Jonathan Coe - Erste Riten/The Rotters' Club

Es gibt 8 Antworten in diesem Thema, welches 3.963 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von Valentine.

  • Originaltitel: The Rotter's Club (2001)


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    Inhalt:
    Der Roman startet 2003 im Restaurant des Berliner Fernsehturms, wo sich zwei junge Menschen unterhalten. Sophie und Patrick haben sich an diesem Tag des erste Mal in ihrem Leben getroffen und warten darauf, dass ihre Eltern zurückkehren. Sophie besucht Berlin mit ihrer Mutter und Patrick mit seinem Vater, welche gemeinsam zur Schule gegangen sind.


    Im Gespräch kommen sie auf die Vergangenheit ihrer Eltern zu sprechen und Sophie erzählt Patrick einen Teil ihrer Familiengeschichte und somit auch Teile aus der Vergangenheit seines Vaters: Birmingham in den 1970ern.


    Sophies Geschichte konzentriert sich auf die Mittelstandsfamilie Trotter: die Eltern Sheila und Colin und die Kinder Benjamin, Lois & Paul sowie deren Umgebung mit den Familien Anderton (Bill, Irene & Doug) und Chase (Sam, Barbara & Phil) und ihren Freunden Sean Harding, Claire Newman, Emily, Cicely, Malcolm und und und.... Während der Erzählung spricht sie über Pubertät, die Gewerkschaftsbewegung, Klassenunterschiede, Rassismus und die IRA.


    Meine Meinung:
    Aus dieser Mischung entsteht ein breites Spekrum an Themen und Beziehungen, die zu weit gefasst sind, um sie hier einzeln vorzustellen. Im Mittelpunkt steht jedoch Benjamin Trotter - ein introvertierter Junge, der sonst im Leben immer eine Spur neben der Handlung herhinkt und mit dieser Erzählung eine Bedeutung erfährt, die er normalerweise nur ersehnt. Als Leser hängt man seine Sympathien an ihn - spätestens nach seiner Gotteserfahrung beim Schulschwimmen. Eine meiner absoluten Lieblingsszenen im Buch - sehr süß, naiv und wichtig für Benjamins weitere Entwicklung. Die Pubertät ist eine harte Zeit aber auch voller Wunder und als solche wird sie im Leben der Trotters auch geschildert. Jeder hat sein Päckchen zu tragen und manche sind fast zu hart zu ertragen.


    Der Roman überzeugte mich auch durch unterschiedliche Schriftarten, Schreibstile und Erzählperspektiven. Zwischendurch ist es manchmal verwirrend, wenn eine Figur über ein aktuelleres Datum berichtet hat und danach jemand anderes in der Zeit zurückspringt. Aber insgesamt empfinde ich solche Stilmittel als auflockernd.


    Als ich mit dem Lesen des Buches begann, hatte ich befürchtet, dass es Tony Parsons "Als wir unsterblich waren" zu ähnlich ist als das ich es genießen könnte, doch zum Glück hat sich diese Angst nicht bestätigt. Es gibt zwar Parallelen aber nur in kurzen Ausschnitten. "Erste Riten" ist wesentlich breiter angelegt.


    Bis zum Schluss war ich gespannt, wessen Kinder Sophie und Patrick sind und musste mich mehrmals zusammenreißen, um nicht vorzublättern. Während des Romans gibt es mehrere Hinweise auf mögliche Verbindungen der Figuren untereinander und die Spekulation hat das Lesen für mich bereichert.


    Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen - Jonathan Coe versetzt den Leser zurück in die 70er und trägt ihn durch das Jahrzehnt. Eine Ära, die zwar vor meiner Zeit liegt, aber von der ich eine bestimmte Vorstellung habe, die Coe perfekt eingefangen hat.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Der Romane hat wirklich seine Momente und ich freue mich schon darauf, die Fortsetzung mein Eigen zu nennen, um das Leben der Trotters, Chases und Andertons in den 90er Jahren mitzuerleben: "Klassentreffen" ("The Closed Circle").


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    Ich werde kein&nbsp;Geld hinterlassen. Ich werde keinen Aufwand und Luxus hinterlassen. Aber ich möchte ein engagiertes Leben hinterlassen.<br />(Martin Luther King)

  • Ich habe das Buch eigentlich nur lesen wollen, weil es auf meiner Bollinger-Wodehouse–Preis-Liste steht, der Inhalt hat mich nicht sonderlich angesprochen und so habe ich es auch zunächst x-mal in die Hand genommen und wieder weggelegt, bis ich es endlich zu lesen begonnen habe. Als Rückblick von zwei mittlerweile gerade erwachsenen Kindern der damaligen jugendlichen Hauptfiguren konzipiert handelt das Buch von einer Gruppe Schulkameraden, ihren Freunden, Geschwistern und Eltern in den 1970er Jahren. Ausgeschmückt wird das Ganze durch Artikel aus der Schülerzeitung. Das waren mir aber leider zu viele Personen, ich habe manchmal den Überblick verloren, wer mit wem in welcher Beziehung stand, zumal es zwar zentrale Figuren, aber keine wirkliche Hauptperson gab, aus deren Blickwinkel man das ganze Geschehen verfolgt hätte. Ausnahmsweise fehlte mir das aber noch nicht einmal, obwohl ich sonst schon meist einen zentralen Sympathieträger benötige


    Stattdessen zeichnete Coe ein lebendiges Portrait Englands in den 1970ern mit Klassen- und Rassenproblemen, Gewerkschaftsaktionen, Gewalt, jeder Menge Musik und noch mehr Beziehungsgeschichten. Ich habe die Begeisterung für neue Bands (die man selbst als berühmt kennt) genossen und habe die Figuren mit ihren unerträglichen Frisuren und komisch geschnittenen Kleidungsstücken stets vor meinem inneren Auge gesehen und so hat mich das Buch letztendlich zwar nicht begeistern können – dazu hätte ich vielleicht die entscheidenden Handlungsjahre vermutlich schon bewusst erlebt haben müssen – aber gut unterhalten fühlte ich mich trotzdem.


    3ratten + :marypipeshalbeprivatmaus:


    Im Gegensatz zu marilu reizt mich die Fortsetzung allerdings nicht.

    Einmal editiert, zuletzt von illy ()

  • Ich habe das Buch als Blindkauf spontan mitgenommen, weil es interessant geklungen hat und hätte es dann aber doch bald darauf fast wieder aufgegeben, weil es sehr schwer zu lesen war, nicht zuletzt weil meine Ausgabe winzig gedruckt ist. Aber beim zweiten Anlauf hat es dann doch geklappt, spätestens als sich Benjamin dann doch so nach und nach als zentrale Figur herauskristallisiert hat, ihn hat Coe wunderbar charakterisiert, dieser extrem introvertierte, verträumte, künstlerische Junge, den man einfach gern haben muss.


    Ich fand es stellenweise auch extrem witzig, bei einer Szene, ausgerechnet im Bus lesend, musste ich laut lachen, Benjamins verkaterter Antrittsbesuch beim Direktor. Ich sage nur, Hand!


    Ansonsten war es mir auch ein bisschen zu viel an Personal, vor allem, da manche Handlungsstränge scheinbar im Nichts verlaufen. Mir hätten Benjamin und seine Familie und Freunde gereicht. Aber gut, das ist vielleicht in den Fortsetzungen wichtig, wobei ich die zwar höchst motiviert gekauft habe, aber noch nicht weiß, ob und wann ich sie lesen will.


    Die unterschiedlichen Stilmittel, Artikel, Briefe, ... haben mir auch gut gefallen, bis auf diesen Wortschwall Benjamins am Ende, das fand ich, muss ich gestehen, praktisch unlesbar. Aber, hat den Gesamteindruck nicht gestört, ich bin froh, dass es doch noch geklappt hat mit uns.


    4ratten

  • Ich bin ja am falschen Ende der Trilogie eingestiegen, mit "Middle England" - aber das fand ich auch nach minimalen Startschwierigkeiten ganz wundervoll als Porträt der Brexit-Gesellschaft und des Protagonisten. Also, trau Dich an den Rest!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich bin ja am falschen Ende der Trilogie eingestiegen, mit "Middle England" - aber das fand ich auch nach minimalen Startschwierigkeiten ganz wundervoll als Porträt der Brexit-Gesellschaft und des Protagonisten. Also, trau Dich an den Rest!

    Und hast Du die Trilogie dann rückwärts gelesen? Hey, soll vorkommen, habe ich auch mal gemacht. :D

    Ich habe es auf jeden Fall im Hinterkopf, danke für die Zusprache! Jetzt habe ich mir mal die Miniserie zu dem Buch hier bestellt, darauf bin ich auch sehr gespannt.

  • Bisher ist es noch bei "Middle England" geblieben, aber die anderen beiden stehen zumindest auf dem Merkzettel. Und wer weiß, was das Christkind bringt ...


    Miniserie gibt's auch? Das hatte ich gar nicht auf dem Schirm!

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Bisher ist es noch bei "Middle England" geblieben, aber die anderen beiden stehen zumindest auf dem Merkzettel. Und wer weiß, was das Christkind bringt ...


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    Englisch mit niederländischen Untertiteln, da kann man nur hoffen, dass die Dialekte nicht so schlimm sind, das hatte ich schon mal, das kann abenteuerlich werden. :D

    Da geht es aber nur um das erste Buch. Ich werde aber gern, wenn ich es kriege und gesehen habe, eine Literaturverfilmung-Rezi erstellen. Sowas ist ja immer nett, wenn man das Buch noch einigermaßen frisch im Gedächtnis hat.

  • Ben(jamin) Trotter, in der Schule auch mit dem schönen Spitznamen Bent Rotter geschlagen, wächst in den 70er Jahren in Birmingham auf. Keine besonders angenehme Zeit in Großbritannien. In und um Birmingham tobt an den Standorten von British Leyland heftiger Protest gegen Rationalisierung und Abbau von Arbeitsplätzen. Bens Vater arbeitet dort im Management, während der Vater seines Schulfreunds zu den führenden Arbeitskämpfern gehört.


    Doch nicht nur da sind Konflikte vorprogrammiert, auch der Schulalltag an der altehrwürdigen, aber schon ein bisschen angestaubten King-William-Schule hat jede Menge Potential für Hänseleien, körperliche Auseinandersetzungen oder auch bissige Sticheleien in der Schülerzeitung. Ben ist ein eher sensibler Junge mit großen künstlerischen Ambitionen, der von einer literarischen Karriere genauso träumt wie davon, Komponist zu werden, und seit er geradezu wundersam aus einer potentiell peinlichen Klemme gerettet wurde, glaubt er an Gott. Allzu sehr nach außen tragen darf er das allerdings nicht, Coolness ist das Gebot der Stunde und allzu viel Empfindsamkeit wird von den Mitschülern gnadenlos bestraft.


    Dabei ist Ben zwar die zentrale Figur, doch Jonathan Coe rückt zusätzlich die Elterngeneration in den Fokus und einige von Bens Mitschülern und Familienmitgliedern. So entsteht ein breites Spektrum an Charakteren und Handlungssträngen, das England in den Siebzigern aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet und gleichzeitig verschiedene persönliche Geschichten erzählt. Es geht um scheinbar Banales wie den Schul- und Familienalltag und die täglichen seelischen Qualen des Teenagerdaseins, um hochfliegende Jugendträume und bittere Enttäuschungen, die erste Liebe und das Gefühl, die Welt nicht zu kapieren - aber auch um außereheliche Affären, Terroranschläge, Streikwellen, Verluste, Familiengeheimnisse und Klassenunterschiede.


    Auch bei den Erzählperspektiven zeigt sich Coe vielfältig und arbeitet zusätzlich zur klassischen Erzählweise mit Schülerzeitungsartikeln, Tagebucheinträgen und im letzten Abschnitt mit einem atemlosen Gedankenstrom (den ich erst ziemlich anstrengend und dann ziemlich genial fand). Was ich an Coe sehr mag und was ihm auch hier sehr gut gelingt, ist seine Art, die Dinge zwar überspitzt darzustellen, die Satire aber nie zu sehr zu überdrehen, so dass die Handlung noch realistisch bleibt und die Figuren (größtenteils) echt statt karikaturhaft wirken.


    Die kleine Rahmenhandlung, die Anfang der 2000er spielt, hätte ich nicht unbedingt gebraucht, aber da ich mit "Middle England" bereits den Abschlussband der Trotter-Trilogie kenne, habe ich da eine hübsche Verknüpfung zwischen den beiden Büchern gefunden und freue mich nun noch darauf, den Mittelteil zu lesen.


    4ratten

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Ich fand es stellenweise auch extrem witzig, bei einer Szene, ausgerechnet im Bus lesend, musste ich laut lachen, Benjamins verkaterter Antrittsbesuch beim Direktor. Ich sage nur, Hand!

    Oh Gott, ja! :entsetzt: :lachen:


    Die Gotteserfahrung war aber auch klasse :elch:


    Das letzte Kapitel hätte ich zunächst beinahe abgebrochen, weil ich diesen Gedankenstrom ohne Punkt und Komma so anstrengend fand, aber irgendwann hatte ich mich da eingelesen und fand es dann sogar ziemlich gut.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Valentine

    Hat den Titel des Themas von „Jonathan Coe - Erste Riten“ zu „Jonathan Coe - Erste Riten/The Rotters' Club“ geändert.