Paul Auster - Die Brooklyn Revue

Es gibt 3 Antworten in diesem Thema, welches 2.273 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von tom leo.

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    Meine Meinung:
    Nathan Glass ist Ende 50, frühpensionierter Versicherungsvertreter, hat gerade eine Krebstherapie hinter sich und seine Ehe wurde vor Kurzem geschieden. Er zieht nach Brooklyn, dorthin, wo er geboren wurde und ist überzeugt davon, dass er dort bald sterben wird. Er hat keine Erwartungen mehr an das Leben und gibt sich einem einförmigen Alltag hin, der aus dem Aufschreiben "Menschlicher Torheiten" und Mittagessen im Restaurant besteht. Doch das Leben hat anderes mit ihm vor: überraschend trifft Nathan seinen Neffen Tom wieder, zu dem er schon lange keinen Kontakt mehr hatte. Er lernt dessen Arbeitgeber Harry kennen und die drei schmieden schon bald mehr oder weniger verrückte Zukunftspläne. Schließlich taucht auch noch Lucy, die kleine Tochter von Toms Schwester Aurora, auf. Aurora ist seit ihrer Hochzeit verschwunden, weder Tom noch Nathan wissen, wo sie steckt. Auch Lucy sagt keinen Ton darüber, macht aber deutlich, dass sie bei Tom und Nathan bleiben möchte. Und so wird nichts aus dem langweiligen Lebensabend, den Nathan geplant hat, statt dessen stehen ihm einige Turbulenzen bevor.


    Dieser Roman unterscheidet sich meiner Meinung nach leicht von den anderen Werken von Paul Auster, die ich kenne, nicht zu Unrecht bezeichnen manche Kritiker den Inhalt als Seifenoper. Und es stimmt: rein oberflächlich betrachtet könnte die Handlung auch Inhalt einer Daily Soap sein. Allerdings entwirft Auster so skurille Charaktere und beschreibt die Handlung in gewohnt schöner Sprache, dass für mich das Lesen ein reines Vergnügen war. Die Entwicklung von Nathan vom leicht egozentrischen Neurotiker hin zum warmherzigen Familienmenschen entwickelt sich schrittweise und glaubwürdig, der Erzählstil macht Lust auf mehr.


    Hingegen finde ich den Klappentext des Verlags weniger gelungen, er beschreibt überwiegend Ereignisse, die sich erst gegen Ende des Romans zutragen, außerdem wird der 11. September 2001, an dem das Buch endet, völlig unnötig besonders erwähnt, denn es handelt sich keineswegs um einen Roman, der sich mit den Ereignissen dieses Tages auseinandersetzt.


    Fazit: Mir hat das Buch viel Freude beim Lesen bereitet, ich würde es ohne Einschränkung weiterempfehlen und habe jetzt schon Lust auf den nächsten Auster.


    5ratten


    Viele Grüße
    eowyn

  • Nun, ich habe dieses Buch über das Jahresende gelesen und war sehr positiv beeindruckt!
    Vielleicht für einige nur ein "weiterer Auster", doch ich sehe schon einen leicht anderen Ton im Buch als z.B. in der New York Trilogie oder der Nacht des Orakels, die ich gelesen hatte. Hier erscheint mir die von Euch erwähnte Schrulligkeit gleichzeitig viel realistischer, in gewisser Hinsicht ernster: ja, dieses Amerika existiert so. Und Bekannte von mir, die in den Staaten waren, fanden etwas wieder von dem, was die USA ausmacht in den schier unglaublichen Charaktären und unbegrenzten Möglichkeiten.


    Was mich beeindruckt ist, dass das Buch am Anfang ein mögliches Ende bezeichnet: Nathan Glass, der sich zum Sterben quasi zurückzieht und nichts groß mehr zu erwarten scheint. Dann aber kippt das Buch und die Dinge kommen in Gang: als ob das Leben nicht einfach am erwähnten Zeitpunkt zuende ist, sondern immer noch was auf Lager hat.


    Wie gesagt, finde ich selber den Ton hinter der Schrulligkeit viel "realistischer" als in anderen Austerbüchern. Ich denke schon, dass sich Auster hier nicht nur amüsiert, sondern weitestgehend schon über das "Alter" und die wahre Freude eines Lebens nachdenkt.


    Vielleicht ist die Erwähnung des 11.Septembers am Ende des Buches doch nicht sooo daneben gegriffen, zumindest muss man dem Autor zugestehen, dass er doch irgendwas damit andeuten wollte. Die Handlung des Romans spielt VOR den Attentaten und zeichnet eine Welt nach, in ihrer Brooklyntypischen Offenheit, die eventuell durch die Hysterie nach den Attentaten in Bedrohung geraten ist. Viellciht singt hier Auster eine Hymne auf ein offenes Amerika? Bzw. dass man sich NICHT zurückziehen soll (siehe Geschichte der Nichte!) hinter Angstgeäuden und rigiden Glaubensauffassungen?

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka

  • Hallo tom leo,


    es ist zwar schon lange her, dass Du geschrieben hast, aber ich war einfach lange nicht hier und vielleicht liest Du meinen Kommentar jetzt auch noch :)



    Vielleicht ist die Erwähnung des 11.Septembers am Ende des Buches doch nicht sooo daneben gegriffen, zumindest muss man dem Autor zugestehen, dass er doch irgendwas damit andeuten wollte. Die Handlung des Romans spielt VOR den Attentaten und zeichnet eine Welt nach, in ihrer Brooklyntypischen Offenheit, die eventuell durch die Hysterie nach den Attentaten in Bedrohung geraten ist. Viellciht singt hier Auster eine Hymne auf ein offenes Amerika? Bzw. dass man sich NICHT zurückziehen soll (siehe Geschichte der Nichte!) hinter Angstgeäuden und rigiden Glaubensauffassungen?


    Mich hat ehrlich gesagt nicht besonders gestört, dass der Autor am Ende den 11. September erwähnt, im Gegenteil, da kann ich Deiner Interpretation durchaus zustimmen. Mein Kommentar bezog sich vielmehr auf den Klappentext meiner Ausgabe (auch wenn das wohl nicht ganz deutlich wird), wo der 11. September das zentrale Element ist und den Eindruck erweckt wird, die Geschehnisse spielen eine zentrale Rolle in der Handlung. Das erweckt meiner Meinung nach eine komplett falsche Erwartungshaltung beim Leser.


    Deine sonstigen Eindrücke kann ich übrigens ebenfalls nur unterschreiben, auch wenn der Vergleich mit anderen Auster-Büchern bei mir etwas kurz kommt, denn ich habe bislang bei weitem nicht alles von ihm gelesen.


    Viele Grüße
    eowyn

  • Hallo Eowyn,


    nun habe ich ebenfalls lange nicht mehr hier reingeschaut und entdecke Deinen Kommentar! Pardon!


    Ja, Du sprichst wohl berechtigt das leidliche Thema der Klappentexte an. Eine zu große Betonung der Attentate würde nicht zum Lesen des Buchanfangs passen. Doch vielleicht gibt das Ende der brooklynschen Freiheit einen anderen Rahmen. Man konnte sich ja gerade in den ersten Monaten (Jahren?) nach den Attentaten fragen, ob man nicht dabei war, eine ganze Welt von "Skurrilitäten" abzuschaffen, aus lauter Sicherheitswahn und Einheitsbreisuche...

    Gruß, tom leo<br /><br />Lese gerade: <br />Léonid Andreïev - Le gouffre<br />Franz Kafka - Brief an den Vater<br />Ludmila Ulitzkaja - Sonjetschka