Alfred Andersch –Sansibar oder der letzte Grund

Es gibt 6 Antworten in diesem Thema, welches 2.096 mal aufgerufen wurde. Der letzte Beitrag () ist von finsbury.

  • Kaufen* bei

    Amazon
    Bücher.de
    Buch24.de

    * Werbe/Affiliate-Links


    Inhalt: In einer Kleinstadt an der Ostsee treffen 1937 sechs Gestalten zusammen, die an sich keine Gemeinsamkeiten haben: Gregor, Funktionär der KPD, der sich als Instrukteur um die örtliche Parteigruppe kümmern soll, von seiner Parteiarbeit aber desillusioniert ist; Knudsen, der Fischer, letztes verbliebenes Mitglied der kommunistischen Partei und damit Ansprechpartner von Gregor, der – wenn auch aus anderen Gründen – genauso desillusioniert ist und zudem eine debile Frau hat, deretwegen er den Ort nicht verlassen kann und will; Helander, der Pfarrer, der Knudsen überreden will, eine Holzplastik, die von den Nazis wegen ihres Schöpfers als „entartete Kunst“ eingestuft wird (wohl ein Verweis auf Ernst Barlach), nach Schweden in Sicherheit zu bringen und der selbst unter einer alten Amputationswunde als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg leidet; Judith, die junge Jüdin aus wohlhabender Familie, die nach dem Selbstmord ihrer Mutter die Verpflichtung fühlt, sich wie von dieser gewünscht selbst in Sicherheit zu bringen; „der Junge“, der bei Knudsen auf dem Schiff arbeitet, dessen Vater, vielleicht im Suff, auf See blieb und der vom großen Abenteuer träumt; schließlich die zu rettende Holzplastik des „lesenden Klosterschülers“ selbst, die in den Augen der Menschen um sie herum ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Knudsen will das Risiko nicht eingehen, aber Gregor, der Deutschland selbst gerne verlassen würde, nimmt sich der Sache an und will in dem Zuge gleich auch noch Judith helfen, deren Versuch, auf einem zufällig eingelaufenen schwedischen Dampfer unterzukommen, schnell und kläglich gescheitert ist.



    Meine Meinung: Im steten Wechsel zwischen den Gedanken des „Jungen“, dessen Namen man nicht erfährt, und den Handlungen der übrigen Personen, allein oder in Gruppen, entfaltet Andersch hier eine kleine Geschichte über Verantwortung, Zivilcourage und Träume. Bemerkenswert ist hier das Zusammenwirken von Mitgliedern einzelner Gruppen, die sich ansonsten in gemeinsamer Aktion gegen den Nationalsozialismus eher nicht zusammengefunden haben: evangelische Kirche, Kommunisten, Juden, Arbeiter. Dabei entspringt diese Zusammenarbeit sehr unterschiedlichen Empfindungen und Wahrnehmungen, besonders gut ist die Abneigung aus einem allgemeinen Ekelgefühl beim Pfarrer zu erkennen. Ein bißchen aus der Reihe fällt der Junge, für den noch keine politischen oder moralischen Überlegungen hinter seiner Beteiligung an der Aktion stehen, sondern zunächst mal im wesentlichen der Reiz des Abenteuers und die Befolgung von Aufträgen seines Chefs Knudsen. Aber auch lernt etwas wichtiges in diesen Stunden, die etwas mehr als einen Tag ausmachen: Verantwortung.


    All das wird einigermaßen unaufdringlich und flüssig erzählt. Es ist sicher in einem ziemlichen Maße zeitgebunden, hat aber zum Glück auch einige darüber hinaus weisende, allgemeingültigere Aspekte. Für mich auffällig war dies jetzt nach Peter Bamms Die unsichtbare Flagge das zweite Mal kurz hintereinander, daß in einem Buch die Mitglieder der Partei-Organisationen als die Anderen bezeichnet werden. Beide Werke stammen etwa aus der selben Zeit, nämlich um die Mitte der 1950er Jahre. Ich frage mich, ob das nicht (zumindest ein bißchen) auf eine Abgrenzung verweist, mit der auch eine „Selbst-Entschuldigung“ entsprechender Kreise einhergeht. Vielleicht gehe ich dem mal etwas weiter nach ...


    4ratten


    Schönen Gruß,
    Aldawen

  • Habe die Lektüre vor einer Woche begonnen, dann aber erstmal unterbrochen, weil ich nach der anspruchsvollen Vor-Lektüre (Mann: Joseph in Ägypten) erstmal was Entspannendes brauchte. Es wird wohl auch noch über den Monat hinaus mit dem Andersch dauern, weil jetzt erstmal die Hardy-Leserunde dazwischenkommt.


    Aber was ich bisher gelesen habe, beeindruckt mich schon: Im ständigen Wechsel der Perspektive wird erzählt, wie fünf Personen (eine davon eine Barlach-Statue) aus unterschiedlichen Gründen in einer kleinen Ostsee-Hafenstadt zusammentreffen, weil sie aus unterschiedlichen Gründen Hitler-Deutschland entkommen wollen. Das ist ganz karg erzählt, aber gerade deshalb sehr beeindruckend.
    Ich habe jetzt etwa ein Drittel des schmalen Romans hinter mir, aber wie gesagt, nun "muss" ich erstmal an der Leserunde teilnehmen.

  • Ich habe mich ja schon immer gefragt was sich eigentlich hinter dem Titel des Buches versteckt. (Komischerweise hab ich mich aber nie genauer damit beschäftigt *g*) Ich werde also mal schauen wenn Du weiter darüber schreibst. :)


  • Ich habe mich ja schon immer gefragt was sich eigentlich hinter dem Titel des Buches versteckt. (Komischerweise hab ich mich aber nie genauer damit beschäftigt *g*) Ich werde also mal schauen wenn Du weiter darüber schreibst. :)


    Eine der Personen ist ein Junge, der als Lehrling auf einem Kutter arbeitet. Dessen Traumziel ist Sansibar, warum das der "letzte Grund" ist, weiß ich noch nicht.

  • Ach du je. Wir haben das in der Schule gelesen. Kann mich an gar nichts erinnern. :redface:

    Viele Grüsse,

    Weratundrina :verlegen:


    Help me, help me ~ Won't someone set me free? ~ There's no right side of the bed ~ With a body like mine and a mind like mine

    ~ IDLES ~


  • Ich habe mittelprächtige Erinnerungen an das Buch, das wir in der 10. Klasse gelesen haben. Kann aber natürlich auch an dem Anti-Gefühl gelegen haben, das ich gegenüber den allermeisten Schullektüren empfand. Ich müsste direkt mal ausprobieren, wie es mir heute damit ginge.

    If you don't become the ocean, you'll be seasick every day.

    Leonard Cohen





  • Nun habe ich das dünne Bändchen endlich zu Ende gelesen. Dabei liegt es nicht am Buch, sondern an meinem geringen Zeitbudget, dass ich erst jetzt fertig bin.
    Zum Inhalt:
    Fünf Menschen und eine Figur treffen während des Nationalsozialismus im fiktiven Ostseeküstenort Rerik aufeinander:Knudsen, der Fischer, dessen Frau geisteskrank ist und der daher das Euthanasie-Programm der Nazis droht, sein gelangweilter Schiffsjunge, dessen Traum von Flucht aus dem Einerlei sich in der Insel Sansibar verdichtet, Gregor, ein kommunistischer Funktionär, der sich aber, wie Knudsen, von seiner Partei löst, Judith,die ihrem Schicksal als Jüdin entkommen will, Helander, ein Pfarrer, der sterbenskrank ist und schließlich der lesende Klosterschüler, eine Barlach nachempfundene Holzstatue, die der Pfarrer vor den Maßnahmen gegen “entartete Kunst“ schützen will. Für alle ist die geschilderte Nacht der Wendepunkt in ihrem Leben.
    Andersch erzählt in ständigem Perspektivwechsel und mit recht karger Sprache, was sich in den Köpfen der Protagonisten abspielt und auch von der spannenden Flucht einiger davon nach Schweden.


    Meine Meinung:
    Ob es nun daran liegt, dass ich das Buch immer nur häppchenweise und mit großen Zeitabständen dazwischen lesen konnte oder ob der Funke einfach nicht übergesprungen ist, der Roman hat mich nicht sehr angesprochen. Die Personen wirken trotz der Innensicht arg verschlossen und sperrig, was insbesondere für Gregor und Knudsen gilt, offene Enden mag ich zwar, aber hier lässt es mich doch ziemlich ratlos zurück.
    Schön geschrieben , aber nicht “meins“.

    Einmal editiert, zuletzt von finsbury ()