Antonia S. Byatt: "Possession. A Romance"
deutscher Titel: Besessen
Kaufen* bei
Amazon
Bücher.de
Buch24.de
* Werbe/Affiliate-Links
Kaufen* bei
Amazon
Bücher.de
Buch24.de
* Werbe/Affiliate-Links
Vorab: Ein für den Booker Prize, der mir bis jetzt von 5 Bücher 3 absolut fantastische Leseerlebnisse beschert hat, darunter dieses wunderbare Werk.
Das Buch selbst ist viel mehr als nur die Romanze, als die es angekündigt wird. Als Epigraph ist dem Text ein Auszug aus Nathaniel Hawthorne's Vorwort zu The House of the Seven Gables vorangestellt, der scheinbar erklärt, warum die Autorin diese Bezeichnung für ihr Werk gewählt hat:
ZitatWhen a writer calls his work a Romance, it need hardly be observed that he wishes to claim a certain latitude, both as to its fashion and material, which he would not have felt himself entitled to assume, had he professed to be writing a Novel. [...] The point of view in which this tale comes under the Romantic definition lies in the attempt to connect a bygone time with the very present that is flitting away from us.
Als weitere Lesarten bietet sich die Detektivgeschichte an, denn der Rahmen der Geschichte kann wohl als solche bezeichnet werden. Oder eventuell könnte es auch in die Gruppe der historischen Romane fallen, und als solcher untersucht werden. Oder als Parodie auf die Methoden der modernen Literaturwissenschaft.
Diese Vielfältigkeit, die das Werk nicht nur in dieser Hinsicht ausmacht, verwandelt es in einen wahren Schatz für die wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Wohlgemerkt habe ich es zum Vergnügen gelesen, wobei es mich über weiten Strecken doch in den Fingern juckte, zu recherchieren, nachzusehen, Konzepte zu erstellen und Passagen unter anderem Licht zu betrachten. Desgleichen tut dies dem Lesevergnügen für eine einfache Lektüre keinen Abbruch.
Der Rahmen ist dabei die schon angesprochene Detektivgeschichte: Robert Mitchell, dessen literaturwissenschaftliches Interesse sich um Randolph Ash, einen viktorianischen Poeten dreht, findet in einem Buch des Dichters einen handschriftlichen Briefentwurf an eine Dame, die scheinbar das Interesse desselben geweckt hat. Dies passt in keiner Weise zu den weiteren Schriften und zu den bibliographischen Wissen, das man von seiner Person besitzt. Er beginnt nachzuforschen und findet die Adressatin des Briefes: Christabel LaMotte, eine Dichterin, die eben von der feministischen Literaturtheorie für sich entdeckt wurde. Seinen Fund hält er geheim vor seinem Chef Blackadder, eine der beiden führenden Ash Koryphäen.
Seine Suche führt ihn zu Maud Bailey, einer feministischen Literaturwissenschafterin und Nachkommin aus der Familie eben jener Christabel LaMotte. Gemeinsam stoßen sie auf die Korrespondenz der beiden Poeten, die vorangegangene Forschungen obsolet erscheinen lässt: Die beiden waren ganz offensichtlich ein Liebespaar.
Weitere Hinweise bringen die beiden Forscher auf eine beinahe abenteuerliche Reise in die Vergangenheit. Und dies bleibt nicht lange geheim, weitere Literaturwissenschafter heften sich auf ihre Fersen: Blackadder und Cropper, sein amerikanisches Pendant. Zweiterer kauft für seine Sammlung alles, was er von Ash finden kann, Briefe, Gegenstände, und ist dabei absolut skrupellos.
Darüber hinaus bekommt der Leser viele unterschiedliche Erzählperspektiven und Textsorten vorgesetzt: Zu der personalen Erzählsituation, die unterschiedlichen Personen in der Gegenwart folgt, gesellen sich personaler und auktorialer Erzähler der Vergangenheit. Wir lernen also Randolph Ash und Christabel LaMotte nicht nur über ihre Briefe und durch andere Dokumente kennen, sondern sie treten auch selbst als Figuren der Geschichte auf (wenn auch nicht oft). Weiters lesen wir Briefe der beiden, aber auch anderer Personen aus ihrem Umfeld, Gedichte beider Poeten, Tagebücher der Frau Randolph Ashs und der Freundin der Christabel LaMotte, sowie von deren Cousine, literaturwissenschaftliche Texte komplett mit Fußnoten und ein Testament. So wird ein vielschichtiger Blick auf die beiden Dichter gewährleistet, auf ihre Motive und Handlungen. Faszinierend ist der Textcorpus, den Byatt hier heraufbeschwört, mit Auszügen aus den Hauptwerken ihrer beiden Schriftsteller. Gänzlich ohne ausgereiftes Vorwissen scheinen die viktorianischen Gedichte gelungen, der Stil in den Briefen authentisch.
Zugegeben: Teilweise fand ich allzu lange Gedichtteile ermüdend, sie liegen mir einfach nicht. Und obwohl der Text sich sehr gut auf Englisch lesen lässt, wird es durch die quasi viktorianische Sprache und vor allem bei den Gedichten schwerer, ist also für Anfänger nicht zu empfehlen.
Die Handlung in der Gegenwart zieht überdies einige Vorgehensweisen der Literaturwissenschafter durch den Kakao, über diese Stellen konnte ich mich großartig amüsieren. Beinahe jeder der auftretenden Wissenschafter ist ein verkappter Poet, für die meisten ist ihre Beschäftigung mit dem Thema wirklich zur Obsession geworden.
Alles in allem: Ein Feuerwerk der interessanten Stile, denn Byatt verleiht jedem Charakter seine eigene Stimme, ein grandioses Spiel mit der Vergangenheit und dem Versuch, ihr Informationen zu entreissen, und darüber hinaus ein geniales und faszinierendes Gesamtkunstwerk!
Darum kann es nichts anderes geben als:
EDIT: Betreff angepasst. LG Seychella