Thomas Pynchon - Gegen den Tag

Es gibt 84 Antworten in diesem Thema, welches 20.018 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Klassikfreund.



  • Nein, aufwühlend ist für mich das nicht. Aber ich muss wenigstens lachen, denn die Vorstellung, dass in einem Souvenirladen neben Postkarten auch Frühstücksfleisch mit Fingern von denen, die das eingedost haben, verkauft werden, hat schon eine gewisse komische Note.
    Ich weiß nicht ob er aufwühlen will, ich werde jedenfalls oft atemlos aufgrund dieser Stakkatosätze, die kaum Atem lassen.
    Aber solche Stellen sind wirklich Highlights, an denen ich ein bißchen Einblick bekomme wie Pynchon tickt.
    Judith :winken:

  • Ich lese natürlich alle euren tollen Beiträge und schlage nach an wen ihr euch da und da erinnert und sehe auch euren großen Vorsprung in vielen Punkten, sicher auch in der Mathematik.
    Ich habe jetzt mal eine Frage: liegt es bei mir an mangelndem Vorwissen, dass ich das Gefühl habe völlig die Orientierung zu verlieren. Ist es eine bestimmte Art von Vorwissen, die mir fehlt?
    Und eine Frage, die mir jetzt bitte die Frauen unter uns nicht böse nehmen: ich lese plötzlich bloß Männer in der Runde, habt ihr, die Männer, da doch noch einen besonderen Zugang?


    Judith :winken:


  • Ich habe jetzt mal eine Frage: liegt es bei mir an mangelndem Vorwissen, dass ich das Gefühl habe völlig die Orientierung zu verlieren. Ist es eine bestimmte Art von Vorwissen, die mir fehlt?


    Meines Erachtens nicht. Auch ich verliere zeitweise die Orientierung, aber dann gibt es ja wieder Stellen, die etwas verständlicher sind. Ich glaube nicht, dass Wissen so wichtig ist.


    Was will denn Pynchon mit seinem Strahleneinfangen bloß aussagen? Das bleibt mir noch verschlossen.


    Gruß, Thomas


  • Ich habe jetzt mal eine Frage: liegt es bei mir an mangelndem Vorwissen, dass ich das Gefühl habe völlig die Orientierung zu verlieren. Ist es eine bestimmte Art von Vorwissen, die mir fehlt?
    Judith :winken:


    Hallo Judith,


    Vorwissen fehlt an bestimmten Stellen immer und allen. Die Desorientierung ist Bestandteil des erzählerischen Vorgehens, somit gewollt, und wir können uns dagegen nicht "schützen". :zwinker:




    Und eine Frage, die mir jetzt bitte die Frauen unter uns nicht böse nehmen: ich lese plötzlich bloß Männer in der Runde, habt ihr, die Männer, da doch noch einen besonderen Zugang?


    Ich möchte dir eine Ersatz-Formulierung vorschlagen:


    Männer haben keinen besonderen Zugang. Frauen haben vermutlich an bestimmten Inhalten nur ein geringeres Interesse als Männer und umgekehrt. Auch wenn Frau von der Leyen das nicht gerne hört.


    Liebe Grüße,
    mohan

  • Hallo, :winken:


    schlechten Gewissens raffe ich mich jetzt auch dazu auf, endlich mal etwas zu schreiben. Den ersten Teil habe ich mittlerweile durch. Zu eurer Qualitätsdiskussion kann ich nichts sagen, nur so viel: mir gefällt's.
    Erst einmal war ich erleichtert darüber, dass ich weniger Schwierigkeiten mit dem Englisch habe als befürchtet. Zwar liest es sich nur langsam, aber das liegt vor allem daran, dass seeehr viel Text pro Seite steht.
    Nägelkauende Spannung gibt es zwar nicht und zwischenmenschliche Dramen ebensowenig, aber ich möchte trotzdem wissen, wie es weiter geht, wo die Geschichte schließlich landen wird.


    Die "Chums of Chance" haben auch mich an Jules Verne erinnert, allerdings glaube ich, dass sie ein noch größeres Vorbild in alten "Jungenbüchern" haben (Endlosserien à la "Die drei ???", nur älter), oder aber Groschenromanen für das (männliche) erwachsene Publikum. Jules Verne hat ja - so weit ich weiß - keine Serien mit denselben Helden geschrieben, während ja mehrfach auf frühere Abenteuer der Chums verwiesen wird.
    An Verne erinnert mich allerdings unter anderem ihr Reisegefährt (bei Verne war doch irgendwer im Ballon unterwegs) oder auch die Durchquerung der Erde (Reise zum Mittelpunkt der Erde).


    Nicht von Verne inspiriert sind die anderen Erzählstränge, die mich in ihrer Kritik an den Zuständen eines unbehinderten Kapitalismus an einiges von Jack London und John Steinbeck erinnert.
    Ich finde die Beschreibungen wie z. B. die von Klassikfreund zitierte Schlachthofszene schon erschütternd. Gerade solche Stellen sind mir bisher die wichtigsten im Buch. Andere, gerade die irrealen, nehme ich erst mal so hin, in der Erwartung, dass auch sie irgendwann Sinn bekommen. Überrascht hat mich dabei, dass eine der von mir als irreal eingestuften Szenen das doch nicht ist. Ich denke da an die Ätherexperiment von Michelson/Morley. Hatte ich noch nie was von gehört.


    Desorientiert fühle ich mich auch, aber das nimmt mir nicht das Interesse am Buch.

    Wir sind irre, also lesen wir!

  • Nein, aufwühlend ist für mich das nicht. Aber ich muss wenigstens lachen, denn die Vorstellung, dass in einem Souvenirladen neben Postkarten auch Frühstücksfleisch mit Fingern von denen, die das eingedost haben, verkauft werden, hat schon eine gewisse komische Note.
    Ich weiß nicht ob er aufwühlen will, ich werde jedenfalls oft atemlos aufgrund dieser Stakkatosätze, die kaum Atem lassen.
    Aber solche Stellen sind wirklich Highlights, an denen ich ein bißchen Einblick bekomme wie Pynchon tickt.
    Judith :winken:


    Ich denke, wir beiden haben ein ziemlich ähnliches Lesegefühl. Ich finde das auch eher komisch, zumal in den Zusammenhängen in denen es steht. Vielleicht war das auch die Absicht von Pynchon. Er zeigt auf, wie verrückt diese Welt ist. Das gelingt ihm doch bisher ganz bravorös.


    Seine Sätze finde ich aber lesbar, da bin ich längeres gewohnt.


    Gruß, Thomas

  • Ich verabschiede mich in den Weihnachtsurlaub, werde aber sicherlich zwischendurch (hoffentlich) immer wieder mal posten können.


    Saltanah: Wie deutest du denn diese merkwürdigen Strahlen-Kartografie am Ende des 1. Teils?


    Gruß, Thomas

  • das Strahleneinfangen deute ich als die ganz harte Gegensätzlichkeit zur dunklen Seite der Erde. Ist das dann nicht auch ganz gut passend zu "Gegen den Tag": die tiefe Dunkelheit, aber dem gegenüber das Strahleneinfangen "für den Tag" ?


    Judith :winken:

  • Au weh, Thomas, du fehlst uns hier. Ich schlage mich gerade mit dem "Anamorphuskop" herum und stelle mir vor wie ich einen verzerrten Spiegel halten muss, damit die Welt normal erscheint. Und ich lese von Parallelwelten auf deren Welle ich nicht mitreite. Habe oft mit Harald Lesch zu tun und lasse mich nicht z Paralllwelten verführen.


    Allerdings gefällt mir was Pynchon über die Machtfrage schreibt, im Grunde benutzt jeder jeden. Und da gebe ich ihm Recht.


    Amüsiert habe ich mich allerdings auch an vielen Stellen. Z.B. seiner Beschreibung von Friaul: " es ist wie Österreich, bloß mit Gestikulationen".


    Persönlich interessieren mich auch immer die Auseinanderstzungen mit Gott. Gott hat nicht das Licht gemacht, sondern gesagt: es werde Licht. D.H. er hat das Licht, das bereits vorhanden hereingelassen.


    Und schon ist er wieder bei den Spiegeln.


    Und ich auf Seite 536 :smile:

  • Meines Erachtens nicht. Auch ich verliere zeitweise die Orientierung, aber dann gibt es ja wieder Stellen, die etwas verständlicher sind. Ich glaube nicht, dass Wissen so wichtig ist.


    Was will denn Pynchon mit seinem Strahleneinfangen bloß aussagen? Das bleibt mir noch verschlossen.


    Gruß, Thomas


    Hallo,


    ich glaube die Antwort, ok - die Andeutung einer Antwort findet sich auf Seite 183 :


    Zitat

    Täglich wurden nun Scharmützel ausgefochten, und zwar nicht mehr um Land oder Waren, sondern um elektromagnetische Informationen, in einem internationalen Wettlauf, bei dem es darum ging, mit höchster Genauigkeit die Feld-Koeffizienten an jedem Punkt jenes geheimnisvollen mathematischen Gitterwerks zu messen und zu kartographieren, das, wie man damals wusste, die Erde umspannte.


    Als ich das zum ersten las, hat sich das irgendwie angehört, als ob Pynchon seiner Phantansie freien Lauf gelassen hat. Oder kennt sich jemand, wie sagt man "Mathematik-Historie" aus ?


    Ich glaube ja, das ist in dieser Version ausgedacht.


    Gruß
    Tirant

  • Hallo,


    ich kann dem ganzen noch folgen. Man konnte ja in Rezensionen von vermeintlich ca. 100 Personen, die teilweise nur kurz auftauchen , und dann niemehr erwähnt werden, lesen.


    Mein Lesefortschritt hat es bis auf Seite 410 geschafft.


    Zentrale Figuren sind bisher für mich erkennbar :


    - Die Traverse´s
    - Lew Baskin
    - Freunde der Fährnis



    Das geht doch, oder ?


    Ich vertrete die Meinung, daß Lew irgendwie als das Gewissen auftritt. Er ist ja auf der Suche nach seiner Seele, oder irgendwie dem Sinn seines Lebens.
    Wie sehen das die anderen ?


    Gruß
    Tirant

  • Hallo Tirant,


    Lew ist interessant, ich muss noch darüber nachdenken ob ich ihn als das Gewissen sehe. Aber auf jeden Fall spricht dafür, dass er eine ihm selbst nicht bekannten Sünde mit sich trägt. Es stimmt schon, Tirant, von ihm geht ja irgendwie die Sünde aus, derer er sich bewusst ist, aber ihren Inhalt nicht kennt, aber auch die anderen kennen die Tat nicht, aber sind gleichzeitig bestürzt von der Tat.
    Und die Aufgabe, die er bekommt, die ist ihm unklar und jedem unklar, d.h. : er sucht. Er sucht zu erkenne, was gut und böse ist. Und das ist ja letztlich die Gewissensinstanz. Ich kann dir da schon folgen.


    Ich bin auch wieder einige Seiten weiter und habe mich jetzt an den Stil gewöhnt. Was zu Anfang wie wahnsinnig erscheint, zeigt sich dann als durchgehender Stil, eigentlich das einzig Verlässliche in dem Buch.
    Man könnte so viele der Fragen und Thesen und Aussagen und Gedanken einzeln aufführen und diskutieren.


    Kann dann Lew das Gewissen von Pynchon sein? Pynchon muss doch voller Gewissensqualen sein, so wie er letztlich den Untergang des Tages beschreibt und überall die Sinnlosigkeit aufzeigt.

  • Ich schreibe mal unerschrocken weiter und möchte zugeben inzwischen eines Besseren belehrt zu sein: ich habe angezweifelt, dass ich erst am Ende des Buches wirklich das Recht habe ein Urteil zu fällen, aber ich bin inzwischen sehr froh über die Leserunde, die zwar spärlich schreibt, die mich aber zwingt alles ganz genau zu analysieren.


    Ich bin nun schon bei Buchhälfte und habe mich abgefunden mit dem "ganz Anderem", was ich in diesem Roman vorfinde. Habe ich zunächst dem Autor vorgehalten, dass er mich als Leserin gar nicht will, bin ich immer überzeugter, dass er mich als die Leserin von z.B. "Wuthering Heights" tatsächlich nicht will.


    Pynchon hat wohl die Naturwissenschaften und die Geisteswissenschaften so analysiert, dass er durch den Überblick, den er selber hat, sich einen Leser vorstellt, der bereit ist Astronautennahrung zu schlucken ohne diese im Wasser aufzulösen und sich an sinnenreichen Düften und Geschmäckern zu laben.
    Fast so wie bei uns Protestanten:Kirche, womöglich noch ohne Kerze gegen katholische Kirche mit sinnlichen Messdienern und Weihrauch.


    Man möge mir hinkende Vergleiche verzeihen. :smile:


    Ich habe mich nun auf diese Astronautenkost eingelassen, schüttle nicht mehr den Kopf, wenn hochwissenschaftliche bezüge abgelöst werden von Liedern, die dämlich sind.
    Ich lache inzwischen viel weniger beim Lesen, denn letztendlich spüre ich immer deutlicher die Verzweiflung des Autors an unserer Welt. Ich löse sozusagen mit meinen Sinnen sein Trockenfleisch auf, denn ich bin nicht der Typ, das alles bloß rational hinzunehmen. Hinter Pynchon steckt ja sicher nicht nur ein zynisch grotesker superintelligenter Mensch, sondern eben auch ein Mensch mit Gefühlen. Und diese Gefühle sehe ich zunehmend oder interpretiere sie hinein um mich zu retten !?


    Ich lache nicht mehr, wenn der Hund Henry James liest und längst ist mir bewusst, dass diese Schlachthöf die Kriegsschlachtfelder sind, wo ganz klar auch Finger mit eingedost werden.


    Wie seht ihr den Tatzelwurm???? Ich unterlasse mal eine eigene Interpretation.


    Doch, Pynchon ist schon irgendwie genial und ich kann verstehen warum er seine Fangemeinde hat. Das kann ich zunehmend verstehen.


    Warum ich es mir angetan habe die Vorweihnachtszeit mit dem Buch zu verbringen, das mag ich mal so im Raum stehen lassen. Erst habe ich mich darüber geärgert, jetzt nicht mehr, denn z.B. war gerade unser Adventsfrühstück geprägt von Fragen, die er aufwirft und die für mich dann auch einen Weihnachtsbezug haben.


    Judith :winken:


    @ Klassikfreund Ich vermisse dich :winken:

  • So kann es gehen! Da ist man mal spät dran (es tut mir leid :redface:, aber zuerst sind alle meine Kollegen gerade zur Weihnachtszeit krank und dann lande ich auch noch im Krankenhaus :rollen:) und die Leserunde eilt voran, während man selbst einfach keinen Einstieg findet. Nach wenigen Seiten habe ich das Buch erstmal erschöpft aus der Hand gelegt. Mir kommt das Englisch zwar nicht arg schwer vor, aber dennoch scheint die Geschichte an mir vorbeizuziehen. Ein paar Menschen in einem Flugapparat, ein Hund der liest, häh? Ich bin vollkommen verwirrt. Ich gebe noch nicht auf, aber bevor sich die Falten in meiner Stirn anfangen einzugraben... Naja, noch ist es nicht so weit und ich gebe dem Buch noch eine (viele) Chancen. Zumindest 100 Seiten möchte ich schon lesen, bevor ich aufgebe! :zwinker:
    Eure Diskussionen faszinieren mich, aber wirklich viel anfangen kann ich damit noch nicht! :sauer:

    Auch ungelebtes Leben<br />geht zu Ende<br />- Erich Fried

  • Hallo,


    ihr eilt ja ziemlich voran. Ich bin erst auf Seite 256, mehr als 50 Seiten je Tag sind nicht drin und manchen Tag geht es halt gar nicht. Daher inhaltlich heute kein neuer Kommentar. Mal schauen, ob ich über Weihnachten überhaupt zum Lesen komme.


    Daher ermuntere ich noch mal alle, die nur langsam voranschreiten, hier mal ein paar Detailfragen aufzuwerfen. Wenn das so allgemein bleibt, dann wird das ziemlich fruchtlos.


    Gruß, Thomas


  • Diese Stelle habe ich schon wahr genommen und nicht überlesen, enthält für mich aber keine Antwort. Wenn ich es jetzt noch mal lese: Nach Land (Erorberer) und Waren (Jetzt-Zeit) kommt als nächstes der Kampf um elektromagnetische Information. Das ganze als Symbol, dass der Mensch nie aufhören kann, Eroberer zu sein.


    Das gefällt mir, würde passen. Was meint ihr?


    Schöne Grüße,
    Thomas


  • So kann es gehen! Da ist man mal spät dran (es tut mir leid :redface:, aber zuerst sind alle meine Kollegen gerade zur Weihnachtszeit krank und dann lande ich auch noch im Krankenhaus :rollen:) und die Leserunde eilt voran, während man selbst einfach keinen Einstieg findet. Nach wenigen Seiten habe ich das Buch erstmal erschöpft aus der Hand gelegt. Mir kommt das Englisch zwar nicht arg schwer vor, aber dennoch scheint die Geschichte an mir vorbeizuziehen. Ein paar Menschen in einem Flugapparat, ein Hund der liest, häh? Ich bin vollkommen verwirrt. Ich gebe noch nicht auf, aber bevor sich die Falten in meiner Stirn anfangen einzugraben... Naja, noch ist es nicht so weit und ich gebe dem Buch noch eine (viele) Chancen. Zumindest 100 Seiten möchte ich schon lesen, bevor ich aufgebe! :zwinker:
    Eure Diskussionen faszinieren mich, aber wirklich viel anfangen kann ich damit noch nicht! :sauer:


    Ich wünsch dir aber mal beste Genesungswünsche. :winken:
    Erschöpfe dich jetzt nicht mit dem Pynchon. Lies besser ein gemütliches Buch zur wichtigen Gesundung, :smile:
    liebe Grüße,
    Judith :winken: