Christine Wunnicke - Die Kunst der Bestimmung

  • Zwei Welten treffen in diesem Roman aufeinander: Die des rationalen, an die Ordnung der Welt glaubenden schwedischen Wissenschaftlers Simon Chrysander und die des flattrigen, egozentrischen und lasterhaften jungen Earl von Fearnall. Beide erleben eine Amour Fou in einer Zeit, als die Wissenschaft den Glauben besiegt und die Erkenntnis der Naturgesetze als Ordnungsprinzip der Welt die Religion als alles erklärendes Weltensystem langsam aber sicher ablöst.


    Chrysander wurde von Uppsala nach London bestellt, um als Bester seiner Zunft die dortige naturkundliche Sammlung zu ordnen und zu systematisieren. Er glaubt fest an die “Rationales”, mathematische Formeln, mit denen sich die Welt beschreiben lässt, und an eine “Weltformel”, die die gesamte Ordnung des Kosmos umfasst. Noch vor Antritt seines Dienstes trifft er auf den Earl von Fearnall, einen jungen, exzentrischen Adligen und Gönner der Royal Society - als Mädchen verkleidet in einem Hurenhaus. Diese Begegnung verändert beider Leben; Chrysander muss feststellen dass es Dinge gibt, die sich nicht in eine Ordnung zwängen und kategorisieren lassen, und Fearnall spürt dass er auf jemanden getroffen ist, der ihm bei der Suche nach Lebenssinn weiterhelfen kann.


    Ihre erste Begegnung steht unter einem schlechten Stern, und auch die weitere Beziehung besteht nicht aus Harmonie, sondern aus Werbung und Gegenwehr. Fearnall versucht in den exaltiertesten Maskeraden, dem Professor näher zu kommen, dieser versucht dagegen um jeden Preis den Abstand und seine Freiheit zu wahren - bis sie sich bei einem Duell endlich näher, aber noch lange nicht zur Ruhe kommen.


    Ein großartiges Buch. Mein Mann hat es mir schon vor einiger Zeit mit den Worten “Vielleicht ist das was für Dich, mir hat’s nicht gefallen” in die Hand gedrückt, und seitdem hat es unbeachtet auf meinem SUB geschlummert. Auch ich hatte nach dem Klappentext zunächst etwas Anderes erwartet, etwas mehr Wissenschaftsgeschichte, weniger Romanze und Gefühlschaos. Aber auch so ist es ein tolles Leseerlebnis. Schon der Prolog macht Lust auf mehr; die Charaktere und Emotionen, die zwischen ihnen entstehen, werden in einer distanzierten, aber aber so genauen und detaillierten Sprache geschildert, dass selbst die irrwitzigsten Aktionen plausibel erscheinen. Dabei nimmt Wunnicke kein Blatt vor den Mund, sondern beschreibt z.B. Chrysanders ersten Bordellbesuch oder den Aufstand vor der Royal Society ohne Rücksicht auf Empfindlichkeiten und mit einem bemerkenswerten Sinn für das Skurrile.


    Dies ist es auch, was den besonderen Reiz dieses Romans ausmacht: Die Skurrilitäten im Alltag der Society-Mitglieder, die immer auf der Suche nach Ungewöhnlichem und nach den Erklärungen dafür sind. Dabei fragt man sich als Leser häufig, was eigentlich seltsamer ist: Die eingelegten oder präparierten Kuriositäten des Kabinetts, oder die Charaktere mit all ihren Merkwürdigkeiten? Figuren wie Kauppi, der fast stumme lappische Diener Chrysanders, der mit Geistern redet und scheinbar selbst die Naturgesetze zu überwinden in der Lage ist, Hooke, der verwachsene Leiter der Society, oder Josiah Blane, Stenograph der Society, der die Mitglieder lieber als Karikaturen verewigt, anstatt Protokolle zu fertigen - sie alle sind Nebenfiguren, die meisterhaft zum Leben erweckt werden. Dass viele von ihnen historische Persönlichkeiten sind, macht die Lektüre nur noch reizvoller.


    Komik und Tragik liegen in diesem Roman eng beieinander. Die Tragik, die hinter dieser unmöglichen Liebe aufscheint, ist nur die Überhöhung der Trauer Chrysanders, als er feststellen muss, dass eben nicht alles in dieser Welt in eine feste Ordnung zu pressen ist. Die Komik tritt hingegen in vielen kleinen Episoden zutage, mit denen der lebenslustige Fearnall seinen Weg sucht. Dennoch ist das übergreifende Thema das Scheitern: In der Liebe und in der Wissenschaft.


    Links:
    - Rezension beim Bayrischen Rundfunk
    - Rezension in der FAZ
    - Homepage von Christine Wunnicke


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    EDIT
    Huhu, ich habe den Betreff angepasst. LG Seychella

    Viele Grüße aus dem Zwielicht<br />[size=9px]Rihla.info | blooks - Rezensionen und mehr<br />[b][url=http://www.librarythi

    Einmal editiert, zuletzt von Seychella ()