fallen wird. La Valette sieht davon ab, Männer in den verlorenen Außenposten abzukommandieren, und sofort melden sich Dutzende Ritter, die freiwillig nach St. Elmo übersetzen wollen. Und ein solches Freiwilligenkorps findet sich nicht nur einmal, sondern mehrmals. Tagelang gehen Ritter freiwillig nach St. Elmo, ohne Hoffnung, lebendig von dort zurückzukehren.


    Für mich war die Glaubensstärke dieser Menschen zutiefst beeindruckend.


    Während die Osmanen davon ausgingen, das kleine St. Elmo innerhalb weniger Tage zu nehmen, hielt die Festung fast einen ganzen Monat stand.


    Der Großmeister la Valette hat trotz aller Leuchtkraft seines Vorbilds aber auch seine schwachen Momente, als er beispielsweise türk. Gefangenen die Köpfe abschlagen und zum osmanischen Heer schießen lässt, nachdem diese die letzten Ritter in St. Elmo kopflos gekreuzigt hatten. Aber gerade diese Schwäche ist es, die ihn menschlich macht, und aufzeigt, wie oft der Großmeister über sich hinausgewachsen ist und einen nahezu Geist und Willen demonstrierte – wenn er beispielsweise nur notdürftig gerüstet selbst das Schwert ergreift, um in die Bresche zu springen und seinen Rittern Kraft zu spenden.


    Zu guter Letzt sei an einen Satz aus einer seiner Reden erinnert, der sich mit den französischen Worten „Noblesse oblige“, also „Adel verpflichtet“, wiedergeben lässt. La Valette ist von Anfang an bewusst, dass die Zukunft des Ordens auf Messers Schneide steht und ihre Lage eher aussichtlos ist. Was ihn dennoch zum Widerstand gegen die osmanische Macht bewegt, ist nicht nur, dass der Orden einen weiteren Rückzug vielleicht nicht überleben würde. Es ist auch die Tatsache, dass von alters her die Ritter eine Verpflichtung gegenüber Gott und dem Volk eingegangen sind: der gemeine Mann versorgt sie, und umgekehrt ist es die Pflicht des Ritters, diesen (auch mit seinem Leben) zu beschützen. Zitat:


    Wer privilegiert ist, muss auch die Tatsache bejahen, dass die einzige Rechtfertigung unser Ausnahmestellung in der Bereitschaft liegt, alles zu opfern, wenn der Ruf an uns geht.


    Wenn man den alten Adel als Führer des Volkes bezeichnet, dann übernehmen diese Rolle heutzutage die Politiker, schließlich werden auch sie vom „gemeinen Mann“ dafür bezahlt, die Geschicke des Staates zu lenken. Wer allerdings hält einem Vergleich mit den damaligen Privilegierten stand, was Gerechtigkeit, Selbstlosigkeit, Einsatzbereitschaft und Opferbereitschaft angeht?


    Es wäre allerdings zu einfach, alle Schuld von sich selbst zu weisen. Wir alle sind für die Gesellschaft verantwortlich, in der wir leben. Deshalb zum Abschluss ein passendes Sprüchlein:


    Kann ich nicht Dombaumeister sein,
    behau ich als Steinmetz einen Stein.
    Fehlt mir auch dazu Geschick und die kräftige Hand,
    trage ich Mörtel herbei und Sand.
    Rudolf Baumbach


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


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    Inhalt


    Weil seine Schüler sich nicht vorstellen können, wie breite Teile der deutschen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus Vertreibung und Massenmord stillschweigend geduldet hatten, startet der Lehrer Ben Ross an einer amerikanischen Schule ein Experiment: er gründet eine eigene Bewegung, „Die Welle“ genannt, deren Grundsätze „Macht durch Disziplin“, „Macht durch Gemeinschaft“ sowie „Macht durch Handeln“ große Begeisterung bei den meisten Schülern auslösen.
    Das Experiment entwickelt eine sehr gefährliche Eigendynamik, die selbst dem Lehrer nicht vollkommen klar wird, schließlich lassen sich am Anfang positive Veränderungen feststellen: Außenseiter finden Anschluss und der Schulstoff wird gründlicher gelernt. Als allerdings Schüler Missfallen an der Bewegung äußern, beginnt der Konflikt zwischen Mitgliedern der „Welle“ und ihren Kritikern. Ross, selbst von den Auswirkungen überrascht, muss einen Weg finden, die Katastrophe zu verhindern.


    Meinung


    „Die Welle“ dient oft als Paradebeispiel für den Umgang mit sektenähnlichen Gemeinschaften und das Gefahrpotenzial, das eine solche Gruppierung birgt. Das Experiment, das als Grundlage von Rhues Roman gilt, hat mit leichten Abwandlungen in der Realität stattgefunden und zählt mittlerweile zu den klassischen Experimenten der Psychologie, insbesondere im Bereich der Konformität und des Gruppendrucks.


    Ohne jede Frage zeigt das Experiment deutlich auf, was geschehen kann, wenn sich Menschen zu Gruppen mit gemeinsamen Zielen zusammenschließen. Es ist allerdings zu einfach, das Resultat auf jede Form von Gemeinschaft zu übertragen. Lauries Mutter formuliert es schon richtig, wenn sie die „Welle“ als Sekte bezeichnet, ist doch die selbstgewählte Isolierung bzw. Abgrenzung von Nichtmitgliedern sowie der Missionierungsgedanke entsprechend stark vertreten. Ebenso besitzt die Welle zwar Grundsätze, diese sind aber ausschließlich struktureller Natur.


    „Macht durch Disziplin, Gemeinschaft und Handeln“, das macht deutlich, worum es sich bei der Welle nicht handelt: um eine Bewegung mit inneren Werten, mit einem stabilen Gerüst aus Normen, mit einem Sinn, das die Gemeinschaft in eine positive Richtung lenken würde. „Die Welle“ ist eine inhaltsleere Bewegung, eine ohne tieferen Sinn – und das wirft Laurie ihrem Lehrer auch vor, wenn sie es vielleicht auch etwas anders meinte. Damit ist nicht gesagt, dass Disziplin bzw. das Hochhalten der Gemeinschaft als solche keine Werte sind, sondern dass diese Schlagworte eben nicht ausreichen, um das Abrutschen einer Gruppierung und ihren Drift in – in diesem Fall faschistoide – Richtungen zu verhindern.


    Was (echte) Gemeinschaften zu leisten imstande sind, mag ein Paradebeispiel verdeutlichen: als 1565 die Osmanen Malta belagerten, standen die dortigen Ritter Unmenschliches durch. Eine lesenswerte Schilderung findet sich unter dem Titel „Der Schild Europas“, geschrieben von Ernle Bradford).


    Aber zurück zum Roman:


    Rhue schildert die Ansichten der verschiedenen Typen von Schülern, ihre Zweifel und ihre Begeisterung, ihre Kritik und ihr Lob überaus eindrücklich. Von Tag zu Tag spaltet sich die Schule stärker in zwei Lager auf, die bloß konsequente Fortsetzung des alltäglichen Schulalltags sind, auch wenn sich die personale Zusammensetzung etwas geändert hat: es gibt die angesehenen, die beliebten, die coolen, und dann eben noch die Gruppe der Außenseiter.
    Da sich die gesamte Handlung innerhalb weniger Tage abspielt, bleibt kaum Zeit für eine tiefgreifende Charakterentwicklung. So ist es kein Wunder, dass sowohl das Umdenken von Laurie als auch David durch zwei Schockmomente (das Verprügeln eines jüdischen Jungen bzw. die Gewalt gegen seine Freundin) wesentlich vorangetrieben wird.


    Leider konzentriert sich das Buch sehr auf die beiden Schüler sowie ihren Lehrer. Das Innenleben anderer Schüler wird nur kurz thematisiert, was schade ist, da deren Konstellation und ihre Motivationen stellenweise im Dunkeln bleiben - trotzdem eine klare Leseempfehlung.


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    Inhalt


    Das Buch ist in zwei Bereiche gegliedert, deren Rahmenhandlung durch eine Unterhaltung des Seemanns Raphael mit dem englischen Staatsmann Thomas Morus gegeben ist. Zuerst diskutieren beide – mit zuweilen satirischen Untertönen – über (damals) aktuelle politische Streitthemen wie Todesstrafen auch für „leichte“ Vergehen wie Diebstahl oder über den Beraterstab des Königs
    Im zweiten, bekannteren, und vor allem zeitlosen(!) Teil erzählt Raphael vom Idealstaat Utopia, einem fernen Inselreich. Detailliert beschreibt er die Lebensweise der Utopier, ihre Städte und Bauernhöfe, ihre Ansichten zu den Handwerken und ihre Regierungsform. Im Anschluss werden die philosophischen Ansätze zu Schmuck, Reichtum und Privateigentum thematisiert. Das Buch endet mit einem Plädoyer für Toleranz in Glaubensfragen.


    Meinung


    Mit „Utopia“ hat Thomas Morus nicht nur das Bild (s)eines idealen Staates geschaffen, sondern eine ganze literarische Gattung neu begründet, deren Anfang Platons Philosophenstaat bildet. Während manche seiner Thesen nicht nur aus heutiger Sicht befremdlich wirken, lassen sich andere leichten Herzens unterschreiben – und machen darauf aufmerksam, wie wenig sich in den letzten Jahrhunderten eigentlich getan hat.


    Noch im ersten Teil fällt eine der zynischsten Bemerkungen Raphaels, der sich weigert, in den Dienst des Königs zu treten und diesen zu beraten. Da er mit seinen Ansichten isoliert dastehen würde, müsste er sie entweder anpassen, oder würde bei dem Versuch, die anderen Berater zu überzeugen, selber irre werden – also lässt er es gleich bleiben. Wenn man die heutige Diskussionskultur betrachtet, in der (vollkommen egal in welche Richtung) abweichende Meinungen isoliert und niedergeschrien werden, ist es schwer, die Mutation zum Raphael zu verteufeln. Genial ist hierbei die Methode der Utopier, erst einen Tag nach Antragstellung über eben diesen zu debattieren, was vermeiden würde, unüberlegt mit der eigenen Meinung herauszuplatzen.


    Auch andere kulturelle Eigenheiten der Utopier erinnern an aktuelle Debatten.


    Um ihre Bürger vor Verrohung zu schützen, wird der Metzgerberuf beispielsweise nur von Sklaven durchgeführt. 500 Jahre später morden und metzeln sich Jugendliche in virtuellen Welten ungehemmt nieder.


    Das Streben der Bürger nach Bildung, beispielsweise durch Besuchen öffentlicher Vorlesungen, klingt wie Hohn, berücksichtigt man die anhaltende Debatte allein um Schulbildung, und die aktuelle Arbeitsbelastung lässt auch kaum Zeit, sich nach dem anstrengenden Berufsalltag mit tiefschürfenden, komplexen Themen zu beschäftigen.


    Die strenge, aber sinnvolle Sexualmoral der Utopier gehört ebenso wie ihre Genügsamkeit und Bescheidenheit in der heutigen Konsumgesellschaft zu altmodischen Relikten mittelalterlichen Wertvorstellungen. Insbesondere utopisches Ansätze einer Art „Nudging“ (Gold wird mit Sklaverei, Perlen mit dem Kindesalter in Verbindung gebracht und damit unansehnlich gemacht) klingen auf den ersten Blick vollkommen unglaubwürdig. Auf den zweiten wäre es schön, wenn es vergleichbares auch bei uns gäbe.


    Das Wichtigste ist allerdings der Schluss des Romans: Raphael beschreibt die religiöse Toleranz der Utopier, das friedliche Koexistieren verschiedener Glaubensmodelle und einen ideellen Missionierungsgedanken. Dieser ist auf sachliche Argumente beschränkt, weder dürfen fremde religiöse Glaubensvorstellungen niedergemacht noch eigene Anhänger aufgehetzt werden. Eine bewundernswerte Toleranz, die aus einer Einsicht resultiert, die auch heute vielen gut zu Gesicht stünde.


    Was allerdings sehr befremdlich erscheint, und auch moralisch äußerst fragwürdig, ist das Ausnutzen „unzivilisierter, barbarischer“ Nationen für den Krieg. Insbesondere das „ausbluten lassen“, lässt die Utopier in keinem guten Licht erscheinen, und trübt die sonstige positive Sicht.


    Sonnige Tage und erholsame Nächte!


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