Kaufen* bei
Amazon
Bücher.de
Buch24.de
* Werbe/Affiliate-Links
Inhalt: In einer Kleinstadt an der Ostsee treffen 1937 sechs Gestalten zusammen, die an sich keine Gemeinsamkeiten haben: Gregor, Funktionär der KPD, der sich als Instrukteur um die örtliche Parteigruppe kümmern soll, von seiner Parteiarbeit aber desillusioniert ist; Knudsen, der Fischer, letztes verbliebenes Mitglied der kommunistischen Partei und damit Ansprechpartner von Gregor, der – wenn auch aus anderen Gründen – genauso desillusioniert ist und zudem eine debile Frau hat, deretwegen er den Ort nicht verlassen kann und will; Helander, der Pfarrer, der Knudsen überreden will, eine Holzplastik, die von den Nazis wegen ihres Schöpfers als „entartete Kunst“ eingestuft wird (wohl ein Verweis auf Ernst Barlach), nach Schweden in Sicherheit zu bringen und der selbst unter einer alten Amputationswunde als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg leidet; Judith, die junge Jüdin aus wohlhabender Familie, die nach dem Selbstmord ihrer Mutter die Verpflichtung fühlt, sich wie von dieser gewünscht selbst in Sicherheit zu bringen; „der Junge“, der bei Knudsen auf dem Schiff arbeitet, dessen Vater, vielleicht im Suff, auf See blieb und der vom großen Abenteuer träumt; schließlich die zu rettende Holzplastik des „lesenden Klosterschülers“ selbst, die in den Augen der Menschen um sie herum ein Eigenleben zu entwickeln scheint. Knudsen will das Risiko nicht eingehen, aber Gregor, der Deutschland selbst gerne verlassen würde, nimmt sich der Sache an und will in dem Zuge gleich auch noch Judith helfen, deren Versuch, auf einem zufällig eingelaufenen schwedischen Dampfer unterzukommen, schnell und kläglich gescheitert ist.
Meine Meinung: Im steten Wechsel zwischen den Gedanken des „Jungen“, dessen Namen man nicht erfährt, und den Handlungen der übrigen Personen, allein oder in Gruppen, entfaltet Andersch hier eine kleine Geschichte über Verantwortung, Zivilcourage und Träume. Bemerkenswert ist hier das Zusammenwirken von Mitgliedern einzelner Gruppen, die sich ansonsten in gemeinsamer Aktion gegen den Nationalsozialismus eher nicht zusammengefunden haben: evangelische Kirche, Kommunisten, Juden, Arbeiter. Dabei entspringt diese Zusammenarbeit sehr unterschiedlichen Empfindungen und Wahrnehmungen, besonders gut ist die Abneigung aus einem allgemeinen Ekelgefühl beim Pfarrer zu erkennen. Ein bißchen aus der Reihe fällt der Junge, für den noch keine politischen oder moralischen Überlegungen hinter seiner Beteiligung an der Aktion stehen, sondern zunächst mal im wesentlichen der Reiz des Abenteuers und die Befolgung von Aufträgen seines Chefs Knudsen. Aber auch lernt etwas wichtiges in diesen Stunden, die etwas mehr als einen Tag ausmachen: Verantwortung.
All das wird einigermaßen unaufdringlich und flüssig erzählt. Es ist sicher in einem ziemlichen Maße zeitgebunden, hat aber zum Glück auch einige darüber hinaus weisende, allgemeingültigere Aspekte. Für mich auffällig war dies jetzt nach Peter Bamms Die unsichtbare Flagge das zweite Mal kurz hintereinander, daß in einem Buch die Mitglieder der Partei-Organisationen als die Anderen bezeichnet werden. Beide Werke stammen etwa aus der selben Zeit, nämlich um die Mitte der 1950er Jahre. Ich frage mich, ob das nicht (zumindest ein bißchen) auf eine Abgrenzung verweist, mit der auch eine „Selbst-Entschuldigung“ entsprechender Kreise einhergeht. Vielleicht gehe ich dem mal etwas weiter nach ...
Schönen Gruß,
Aldawen